1870 verlor der Papst nach Jahrhunderten seine weltliche Herrschaft, behielt aber durch seine Eigenschaft als Oberhaupt der Katholischen Kirche die Möglichkeit, mit Hilfe öffentlicher Erklärungen und diplomatischer Vertretungen (Nuntiaturen) Außenpolitik zu betreiben – freilich ohne die Möglichkeit, militärischen Druck auszuüben oder Handelspolitik zu betreiben. Kriegsverhütung und Friedensvermittlung sind seitdem wesentliche Ziele des Völkerrechtssubjekts Vatikanstaat, außerdem die Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche (insbesondere durch Konkordate) sowie die Linderung von Hunger und Not in der Welt, und speziell seit 1945 die Wahrung der Menschenrechte.
Die bis dahin grösste Herausforderung bahnte sich mit dem zunehmenden Imperialismus und Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert an. Seit dem endgültigen Sturz Napoleons 1815 hatten sich Kriege in West- und Mitteleuropa im regionalen Rahmen gehalten, sie endeten nach wenigen Monaten und fanden meist zwischen zwei Konfliktparteien statt – im Unterschied zu dem Kriegen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit seinen Konfliktparteien Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland Anfang August 1914 war damit eine einschneidende, völlig ungewohnte Lage entstanden, die angesichts der zahlreichen neuen technischen Entwicklungen sehr rasch zur Katastrophe mutierte.
Der damalige Papst, Pius X., starb wenige Tage später: am 20. August 1914. Schon seit 1911/12 hat er den „großen Krieg“ voller Sorge vorausgesagt, so z.B. am 30. Mai 1913: „Der Balkan ist nur der Anfang eines großen Weltbrandes, den ich nicht hintanhalten noch ihm Widerstand leisten kann“ (Vgl. Schwaiger a.a.O., S. 157f).
Am 3. September 1914 wählte das Konklave den 59-jährigen Erzbischof von Bologna, Giacomo Kardinal Della Chiesa, der sich für den Namen Benedikt XV. entschied. Er war ein auffallend schmächtiger, klein gewachsener Mann vom Typus des Gelehrten adliger Herkunft.
Einhundert Jahre nach diesem Pontifikat wollen wir untersuchen, welche Voraussetzungen zur Friedensdiplomatie Benedikt in das Petrusamt mitbrachte, was er unternahm und ob es zu einem Erfolg führte.
Relevanz
Im Rahmen der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg verdient Benedikt Beachtung, denn sein Wort dürfte angesichts der katholischen Kontrahenten Frankreich, Österreich-Ungarn mit seinen fast vollständig katholischen Völkern, Italien und den Millionen katholischen Deutschen Gewicht gehabt haben. Vor allem die Habsburgerdynastie betonte stets die Verbundenheit mit der Kirche, so dass es hier möglicherweise einen größeren Einfluss des Vatikans auf die Politik gegeben haben könnte, während die antiklerikale politische Klasse vielleicht wenig empfänglich war für die Initiativen des Papstes.
Nach einigen Monografien zu Lebzeiten und vor dem Zweiten Weltkrieg war über Benedikt in den vergangenen Jahrzehnten wenig zu lesen – abgesehen von Aufsätzen über ihn im Rahmen der Papstgeschichte des 20. Jahrhunderts. 2005 fand er eine gewisse Beachtung, weil Joseph Kardinal Ratzinger den Papstnamen Benedikt wählte und seinen Vorgänger als einen Mann der Friedensbemühungen würdigte. Erst 2015 erschien wieder eine wissenschaftliche Monografie in deutscher Sprache, die Dissertation Papst Benedikt XV. - Päpstliche Europavorstellungen in Kriegs- und Nachkriegszeiten (1914-1922), gefolgt von der Monografie des Kirchenhistorikers Jörg Ernesti: Benedikt XV. – Papst zwischen den Fronten (2016). Beide Werke konzentrieren sich auf die Aktionen des Papstes, den Krieg beenden zu helfen.
Zu den Quelleneditionen lässt sich leicht vordringen: die Enzykliken, Briefe, apostolischen Schreiben und Ansprachen sind im Internet unter http://w2.vatican.va/content/benedict-xv/it.html zumeist in lateinischer und italienischer Sprache, jedoch kaum auf Deutsch nachlesbar.
