Stefan Winckler
Historiker und Buchautor


Die Gebetsliga für den Völkerfrieden


Zugegeben, die Gebetsliga ist selten im Gespräch. Und doch verfügt sie über eine hundertjährige Geschichte, in der sie Erfolge verzeichnen konnte. Sie vertritt das geistige Vermächtnis von Österreichs letztem Kaiser Karl (1916 bis 1918).

Wer war Karl I.?

Karl war als Großneffe Kaiser Franz Josephs nach dem Suizid des Kronprinzen Rudolf und der Ermordung von Franz Ferdinand der Thronfolger der K.u.K.-Monarchie. Im Dezember 1916 bestieg er mit 29 Jahren die Throne des Kaisertums Österreichs und des Königreichs Ungarn. Er reduzierte den Einfluss des Generalstabs zugunsten der Regierungen in Wien und Budapest, bemühte sich um Volksnähe, setzte ein Ministerium für soziale Fürsorge ein und zielte v.a. auf ein Ende des Ersten Weltkriegs, wobei er jedoch am Verbündeten Deutschland und an der Entente scheiterte.  Sein Völkermanifest (1) vom 16. Oktober 1918 zur bundesstaatlichen Neugestaltung des Kaisertums Österreich kam zu spät, außerdem torpedierte die ungarische Regierung Entsprechendes für „Transleithanien“. Zudem waren die Gegensätze zwischen den Völkern der Doppelmonarchie bereits zu groß geworden. Im November 1918 blieb Karl nur noch der Verzicht auf die Führung der Amtsgeschäfte, der nicht mit einer formalen Abdankung zu verwechseln ist. Zwei Versuche, als König nach Ungarn zurückzukehren, scheiterten am Reichsverweser Horthy, der die Reaktion der Ententemächte sowie der Tschechoslowakei, Jugoslawiens und Rumäniens fürchtete. Die Entente verbannte Karl daraufhin nach Madeira.
Karl verstarb dort am 1. April 1922 an einer Lungenentzündung, die der unzureichenden Unterbringung während des nasskalten Winters geschuldet war. Er ist in Funchal in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte bestattet. Karl hinterließ die Witwe Zita und acht Kinder, von denen der älteste Sohn Otto der bedeutendste ist. Karls Enkel Georg Habsburg-Lothringen (ungarisch: Habsburg Lotaringiai György) ist seit 2021 ungarischer Botschafter in Paris. Schon vor 2004 war er an den Beitrittsverhandlungen Ungarns zur Europäischen Union maßgeblich beteiligt.


Die Gebetsliga und ihr langer Weg zur Seligsprechung Karls

Die Gebetsliga, aus einem kleinen Betkreis hervorgegangen, setzte sich seit 1923 für die Seligsprechung Kaiser Karls ein. Vor einhundert Jahren gewährte der Generalvikar von Vorarlberg, Weihbischof Sigismund Waitz die kirchliche Approbation (Anerkennung auf Bistumsebene). Ab 1925 sammelte die Gebetsliga Aussagen, die möglicherweise eine Seligsprechung (Beatifikation) rechtfertigen konnten – gab es ein Martyrium, war Karls Leben besonders tugendhaft? In Österreich durfte die Gebetsliga während der NS-Herrschaft nicht wirken, vielmehr konnten zahlreiche Mitglieder wohl nur durch die Verbrennung der archivalischen Unterlagen vor Verfolgung bewahrt werden. Gleichzeitig bestand die Gebetsliga in Ländern außerhalb der NS-Herrschaft wie der Schweiz (Karls Exil von 1918 bis 1921) und dem amerikanischen Doppelkontinent weiter.
1949 formierte sich die italienische Landesgruppe, im Jahr darauf konstituierten sich die Sektionen für Frankreich, Belgien, Luxemburg und für die Exil-Ungarn, während 1952 der bundesdeutsche und der niederländische Landesverband folgte. In der Schweiz zählte die Gebetsliga im Jahre 1954 bereits 1.800 Mitglieder.
Wie kam der Seligsprechungsprozess voran? 1949 nahm sich der Heilige Stuhl der Causa Kaiser Karl an, indem er dem Monarchen den Titel „ehrwürdiger Diener Gottes“ verlieh. Tausende Schriftstücke – Bittbriefe, Zeugenaussagen – mussten für den Beatifizierungsprozess übersetzt und geprüft werden: eine langwierige Angelegenheit. Es ist üblich, dass die Kirche die Anträge auf Seligsprechung sehr kritisch prüft und den Eingaben ihre Bedenken und Verneinungen entgegensetzt. So geschah es auch in Bezug auf Karl. 1995 wurde ein Gremium aus sechs Theologen beauftragt, die Frage zu klären, ob der letzte Kaiser Österreichs „in einem besonderen Grade tugendhaft“ war. Im Jahre 2002 stellten neun Theologen die geforderten heroischen Tugenden Karls (Glaube, Liebe und Hoffnung unter den damaligen Umständen in vorbildlicher Weise) fest, die Papst Johannes Paul II. im darauf folgenden Jahr anerkannte. Gebetserhörungen auf Grund der Bitten Karls zum dreieinigen Gott seien ebenso nachweisbar wie erlebbare Zeugnisse (Wunder).
Am 3. Oktober 2004 sprach Johannes Paul II. Kaiser Karl aus diesen Gründen selig.
Gedenktag ist Karls Hochzeitstag, der 21. Oktober.

Die Gebetsliga in der Gegenwart

Heute bemühen sich die Liga-Mitglieder „im Geiste des seligen Kaiser Karl
• den Willen Gottes zu suchen und zu befolgen,
• sich für Frieden und Gerechtigkeit in den Familien und zwischen den Völkern einzusetzen,
• für alles Unrecht in der Geschichte Sühne zu leisten, das heißt:
Christus am Ölberg und auf Golgota nicht alleine zu lassen, sondern mit ihm die Last der anderen zu tragen. In diesem Sinn verpflichten sich die Mitglieder der Kaiser Karl Gebetsliga für den Völkerfrieden:
• täglich das Ligagebet zu beten
• mindestens einmal monatlich die hl. Messe in diesem Sinn mitzufeiern
• nach Möglichkeit an der Friedenswallfahrt, den Gebetsabenden,
• Exerzitien und Vorträgen der Gebetsliga teilzunehmen“.  (2)
Die Gebetsliga veranstaltet Wallfahrten (z.B. nach Madeira) und Symposien über Kaiser Karl. Zusammen mit der Stadt Brandýs-Stará Boleslav, dem St. Georgs-Orden (ein europäischer Orden des Hauses Habsburg-Lothringen) der Union der Europäischen Wehrhistorischen Gruppen und dem Technischen Nationalmuseum lädt die Gebetsliga alljährlich im Mai zur „Audienz bei Kaiser Karl“.

Diese Veranstaltung in Brandeis an der Elbe/Brandýs nad Labem (siehe Fotos des Verfassers) ist ein Treffen von Tschechen, Österreichern und anderen Mitteleuropäern, das ohne vordergründige Politik Menschen zusammenbringt und so Freundschaften entstehen lässt. Zu den bewegenden Momenten gehört die Heilige Messe in Stará  Boleslav (Altbunzlau), die mit dem Absingen der Kaiserhymne auf tschechisch endet.

Die Gebetsliga umfasst heute 5.000 Mitglieder in 17 Ländern.
Adresse: www.gebetsliga.com

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1      https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=wrz&datum=19181017&seite=17
2     https://www.gebetsliga.com/home/die-gebetsliga/mitglied-werden/

 

 

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© Dr. Stefan Winckler

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