150 Jahre Konrad Adenauer
Von Dr. Stefan Winckler
Ritter Adenauer
Am 5. Januar 2026 wäre der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, 150 Jahre alt. Gehörte er, dessen katholische Prägung weithin bkannt war, einem oder mehreren katholischen Laienorden an?
Adenauer erhielt bereits 1951 das Großkreuz als Magistralritter des Souveränen Ritterordens der Malteser. D.h., er hatte weder Gelübde noch Profess abgelegt, war aber anerkannt als jemand, der gemäß den Normen der Kirche lebte und bereit war, sich für Orden und Kirche einzusetzen (vgl. wikipedia: Soveräner Malteserorden). Der Malteserorden ist der älteste, ununterbrochen wirkende Ritterorden der katholische Kirche. Bekanntermaßen war er unter der Bezeichnung Johanniterorden zunächst ein Krankenpflegeorden, der nach dem Beispiel des Tempelrittertums zum kämpfenden Orden im Heiligen Land und im Mittelmeer wurde.
1956 erhielt Adenauer das Großkreuz des portugiesischen Christusordens. Der Christusorden ist der Verdienstorden der Republik Portugal in der Nachfolge des 1319 als regionale Templer-Fortsetzung gegründeten Ordem de Cavaleria de Nosso Senhor Jesus Christo.
Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bruststern_des_Großkreuzes_zum_Christus-Orden_von_Portugal.jpg
Am 12. September 1963, fünf Wochen vor seinem letzten Amtstag als Bundeskanzler, erhielt Konrad Adenauer von Papst Paul VI. die höchste Auszeichnung des Heiligen Stuhls: den vatikanischen Christusorden. Üblicherweise werden damit Laien geehrt, die sich um die katholische Kirche besonders verdient gemacht haben. In einem Breve, einem offiziellen Brief, begründete dies der Papst darüber hinaus für die Öffentlichkeit: „Es ist bekannt, daß Sie das schwere Amt der Regierung des deutschen Staates mit großer Klugheit und Geschicklichkeit versehen und Ihrem Vaterlande ausgezeichnete Dienste geleistet haben. Noch mehr Wertschätzung haben Sie sich dadurch erworben, daß Sie nach dem ungeheuren Zusammenbruch des Krieges sich mit hervorragendem Selbsteinsatz um die Herstellung eines dauerhaften Friedens bemüht und die christliche Religion, den sicheren Schutzwall der Völker, persönlich mit Eifer geübt und geschützt haben (…) Mit Unserem vorliegenden Schreiben erwählen, ernennen und erklären Wie Sie zum Ritter des Christusordens und nehmen Sie in den Hohen Orden ebendieser Ritter auf“ (vgl. https://www.konrad-adenauer.de/seite/orden/). Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Coat_of_Arms_of_Konrad_Adenauer_(Supreme_Order_of_Christ).svg
Die Verleihung an einen amtierenden Regierungschef stellt eine Ausnahme dar.
Den zweithöchsten Ordens des Vatikans erhielt er Ende 1955: den Orden des Goldenen Sporns, der eigentlich Staatsoberhäuptern vorbehalten ist.
Adenauer war seit 1958 Ehrenritter des Deutschen Ordens. Dieser ist seit 1918 kein Ritterorden mehr, sondern ein geistlicher Orden, bestehend aus Priestern, Ordensschwestern und Familiaren (Laienbrüdern).
Ritterliche Tugenden Konrad Adenauers
Adenauer verkörperte ritterliche Tugenden wie Treue (triuwe) gegenüber dem Staatswesen, der öffentlichen Ordnung, der Familie, den eigenen Idealen sowie Würde und Ehre durch sein vorbildliches Auftreten in der Öffentlichkeit.
Die Tugend der Beständigkeit (staete) äußerte sich beim ersten Bundeskanzler in seinem Festhalten an den (auch christlich begründeten) Werten, selbst wenn dies für ihn als politische Person unbequem werden sollte. Beständig hielt er am Ziel des deutsch-französischen Ausgleichs fest, der ihm zum Lebensziel wurde. Gleiches gilt für die Zielsetzungen, einen deutschen Staat auf der Basis christlich-abendländischer Wertvorstellungen von der Würde und Freiheit des einzelnen Bürgers aufzubauen, der damit Hitlers Herrschaft entgegengesetzt positioniert ist. Das große und schwierig zu erreichende Ziel, zu einem Ausgleich mit den Juden und dem Staat Israel zu kommen, konnte ebenso nur mit Beständigkeit und Fleiß erreicht werden.
Damit verbunden ist die Tapferkeit (manheit) in der geistigen Auseinandersetzung, die er permanent bewies. Gegenwind war für ihn nicht nur nachteilig: „Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen“ (Zitate.net · Konrad Adenauer)
Demütig (diemüete), aber nicht hörig war er gegenüber der Religion, so dass an dieser Stelle auch der christliche Glaube benannt werden kann.
Mäßigung (mâze), Zurückhaltung und Selbstbeherrschung zeigte Adenauer gerade auch in den Verhandlungen mit den Westmächten (den Hohen Kommissaren und gegenüber den wechselnden französischen Regierungen), um schrittweise die Bundesrepublik zu einem handlungsfähigen Staat zu machen.
Daraus und aus vielen anderen Entscheidungen auch schon zu seinen Oberbürgermeisterjahren in Köln spricht die Klugheit als Kardinaltugend. Bereits Aristoteles hat sie beschrieben, und Thomas von Aquin baute darauf auf.
Minne und Freigiebigkeit als eindeutig private Tugenden können wir in einem Politikerporträt der Zeitgeschichte vernachlässigen.
In seinen Memoiren erörtert Adenauer die ritterlichen Tugenden nicht explizit. Allerdings ist seine Kritik an einer Überhöhung des Staates und am Materialismus so zu verstehen, dass das Volk das Maß, einen zentralen Begriff der ritterlichen Tugendlehre, verloren und zumindest in Teilen noch nicht wiedergefunden hat (siehe Aufsatz „Konrad Adenauer – eine Annäherung...").
Konrad Adenauer - eine Annäherung an Person und Epoche
Der weiseste deutsche Staatsmann seit den Tagen Bismarcks
Winston Churchill am 5.5.1953 über Adenauer
Das Kaiserreich war noch jung, als Konrad Adenauer geboren wurde. Am 1. Januar 1871 trat die Verfassung für die deutschen Staaten (ohne Österreich) in Kraft, am 18. Januar 1871 fand die Kaiserproklamation in Versailles statt.
Konrad Adenauer, am 5. Januar 1876 in Köln auf die Welt gekommen, erlebte die Kindheits- und Jugendjahre in der preußischen Rheinprovinz in bürgerlichen, aber durch Verzicht und Sparsamkeit gekennzeichneten Verhältnissen. Sein Vater war Justizsekretär am Appelationsgericht. Conrad Hermann Joseph Adenauer, wie der Junge mit vollem Namen hieß, wuchs mit drei weiteren Geschwistern auf, während seine Schwester Elisabeth im Säuglingsalter starb.
So fiel seine Kindheit noch in die Ära Bismarck. Der Kulturkampf gegen die katholische Kirche brachte Einschränkungen sogar in der Seelsorge mit sich. So wird Adenauer an die Katholiken gedacht haben, als er später über Bismarck resümierte:„Ein großer Außenpolitiker, aber ein sehr schlechter Innenpolitiker“.
Es war eine Zeit, in der noch keine Automobile auf den Straßen fuhren, und selbst der Zeppelin noch nicht erfunden war, von Flugzeugen ganz zu schweigen. Adenauer studierte Jura in Freiburg, München und Bonn, anschließend wirkte er in einer Anwaltskanzlei und dem Landgericht Köln, ohne sich einen bekannten Namen zu machen.
Fotos von Konrad Adenauer: https://www.konrad-adenauer.de/biographie/seite/lebenslauf-die-wichtigsten-daten/
Eben dies gelang ihm in der Kommunalpolitik, wo er erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters Max Wallraff (Onkel seiner ersten Ehefrau) war. Überhaupt war Adenauer gesellschaftlich im Aufstieg: Er gehörte katholischen Studentenverbindungen an, und im Tennisclub „Pudelnaß“ lernte er weitere Angehörige der höheren Gesellschaft, aber auch seine Frau Emma kennen. Noch war das Kaiserreich wirtschaftlich prosperierend und in Bezug auf die Sozialpolitik eines der fortschrittlichsten Länder der Welt, doch sollte der Erste Weltkrieg gerade auch für den Kommunalpolitiker Adenauer eine sehr große Herausforderung werden: Er war für die schwierige Lebensmittelversorgung der Kölner Bevölkerung während der britischen Seeblockade zuständig. Abhilfe schaffte er durch selbst erfundene Ersatzprodukte wie das „Kölner Brot“ aus Reis- und Maismehl, die „Kölner Wurst“ aus Soja und Gewürzen (patentiert in Belgien, Großbritannien – ein Treppenwitz der Geschichte – und der Schweiz, den Niederlanden, Österreich und Dänemark, nicht aber in Deutschland wegen der hiesigen strengen Lebensmittelgesetze). Mit ein wenig Ironie ließe sich Adenauer so zum Urahn der Veganer machen! Jedenfalls war Adenauer damit erfolgreich genug, um 1917 zum Oberbürgermeister gewählt zu werden. Qua Amt war er auch Abgeordneter des Preußischen Herrenhauses, der ersten, nicht gewählten Kammer des Landtags. Nach der Revolution favorisierte er eine Abtrennung des Rheinlands von Preußen, nicht aber von Deutschland (wie es ihm Nationalsozialisten und Kommunisten später vorwerfen sollten). Seine Kritik gegegn Preußen konkretisierte er mit Blick auf den oben erwähnten Kulturkampf und die besetzung hoher Beamtenstellen mit „Ostelbiern“, also ortsfremdem Personal. Im größten Land der Republik war er Präsident des Preußischen Staatsrats, der zweiten Landtagskammer, die sich aus ca. 80 gewählten Vertretern der Provinzen zusammensetzte. Obwohl Adenauers Zentrumspartei an der Regierung des Freistaats Preußen beteiligt war, befand sich Adenauer gegenüber dem im übrigen sehr stabilen Kabinett unter Ministerpräsident Otto Braun (SPD) eher in Konflikt als im Konsens.
Umso konstruktiver war er als OB in Köln, wo er mit der Gründung der Universität (1919) und der Schaffung des Inneren und des Äußeren Grüngürtels (800 Hektar, davon 400 Hektar Wald) dauerhafte Zeichen setzte. Die Grüngürtel sah er als Luftfilter für die Großstadtbevölkerung – ökologisches Denken vor einhundert Jahren. Auch die Wiederbelebung der Kölner Messe mit ihren neu gebauten Hallen von 1922/23 und die Ansiedlung der Ford-Werke 1927 gehen auf ihn zurück.
Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Amtskette_des_Oberbürgermeisters_von_Köln
Eine höchst lesenwerte Quelle in Bezug auf Adenauers Leistungen als Kölner OB ist seine als Rechenschaft geplante Rede: https://www.konrad-adenauer.de/seite/10-maerz-1933/
Ein Wechsel vom Rathaus an die Spitze der Reichsregierung war dreimal im Gespräch. Adenauer lehnte jedoch angesichts der Instabilität der Republik und v.a. der fragilen Regierungen jedesmal das Amt des Reichskanzlers ab.
Adenauer – und nicht etwa Hitler – war es, der die erste Autobahn mit der Bezeichnung 555 auf der linksrheinischen Strecke zwischen Köln und Bonn eröffnete, bereits 1932.
Nachdem Adenauer die zu Hitlers Wahlkampfauftritt an den Rheinbrücken aufgepflanzten Hakenkreuzfahnen im Februar 1933 entfernen ließ, blieb ihm nur noch ein Rückzug aus dem öffentlichten Leben, denn sein eigenes Leben war bedroht (NS-Slogan: „Adenauer an die Mauer“). Überflüssig, zu betonen, dass ihn der NS-Gauleiter aus dem Amt warf. Rund ein Jahr lang verbarg er sich als Bruder Konrad in Maria Laach, wo ein Schulfreund als Abt wirkte. Der NS-Vorwurf der Bereicherung und des Bonzentums konnte gerichtlich ausgeräumt werden. 1934 zog Adenauer erst nach Potsdam-Neubabelsberg, 1937 nach Rhöndorf bei Bad Honnef. Er lebte von seiner Pension und den Erlösen aus dem unter Wert abgebenen Haus in Köln. Dem Widerstand gehörte Adenauer, der die Staatsstreichbewegung eher mit Pessimismus betrachtete, nicht führend an. Dennoch wurde er als ehemaliger Repräsentant des „Weimarer Systems“ im Rahmen der Aktion „Gitter“ inhaftiert, entging der Überstellung ins KZ Buchenwald und konnte aus einem Haftkrankenhaus fliehen.
Adenauer stand auf einer weißen Liste vertrauenswürdiger, kompetenter Persönlichkeiten der Amerikaner, was 1945 zu seiner Wiedereinsetzung als Oberbürgermeister von Köln führte.
Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Koeln_1945_Recolored.jpg
Da jedoch die rheinische Metropole der britischen Besatzungszone zugeschlagen wurde, hatte die Übernahme des Amts in der Ruinenstadt nicht lange Bestand: Der britische Militärgouverneur John Ashworth Barraclough setzte ihn im Oktober 1945 ab. Adenauer war ihm zu eigensinnig, etwa in seinen Kontakten zu Amerikanern und Franzosen sowie in der Kommunalpolitik selbst.
Der Amtsverlust ließ Adenauer verstärkt in die beginnende Parteipolitik der britischen Zone einsteigen, so dass er zum Vorsitzenden der CDU Rheinland und der CDU in der britischen Zone gewählt wurde. Von 1946 an war er für drei Jahre der Vorsitzende der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag.
Die tieferen Ursachen für die deutsche Katastrophe sah er in einer Vergötzung des Staates zuungunsten von Freiheit und Würde des einzelnen Menschen und in einer materialistischen Weltanschauung, zu der auch der Marxismus zählt. In der wirtschaftlichen Not wandten sich große Teile des Volkes der NS-Lehre zu.
Beindruckt und ermutigt war er von Charles de Gaulles Rede in Saarbrücken im August 1945: Deutsche und Franzosen müssten einen Schlussstrich unter Feindschaft und Krief ziehen, stattdessen zusammenarbeiten und sich bewusst sein, dass sie Europäer sind. Adenauer favorisierte die Bildung der Vereinigten Staaten von Westeuropa, denn nichts könne den Frieden besser sichern und die Angst vor Deutschland nehmen als eine „organische Verflechtung der französischen, belgischen und deutschen Industrie“, denn „parallel laufende, gleichgeschaltete wirtschaftliche Interessen“ seien das „gesundeste und dauerhafteste Fundament für gute politische Beziehungen zwischen den Völkern“ - eine Idee, die er bereits nach dem Ersten Weltkrieg vertrat.
Adenauer gerierte sich in seinen Erinnerungen nicht als Erfinder der Christdemokratie, er zeichnet vielmehr nach, was sich vielerorts herausbildete: dass eine neue Partei als Volkspartei verschiedener Gruppen und Stände die gemeinsamen christlichen Grundsätze der beiden großen Konfessionen vertreten solle (der Begriff „Volkspartei“ fällt nicht explizit, er wird umschrieben). Aber er verschwieg, dass sich bereits im Juli 1945 in Berlin eine Christlich Demokratische Union um Jakob Kaiser, Ernst Lemmer, Andreas Hermes und andere gebildet hatte.
In dieser Nachkriegszeit, von materieller Not, aber hohem geistigen Anspruch erfüllt, gab es auch in der CDU der britischen Zone Debatten über Plan und Markt. Dabei wandte sich Adenauer gegen Sozialisierungen in der Industrie; nicht wenige in der CDU sahen jedoch in Verstaatlichungen ein erstrebenswertes Ziel.
Einen überregionalen Bekanntheitsgrad erlangte Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz beriet und am 23. Mai 1949 verabschiedete. Im September schlug Bundespräsident Theodor Heuss dem Deutschen Bundestag vor, ihn zum Bundeskanzler zu wählen, denn der in Bonn direkt gewählte Adenauer war Vorsitzender der größten Bundestagsfraktion und schien am ehesten in der Lage, die meisten Stimmen der Bundestagsabgeordneten auf sich zu vereinen.
Dass die erste Bundesregierung als kleine bürgerliche Koalition zustandekam, war Adenauers Werk. Nicht wenige, namentlich der Arbeitnehmerflügel der CDU v.a. in Nordrhein-Westfalen, favorisierte eine Regierung mit der SPD. Dem widersetzte sich Adenauer. Er wollte auch die Bayernpartei mit ins Regierungs-“Boot“ holen, wenn nicht ein junger, sehr selbstbewusster bayerischer Abgeordneter namens Franz Josef Strauß beim Treffen der CDU/CSU-Größen in Adenauers Wohnhaus bei gutem Essen und außerordentlich guten Weinen dagegen argumentiert hätte: „Die Bayernpartei ist unser größter Konkurrent, wie soll ich gegen sie im Landtagswahlkampf in Bayern nächstes Jahr ankommen, wenn wir mit ihr am Kabinettstisch sitzen?“ (so Strauß sinngemäß).
Im September 1949 gewann Adenauer die Kanzlerwahl im Bundestag mit nur einer Stimme Mehrheit (freilich: Wer wählt sich nicht selbst, wenn es auf jede Stimme ankommt?). Einige Christdemokraten verweigerten ihm die Stimme (vermutlich diejenigen, die ein Regierungsbündnis mit der SPD vorgezogen hätten). Hingegen erhielt Adenauer eine Stimme aus der Opposition, genauer: aus der Bayernpartei.
Sein Ziel war, Westdeutschland politisch handlungsfähig und souverän zu machen; die Achtung der Nachbarstaaten und ehemaligen Kriegsgegner zu erlangen; die Aussöhnung mit Frankreich, mit den Juden und Israel zu erreichen. Langfristig sei auch die Wiedervereinigung möglich, wenn die Bundesrepublik als erfolgreicher Staat, verbunden mit den Westmächten, über eine ausreichende Anziehungskraft verfügt, und mit der UdSSR nicht aus einer Position der Schwäche verhandelt. Die Wirtschaftspolitik überließ er weitgehend Ludwig Erhard, einem Liberalen in der CDU.
Erstaunlicherweise war Adenauer im eigentlichen Sinne außenpolitisch unerfahren. Er konnte eine hohe kommunalpolitische Kompetenz vorweisen und hatte sich als MdL in die Landespolitik eingearbeitet. Aber er war nie Reichskanzler oder Reichsminister. Er konnte nicht einmal eine Auslandserfahrung vorweisen. Adenauer mochte Vorstandsmitglied der Zentrumspartei gewesen sein, aber er war vor 1950 kein Parteichef.
Einen Erfolg konnte Adenauer schon sehr bald verbuchen: Im Abkommen mit der Hohen Alliierten Kommission auf dem Petersberg bei Bonn, erreichte Adenauer am 22. November 1949 eine teilweise Einstellung der Demontagen und eine Mitwirkung in der Ruhrbehörde, die die Produktionsziffern für Kohle und Stahl festlegte. Die Bundesrepublik durfte fortan Konsulate im Ausland eröffnen. Ein Anfang war gemacht.
Gegenüber den Hohen Kommissaren bewies der neu gewählte Kanzler Sinn für symbolische Politik: Er betrat den großen Teppich, den die Kommissare eigentlich für sich reserviert hatten (leider ist der Teppich verlorengegangen, anstatt im Deutschen Historischen Museum gezeigt zu werden). Bild: Petersberg bei Bonn. Quelle: Tohma (talk), commons.wikimedia.org
1951 nahmen Belgien und Dänemark als erste Staaten diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik auf. Adenauer war ab 1951, als das Besatzungsstatut revidiert wurde, bis 1955 (Abschluss der Pariser Verträge, Beitritt zu NATO und Westeuropäischer Union) zugleich Außenminister.
Dem neuen Staat fehlte zunächst eine Nationalhymne. Bundespräsident Theodor Heuss favorisierte ein Lied, das Rudolf Alexander Schröder getextet, er selbst bearbeitet und Hermann Reutter komponiert hatte. Diese „Hymne an Deutschland“ fand wenig Anklang in der Bevölkerung. Adenauer bevorzugte die dritte Strophe des Deutschlandliedes. Er einigte sich 1952 in einem Briefwechsel mit Heuss darauf, das Deutschlandlied zur Hymne zu erklären, wobei zu offiziellen Anlässen die (seinerzeit nicht sehr bekannte) dritte Strophe gesungen wird.
Der äußeren Befriedung (Aufhebung des Kriegszustands durch die Westaliierten, Revision und Aufhebung des Besatzungsstatuts, Westintegration) folgte auch eine Befriedung nach innen (Johannes Gross): „Beinahe gleichzeitig wurde für jene Schicht gesorgt, die als deutsche Soldaten, Beamte, Angestellte, und Arbeiter des öffentlichen Dienstes gedient hatten, keine weitere Verwendung mehr finden konnten und sich selbst mit vollem oder einigem Recht als bloßes Opfer der Zeitläufte ansahen; Rechtsgrundlage war das nach Artikel 131 des Grundgesetzes zu erlassende und benannte Bundesgesetz“ (Gross, S. 87).