Voraussetzungen
Della Chiesa promovierte im Fach Jura, empfing die Priesterweihe 1878 und durchlief eine Ausbildung an der vatikanischen Diplomatenschule. An der Nuntiatur in Madrid und im Kardinalstaatssekretariat erwarb er praktische Erfahrungen bezüglich der internationalen Beziehungen. In jungen Jahren erlebte er sehr bewusst das lange und großenteils gelungene Pontifikat Leos XIII., den zwei große Probleme in den auswärtigen Beziehungen herausforderten: die ungelöste „Römische Frage“ und der allmählich endende Kulturkampf in Deutschland. Nicht das Machtwort, sondern die Diplomatie war nach dem Ende des Kirchenstaates 1870 gefordert: der Vatikan verfügte kaum über einen geografischen Raum und ebenso wenig über Streitkräfte.
So war es um Benedikts Kenntnisse nicht schlecht bestellt, er verfügte also über nützliche Voraussetzungen in diplomatisch-politischer Hinsicht.
Päpstliche Rundschreiben
Bereits am 8. September 1914 – also schnellstens – mahnte Benedikt die Regierenden zur Beendigung des Krieges und schärfte das Gewissen der Priester, auf Äußerungen von Hass und Verachtung gegenüber dem jeweiligen Kriegsgegner zu verzichten, stattdessen die Nächstenliebe vorzuleben. Erörterungen über die Kriegsschuldfrage unterließ er – hier und in allen weiteren Schreiben, um nicht durch Parteilichkeit seine Vermittlungschancen zu begrenzen.
In seiner Antrittsenzyklika vom 1. November 1914 („Ad beatissimi Apostolorum“) verurteilte Benedikt nicht nur den Krieg und die Feindschaft zwischen den Nationen, sondern kritisierte auch die moderne Gesellschaft, der er Begehrlichkeit und eine Abkehr von der Kirche, ja vom christlichen Glauben attestierte. Die Menschen müssten wieder zur Glaubens- und Sittenlehre zurückkehren.
Papst Benedikt wandte sich am 28. Juli 1915 in einem apostolischen Schreiben „An die im Kriege sich befindenden Völker und ihre Leiter“. Der „Schmerz über den Bruderkrieg“ habe nicht nur das Leben seines Vorgängers Pius X. „abgekürzt“. Weiter unten: „Im Allerheiligsten Namen des Allmächtigen, unseres göttlichen Vaters, und um des kostbaren Blutes Jesu Christi willen, für die Erlösung der Menschheit vergossen, beschwören wie euch, o Herrscher der nun im Kriege sich befindlichen Völker, endlich diesem entsetzlichen Kampfe ein Ende zu bereiten, welcher seit einem Jahr Europa entehrt. Denn es ist ja Bruderblut, welches zu Wasser und zu Lande vergossen wird. Die schönsten Landstriche Europas, dieses herrlichsten Gartens der Welt sind bedeckt mit Toten und angehäuft von Ruinen, wo noch vor kurzem Handel und Industrie sowie der Ackerbau blühten, da tönen jetzt dröhnend die Geschütze, nicht verschonend Dörfer und Städte, sondern überall nur Tod und Elend sehend. Ihr aber habt vor Gott und den Menschen die fürchterliche Verantwortung für Krieg und Frieden, wir flehen euch an, erhört die väterliche Stimme des Stellvertreters des ewigen und höchsten Richters, welchem auch ihr Rechenschaft ablegen müsst, sowohl über die öffentlichen als auch über eure privaten Taten“. Verhandlungslösungen seien zu suchen: „Warum nicht von nun ab mit Gerechtigkeit die Rechte und gerechten Aspirationen der Völker prüfen und abwägen? Warum nicht mit frischem Mute einen direkten oder indirekten Meinungsaustausch herbeiführen zum Zwecke der Prüfung dieser Rechte oder Aspirationen, um so dem ungeheueren Kriege ein Ende zu bereiten (…). Gesegnet sei derjenige, welcher zuerst den Palmenzweig erheben wird und seinem Feinde die Rechte darbieten wird zugleich ihm annehmbare Friedensbedingungen anbietend; denn das Gleichgewicht