Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Wenn ein Strom das Meer nicht mehr erreicht ... Kann das Colorado-Delta gerettet werden?

Die Vereinigten Staaten sind seit jeher einer extremen Witterung ausgesetzt. Während die Bilde von New York City in einem gera dezu schockgefrosteten Zustand nahezu jeden Winter in unseren Nachrichtensendungen zu sehen sind (an den Großen Seen und bis weit nach Süden in den Mittleren Westen hinein ist es nicht besser), blieb die große Dürre in Kalifornien und im Südwesten der USA hierzulande eher wenig beachtet.

Große Dürre? Gab es das nicht schon einmal? Jene Katastrophe begann allmählich, nachdem der „Westen gewonnen“ worden war. Die Farmer beseitigten das Präriegras, dessen Wurzeln den Boden vor der Erosion bewahrten. Weizen-Monokulturen folgten. Eine außergewöhnliche Dürre Mitte der 1930er Jahre ließ die Erde zu Staub vertrocknen, den kaum enden wollende Stürme hinwegfegten. Wer von der Landwirtschaft lebte, hatte das Nachsehen. Das Korn knickte um und verdarb. Die konkursreifen Farmen fielen den Großbanken zu, die andere Pläne verfolgten und den Bewohnern keine Möglichkeiten zur Existenz boten.

So setzte ein Exodus zwischen 1935 und 1938 ein: erhebliche Teile der Landbevölkerung aus Oklahoma und den benachbarten Bundesstaaten machten sich aus der dust bowl („Staubschüssel“) auf den Weg nach Kalifornien: in ein (vermeintlich) Gelobtes Land, in dem Milch und Honig fließen (können). Die sozialen Verwerfungen jener großen Wanderung schilderte John Steinbeck eindringlich in seinem Roman „Früchte des Zorns“ (1939) auf der Basis seiner Beobachtungen vor Ort: viele Wanderarbeiter fanden keine Arbeit, für andere waren die Arbeitsbedingungen mangelhaft, immer wieder artete die Konkurrenz an der Westküste zu Ausbeutung und erneuter Vertreibung aus (siehe auch: Steinbecks Roman „Stürmische Ernte“).

Aus diesen Verhältnissen, die Regisseur John Ford und sein Chefkameramann Gregg Toland in einem halbdokumentarischem Stil abbildeten (Verfilmung „Früchte des Zorns“, 1940), sind Lehren gezogen worden, sowohl in ökologischer als als in wirtschaftlich-sozialer Hinsicht. Die Vergangenheit wird sich so nicht wiederholen. 

Trockenheit in Kalifornien 

Woanders war 2011 bis 2017 mit der California Draught eine Dürreperiode im westlichsten US-amerikanischen Bundesstaat aufgetreten, die eine erhebliche Belastung nicht nur in ökologischer Hinsicht darstellte: Anfang Oktober 2012 waren zwölf Prozent des Landes nicht von Trockenheit betroffen, und in 88 Prozent der Fläche war die Trockenheit/Dürre leicht bis mittelschwer. Der nächsthöhere Grad „extrem“ wurde kaum und der höchste, („außergewöhnliche Dürre“) wurde überhaupt nicht erreicht. Eine leichte Trockenperiode hielt nicht an, vielmehr waren im Dezember 2012 31 Prozent Kaliforniens frei von Trockenheitsproblemen. Von Frühjahr 2013 bis Frühjahr 2017 war hingegen eine ernsthafte Krise gegeben: Vom 13.8.2013 bis zum 12.11.2013 waren konstant 11,36 Prozent des Bundesstaates von extremer Dürre betroffen. Bis zum 7.1.2014 waren es durchgängig 27,31 Prozent, Mitte Januar 2014 sogar 62, 71 Prozent. Dann wurde erstmals der höchste Grad „außergewöhnliche Dürre“ festgestellt. Fortan waren zwischen dem 28.1.2014 und dem 1.12.2015 etwa 70 Prozent Kaliforniens einer schweren oder außergewöhnlichen Dürre ausgesetzt. Anschließend verbesserte sich die Situation langsam, aber stetig bis zu einem Wert von 24,30 Prozent der genannten Dürregrade am 17.1.2017, während die nicht betroffenen Regionen schon wieder mehr als ein Drittel des „Golden States“ ausmachten. Eine Woche später war so gut wie keine schwere oder außergewöhnliche Dürre mehr diagnostiziert worden, wohl aber noch leichtere Grade an Niederschlagsmangel ((vgl. https://www.drought.gov/drought/states/california). Am 8.4.2017 erklärte Gouverneur Jerry Brown den Dürre-Notstand für beendet – nicht ohne vor neuen Dürren zu warnen. 100 Millionen Bäume waren der Trockenheit zum Opfer gefallen, Bürger waren zur Einschränkung ihres Wasserkonsums ermahnt worden, teilweise galten Verbote.