Nachdem der Ausbruch des Koreakriegs im Sommer 1950 die Angst vor einem Dritten Weltkrieg eskalieren ließ und die Wirtschaft bremste, waren die Jahre ab 1951 durch politische Stabilität und ein hohes Wirtschaftswachstum gekennzeichnet. Daher wählte die Zeitschrift „Time“ Adenauer 1953 zum Mann des Jahres. Die Bundestagswahlen in jenem Jahr gerieten zu einem Triumph der Koalition mit 45,2 Prozent der Stimmen für die Unionsparteien.
Eine Herausforderung war die Zukunft des Saarlandes. Es handelte sich um einen Verfassungsstaat mit beschränkter Eigenständigkeit, politisch unter französischer Aufsicht, sowie in einer Wirtschafts- und Währungsunion an Frankreich gebunden. Dementsprechend bestand zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik eine Zollgrenze. Es gab eine eigene Saar-Staatsbürgerschaft. Parteien, die das Saarland an die Bundesrepublik anschließen wollten (wie die CDU-Saar) waren illegal – die Demokratie war damit nicht vollständig gegeben, und es war daher nur bedingt erkannbar, wie die politische Meinung der Bevölkerung verteilt war. Adenauer handelte ein Abkommen mit Frankreich aus, das eine Volksabstimmung über die Zukunft vorsah: Das Saarstatut, das einige Verbesserungen, aber eine dauerhafte Abtrennung von Deutschland vorsah, konnte bestätigt oder abgelehnt werden. Im Oktober 1955 lehnten die Wahlberechtigen das Statut mit einer Zweidrittelmehrheit ab. Die Landesregierung trat noch in der gleichen Nacht zurück, und die Weichen wurden auf einen Beitritt der Saar zur Bundesrepublik gestellt. Bild: Saarländische Briefmarke von 1955, Quelle: scanned by NobbyP, commons.wikimedia.org
Dass die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit Frankreich am französischen Parlament im Jahre 1954 scheiterte, nannte Adenauer seine größte Enttäuschung.
1955 erhielt die Bundesrepublik ihre weitgehende Souveränität. Die Aufstellung von Streitkräften und die Enführung einer allgemeinen Wehrpflicht (1955) waren wenig populär.
1957 unterzeichnete Adenauer die Römischen Verträge. Dabei handelte es sich um das Gründungsdokument der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft. Außer der Bundesrepublik waren daran Italien, Frankreich und die Benelux-Staaten beteiligt.
1957 war das Jahr, in dem die „dynamische Rente“ eingeführt wurde, die die finanzielle Lage der Rentner verbesserte. Es war eine große Neuerung, dass die Höhe der Renten an die Einkommensentwicklung der Arbeiter und Angestellten angeschlossen wurde.
In jenem Jahr erzielte die CDU/CSU mit der absoluten Mehrheit der Stimmen ihren höchsten Wahlsieg. Ebendies gelang keiner weiteren Partei in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Mehr noch: die absolute Mehrheit konnte auch keine Partei der Kaiserzeit und der Weimarer Republik erringen.
Die Flüchtlinge und Vertriebenen der Nachkriegszeit hatten ihren Anteil am Wohlstandszuwachs – eine der größten Leistungen der frühen Bundesrepublik.
1961 musste die CDU/CSU einen Rückgang in der Wählergunst verkraften (45 Prozent). Die FDP kehrte in die Bundesregierung zurück. Es sah nach „Kanzlerdämmerung“ aus. So schien der Bau der Mauer die Existenz der DDR im wahrsten Wortsinn zu zementieren. Adenauer besuchte Berlin erst neun Tage später, war stattdessen als Wahlkämpfer in Westdeutschland (u.a. in Regensburg, siehe https://www.konrad-adenauer.de/seite/14-august-1961/) unterwegs. Dies wurde ihm u.a. von Axel Springer in der „Bild-Zeitung“ äußerst übelgenommen. Springer sprach sicher für viele Deutsche, die Adenauer ein Nicht-Verhältnis zu Berlin ankreideten. Kaum bekannt ist: In einem Fernsehgespräch erklärte Springer im Abstand von 20 Jahren, dass Adenauer seinen Verzicht zu einem Flug nach Berlin als Fehler angesehen hätte (vgl. Zeugen des Jahrhunderts. Axel Springer. Mut zur Kontroverse,
https://www.youtube.com/watch?v=uLbU8-bMU-I).
Zur Bundestagswahl im September 1961 hatte sich die FDP von ihrer Krise von 1956/57, als sie die Bundesregierung verlassen hatte, wieder erholt und trug mit über zwölf Prozent zu einer bürgerlichen Mehrheit im Bundestag bei.
Nach den Stimmenverlusten der CDU/CSU mehrten sich die Stimmen, die auf einen Rücktritt Adenauers drängten. War er nicht so betagt, dass sich Fehler einschleichen und seine großen Verdienste verdecken könnten? Und war nicht der populäre, um 21 Jahre jüngere Wirtschaftsminister Ludwig Erhard bestens geeignet (Lied „Lasst doch mal den Dicken ran, lasst ihn zeigen, was er kann!“ von den „Schaumburger Hofsängern“1), und zudem liberaler als Adenauer?
Im Herbst 1962 vollendete Adenauer seine Politik der deutsch-französischen Freundschaft mit dem Elysee-Vertrag. Bild Adenauer und de Gaulle. Quelle: Deutsches Bundesarchiv, commons.wikimedia.org
Elf Tage vor dem Amtsverzicht kam der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Peter Boenisch, zu einem Interview ins Kanzleramt. „Von welchem deutschen Politiker glauben Sie, Herr Bundeskanzler, daß er Ihre Politik am besten und am durchschlagendsten fortsetzen kann? Wer hat auch Ihre größten Sympathien?“. Adenauer: „Herr Springer. Darauf waren Sie nicht gefaßt, und dagegen können Sie auch nichts sagen“. Boenisch: „Vor allem kann ich das schlecht drucken“. Adenauer: „Aber ich spreche in vollem Ernst. Springer hat doch ein sehr großes Verständnis und hat den genügenden Weitblick. Und Springer hat -- das gehört zum Politiker, ist aber die seltenste Eigenschaft -- Mut. Die Politiker leiden fast alle unter Mangel an Mut. Ich will gar nicht sagen unter Mangel an Kühnheit, sondern an Courage“ (Der Spiegel, Nr. 3/1976,11.1.1976, online: https://www.spiegel.de/politik/springer-hatte-genuegenden-weitblick-a-57fcebfe-0002-0001-0000-000041330645)
Am 15. Oktober 1963, zur Mitte der Legislaturperiode und kurz nach dem 65. Geburtstag seines Vertrauten, Hans Globke, trat Adenauer zurück (besser ausgedrückt: er wurde zurückgetreten) und wandte sich der anfangs unterschätzten Aufgabe zu, seine Erinnerungen er zu verfassen. Seinen Nachfolger Erhard betrachtete er voller Skepsis: Ein „Mann aus der Wirtschaft“ werde im Volk stets des Lobbyismus verdächtigt. Und sicher schien ihm Erhard auch wegen dessen Abneigung gegen die Europäischen Gemeinschaften, seine bei weitem weniger franzosenfreundliche Einstellung und seine größere Rücksicht auf die Araber im Nahostkonflikt suspekt. Adenauer fürchtete um nicht weniger als sein Lebenswerk.
Persönlich zutiefst gekränkt, äußerte er gegenüber dem „jungen Wilden“ der rheinland-pfälzischen CDU, Helmut Kohl, der ihn kurz nach dem Rücktritt in Rhöndorf besuchte: „Sehen Sie, Herr Kohl, man hat mich davongejagt wie einen Hund“ (Kohl in: Heribert Schwan/Tilman, Jens: Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle. München 2014 , S. 83). Das Erinnerungsbuch seines Sohnes Monsignore Paul Adenauer zeichnet den Druck der Erhard-Fürsprecher auf den ersten Kanzler nach.
Der Bundeskanzler a.D. nahm bei guter Gesundheit das Mandat im Bundestag weiterhin bis zu seinem Tode war; zugleich blieb er CDU-Vorsitzender bis 1966. Im gleichen Jahr erlebte er den Sturz der CDU/CSU-FDP-Bundesregierung Erhard/Mende.
Bild: Konrad Adenauer und Ludwig Erhard. Quelle: CDU, Peter Bouserath, commons.wikimedia.org
Im Spätwinter 1967 zog er sich eine Erkältung zu, die sich zur Lungenentzündung ausweitete und am 19. April 1967 zum Tode führte. Die Trauerfeier führte die politische Elite der westlichen Welt zusammen (siehe den Artikel dazu).
Familie
Adenauer heiratete 1904 seine erste Frau Emma, geb. Weyer. Sie starb im Alter von 36 Jahren nach längerer Krankheit. Das Paar hatte drei Kinder. Der älteste Sohn Max war zeitweise Oberstadtdirektor von Köln.
Die zweite Ehefrau Auguste war Jahrgang 1895. Konrad Adenauer hatte mit ihr fünf Kinder. Gussy, wie sie genannt wurde, engagierte sich in der Zentrumspartei und dem Katholischen Deutschen Frauenbund. Nachdem Adenauer aus dem Gefängniskrankenhaus 1944 geflohen war, folterte die Gestapo Gussy, um Aufenthaltsort und Fluchthelfer zu erfahren. Sie starb 1948 an den Spätfolgen eines Suizidversuchs, den sie nach den Gestapo-Verhören unternommen hatte.
Nachlass, Quellen, Literatur
Archivbestände
Der schriftliche Nachlass Adenauers befindet sich in der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Bad Honnef-Rhöndorf (www.adenauerhaus.de).Akten des Bundeskanzleramts sind im Bundesarchiv in Koblenz.
Akten betr. Adenauer als Bundesminister des Auswärtigen (1951 bis 1955) werden im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin verwahrt.
Akten aus der Oberbürgermeisterzeit Adenauer: Historisches Archiv der Stadt Köln.
Akten betr. Adenauer als Präsident des Preußischen Staatsrats: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin.
Akten betr. Adenauer im Provinziallandtag und Provinzialausschuss der Rheinprovinz befinden sich im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland in Brauweiler.
In zahlreichen Nachlässen im Bundesarchiv und im Archiv für Christlich-Demokratische Politik sind weitere Aktenstücke zu Adenauer.