der Welt und der gedeihliche und sichere Friede der Völker beruhen hauptsächlich auf gegenseitigem Wohlwollen und auf der Hochachtung der gegenseitigen Würde und Rechte vielmehr als auf großen Heeren und gewaltigen Festungen“. Nicht nur soll der Krieg beendet werden und friedlicher „Wettstreit um Künste und Wissenschaft sowie des Handels“ wieder in Gang kommen, sondern es soll künftigen Kriegen durch gerechte Regelungen vorgebeugt werden: „(...) nachdem das Recht eines jeden wiederhergestellt ist, mögen sie sich von nun an entschließen, Streitfragen nicht mehr dem Schwerte zur Entscheidung zu überlassen, sondern durch Recht und Gerechtigkeit mögen sie entschieden werden, nachdem dieselben mit Ruhe und Mäßigung vorher diskutiert wurden. (...)“
Stattdessen weitete sich der Krieg der europäischen Großmächte zum Weltkrieg aus. Am 6. April 1917 erklärten die Vereinigten Staaten dem Deutschen Reich den Krieg. Die frischen amerikanischen Truppen verstärkten die Entente gegen die Mittelmächte. Dazu schrieb der gemäßigte englische Pazifist Phillip Snowden rückblickend zu Recht, US-Präsident Woodrow Wilsons „Eingreifen in den europäischen Krieg war von jedem Standpunkt aus verhängnisvoll. Hätte er Amerika nicht in den Krieg gebracht, so wäre wahrscheinlich ein anständiger Friede zustande gekommen. Sein Eingreifen hat die europäische Lage außerordentlich verschärft und brodelnde Eifersucht, Haß, bösen Willen und die Gewißheit zurückgelassen, daß ein Menschenalter von Krieg und Blutvergießen vor uns liegt. Je eher er nach Amerika zurückkehrt und aufhört, sich in die internationale Politik einzumischen, für die er offensichtlich weder den Mut noch das Wissen besitzt, desto besser für den Frieden der Welt (vgl. Hubertus Prinz zu Löwenstein: Deutsche Geschichte, S. 495).
Am 1. August 1917 wandte sich der Heilige Vater mit dem apostolischen Schreiben „Les de Debut“ an die Regierenden, um den allgemein gehaltenen Appellen konkrete Vorschläge folgen zu lassen. Verfasst ist es in der traditionellen Diplomatensprache Französisch. Vorausgegangen war die Friedensresolution des Deutschen Reichstages. Er habe versucht, das „Ende dieser Katastrophe“ beschleunigt herbeizuführen. Ausgangspunkt war stets seine Unabhängigkeit als Vater der Völker, die er gleichermaßen liebt, ohne Rücksicht auf deren Staatsangehörigkeit und Religion. Strikte Neutralität und humanitärer Einsatz waren seine Mittel (schon als Erzbischof in Bologna hat er seinen Priestern strikte Distanz zu den politischen Auseinandersetzungen verordnet; vgl. Lauderbach, a.a.O., S. 84). Ziel sei ein „gerechter und dauerhafter Frieden“.
Als dessen Grundlage schlage der Papst eine „gleichzeitige und wechselseitige“ Abrüstung vor. Lediglich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dürfe nicht gefährdet werden. An die Stelle der Streitkräfte sollen friedensschaffende Schiedsgerichte treten.
Wenn so die Herrschaft des Rechts etabliert ist, seien Hindernisse, die den Verkehr zwischen den Völkern beeinträchtigen, zu beseitigen. Die Freiheit der Meere sei wiederherzustellen. Reparationsforderungen seien gegenseitig vollständig zu erlassen. Besetzte Gebiete seien zu räumen. Deutschland habe Belgien zu räumen und dort die volle politische Unabhängigkeit wiederherzustellen. Die Deutschen hätten auch die Besetzung von Teilen Frankreichs zu beenden, die Entente müsse die bisher deutschen Kolonien an das Reich zurückgeben. Im Sinne von Gleichheit und Gerechtigkeit seien auch die Grenzen festzulegen, etwa bezüglich Armeniens, des Balkans und Polens.
