Interkontinentale Zusammenarbeit linksextremer Terroristen n den 1970er Jahren – zwei Fallbeispiele
2017 wird wieder in mehreren Buchpublikationen und zahlreichen Artikeln daran erinnert: Vor 40 Jahren kam es zu einer Häufung von Morden und Entführungen aus politischen Beweggründen. Es handelte sich um Linksextremismus in der Sache und Terrorismus in der Form. Im April 1977 ermordete ein „Kommando Ulrike Meinhof“ der deutschen „Rote Armee Fraktion“ den Generalbundesanwalt Siegfried Buback sowie seine Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster. Der Vorstandssprecher der Dresdner Bank AG, Jürgen Ponto, wehrte sich in seinem Haus gegen den Versuch einer Entführung – und wurde sofort erschossen (Juli 1977). RAF-Terroristen entführten den Präsidenten der Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hanns Martin Schleyer, am 5. September 1977, um verurteilte Gesinnungsgenossen freizupressen. Als die Bundesregierung wenig Neigung zeigte, die Forderungen der Geiselnehmer zu erfüllen, kidnappten palästinensische Terroristen in Absprache mit der RAF eine Lufthansa-Passagiermaschine mit knapp einhundert Geiseln.
Bei den meisten Publikationen über den linksextremistischen Terrorismus kamen meines Erachtens dessen internationalen Verflechtungen zu kurz. Außerdem ist vergleichsweise wenig von den Opfern (v.a. wenn es sich um das Begleitpersonal oder Passanten handelte) und ihren Angehörigen zu lesen. Eine Ausnahme machte der Fernsehfilm „Mogadischu“, geschrieben von Maurice Philip Remy, der den Ablauf der Entführung spielfilmartig rekonstruierte. Auch die ARD-Fernsehsendung „Mogadischu – die Dokumentation“ stammt von Remy. Dort kommen die Opfer zu Wort.
I. Das Lod-Massaker
Gesinnungsgenossen der deutschen „Baader-Meinhof-Bande“ waren die „Roten Brigaden“ in Italien, die nordirische IRA und – ferner – die US-amerikanischen „Weathermen“. Weniger bekannt dürfte die sog. „Japanische Rote Armee“ sein. Gegründet wurde sie 1969 (die Angabe 1971 in wikipedia ist offensichtlich falsch). 1970 entführte sie ein Flugzeug nach Pjönjang, 1971 zündete sie Bomben in verschiedenen Polizeirevieren und schickten einen Sprengsatz an den Chef der japanischen Polizei, lieferte sich Straßenschlachten und entführten eine Person. Richtungstreitigkeiten der stark zersplitterten Bewegung arteten in Mord an zwölf der eigenen Genossen aus.
Während der Terrorismus in Westeuropa eskalierte, musste die palästinensische Guerilla zunehmend Misserfolge und Niederlagen gegen Israel hinnehmen. Um 1969/70 versuchte daher die PLO, ihre Machtbasis massiv zu verbreitern, indem sie die staatliche Gewalt in den palästinensischen Flüchtlingslagern Jordaniens an sich riss. Sie verweigerte sich der Kontrolle durch das Königreich Jordanien, griff dessen Geheimdienstzentrale an und verübte ein Attentat auf König Hussein. Die linksradikale Palästinensergruppe PFLP („Volksfront zur Befreiung Palästinas“) versuchte kurz darauf, ihren Willen zur Machtergreifung im mehrheitlich palästinensisch besiedelten Jordanien durch die Forderung nach Entlassung eines Teils der Staatsspitze, durch Geiselnahmen, Gefechte mit den königlichen Truppen bis hin zur Proklamation einer „Volksregierung“ zu untermauern. Es ging nun darum, ob Jordanien ein linksradikaler Palästinenserstaat wird oder ein feudales Königreich mit guten Beziehungen zu Großbritannien und den Vereinigten Staaten bleibt. Es gelang Jordanien erst nach langwierigen Kämpfen bis zum Juli 1971, die PLO-Milizen im Königreich zu zerschlagen. Deren Reste fanden dann im Libanon ein neues Exil – mit der Folge, dass sich der „Zedernstaat“ mehr und mehr destabilisierte und zum Bürgerkriegsgebiet wurde.
Zu diesem Zeitpunkt begannen die „Japanische Rote Armee“ und die PFLP zu kooperieren. Aus dem Fernen Osten kamen Geld, Medikamente und Verbandsmaterial zur „Volksfront“. Eine gemeinsame Veröffentlichung trug den Titel „Die arabischen Guerillas und die weltweite Rote Armee“, und ein „Unterstützungszentrum für das palästinensische Volk (Japan)“ eröffnete in Beirut. Terroristen aus Japan unterzogen sich einer Ausbildung an den Waffen im Libanon. Die PFLP-Führer Dr. Wadi Haddad und Leila Chalid beauftragten die Japaner, einen Massenmord in der Ankunftshalle des israelischen Flughafens Lod bei Tel Aviv (heute: Flughafen Ben Gurion) zu begehen – als Rache für einen Angriff der ultra-zionistischen Irgun-Milizen gegen das arabische Dorf Deir Jassin im Unabhängigkeitskrieg 1948. Von Europa aus reisten die Japaner, als ordentlich gekleidete Bürger getarnt, mit fünf Maschinenpistolen, zwölf Munitionsmagazine und sechs Handgranaten ein (vgl. N.N.: Weißer Kreis. In: Der Spiegel, 24/1972, S. 82ff). Sie ermordeten 26 Personen, darunter eine christliche Pilgergruppe aus Puerto Rico. Verletzt wurden 77 Menschen. Einer der Attentäter wurde von israelischen Sicherheitskräften erschossen, ein anderer beging Suizid. Der dritte, Kozo Okamoto, wurde verhaftet, als er im Begriff war, eine Handgranate gegen ein Flugzeug zu schleudern. Zu lebenslänglicher Haft verurteilt, wurde er später ausgetauscht und seitdem im Libanon ansässig - als freier Mann. Nach dem Massenmord und auch heute genießt er bei manchen Arabern Verehrung (vgl. http://www.taz.de/!5092765/9 ).