Veröffentlichte Quellen
Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945-1963. 4 Bde, Stuttgart 31976
Kabinettsprotokolle:https://kabinettsprotokolle.bundesarchiv.de/kabinette
Adenauer. Rhöndorfer Ausgabe in 20 Bänden enthält Briefe und Gesprächsprotokolle Adenauers (Berlin: Siedler bis 1998, Paderborn: Schöningh, 2000-2019; Göttingen: V&R). Darunter sind auch die Briefwechsel und Dialog von Bundeskanzler und Bundespräsident Heuss, die Teegespräche mit ausgewählten Journalisten, Korrespondenzen und Koalitionsverhandlungen mit FDP-Politikern,
Günter Gaus im Gespräch mit Konrad Adenauer. Fernsehinterview von 1965
Paul Adenauer/ Hanns Jürgen Küsters: Der Vater, die Macht und das Erbe. Das Tagebuch des Monsignore Paul Adenauer 1961 bis 1966. Paderborn 2017
Franz Josef Strauß: Die Erinnerungen. Berlin 1989
Literaturauswahl
Dass zahlreiche Biografien über Adenauer erschienen sind, versteht sich von selbst. Sie wiederzugeben und zu kommentieren, würde ein ganzes Heft füllen. Neu sind:
Norbert Frei: Konrad Adenauer. Kanzler nach der Katastrophe. München 2025
Friedrich Kießling: Adenauer. Dreieinhalb Leben – Biographie. 2025
Holger Löttel: Adenauer. Leben in Zeiten des Umbruchs. Berlin 2025
Ausführliche wissenschaftliche Biografien:
Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Frankfurt, Berlin 1994
Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg. 1876–1952. Stuttgart 1986.
Ders.: Adenauer. Der Staatsmann. 1952–1967. Stuttgart 1991
Ders.: Adenauer. Der Stabilisierer Europas. In: Ders.: Das Gesicht des Jahrhunderts. Berlin 1998, S. 510-530
Veröffentlichungen der Stiftung Konrad-Adenauer-Haus:
https://adenauerhaus.de/forschung/wissenschaft/publikationen
https://www.konrad-adenauer.de/ (zusammen mit der Konrad-Adenaur-Stiftung)
https://www.konrad-adenauer.de/biographie/bibliographie/forschungs-und-literaturberichte/
Fernsehfilme
Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung. Doku-Drama, Deutschland 2012. https://www.youtube.com/watch?v=EqgSfEt_rfQ
Konrad Adenauer – Der Patriarch ZDF 1999
https://www.youtube.com/watch?v=9Jqo5bSann4
Adenauer und die öffentliche Meinung. Demoskopische Daten 1950 bis 1967
Adenauer interessierte sich sehr für die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik und, soweit sie Deutschland betraf, auch im Ausland. Elisabeth Noelle-Neumann beschreibt dies ausführlich in ihren Erinnerungen, und Franz Josef Strauß bestätigt es in seinen Memoiren.
Schon im Jahre 1950 schloss die Bundesregierung einen Vertrag mit dem Institut für Demoskopie in Allensbach über die Analyse des politischen Klimas ab, der noch immer in Kraft ist. Der Kanzler ließ sich von Erich Peter Neumann, dem Herausgeber des Jahrbuchs der öffentlichen Meinung (später: Allensbacher Jahrbücher) beraten. Neumann, Ehemann von Frau Noelle und Mitgründer des Institut für Demoskopie, nahm an den Teegesprächen teil (einem Zirkel von Journalisten, die der Kanzler zu Hintergrundgesprächen einlud) und war von 1961 bis 1965 Mitglied des Bundestags (CDU).
Für Adenauer war folglich die Frage, wie die Bundesregierung und v.a. das Bundeskanzleramt die öffentliche Meinung beeinflussen kann, von hoher Bedeutung. Die Aussagen in den politischen Sendungen der ARD enttäuschten ihn, denn sie erschienen ihm allzu links-oppositionell. Die Gründung eines „Adenauer-Fernsehens“ unter dem Namen Deutschland-Fernsehen als zweites Fernsehprogramm scheiterte am Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1960.
Rückblick auf Adenauer 1967
Im Mai 1967 meinten 60 Prozent der Bundesdeutschen, Adenauer sei der „Deutsche, der am meisten für Deutschland getan habe“ (1966: 44 Prozent). Der ehemalige Regierende Bürgermeister und Kanzlerkandidat Willy Brandt blieb mit 17 Prozent weit dahinter, ähnlich wie Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard (4 Prozent).
Zu diesem Zeitpunkt war Adenauer seit wenigen Wochen tot, und die zahlreichen Rückblicke und Nachrufe hatten sicher eine Wirkung auf die Mediennutzer. Die beeindruckende Trauerfeier war im Fernsehen übertragen worden und den Zuschauern im Gedächtnis geblieben. Als seine größten Leistungen nennen 75 Prozent der Befragten die „Heimführung der deutschen Kriegsgefangenen aus Rußland“, die „Aussöhnung und Freundschaft mit Frankreich“ (70 Prozent) sowie „daß er Deutschland wieder zu Ansehen und Geltung in der Welt verholfen hat“ (65 Prozent). Dagegen sind folgende Antworten mit etwas unter 50 von Hundert weit seltener: „die Bemühungen um ein politisch vereintes Europa“, „daß er die Bundesrepublik zu einer geordneten und stabilen Demokratie gemacht hat“ und „daß die Bundesrepublik bald ein selbständiger Staat wurde“. „Abgeschlagen“ sind dagegen die Einschätzungen, „die Aussöhnung mit Israel, die Wiedergutmachung für die Juden“, die Integration in NATO und EWG (34 bis 36 Prozent). Es waren mehrere Antworten möglich.
Bild: Adenauers Dienst-Mercedes: https://de.wikipedia.org/wiki/Mercedes-Benz_W_186
Die exzellenten Werte von Mai 1967 für den „großen Herrn“, wie ihn Golo Mann seinerzeit im „Stern“ nannte, erreichte Adenauer zeitlebens nicht.
Die Einschätzungen während seiner Kanzlerschaft
Im Januar 1950 waren 33 Prozent der Bundesdeutschen „im großen und ganzen“ mit Adenauers Politik „einverstanden“, 22 Prozent „nicht einverstanden“, und 45 Prozent „ohne Urteil“. Die Letzteren sind wohl diejenigen, die aus Desinteresse an der Politik oder aus einer falsch verstandenen Vorsicht die Antwort verweigerten. Es ist aus vielen Erhebungen bekannt, dass die Deutschen in den 1950er Jahren kein Interesse an der Politik hatten, sich kein Urteil zutrauten oder einem Fremden keine politische Meinung mitteilten.
Adenauer galt laut einer Befragung im November 1951 für 19 Prozent der Bundesdeutschen als „fähigster deutscher Politiker“ gegenüber dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher (elf Prozent). Nach sehr günstigen Wirtschaftsdaten und beflügelt vom erfolgreichen Abschneiden der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1953 kam Adenauer im November des Jahres auf 62 Prozent. Schumachers Nachfolger Erich Ollenhauer (Jg. 1901) hatte sich mit drei Prozent kaum bemerkbar gemacht, so dass Adenauer selbst bei SPD-Anhängern mit 43 Prozent vs. Ollenhauer - 16 Prozent- führte).
In der Mitte seiner Regierungszeit (Januar 1956) war er mit großem Abstand für 56 Prozent der befragten Deutschen als „fähigster deutscher Politiker“. Weit hinter ihm lag Ollenhauser mit sechs Prozent. Unter SPD-Anhängern war Adenauer diesbezüglich mit einer Zustimmung von 42 Prozent gegenüber Ollenhauer mit 22 Prozent ausgestattet. Diese Daten wurden ein Vierteljahr nach Adenauers erfolgreicher Moskau-Reise erhoben. Im September 1957 führte Adenauer in einer gleichlautenden Umfrage mit 45 Prozent, während Ollenhauer mit acht Prozent kaum besser abschnitt.
Nach 1957 stieg offenbar die Zahl der Wähler, die Adenauer (aber nicht unbedingt seiner Politik) überdrüssig waren. Zwar galt er noch immer als Deutschlands fähigster Politiker: Aber sein Charakter war nach einer vielbeachteten Debatte um einen erwogenen Amtswechsel weniger geschätzt. Was war passiert?
Eintrübung der Imagewerte wegen der Debatte um das Amt des Bundespräsidenten
Monatelang verfolgte Adenauer im Jahre 1959 das Ziel, Bundespräsident zu werden, nachdem sich Theodor Heuss' zweite Amtszeit dem Ende zuneigte. Schliesslich verzichtete Adenauer auf eine Kandidatur und blieb weiterhin Kanzler – wohl wissend, dass auch er dem Präsidentenamt nicht mehr „Macht“ und nicht mehr Kompetenzen geben konnte. Seine Imagewerte verschlechterten sich: Im November 1959 hielten ihn nur noch 44 Prozent für „klug“ nachdem 1954, 1955 und Oktober 1958 Werte von 55 bis 57 Prozent gemessen wurden.
Ähnlich verhielt es sich mit der Zuschreibung „diplomatisch“: 43 Prozent (1959) nach 54 bis 55 Prozent in den Umfragen der Vorjahre. „Sympathisch“ war er nur noch für 22 Prozent, nach 31 Prozent dreizehn Monate vorher. Stattdessen wurde ihm häufiger der negativ besetzte Begriff „eigensinnig“ zugeschrieben (35 Prozent, nach 27 Prozent im Vorjahr), ähnlich „herrschsüchtig“ (23 Prozent nach 16 Prozent 1958).
Nach einer anderen Umfrage meinten im Juli 1959 40 Prozent, eine „Abberufung Adenauers durch die CDU“ wäre einer „Nicht-Abberufung“ (29 Prozent) vorzuziehen gewesen (der Rest war unentschieden oder hatte nichts von Adenauers Vorhaben erfahren).
43 Prozent der Bürger, die von Adenauers Entscheidung zum Verzicht auf eine Präsidentschaftskandidatur gehört hatten, hielten sein Verbleiben im Kanzleramt für „keinen guten Entschluss“ (vs. 23 Prozent: „guter Entschluss“ vs. 25 Prozent „unentschieden“ vs. 9 Prozent, die nichts von der Debatte mitbekommen hatten).
Lieber Erhard?
Vizekanzler Ludwig Erhard, der um 21 Jahre jüngere „Vater des Wirtschaftswunders“ war für eine erhebliche Zahl von Bürgern eine ernstzunehmende, ja wünschenswerte Alternative für das Amt des Bundeskanzlers. Als im Jahre 1960 die Frage lautete: „Wer wäre Ihnen lieber als Bundeskanzler: Adenauer oder Erhard?“, nannten 31 Prozent den Namen des Wirtschaftsministers und 25 Prozent antworteten „Adenauer“. Im Februar 1962 hätten sogar 50 Prozent Erhard gegenüber Adenauer (19 Prozent) bevorzugt. Auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte Erhard gegenüber Adenauer viele Anhänger, wie es sich in der Auseinandersetzung 1959 gezeigt hatte. Bild Edelrose „Konrad Adenauer“, Quelle: Geolina 163, commons.wikimedia.org
Einverstanden mit dem Kanzler? Gesamtbild und Abschluss
Für die Jahre 1950 bis 1963 gilt, dass im Durchschnitt 43,95 Prozent mit Adenauers Politik einverstanden waren, gegenüber einem mittleren Wert von 24,25 Prozent, die damit nicht einverstanden waren. Der Rest war unentschieden oder gab kein Urteil ab. Nur im März 1950 sowie von September 1950 bis Januar 1952 überwog die Antwort „nicht einverstanden“ gegenüber „einverstanden“.