„Das sind im wesentlichen die Fundamente, auf denen unserer Auffassung nach die zukünftige Ordnung der Völker erbaut werden muss. Durch sie werden ähnliche Konflikte unmöglich, und sie bereiten eine Lösung der ökonomischen Frage vor, die so wichtig für die Zukunft und das materielle Wohlergehen aller kriegführenden Staaten ist“ (Benedikt, De les Debuts, wiedergegeben in: Ernesti, a.a.O., S. 263-266).
Humanitäre Hilfe
Um die Kriegsfolgen zu lindern, setzte sich der Vatikan spürbar für Kriegsgefangene ein. Dazu zählte der Austausch und Versorgung verwundeter Kriegsgefangener sowie die geistliche Betreuung, Vermisstensuche. Einholung von Informationen und Unterstützung der Korrespondenz zwischen Gefangenen und ihren Angehörigen. Im Vatikan häuften sich hunderttausende Briefe (vgl. Lauderbach, a.a.O., S. 104-108). Im einzelnen kam es nach dem 31. Dezember 1914 zum Austausch jener Kriegsgefangenen, die zum Militärdienst nicht mehr fähig waren, gefolgt von einem Transfer erkrankter Kriegsgefangener zur Genesung in die Schweiz, Dänemark und die Niederlande (1916). Über einen deutsch-italienischen Gefangenenaustausch wurde verhandelt. In seinen Enzykliken Paterno iam diu (1919) und Annus iam plenus (1920) rief der Papst zu Spenden zugunsten der notleidenden Kinder in Mitteleuropa auf. Diese Sammlungen am 28. Dezember 1919 und am 20. Dezember 1920 sowie die unmittelbaren päpstlichen Schenkungen an die Erzbistümer in Köln und München sowie nach Österreich im Rahmen der Kinderfürsorge in Höhe von mehreren Millionen Lire (vgl. Schuck, a.a.O., S. 597) stellen herausragende humanitäre Leistungen in einer Zeit dar, in der internationale Hilfsmaßnahmen nach Art der UNICEF noch weitgehend unbekannt waren.
Geheimdiplomatie
Neben dem öffentlichen Erklärungen des Heiligen Vaters bemühte sich der Vatikan auf bilateraler Ebene um ein Schweigen der Waffen. Vertraulich geführte Verhandlungen blieben jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Warum? Die Mittelmächte, namentlich der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg, erklärten sich in einer Note vom 12. Dezember 1916 zu einem Verständigungsfrieden ohne Grenzverschiebungen bereit; dazu baten sie den Heiligen Vater um Vermittlung. Dieser war dazu bereit. Großbritannien erklärten aber, jedes päpstliche Bemühen auf dieser Grundlage werde von Paris und London scharf missbilligt. Sie wollten erst dann über einen Frieden reden, wenn sich das Kriegsglück von Deutschland abgewandt habe. Papst Benedikt hat dieses Scheitern in einem Brief an Felix Kardinal von Hartmann (Köln) vom 7. März 1917 bedauert (Vgl. Schuck, a.a.O., S. 598).
Im Auftrag des Papstes brachte der Nuntius Eugenio Pacelli Juni 1917 im Gespräch mit Reichskanzler Bethmann-Hollweg die deutschen Kriegsziele in Erfahrung. Als er Juli 1917 ein Vermittlungsangebot in Berlin unterbreitete, stieß er auf Zurückhaltung: der neue Kanzler Georg Michaelis war ein Mann der Obersten Heeresleitung, die eher auf einen Siegfrieden als auf eine Verständigung setzte.
Der vertrauliche Brief an Kaiser Karl
Am 10. Oktober 1918 richtete Papst Benedikt ein Schreiben an Kaiser Karl von Österreich, zugleich als Karol König von Ungarn, um ihn in traditioneller Verbundenheit mit seinem Reich einige Vorschläge zu unterbreiten. Der Kaiser solle die bundesstaatliche Ordnung weiterentwickeln, insbesondere den „Tschecho-Slowaken und Jugoslawen mit einem öffentlichen und feierlichen Akt weitgehende Autonomie“ gewähren. Mit anderen Worten: Reform statt Revolution! Der Papst war gegen ein Auseinanderbrechen der Donaumonarchie, stattdessen für eine bundesstaatliche Ordnung, die den Interessen der Völker entgegenkommt.