Alles in allem waren 2013 bis 2016 die trockendsten Jahre in Kalifornien, zumindest seit dem Anfang der Aufzeichnungen 1895.

Soweit die Statistiken – doch wie wirkte sich die Austrockung im einzelnen aus? 100 Millionen Bäume waren abgestorben, Heerscharen von Käfern machten sich vielerorts darüber her und zerstörten das ökologische Gleichgewicht (oder was davon übrig geblieben war). Stauseen waren erheblich geschrumpft, folglich stand weniger Oberflächenwasser zur Verfügung. 

Die wasserintensive kalifornische Landwirtschaft im Central Valley war auf Grundwasserbohrungen angewiesen, denn Oberflächenwasser stand nicht mehr zur Verfügung. Je tiefer gebohrt wurde, desto höher waren die Kosten, und desto tiefer sank der Grundwasserspiegel. Abgesehen davon, dass zehntausend Jahre altes Wasser Verunreinigungen erhält, wie Arsen und Chrom, Salze sowieso. 

Inwiefern ist der Mensch daran schuld? Und vor allem: was kann der Mensch tun, um ähnliches zu verhindern? Die Kalifornier (oder gar die Amerikaner insgesamt) können gewiss nichts dafür, dass die gewohnten Niederschläge weit entfernt, in Alaska und Nordwestkanada, abregneten (bzw. abschneiten). Der eigentliche Grund der letztjährigen Trockenheit waren veränderte Meeresströmungen im Pazifik. Es hat immer wieder Dürrekatastrophen in Kalifornien gegeben, beispielsweise zwischen 1130 und 1170 (also Jahrhunderte vor der Industrialisierung) und danach viele weitere Male: Untersuchungen sehr alter Baumstämme lieferten die Belege.

Während es sehr einfach ist, die Austrocknung des Aralsees in Mittelasien an der Wasserentnahme aus seinen Zuflüssen Amu-Darja und Syr-Darja festzumachen (der sowjetischen Planwirtschaft war die ökologische Verantwortung fremd), verhält es sich in Bezug auf den amerikanischen Westen weit weniger monokausal. Außerdem kann in Amerika alles debattiert werden, was in der Vor-Glasnost-UdSSR selbstverständlich nicht möglich war.

In Kalifornien wuchs die Bevölkerung von 29,76 Mio. (1990) auf 40 Mio. (2017). Dementsprechend stieg der Wasserverbrauch. Nicht nur der private Verbrauch ist zu berücksichtigen, sondern auch der Bedarf der Wirtschaft: für sich gerechnet ist es die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dies alles wirkt tendenziell problemverschärfend, zumal die Wasser-Infrastruktur zu erheblichen Teilen renovierungsbedürftig ist. Andererseits: Das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung dürfte weiter gestiegen sein: Wasserverschwender werden an den virtuellen Pranger gestellt, „grüne“ Gesetze und Vorschriften wurden erlassen. Angesichts einer zu erwartenden Tendenz zu weiteren Trockenperioden erscheint es allerdings sehr gewagt, Prognosen zu formulieren. 

Colorado River 

Ein weiteres Problem ist die Wasserführung des Colorado. Von jeher ist er auf seinem Weg durch die Wüste einer hohen Verdunstung ausgesetzt. Vor wenigen Jahren drohte allerdings sein Unterlauf (auf mexikanischem Gebiet) auszutrocknen.