Adenauers Ansehen litt im Herbst 1962 unter der Spiegel-Affäre: Im September 1962 waren 50 Prozent mit der „Politik Adenauers im Großen und Ganzen einverstanden“, 25 Prozent waren es nicht. Im November des gleichen Jahres waren nur noch 38 Prozent „einverstanden“, vs. 34 Prozent: „nicht einverstanden“. Anfang 1963 erholte sich der Anteil der Adenauer-Sympathisanten auf 47 Prozent, möglicherweise wegen des Elysée-Vertrags über die deutsch-französische Freundschaft. Er fiel auf 35 Prozent im April, um sich auf 52 Prozent im Juli und 48 Prozent im August zu erholen. Die letzten Werte entwickelten sich wohl unter dem Eindruck, dass Adenauers Amtszeit vor dem Abschluss stand.
Quellen
Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1947 – 1955, hrsg. von Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann. Allensbach 1956
Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1956 – 1957, hrsg. von Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann. Allensbach 1958
Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1958 – 1964, hrsg. von Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann. Allensbach 1964
Jahrbuch der öffentlichen Meinung. 1965 – 1967, hrsg. von Elisabeth Noelle und Erich Peter Neumann. Allensbach 1968
Elisabeth Noelle-Neumann: Die Erinnerungen. München 2008
Kein Interesse an der Deutschen Einheit?
Während der politische Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland in der Adenauer-Ära zu einem erheblichen Teil dem ersten Bundeskanzler persönlich zugeschrieben wird, verklingt dennoch nicht der Vorwurf, Adenauer habe wenig Interesse an der Deutschen Einheit gezeigt. Er wurde beschuldigt, sie verhindert zu haben. Eine aktive Deutschlandpolitik Adenauers habe nicht stattgefunden.
Zweifellos muss die Frage diskutiert werden, ob Konrad Adenauer das Angebot einer deutschen Wiedervereinigung ignoriert oder gezielt ausgeschlagen hatte. Fürchtete Adenauer womöglich, in einem geeinten Deutschland werde er die Bundestagswahlen verlieren, weil die traditionell „roten“ Regionen wie Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin wieder der SPD zufallen würden, vielleicht mehr denn je nach der stärkeren gesamtdeutschen Ausrichtung der SPD seit Kurt Schumacher?
Die Debatte darüber begann bereits in den 1950er Jahren. Zwar erklärte Adenauer am 12. Februar 1951 vor dem CDU-Bundesparteiausschuss, „Keine Bundesregierung kann ihre Zustimmung dazu geben, die Teilung Deutschlands zu verewigen. Alle Politik muss auf die Einheit Deutschlands ausgerichtet sein“ (konrad-adenauer.de/zitate/deutsche-einheit/). Es gibt genügend inhaltlich gleiche Erklärungen Adenauers. Doch war für ihn nur ein „in Freiheit und Recht lebende[s] und der abendländischen Kultur verbundene[s] Deutschland“ akzeptabel. eine Bundesregierung kann ihre Zustimmung dazu geben, dieKKeine Bundesregierung kann ihre Zustimmung dazu geben, die Teilung Deutschlands zu verewigen. Alle Politik muß auf die Einheit Deutschlands tet seieine Bundesregierung kann ihre Zustimmung dazu geben, die Teilung Deutschlands zu verewigen. Alle Politik muß auf die Einheit Deutschlands gerichtet sein
Ausgerechnet der erste Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) übte 1958 als Oppositionspolitiker im Deutschen Bundestag eine schneidende, persönlich gefärbte, grundsätzliche Kritik an Adenauers Deutschlandpolitik. Deutschland sei auf Generationen hin „zerrissen“. Die Wiedervereinigung sei eine „heilige Aufgabe“. Von ihr werde geredet, aber sie werde „nicht ernstlich erstrebt“.
Gustav Heinemann, der erste Bundesinnenminister (1949/50) richtete an Adenauer im Anschluss an Dehler, ob er „nicht nachgerade zurücktreten“ wolle. Denn: Zweimal habe die Chance zur Wiedervereinigung bestanden. Es sei die historische Schuld der CDU, die sowjetischen Angebote ausgeschlagen zu haben
Die Stalin-Noten
Am 10. März 1952 schlug Josef Stalin vor: Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik sollten vereinigt werden, eine gesamtdeutsche Regierung sei zu bilden, ein Friedensvertrag mit einem dauerhaft neutralen Deutschland möge abgeschlossen, gesamtdeutsche Streitkräfte können erlaubt werden. Das vereinigte Deutschland habe demokratisch und friedliebend zu sein, die Oder-Neisse-Linie solle als Ostgrenze anerkannt werden. (https://www.1000dokumente.de/Dokumente/Note_der_Sowjetregierung_über_den_Friedensvertrag_mit_Deutschland)
Adressat der Note waren die Westmächte und nicht das Bundeskanzleramt, denn die Bundesrepublik war noch nicht souverän. Damit lag die Entscheidung nicht bei Adenauer.
Motive
Es fällt leicht, sich in die Beweggründe der UdSSR hineinzudenken.
In Westdeutschland herrschte keine revolutionäre Stimmung, im Gegensatz zu den schrillen Tönen eines FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker, wonach die Arbeiter das „Marionettenregime“ in Bonn binnen 24 Stunden hinwegfegen würden. Tatsächlich gingen die Stimmen für die KPD in der Bundesrepublik seit ca. 1947 deutlich zurück. Kaum ein Bundesbürger entschied sich für ein Leben in der DDR, vielmehr flohen Hunderttausende Deutsche von dort in die Bundesrepublik. Das Wirtschaftswachstum im Westen erreichte 1951 einen Wert von 9,7 Prozent, während in der „Zone“, wie die DDR in Westdeutschland oft genannt wurde, Konsumgüter für die Bevölkerung knapp waren. All diese Tendenzen waren der sowjetischen Führung ein offenkundiges „Dorn im Auge“, zumal das DDR-Politbüro jeglicher Popularität entbehrte.
Auf dem Feld der Außenpolitik gelang es insbesondere Konrad Adenauer, den Westmächten Zugeständnisse in bezug auf die Souveränität abzuringen. Seine Linie der Westintegration brachte die Bundesrepublik näher an Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten heran (Montanunion). Der Deutschlandvertrag der Bundesrepublik mit den westlichen Alliierten, der die Bonner Republik mit einem deutlich höheren Maß an Souveränität aussstatten sollte und damit eine Normalisierung des völkerrechtlichen Status darstellte, stand vor der Paraphierung, ebenso der Vertrag über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit Frankreich.
So konnte es für Josef Stalin und Walter Ulbricht nur darum gehen, dass sich die Situation völlig ändert. Was läge aus ihrer Sicht näher, als eine Propagandaoffensive nationalen Inhalts zu starten, die die Westmächte und die Bundesregierung Adenauer in Verlegenheit bringen würde?
Die Ablehnung
Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich antworteten 15 Tage später.
Bevor eine gesamtdeutsche Regierung zusammenkäme, hätten freie Wahlen unter Aufsicht der UNO stattzufinden. Die Oder-Neisse-Linie sei vor einem Friedensvertrag nicht anzuerkennen. Deutschland müsse das Recht haben, defensive Militärbündnisse (insbesondere NATO, EVG) einzugehen.
Der weitere Notenaustausch bis zum August 1952 brachte kaum Annäherung.
Welche Umsetzungsprobleme hätten sich ergeben?
Die Stalin-Note blieb in der bundesdeutschen Öffentlichkeit wenig beliebt. Die großen Parteien lehnten ab, wenn auch die SPD eine genaue Prüfung anmahnte.
Freie und geheime Wahlen hätte die UdSSR wohl nicht zugelassen, ebenso wenig wie in der DDR, in der ab 1950 nur noch eine Einheitsliste handverlesener Funktionäre zur „Wahl“ stand – die knapp hundertprozentige Zustimmung war schon vor dem „Zettelfalten“ festgelegt worden.
Eine Anerkennung der Oder-Neisse-Linie vor einem Friedensvertrag hätte zu einer Art Volksaufstand geführt. Hier bewegte sich erst in den späten 1960er Jahren die Volksmeinung in Richtung Akzeptanz der deutschen Ost- bzw. polnischen Westgrenze.
Eine stärkere pro-östliche Orientierung Deutschlands hätte zu einer massiven Krise in den Bezehungen v.a. zu den Vereinigten Staaten geführt, die ihre Unterstützung für die Bundesrepublik eingestellt hätten.
Angesichts dieser Bedingungen wäre eine freie Debatte von Anfang an mehr und mehr eingeschränkt worden, wie es die Nachkriegsentwicklung in den östlichen Nachbarstaaten schon aufgezeigt hatte. Auch in der Tschechoslowakei bestand zuerst von 1945 bis 1948 eine Koalitionsregierung (Klement Gottwald I), der 17 Nicht-Kommunisten und nur neun Kommunisten angehörten. Dennoch gelang es den Kommunsten, 1948 die totale Macht im Staat zu übernehmen, nach sie dies durch die Besetzung der Polizei- und Armeeoffiziersposten mit ihren „Genossen“ vorbereitet hatten.
Allmählich hätte sich Deutschland immer stärker von der UdSSR abhängig gemacht.
All dies konnte nach den Erfolgen der Adenauer-Politik seit 1949 nicht im Sinne des ersten Bundeskanzlers sein, so dass er aus naheliegenden Gründen eine Ablehnung wünschte. Zu gut kannten er und die meisten Deutschen die wohlklingenden Phrasen der Kommunisten, denen jedoch eine eher gegenteilige Politik folgte. Statt Demokratie – die faktische Herrschaft einer einzigen Partei (ergänzt um Blockparteien) und der Klassenkampf gegen die Besitzenden.
Damit genoss Adenauer die grundsätzliche Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit. Im Juli 1952 fragte das Institut für Demoskopie, „Was ist Ihnen wichtiger – Sicherheit vor den Russen oder die Einheit Deutschlands?“. 51 Prozent votierten für „Sicherheit“, 33 Prozent für „Einheit“, 16 Prozent waren unentschieden. In jenem Jahr erschien den Bundesbürger die materielle Lage relevanter als die nationale Frage: 45 vs. 18 Prozent, während 17 Prozent für Friedensbewahrung und Ost-West-Ausgleich votierten (es sei angemerkt, dass der Koreakrieg noch im Gange war).