Benedikt schrieb am 10. Oktober weiter: Karl solle außerdem dafür sorgen, dass Deutschland die Antwort Wilsons auf die deutsche Bitte nach einem Waffenstillstand akzeptiere, zumal sich die Lage für die Mittelmächte durch den zu erwartenden Abfall der Türkei und die ständigen amerikanischen Truppenverstärkungen in Westeuropa. Das Deutsche Reich solle, gemäß Wilsons Forderung, in eine parlamentarische Monarchie umgewandelt werden (Ernesti, a.a.O., Abdruck des Schreibens, S. 266f.).
Zwar erließ Karl das Manifest „An meine österreichischen Völker“ (Völkermanifest) am 15. Oktober 1918, doch kam es zu spät, um die Abspaltung des Königreichs Böhmen im Norden und des Küstenlandes im Süden zu verhindern. Karl kündigte darin eine künftige bundesstaatliche Ordnung für das Kaisertum Österreich an, die sich mit dem Vorschlag Benedikts nahezu deckte. Jeder „Volksstamm“ solle auf „seinem Siedlungsraum sein eigenes staatliche Gemeinwesen“ erhalten. Demgegenüber riefen Vertreter des tschechischen und slowakischen Volkes am 28. Oktober 1918 ihren neuen gemeinsamen Staat aus, und die slowenisch besiedelten Gebiete erklärten ihre Lösung von Wien, um sich mit Serben und Kroaten staatlich zu vereinigen.
Den amerikanischen Präsidenten lobt Benedikt mit Datum vom 8. November 1918 für die Anerkennung von Polens Unabhängigkeit, nach mehr als einem Jahrhundert Teilung des Landes. Er bittet ihn, Armenien anzuerkennen, um so mehr nach den Leiden des armenischen Volkes in den zurückliegenden Jahren. Das seien die Gründe, weswegen die Menschheit ihre „Augen auf den großen Präsidenten der größten Demokratie der Welt“ richte. Der Erlöser möge die Bemühungen Wilsons segnen, einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Welt zu schaffen (ebd., S. 267f).
Nachkriegszeit
Dem Waffenstillstand von Compiegne zwischen Deutschland und Frankreich am 11. November 1918 folgte kein wirklicher und vollständiger Friede, da eine Seeblockade und neuerliche Kriegsdrohung das nunmehr republikanisch-demokratische Deutschland zur Unterschrift nötigte. Der Papst kritisierte diese „Hungerblockade“. Mit Österreich schloss die Entente den Frieden von Saint-Germain und mit Bulgarien den Frieden von Neuilly. An den Vatikan war keine Einladung ergangen. Die Vertragsinhalte sorgten für Skepsis und Enttäuschung; zu sehr standen Hass, Nationalismus und Hochmut der Sieger Pate, zuungunsten von Gleichgewichtsorientierung und gleichmäßiger Abrüstung. Ein gerechter und dauerhafter Frieden war damit nicht gegeben.
In seiner Enzyklika Pacem Dei munus vom 23. Mai 1920 stellte der Heilige Vater fest, mit der Unterzeichnung der Verträge seien „die Keime der alten Feindseligkeiten nicht ausgerottet“. Vielmehr sei eine „Wiederversöhnung im Geiste der gegenseitigen Liebe“ vonnöten. Diese Annäherung der Völker sei sein Ziel. Egal, wo die Kriegshandlungen tobten, „überall sehen wir unermessliche Ländereien, wo Verödung und Verwüstung herrschen, wo alle Felder unbebaut und verlassen sind. Die Not der Bevölkerung ist so groß, dass sie selbst der Nahrung, der Kleidung und des Obdachs entbehrt. Unglaublich hoch ist die Zahl der Unterernährten, meistens Kleinkinder und Jugendliche, deren abgezehrte Gestalten die Grausamkeit des Krieges bezeugen“. Hier sei nun die Kirche gefordert. „Vor allem aber wünschen Wir, dass ihr eure Priester, die Diener des christlichen Friedens, zur Beharrlichkeit ermahnt in dieser wichtigen Angelegenheit des christlichen Lebens, nämlich in der Empfehlung der Liebe zum Nächsten, selbst den Feinden gegenüber. Ja, sie sollen in dem Grade allen alles werden, dass sie den andern mit ihrem Beispiel vorangehen, dem Hass und der Feindschaft den Krieg erklären und ihn überall unerbittlich führen zur größten Freude des liebevollsten Herzens Jesu und dessen, der auf Erden trotz seiner Unwürdigkeit Christi Stelle vertritt.