Er gilt 2017 als der meistgefährdete Fluss(abschnitt) der Vereinigten Staaten. Grund dafür waren überhöhte Wasserentnahmen, die auf ein zu hoch eingeschätzte Wasserführung des Flusses zurückzuführen sind, und eine deutlich anwachsende Bevölkerung im Einzugsgebiet, deren Bedarf das Problem noch verschärft. Verschiedene Staudämme wie der Hoover-Damm und der Glen Canyon-Damm halten viel Wasser zurück, was in die großen Städte wie Los Angeles und in die intensive Landwirtschaft Kaliforniens geleitet wird, und bleibt damit dem natürlichen Unterlauf vorbehalten.

Dazu schrieb Daniel Lingenhöhl im „Spektrum der Wissenschaft“:

„Statt noch wie zu seinen Hochzeiten zu Beginn des letzten Jahrhunderts bis zu 31 Milliarden Kubikmeter jährlich fließen im wichtigsten Fluss des amerikanischen Südwestens allenfalls noch 1,8 Milliarden Kubikmeter über die Grenze [nach Mexiko] – etwas mehr als der Rhein pro Woche in die Nordsee schüttet. Dies ist die 1944 vertraglich zwischen den USA und Mexiko vereinbarte Menge an Wasser, die im Colorado dem südlichen Nachbarn verbleiben soll. Immer häufiger fällt dieses Flüsschen aber noch dünner aus, und das, was überhaupt noch bis hierhin gelangt, wird von den mexikanischen Verbrauchern nahezu restlos aufgebraucht. Im Delta kommt daher in vielen Jahren überhaupt kein Wasser mehr an – mit entsprechenden Folgen: In den letzten Jahrzehnten ist dessen Fläche im Golf von Kalifornien um 95 Prozent geschrumpft, weil die reichen Sedimente des Colorados fehlen und sie nicht mehr das ausgleichen, was das Meer landeinwärts abnagt“ (http://www.spektrum.de/news/kein-wasser-im-westen/962015). 

Folge: Flora und Fauna schwinden, selbst der Fischbestand im Meer unmittelbar an der Mündung verringert sich.

Inzwischen einigten sich die USA und Mexiko auf Hilfsmaßnahmen. Nachdem ein Erdbeben die mexikanischen Bewässerungskanäle zerstört hatte, hielten die USA die für das südliche Nachbarland reservierten Wassermengen für eine spätere Nutzung durch Mexiko zurück, anstatt die Situation für sich auszunutzen. Das dabei erzeugte Vertrauen schuf ein sehr stark verbessertes Verhandlungsklima zwischen beiden Staaten, das rasch in eine amerikanische Unterstützung der Reparatur und Verbesserung der mexikanischen Bewässerungskanäle mündete. Das dabei gesparte Wasser wurde 2014 für die Renaturierung des Colorado genutzt, indem der Morelos-Staudamm (in den USA unmittelbar nördlich der Genze) für mehrere Wochen vom März bis Mai geöffnet wurde („pulse flow“). Das freigegebene Wasservolumen betrug fast 106,000 acre feet (130 Mio. Kubikmeter). So konnte der Fluss zumindest zu einem kleineren Teil in sein Bett nach etwa 15 Jahren zurückkehren und sein Ufer renaturiert werden. Weitere Wassermengen wurden bis Dezember 2015 freigegeben: durchschnittlich 52.000 acre feet (mehr als 64 Mio. Kubikmeter) Wasser jährlich. 

Ein Zwischenbericht von Forschern beider Nationen (2016) stellte die Rückkehr angestammter Pflanzen fest. Der Pulse flow stimulierte ein Wachstum der Flora für mindestens ein Jahr. Eine größere Anzahl und Artenvielfalt von Vögeln, um so stärker dort, wo nach der Flut Bäume gesetzt worden waren. Auch der Grundwasserspiegel verbesserte sich. Anrainer, die den Fluß nie im Leben gesehen hatten, erkannten, wie ihre Heimat zu besseren Zeiten aussah. Wissenschaftler der University of Arizona erarbeiten derzeit eine umfassende Studie, die für Januar 2018 erwartet wird.