Im August 1953 lautete eine Frage des Instituts, „Was denken Sie über die Politik Adenauers in der Frage der Wiedervereinigung: sind Sie da mit ihm einverstanden oder nicht einverstanden?“ „Einverstanden“ waren 52 Prozent, „nicht einverstanden“ waren 15 Prozent, während 13 bzw. 20 Prozent unentschieden waren oder kein Urteil abgaben.
Ein Bluff oder eine ernsthafte Gelegenheit?
Der Historiker Gerhard Wettig argumentierte: Bisher gab sich die SED deutsch-national und polemisierte gegen die Westmächte, die die Bundesrepublik angeblich ausplünderten und als Kolonie missbrauchten. Diese Propaganda blieb erfolglos. Eben dies konnte die DDR allerdings nicht zugeben. Gleichzeitig beschleunigte Stalin die Aufrüstung im kalten Krieg. Das DDR-Regime wollte nach der „antifaschistisch-demokratischen Umwälzung“ den „Aufbau des Sozialismus“ angehen. Einmal mehr sollte dem Feind alles Unpopuläre in die Schuhe geschoben werden. Dazu gehörte die erwartete Ablehnung einer Wiedervereinigung, die scheinbar von Stalin, dem angeblich „besten Freund des deutschen Volkes“ (Johannes R. Becher und andere SED-Propagandisten) so großzügig angeboten wurde. Mit deren Ablehnung durch den Westen schottete die DDR die Zonengrenze vehement ab, stellte Truppen (Kasernierte Volkspolizei) auf und ging die Kollektivierung der Landwirtschaft an. All dies hatte sie bereits vor der ersten Note geplant, nun konnte sie es mit der Ablehnung rechtfertigen. Mit der Verstaatlichung von Industrie und Handel waren freilich schon seit 1945 in verschiedenen Schritten die Grundlagen des „real existierenden Sozialismus“ in der SBZ/DDR geschaffen.
Die Formulierungen der Stalin-Note sind voller Propaganda-Phrasen. „Demokratisch“ dürfte darin nicht „freiheitlich-demokratisch“ bedeuten, sondern „volksdemokratisch“, also „demokratisch“ im Sinne der DDR. Auch „freiedliebend“ ist ein spezieller Ausdruck, der die Anerkennung sowjetischer Herrschaft bedeutet (Pax Sovietica), und nichts mit Pazifismus zu tun hat.
Bezeichnenderweise lehnte die UdSSR den Wiedervereinigungsvorschlag Winston Churchills vom Winter 1951/52 ab, denn dieser betonte neben der Neutralität auch die Demokratie nach westlichem Muster.Stalins Nachfolger Berija plante eine Widervereinigung angesichts der Massenflucht 1953 aus der DDR, denn er hielt deren Führung für unfähig. Seine Konkurrenten in Staats- und Parteiführung stürzten ihn offenbar auch wegen seiner Überlegungen zur Deutschen Frage.
Als Adenauer die sowjetische Führung 1955 in Moskau besuchte, lehnte sie Gespräche zur Deutschen Einheit ab. Generalsekretär Chruschtschow erkläre mehrfach, die Deutsche Frage sei nicht auf Kosten der DDR zu lösen.
Der Journalist Fritz Schenk (1930 bis 2006), ein langjähriger Mitarbeiter des ZDF, fragte im Frühjahr 1952 den DDR-Minister Bruno Leuschner, dessen Sekretär er seinerzeit war: Was soll denn nun aus dem Sozialismus der SED werden, wenn die Deutsche Einheit kommt und eben diese SED in freien Wahlen hinweggefegt würde. Antwort: Keine Sorge, Genosse, die Stalin-Note ist nur eine Finte, um ein Bündnis Westdeutschlands mit Amerika, dem Verenigten Königreich und Frankreich zu verhindern. Sie sei also nicht ernstgemeint. Dieser Sichtweise würde ich mich anschließen. Die Stalin-Note wird im übrigen von den meisten Historikern wie etwa Gerhard Wettig und Hermann Graml als Bluff eingestuft (Ausnahmen: Wilfried Loth, Rolf Steininger).
Adenauer erklärte dazu, „Wenn Deutschland wirklich neutralisiert wäre, würde Amerika Europa verlassen und dieses arme, zusammengebrochene Europa würde gegenüberstehen dem ungeheuren Koloß im Osten, der es in verhältnismäßig sehr kurzer Zeit fertigbringen würde, auf diesem Wege des kalten Krieges seine Herrschaft über ganz Europa zu erstrecken“ (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 39 vom 1.4.1952, S. 386, zitiert in Creuzberger, a.a.O., S. 39). Ein Deutschland ohne Bündnispartner im Westen würde wie durch einen „Sog“ zu Sowjetrussland getrieben.
Was dachte die Bevölkerung?
Eine ausdrücklich auf die Stalin-Note bezogene Fragestellung findet sich in den Allensbacher Jahrbüchern nicht. Doch meinten 23 Prozent der Satz sei zutreffend: Mir gefällt es, daß sich Adenauer so sehr für die Wiedervereinigung einsetzt“, während 39 von Hundert die Aussage richtig fanden: „Adenauer setzt sich zu wenig für die Wiedervereinigung ein“. Mehrere weitere Antwortmöglichkeiten waren gegeben, die Zahlen addierten sich auf 409 Prozent.
Adenauers Ostpolitik
Gab es so etwas überhaupt? Ja! Das im Sommer 2025 erschienene Buch „Adenauers Ostpolitik“ belegt dies.Sicher galt für ihn: „Die beste Ostpolitik ist eine möglichst erfolgreiche Westpolitik“. So ließe sich wohl Adenauers Linie zusammenfassen. Gemeint ist, dass eine möglichst enge politische und wirtschaftliche Kooperation mit unseren westlichen Nachbarländern, mit den USA und Großbritannien der Bundesrepublik die meisten Vorteile bringt. Eine erfolgreiche Bundesrepublik wirke wie ein Magnet, der weiterhin viele Deutsche aus der DDR zur Flucht bewege (das Schlupfloch Berlin bestand ja noch bis zum 13. August 1961). Irgendwann in absehbarer Zukunft werde die DDR zusammenbrechen oder von der UdSSR unter vergleichsweise günstigen Bedingungen „freigegeben“.
Aber bei diesem Ansatz beließ es der erste Bundeskanzler nicht.
Adenauers Moskau-Reise 1955, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Freilassung der Kriegsgefangenen mit sich brachte ist bekannt. Darüber hinaus schlug er dem Sowjetischen Botschafter Andrej Smirnow im Jahre 1958 vor, die DDR möge ein freiheitlich-demokratischer Staat wie Österreich werden, aber mit Blick auf die sowjetische Furcht vor einem geeinten, mächtigen Deutschland von der Bundesrepublik getrennt bleiben. 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, versuchte Adenauer einen „Burgfrieden“ zu erreichen – eine Beendigung des kalten Kriegs, um in einer Zehnjahresfrist nach Lösungen der Deutschen Frage zu suchen.
In seinen letzten Jahren betonte Adenauer immer wieder, das Verhältnis zu „Sowjetrussland“
20 Prozent der repräsentativ befragten Deutschen fanden, Adenauer habe ich zu wenig um die Wiedervereinigung bemüht.
Augstein, Rudolf (Pseudonym: Jens Daniel) : Ein Lebewohl den Brüdern im Osten. Spiegel 1/1952 (https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/kommentar-deutschland-ein-lebewohl-den-bruedern-im-osten-a-532325.html)
Creuzberger, Stefan / Geppert, Dominik (Hrsg.): Adenauers Ostpolitik. Der Bundeskanzler und die Sowjetunion 1955-1963. Göttingen 2025
https://www.1000dokumente.de/Dokumente/Note_der_Sowjetregierung_über_den_Friedensvertrag_mit_Deutschland
War die Adenauer-Ära eine Zeit der Restauration?
Dies wird oft in Journalismus und Literatur behauptet. Zutreffender wird die These dadurch nicht. Was sollte 1949 und danach überhaupt wiederhergestellt oder „restauriert“ werden? Die Weimarer Republik 2.0.? Das wäre nicht klug gewesen, vielmehr kam es darauf an, aus der jüngsten Vergangenheit zu lernen. Nicht mehr die Weimarer Reichsverfassung galt, sondern das Grundgesetz, das die Position des Kanzlers gegenüber anderen Verfassungsorganen stärkte. Beispielsweise kann der Bundestag dem Bundeskanzler nur dann das Misstrauen aussprechen, wenn er gleichzeitig einen neuen Bundeskanzler wählt (Art 67 GG). Die Wehrhaftigkeit der Demokratie, auch streitbare Demokratie genannt, wurde erhöht: Das Bundesverfassungsgericht verbot die offen rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands – beides geschah auf Antrag der Bundesregierung Adenauer. Was extremistische Vereinigungen angeht, so löste die Bundesregierung 1951 die KP-nahe Freie Deutsche Jugend (1954 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung) auf. Schon seit September 1950 war der „Adenauer-Erlass“ in Kraft, der Angehörigen des öffentlichen Dienstes die Betätigung für oder Unterstützung von 13 aufgezählten Organisationen verbietet: Es war eine Präzisierung des Bundespersonalgesetzes.
Neu war die Integration der Bundesrepublik in die westlichen Gemeinschaften: NATO, EWG, Euratom, verbunden mit der Übertragung von Hoheitsrechten. So erscheint der Wertkonservative Adenauer als ein Akteur, der sich an einer Modernisierung wesentlich beteiligte.
Eine „schwarze“ Republik?
Die Zeit von 1949 bis 1963 war vielschichtig. Während die CDU/CSU bei den Bundestagswahlen mit bis zu 20 Prozentpunkten vor der SPD lag, regierten Sozialdemokraten mit stabilen Parlamentsmehrheiten und erheblichen Popularitätswerten ihrer Spitzenpolitiker in den Ländern Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Bremen. Während Wirtschaft und Verwaltung eher konservativ bis liberal-konservativ waren, war die Kulturbranche, etwa die Literatur mit Heinrich Böll, Wolfgang Koeppen, Arno Schmid u.a. in großen Teilen links, teilweise offen links-oppositionell. Martin Walser gab 1961 zur Bundestagswahl einen Sammelband heraus: „Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?“ Wenig überraschend schlussfolgerte er: „Und ob wir eine neue Regierung brauchen!“.
So ergibt sich schon auf den ersten Blick weder eine völlig „reaktionäre“ noch eine vollkommen „progressive“ Bundesrepublik.