In diesem Zusammenhang gilt es auch, die katholischen Schriftsteller, Redaktoren und Mitarbeiter von Zeitschriften und Zeitungen zu ermahnen und inständig zu bitten, dass sie als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte sich mit herzlichem Erbarmen und mit Güte wappnen und diese Gesinnung auch in ihren Schriften an den Tag legen, indem sie sich nicht nur vor falschen und unbedachten Anschuldigungen hüten, sondern auch jede leidenschaftliche und verletzende Ausdrucksweise vermeiden, die ja im Widerspruch steht zum gebot der Christentums und doch nur kaum vernarbte wunden wieder aufreißt, zumal da ein eben genesenes Herz schon der geringsten Beleidigung gegenüber empfindlich ist“.
Geradezu modern klingt die päpstliche Anregung, eine globale internationale Institutionen zur Kriegsverhütung zu schaffen: „Die Gründung eines solchen Völkerbundes wird, abgesehen von vielen anderen Gesichtspunkten, durch die allgemein anerkannte Notwendigkeit nahegelegt, alles ins Werk zu setzen, um die Rüstungsauslagen zu streichen oder wenigstens herabzusetzen, deren erdrückende Last für die Staaten untragbar geworden ist, sowie um in Zukunft solch verhängnisvolle Kriege zu vermeiden oder doch eine derartige Gefahr soweit als möglich abzuwenden und jedem Volk die Unabhängigkeit und Unversehrtheit seines Gebietes innerhalb gerechter Grenzen zu sichern“. Er sah das Christentum als notwendige geistige Grundlage einer solchen Gemeinschaft; offenbar sah er sie im neu gebildeten Völkerbund mit Sitz in Genf als zu wenig oder nicht gegeben an.
Abschließend fordert der Heilige Vater: die Menschen mögen sich dazu überwinden, Feindseligkeiten und Kränkungen zu vergessen und dem Geist der Nächstenliebe zu leben. „Sodann richten wir an die Nationen insgesamt die eindringliche Mahnung, aus christlichem Verständigungswillen einen wahren Frieden zu schließen, indem sie auf dem Boden der Gerechtigkeit zu einem dauerhaften Bündnis zusammentreten“.
Die Stimme eines pazifistischen Schriftstellers
Der Literaturnobelpreisträger Romain Rolland schrieb am 1. August 1916, also genau ein Jahr vor der 1917er Enzyklika des Papstes , eine differenzierte Analyse in sein Tagebuch:
„Es ist nur gerecht, hier einmal anzuerkennen, dass Papst Benedikt XV. ein wahrer Christ ist. Man wäre versucht zu sagen, er ist der einzige. Es fehlt ihm an Unerschrockenheit, er versteht nicht, als Herr der Kirche zu sprechen; aber zumindest bleibt sein eigenes persönliches Gewissen unbescholten. Niemals hat er aus seinem Abscheu vor dem Krieg ein Hehl gemacht, und niemals hat er ihn als rechtmäßig anerkannt, bei keiner Partei. Seine Bemühungen, sich als Fürsprecher einzuschalten, sind zu schüchtern gewesen; er versteht es nicht, vom Stuhle Petri herab zu sprechen; aber er spricht als eine in ihrer väterlichen Liebe geschundene, in ihrer Vernunft verletzte, in ihrem Glauben blutende Seele. Aus Anlass des zweiten Jahrestags des Kriegsausbruchs hat er den Wunsch ausgesprochen, die Kinder aller Länder der Welt mögen am Samstag, den 30. Juli die Kommunion empfangen und für die Wiederherstellung des Friedens beten […]. Er hat es nicht bei diesen Worten bewenden lassen: er ist tätig gewesen, um die Grausamkeiten des Krieges zu lindern; er ist für sich allein ein zweites Rotes Kreuz gewesen und war (in seiner Eigenschaft als Souverän) in sehr vielen Punkten wirksamer als das andere Rote Kreuz. Seiner Initiative (ob nun ihr allein oder verstärkt durch die Initiative des Roten Kreuzes) ist es zu verdanken, dass kranke Gefangene aus Frankreich und aus Deutschland in der Schweiz interniert wurden“ (Rolland, a.a.O., S. ).