Am 27.9. 2017 unterzeichneten Beamte beider Staaten eine 23-seitige Aktualisierung des vorangegangenen Abkommens. Die USA werden 31,5 Mio. Dollar zum Abdichten von Bewässerungskanälen und zur Einführung von Wasser-effizienten Techniken und überweisen. Alleine dadurch werden 200.000 acre feet (246,9 Mio. Kubikmeter) der Landwirtschaft zugute kommen. Das dadurch eingesparte Wasser verbleibt auf der US-amerikanischen Seite, anstatt weiter südlich im Boden zu versickern. Mexiko wird erlaubt, Wasser nördlich der Grenze zu speichern, zumal es zuletzt auf seinem Staatsgebiet kaum über Colorado-Wasser verfügen konnte. Umgekehrt verzichtet Mexiko auf Wasseransprüche gegenüber den USA, die zuvor strittig waren. Die größten Vorteile kommen dem Colorado-Delta zugute, denn 210.000 acre feet (259 Mio. Kubikmeter) werden diese Zone innerhalb der neunjährigen Vertragslaufzeit fluten. Regionale Experten stimmten überein, dass die beiden Vertragspartner Mexiko und die Vereinigten Staaten gleichermaßen gewonnen hätten – und dass die Natur der „große Sieger“ sei (https://www.newsdeeply.com/water/articles/2017/10/05/environment-is-big-winner-in-u-s-mexico-colorado-river-agreement).  

Fazit 

In Kalifornien ordnete der Staat Wassersparmaßnahmen an. Ob oder inwieweit die Bürger künftig sparsam mit Wasser umgehen – ob freiwillig oder gezwungen – lässt sich momentan noch nicht beurteilen.

Die Trockenheit im Südwesten hat Las Vegas, das sein Wasser aus dem Colorado-Stausee Lake Mead bezieht, dazu bewogen, vernünftiger mit Wasser umzugehen. Rasenflächen wurden vielerorts durch Sträucher ersetzt, selbstständiges Autowaschen wurde verboten, gleichzeitig die Aufbereitung von Brauchwasser massiv forciert. Von 2005 bis 2015 konnte der Pro-Kopf-Wasserverbrauch bereits um ein Drittel gesenkt werden. Städtische Bedienstete machen Bürger auf Wasserverschwendung aufmerksam und verhängen unter Umständen Bußgelder .

Im Ganzen ist die Wassernutzung in den USA sei 1975 nahezu gleich geblieben, obwohl die Bevölkerung alleine seit 1980 um 68 (in Worten: achtundsechzig) Millionen Menschen angewachsen ist. Offenbar konnte Wasser verstärkt aufbereitet werden, möglicherweise ist weniger Wasser dank besserer Kanäle versickert, und zuletzt mögen viele Menschen verantwortungsbewusster mit Wasser umgegangen sein.

Im Delta des Colorado wird wohl ein Teil des früher sehr bedeutenden Ökosystens wieder hergestellt werden. Ein „Garten Eden“ wie vor der mehrfachen Colorado-Aufstauung mit einer üppigen Tier- und Pflanzenwelt auf der seinerzeitigen Fläche von 7810 Quadratkilometern wird aber sicher ausgeschlossen bleiben. Vor Veröffentlichung des angekündigten Reports ist es allerdings noch zu früh für ein detailliertes Fazit. 

Literaturauswahl 

https://www.newsdeeply.com/water/articles/2017/10/05/environment-is-big-winner-in-u-s-mexico-colorado-river-agreement

http://www.hcn.org/articles/colorado-river-why-a-colorado-river-reunion-with-the-sea-isnt-a-guarantee

http://www.inkstain.net/fleck/2017/09/resilience-u-s-mexico-colorado-river-relationship/

http://www.n-tv.de/panorama/Wasser-Cops-drehen-Las-Vegas-den-Hahn-zu-article15939596.html

https://www.nature.org/ourinitiatives/regions/northamerica/unitedstates/colorado/newsroom/colorado-minute-323-for-the-colorado-river.xml

https://www.nature.org/ourinitiatives/regions/northamerica/unitedstates/colorado/newsroom/colorado-minute-323-for-the-colorado-river.xml  

© Stefan Winckler

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