Wiederaufbau
Die Adenauer-Ära war gleichbedeutend mit der Wiederaufbauzeit. Ein Beispiel aus dem vorpolitischen Raum: Manch ein Stadtplaner erkannte die Chancen, seine Vorstellungen einer modernen, autogerechten Stadt umzusetzen, was oft wiederaufbaufähige oder erhaltenswerte Baudenkmäler untergehen ließ, z.B. in Hannover unter der Verantwortung von Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht. Etliche historische Brunnen in der Frankfurter Altstadt, deren Fachwerkhäuser der Bombenkrieg dem Erdboden gleich machte, standen 1945 noch, fielen aber dem Abriss zum Opfer. Sie galten als überholt, einer gegenwärtigen oder künftigen Nutzung im Wege stehend.
Allmählich erarbeiteten sich die Deutschen unter Kanzler Adenauer und dem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard Voraussetzungen zu einem besseren Leben in materieller Hinsicht. Natürlich konnte sich nicht jeder Arbeiter aus dem Ruhrgebiet einen Italien-Urlaub und ein Auto leisten – stattdessen waren für viele Ferien im Spessart und öffentliche Verkehrsmittel angesagt. Aber insgesamt bewegten sich die Bundesdeutschen auf einen „Wohlstand für alle“ (L. Erhard) zu, der einen klaren Gegensatz zu den Rationierungen der Nachkriegszeit und der desolaten Wirtschaftslage jenseits des Eisernen Vorhangs darstellte. Die Gesellschaft war im Wandel, die Mittelschicht wurde breiter, Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Aufstieg verbesserten sich.
Bundeswehr
Bedeutete die Aufstellung von Streitkräften eine Art Restauration, in diesem Fall eine „Remilitarisierung“? Ich denke: Nein, denn es bestand von Anfang an die Absicht, mit dieser Armee etwas Neuartiges zu schaffen. Das Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ (Soldaten haben grundsätzlich die staatsbürgerlichen Rechte, z.B. das aktive und passive Wahlrecht, im Gegensatz zur Reichswehr vor 1933) und die Innere Führung (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Innere_Führung) belegen das. Sie war kein Staat im Staate, sondern ganz bewusst eine Parlamentsarmee. Von Anfang an war die Bundeswehr eine in das Bündnis NATO integrierte Armee mit Verteidigungsauftrag.
Dass der erste Verteidigungsminister Theodor Blank ein vorheriger Gewerkschaftsfunktionär war, passt zu den Streitkräften des demokratischen Deutschlands, die durch die Wehrpflicht weit mehr im Volk verankert waren als die viel kleinere Reichswehr. Sein Nachfolger Franz Josef Strauß vertrat die Maxime, „Ich wollte vor allem klarstellen, daß die politische Gewalt allen militärischen Instanzen übergeordnet sein muß“. Anlass waren Differenzen in Bezug auf Personalentscheidungen zwischen Minister Strauß und General Müller-Hillebrandt im Jahr 1957, die den Minister bewogen, Feldjäger zur Suche nach dem General auszusenden und ihn anschließend aus dem Ministerium zu entfernen – d.h. ihn zum stellvertretenden Divisionskommandeur in Hannover zu ernennen.
Verschweigen der NS-Zeit?
Die immer wieder zu hörende Annahme, erst die Achtundsechziger hätten den Blick der Deutschen auf die NS-Verbrechen und die Shoah gelenkt, ist falsch. Die Besatzungsjahren verbrachten zahlreiche NS-Funktionäre in automatischem Arrest. Zahlreiche Beamte wurden entlassen. Die neu lizenzierten Zeitungen, Rundfunksendungen und manche Buchveröffentlichungen klärten über die Untaten auf. Auch nach Gründung der Bundesrepublik fanden Prozesse wegen NS- und Kriegsverbrechen statt. Beispiel Unterfranken: Im Dezember 1949 verurteilte das Schwurgericht Würzburg den früheren Kampfkommandanten der „Festung Aschaffenburg“ wegen der Hinrichtung eines Leutnants, ebenso Pogromtäter vom 9./10. November 1938 aus unterschiedlichen Orten. Sicher lässt sich über die (milden) Urteile streiten. Überregionale Aufmerksamkeit fand der Einsatzgruppen-Prozess in Ulm 1958 und die damit verbundene Errichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im Ludwigsburg.
Politikwissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Beiträge über die Herrschaft Hitlers erschienen, u.a. in den Vierteljahrsheften zur Zeitgeschichte, dem Periodikum des neu gegründeten Instituts für Zeitgeschichte in München.
Stellenbesetzungen
Hat man jemals von einem hohen Beamten gehört, der direkt von der Schulbank kam? Oder von Generälen im Alter von 19 Jahre? Natürlich nicht. Unbelastete Bewerber waren verhältnismäßig rar. So musste die Bundesregierung Adenauer oft gegen ihren Willen auf Personal zurückgreifen, das bereits vor 1945 zur Ministerialbürokratie in Berlin gehörte, etwa zum Auswärtigen Amt. Hier ließe sich von einem Rückgriff in personeller Hinsicht sprechen. Entscheidend aber ist, dass sich kein Staat im Staate bildete und das politische System aushöhlte. Tatsächlich forderte Art. 131 GG den Gesetzgeber auf, sich um Beamte aus der Zeit von vor 1945 zu kümmern: „Die Rechtsverhältnisse von Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen, aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden sind und bisher nicht oder nicht ihrer früheren Stellung entsprechend verwendet werden, sind durch Bundesgesetz zu regeln. Entsprechendes gilt für Personen einschließlich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 versorgungsberechtigt waren und aus anderen als beamten- oder tarifrechtlichen Gründen keine oder keine entsprechende Versorgung mehr erhalten. Bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes können vorbehaltlich anderweitiger landesrechtlicher Regelung Rechtsansprüche nicht geltend gemacht werden“.
Der Deutsche Bundestag verabschiedete das entsprechende Bundesgesetz (vgl. Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen – Wikipedia) am 10. April 1951 mit den Stimmen aller Fraktionen einschließlich der linksradikalen KPD und der rechtsradikalen DRP, ohne Gegenstimme bei zwei Enthaltungen (vgl.
https://dserver.bundestag.de/btp/01/01132.pdf). Die Zahl der betroffenen Personen, darunter Berufssoldaten, belief sich auf ca. 440.000. Von diesem Gesetz waren diejenigen ausgeschlossen, die im Entnazifizierungsverfahren als Hauptbeschuldigte oder Belastete eingestuft worden waren und – so die Ergänzung von 1957 - „die durch ihr Verhalten während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben“.
Durch dieses Gesetz gelangten zwar auch NS-Belastete auf Beamtenstellen, aber es lässt sich nicht behaupten, dass der Staat durch sie unterwandert und Vergangenes in verfassungsfeindlicher Weise „restauriert“ worden sei.
Bild: Adenauer-Figur auf dem Adenauerplatz in Berlin. Quelle: OTFW Berlin, commons.wikimedia.org
Globke und Oberländer
Oft wird auf zwei Personen verwiesen, die Adenauer in hohe staatliche Ämter berief: Hans Globke und Theodor Oberländer. Beide hatten eine NS- Vergangenheit und unterschieden sich unter Hitlers Herrschaft dennoch deutlich voneinander: Globke, Jg. 1898, war als rheinischer Katholik Mitglied der Zentrumspartei vor 1933, war zwar einer der Kommentatoren der antisemitischen Nürnberger Gesetze, gab aber Interna aus dem Innenministerium an das Bistum Berlin weiter und konnte manche Hilfe für Betroffene ermöglichen. Anders Theodor Oberländer, Jg. 1905, der schon vor 1933 fest im völkischen Lager verankert war und später mit Parteidienststellen in Konflikt geriet, ohne dass seine NS-Gesinnung auch nur ansatzweise bezweifelt wurde. Globke konnte nach 1945 zahlreiche „Persilscheine“ von NS-Verfolgtebn vorlegen und erhielt eine außerordentlich günstige Beurteilung durch den amerikanischen Ankläger in den Nürnberger Prozessen, Robert Kempner, der vor 1933 sein Kollege und guter Bekannter im Preußischen Innenministerium war. Globke leitete als einer der engsten Vertrauten Adenauers das Bundeskanzleramt als Staatssekretär bis 1963, während Oberländer, vorgeschlagen von seiner Partei Gesamtdeutscher Block, als Bundesminister für Vertriebene dem zweiten und dritten Kabinett angehörte, ehe er wegen des Vorwurfs, an Massenmorden 1941 in Lemberg beteiligt gewesen zu sein, 1960 zurücktrat. Oberländer, seit 1956 in der CDU, sah sich als „soziales Gewissen“ der Regierung (vgl.
https://www.ndr.de/geschichte/ndr_retro/Interview-mit-dem-Bundesvertriebenenminister-Theodor-Oberlaender,audio1616308.html) und bekannte sich zur Demokratie. Auch wenn es bizarr erscheint, dass derartige Personen in hohe Staatsämter kamen, ist festzustellen, dass weder Globke noch Oberländer (samt der von ihnen nachgezogenen Mitarbeitern) Gesetze bzw. die Verfassung verletzten oder Obstruktion betrieben.
Schluss
Verglichen mit heute waren die Arbeitszeiten lang, kinderreiche Familie häufig. Gerade angesichts eines oft anstrengenden Alltags suchten viele Menschen Entspannung in einfacher, trivialer Unterhaltung, wie sich am Erfolg von Schlagern und vielen seichten Filmen ablesen lässt. Was heute albern erscheint, war für Personen mit einfacher Bildung ein harmloses Freizeitvergnügen. Es ging den meisten Deutschen wohl darum, die NS-Vergangenheit und v.a. den Krieg hinter sich zu lassen.
Insofern lässt sich weniger vom „Restaurieren“ sprechen als von einer Verbindung der Nachkriegsgegebenheiten mit neuen Ansätzen. Der Begriff der Restauration wird vornehmlich von Personen gebraucht, die einen völligen Bruch wünschen – nach dem Muster einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung, wenn auch ohne die Vehemenz der DDR.
Literaturbeispiele zu Globke und Oberländer
Klaus Gotto (Hrsg.): Der Staatssekretär Adenauers. Persönlichkeit und politisches Wirken Hans Globkes. Stuttgart 1980
Erik Lommatzsch: Hans Globke (1898-1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers, Frankfurt/New York 2009
Philipp-Christian Wachs: Der Fall Theodor Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Frankfurt 2000
Ein Gipfeltreffen der westlichen politischen Eliten: Adenauers Begräbnisfeier
Politische Bedeutung lässt sich daran messen, welche frei gewählten Staatsoberhäupter, Premierminister und deren Vertreter einen Verstorbenen ehren. Wie verlief der Staatsakt im einzelnen?
Drei Tage nach Konrad Adenauers Tod nahm seine Familie in Rhöndorf am offenen Sarg von ihm Abschied. Anschließend wurde der Deckel auf dem Eichensarg, den vier Tischler aus Rhöndorf hergestellt hatten, festgeschraubt.