Resümee
Das Misstrauen, der Papst begünstige die jeweils andere kriegsführende Seite, kennzeichnete sowohl Franzosen wie Deutsche. Mit seinen Aufrufen zum Frieden scheiterte er zwar, nicht jedoch mit den humanitären Leistungen, deren Einzelheiten eine genauere Untersuchung verdienen.
Benedikt XV. starb nach kurzer Krankheit am 22. Januar 1922. Anstrengungen, Kriege zu verhindern, sind zwar nicht erst seit Benedikt zu einem Markenzeichen der vatikanischen auswärtigen Beziehungen geworden. Aber Benedikts Bemühungen übertrafen die Friedensvermittlungen und humanitären Initiativen seiner Vorgänger bei weitem. Bezeichnenderweise wählte sein Nachfolger Pius XI. als Motto: Pax Christi in Regno Christi – Frieden Christi im Königreich Christi. Anstelle von Krieg solle Frieden herrschen, und Christus solle der Weltenherrscher anstelle gottloser Potentaten sein. Papst Pius XII. bemühte sich unmittelbar nach seinem Amtsantritt, den Zweiten Weltkrieg zu verhindern und wahrte während des Krieges Neutralität. Papst Johannes Paul II. setzte sich trotz schwerer Krankheit vehement ein, den Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak 2003 abzuwenden. Bis zum Erscheinen der beiden oben aufgeführten Monografien erinnerte jedoch viel zu wenig – kein Platz, keine Straße - an die unablässigen, höchst ehrenwerten Anstrengungen dieses Papstes, der in der breiten Öffentlichkeit leider in Vergessenheit geraten ist. Ein Denkmal im Innenhof der Heilig-Geist-Kathedrale in Istanbul (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_des_Heiligen_Geistes_(Istanbul) ist zu versteckt – ein Monument in einer Stadt West- oder Mitteleuropas wäre m.E. wünschenswert.
Quellen
http://w2.vatican.va/content/benedict-xv/it.html
www.kathpedia.com/index.php?title=Pacem_dei_munus _(Wortlaut)
Schriften von Benedikt XV., veröffentlicht in: Ernesti, S. 259 -272
Romain Rolland: Über den Gräben. Aus den Tagebüchern 1914-1919. München 2015
Literatur
Frank Becker/Almut Kriele (Hrsg.): Pro Fide et Patria. Die Kriegstagebücher von Ludwig Berg 1914 bis 1918. Katholischer Feldgeistlicher im Großen Hauptquartier Kaiser Wilhelms II. Köln 1998
Simon Brößner: Der Mainzer Katholizismus und der Erste Weltkrieg. Mainz 2015 (Magisterarbeit). Online:
http://www.glk.uni-mainz.de/Dateien/Masterarbeit_Broessner.pdf
Jörg Ernesti: Benedikt XV. Papst zwischen den Fronten. Freiburg 2016
Sabine Lauderbach: Papst Benedikt XV, päpstliche Europavorstellungen in Kriegs- und Nachkriegszeiten (1914-1922). Hamburg 2015 (Diss. Mainz 2013)
Johannes Schuck: Geschichte der Kirche Christi. Würzburg 1936
Georg Schwaiger: Papsttum und Päpste im letzten Jahrhundert. München 1999
© Stefan Winckler