Danach trugen Angehörige des Bundesgrenzschutz den Sarg aus dem Haus, um ihn zum Palais Schaumburg, zum Teil auf der Rheinfähre, zu transportieren. Ein Ehrenspalier des BGS erwartete den Trauerkondukt. Tausende Bürger defilierten an diesem und dem folgenden Tag am Sarg vorbei. In der Nacht vom 23. auf den 24. April wurde der Sarg nach Köln in den Hohen Dom überführt. Der Dom war am 24. April ab 08:30 Uhr für das Defilee der Bevölkerung durchgehend bis zum Morgen des 25. April um 08:00 Uhr geöffnet. In Bonn und Köln zogen Hunderttausende am Sarg des Verstorbenen vorbei. Am Vormittag des 25. April fand im Bundestag der Staatsakt statt, an dem Staats- und Regierungschefs westlicher Länder teilnahmen.
Adenauers Tod brachte zwei Staatsmänner zusammen, die wegen des Vietnamkriegs zerstritten waren: Lyndon B. Johnson und Charles de Gaulle gaben sich nach sanften Druck durch Bundespräsident Heinrich Lübke die Hand.
Auch Israel war vertreten: Der zurückgetretene Staatspräsident David Ben-Gurion war nach Bonn gekommen.
Am gleichen Tag wurde der Tote mit der Bundesdienstflagge auf dem Sarg im Dom aufgebahrt. Hochrangige Offiziere der Bundeswehr, allesamt Ritterkreuzträger, hielten Totenwache. Den Sarg umgaben Ordenskissen und Kränze. Der langjährige Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings zelebrierte das Pontifikalrequiem. Daran nehmen 15 Staatsoberhäupter und Regierungschefs, 20 Außenminister und mehr als 100 Botschafter teil. Danach werden erst die Kränze, dann der Sarg herausgetragen, dem die Trauergemeinde folgte: zuerst die Geistlichkeit, dann die Familie und politischen Repräsentanten.
Die Bundesmarine überführte den Sarg auf einem Schnellboot rheinaufwärts, während Starfighter die Stadt Köln überflogen. Ein weiteres Boot transportierte die Kränze, nach ihm kommt ein Schiff mit den Angehörigen und den Teilnehmern der Feier. Während der anderthalbstündigen Fahrt ertönten 91 Schuss Salut. Die Zahl der Menschen, die auf Brücken und am Ufer stehen, ging in die Hunderttausende. Die Beisetzung selbst erfolgte im engsten Familienkreis auf dem Waldfriedhof von Rhöndorf.
Die Trauerfeier im Internet:
Trauerstaatsakt und Staatsbegräbnis für Konrad Adenauer - YouTube
https://www.protokoll-inland.de/SharedDocs/bilderstrecken/Webs/PI/DE/Trauer-Adenauer.html
Stimmen zu Adenauer
Die Sekretärin Anneliese Poppinga über ihr Vorstellungsgespräch 1958
„Mir war vorher gesagt worden, Adenauer sehe aus wie ein alter Indianer. Ich kam gerade aus Japan zurück, hatte mich viel mit Buddhismus beschäftigt und dachte, als ich ihm gegenüberstand, an einen hohen buddhistischen Würdenträger, einen Lama aus Tibet. Er strahlte eine ungeheure Würde und Gelassenheit aus. Und Distanziertheit“. (https://www.spiegel.de/geschichte/adenauers-sekretaerin-politik-mit-der-sicherheitsnadel-a-949766.html
Ein Facharzt
„In diesem Zusammenhang ist eine weitere Passage aus Erich Peter Neumanns Aufzeichnung interessant. Er zitierte Adenauer mit der Aussage: „Neulich musste ich mal in Bonn zum Ohrenarzt, zum … - das ist eine Autorität auf dem Gebiet. Als er mich untersuchen wollte, hat er mir nur in die Augen gesehen. Ich sagte zu ihm, ,warum sehen Sie mir in die Augen, Sie sollten mir lieber in die Ohren sehen'. Da antwortete er: ,Herr Bundeskanzler, ich muss immer in Ihre Augen sehen, weil ich es noch nicht erlebt habe, daß ein Mann von 60 oder 70 noch so schnell mit den Augen reagiert hat wie Sie'. - ,Die Verkalkung', hat er dann erklärt, ,fängt nämlich bei den Augen an', und da sei bei mir noch nichts.“
Elisabeth Noelle-Neumann: Die Erinnerungen. München 2008, S. 181
Johannes Gross, Journalist
Adenauer hat „in selbstverständlicher Würde und keineswegs selbstverständlicher Zähigkeit alle Fesseln und Kontrollmechanismen, die die Bundesrepublik behinderten, abgebaut, dergestalt, daß nach knapp sechs Jahren die Bundesrepublik die formale Souveränität erlangt hatte und im Kreis der westlichen Zivilisation trotz aller Erinnerungen an Nazigreuel und Zweiten Weltkrieg eine Akzeptanz, wie sie die Weimarer Republik in der ganzen Zeit ihres Bestehens nicht zuteil geworden war. Auf dem Höhepunkt seiner Autorität und Tatkraft (ungefähr anzusetzen mit dem 2. Bundestag 1953 bis 1957) war Adenauer der einflußreichste Ratgeber der amerikanischen Regierung, war die Bundesrepublik der wichtigste Verbündete der USA, konnte maßgeblich die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreiben und stellte ihren ersten Präsidenten“.
Johannes Gross: Phoenix in Asche. Stuttgart 1989, S. 82f.
Hans-Peter Schwarz, Politikwissenschaftler
„Nachdem er bei den ersten großen Auftritten vor großen Zuhörermassen gewissermaßen Blut geleckt hat, wird aus dem früher weitgehend emotionslos argumentierenden Verwaltungsjuristen sogar ein Volksredner. Im vorgerückten Alter lernt er nun noch, mit welchen Künsten sich Tausende von Zuhörern begeistern lassen, und während der späten vierziger, der fünfziger und frühen sechziger Jahre ist die Technik, mit der er ganze Säle bald zu atemlosen Zuhören, bald zu Beifallsstürmen hinzureißen versteht, ziemlich einmalig.
Die in großzügigen Schriftzügen kurz vor den Auftritten aufs Papier geworfenen Redeentwürfe enthalten eine Abfolge von Stichworten, ein paar suggestive Zahlen und Zitate, an die sich Polemiken gegen politische Gegner anknüpfen lassen. Davon ausgehend mischt er in unnachahmlichen rheinischen Tonfall, der selbst den stärksten Invektiven einen Zug ins Versöhnliche gibt, nüchterne Argumentation mit gepfefferer, oft persönlicher Polemik und billigen, daher sehr vokstümlichen Witzchen. Die Masse spürt dann: ihm ist es Ernst, er hat seine Sache durchdacht, er hat auch Humor, und er weiß zudem, daß man sich bei politischen Versammlungen einfindet, um gut unterhalten zu werden. (…) Mit besonderem Vergnügen greift er Zwischenrufe auf, denn er bleibt bis ins hohe Alter von bemerkenswerter Schlagfertigkeit. Sein Unterhaltungswert ist stets groß, auch bei Bundestagsdebatten und Pressekonferenzen. Er versteht es, selbst Journalisten, die ihm überhaupt nicht gewogen sind, zum Lachen zu bringen“.
Hans-Peter Schwarz: Das Gesicht des Jahrhunderts. Berlin 1998, S. 517f.
Hubert Faßbender, Bürgermeister von Königstein im Taunus, Freund Adenauers
„Er war immer – nicht modisch, aber sehr korrekt. Er ging nicht. Ich würde sagen, Adenauer schritt. Er kam nicht zu einer Veranstaltung, sondern: Er erschien. Ein großer Unterschied! Er aß nicht (ich habe ja viel mit ihm gegessen zuhause) – er speiste. Er trank nichts in sich hinein (wie das viele unserer Mitbürger tun), sondern er hatte ein großes Maß an Disziplin auch im Trinken. Er mochte gerne ein gutes Glas Wein. Aber er hatte Disziplin. Er hatte eine unendliche Geduld (…) Er schien nie nervös. Ich habe mal scherzhaft gesagt, Adenauer hat kein vegetatives Nervensystem. Da, wo wir Nerven haben, hatte er Stricke. Ich möchte es in einem Wort sagen: Diese Persönlichkeit Dr. Konrad Adenauer ruhte einfach in sich. Er war ausgeglichen bis zum Letzten. Er lotete die Dinge aus bis in die tiefsten Tiefen und konnte dann die Dinge ganz fach – man hat ihm nachgesagt: simpel – darstellen und ausdrücken. Dabei ging er durch die Schichten hindurch. Er war selber vielschichtig (…) und er lotete auch bei sich selber aus. (...)Er hatte Humor. Und zwar einen wirklich echten Humor, nicht diesen billigen Humor, von dem man sagt: Man lacht trotzdem. Humor ist ja nicht etwas an der Oberfläche. (…) Ich möchte es so formulieren: Humor ist die äußerste Freiheit des Geistes. Die äußerste Freiheit des Geistes kam bei ihm auch in jeder Anekdote ode in jeder witzigen Äußerung, immer wieder schlug das durch, dass er Humor hatte.“
Faßbender über Konrad Adenauer, gesprochen 19.1.1976, https://www.konrad-adenauer.de/quellen/audios/seite/hubert-fassbender-erinnerungen-an-die-treffen-mit-konrad-adenauer/
Franz Josef Strauß, Bundesminister unter Adenauer
„Adenauer war stets außerordentlich korrekt gekleidet; in der Regel trug er einen dunkelgrauen Anzug mit Weste, eine dezente, meist ebenfalls dunkelgraue Krawatte, ein weißes Hemd, tadellose Schuhe. (…) Er beherrschte alle Formeln der Höflichkeit, konnte, wenn er jemanden für sich gewinnen wollte, geradezu unwiderstehlichen Charme entwickeln. Andererseits konnte er mit einer – bayerisch gesagt – ungeheuren Schlitzohrigkeit einen Gesprächspartner auch aufs Eis führen. (…) Seine Vorzimmerdamen, die er höflich-väterlich behandelte, schwärmten alle für ihn und schmolzen vor dem großen alten Herrn geradezu dahin. Es war ihnen eine große Ehre, und sie sahen es als historisches Verdienst an, für Adenauer zu arbeiten (…)“
Franz Josef Strauß: Erinnerungen. Berlin 1989, S. 127
Ein publizistischer Gegenspieler
Adenauer durfte ich kurz vor seinem Tod besuchen. Er war der beeindruckendste Politiker, dem ich je begegnet bin. Wir haben uns umarmt und versöhnt. Ich war sehr bewegt, sentimental sogar, aber er auch.
Rudolf Augstein, Der Spiegel, 56. Jg. (2002), Nr. 43, S. 117
© Dr. Stefan Winckler