Im Jahr 2016 würdigte die palästinensische Regierungspartei Fatah den Massenmord als Heldentat: „A thousand greetings to the Japanese fighter and comrade Kozo Okamoto, the hero of the Lod airport operation“, war auf der facebook-Seite der Fatah zu lesen. Deren Medienbeauftragter erklärte darüber hinaus, „wir sind alle stolz auf Menschen, die sich für die palästinensische Sache einsetzen". Ein Protest dazu war nicht zu vernehmen, außer in Israel (vgl. http://www.timesofisrael.com/abbass-fatah-praises-1972-lod-airport-terror-attack/), basierend auf der israelischen Internetzeitung Palestinian Media Watch. Auch ein pro-israelisches Onlinemagazin aus der Schweiz nahm sich des Themas an. Als Reaktion auf die israelische Veröffentlichung bekräftigte die Fatah ihre Aussagen: „Als Antwort auf die israelischen Medien [d. h. Bericht der PMW]: 44 Jahre sind seit der Operation am (...) Flughafen Lod vergangen. Wir segnen den japanischen Krieger, den Kameraden Kozo Okamoto, Held der Operation (...) am Flughafen Lod. Die Fatah-Bewegung ist stolz auf alle, die sich ihr und der palästinensischen Revolution angeschlossen haben, die für die Freiheit des palästinensischen Volkes kämpft. Wir sind stolz auf jeden Kämpfer, der sich unserer mächtigen Revolution angeschlossen hat. Wenn Israel Frieden will, sollte es unser Land verlassen und wir werden friedlich leben, denn es (...) ist das letzte besetzte Land der Welt“ (http://www.audiatur-online.ch/2016/05/30/fatah-ehrt-24-fachen-moerder-des-flughafen-anschlags-von-1972/).
Dem Lod-Massaker kann keine unmittelbare militärische Bedeutung in einem Partisanen- oder Guerilla-Kampf zugebilligt werden, denn die Täter beabsichtigten keine Eroberung oder auch nur die Ausschaltung eines militärischen Gegners. Der reine Massenmord zielte darauf, zu zeigen, dass Israel verwundbar sei, und zwar auch an einem vergleichsweise gut gesicherten Ort wie einem Flughafen. Dadurch sollten weitere Terroraktionen ermutigt werden – weniger gegen die Armee, sondern gegen Unbewaffnete. Tatsächlich folgte die Geiselnahme israelischer Olympiaathleten in München 1972, zahlreiche Bombenattentate auf Zivilisten in Israel sowie eine Reihe von Flugzeugentführungen, von denen das Hijacking von Entebbe sich am nachhaltigsten im Gedächtnis (vor allem, aber nicht nur) der Israelis festgesetzt hat. Um so unverständlicher und schändlicher ist es, dass die Regierungspartei Fatah noch 2016 dem überlebenden japanischen Massenmörder einen Heldenstatus zubilligt, während die Palästinensische Autonomiebehörde gleichzeitig von Unterstützungszahlungen der Europäischen Union lebt. Angesichts der finanziellen Abhängigkeit der Autonomiebehörde könnte m.E. verstärkt auf eine ernsthafte Orientierung der Behörde zum Frieden hingewirkt werden; Rentenzahlungen, Schulerziehung zum Hass und Ehrungen für Massenmörder sind damit unvereinbar.
2., Geiselnahme und Befreiung in Entebbe
Während die Sympathie der Bundesdeutschen mit Israel im Sechstagekrieg (Juni 1967) und danach anstieg, bewegte sich die Neue Linke hierzulande nach dem eindeutigen israelischen Sieg in eine pro-palästinensische und antizionistische Richtung. Diese Einstellung wurzelte kaum in einem rassistisch und nationalistisch motivierten, also NS-geprägten Antisemitismus. Vielmehr war sie aus dem Antikapitalismus und Antiimperialismus abgeleitet. Das Feindbild des jüdischen Staates als angeblich „rassistischen Unterdrückers der Palästinenser“, zumal als Verbündeter der Vereinigten Staaten, existierte dagegen um so eindeutiger. Kontakte von Mitgliedern des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes mit palästinesischen Studenten förderten eine antiisralische Haltung junger Neomarxisten an den Universitäten, nicht zuletzt in Frankfurt. Eine Äußerung des israelischen Botschafters Asher Ben-Natan 1969 beantworteten Frankfurter Studenten mit derart heftigen Sprechchören, dass der Diplomat am Weiterreden gehindert war (vgl. https://kaindenkmal-boese.jimdo.com/wilfried-b%C3%B6se-lebensweg/frankfurt-am-main-1969-1975/verlag-roter-stern-und-dessen-umfeld/). Im Dezember 1969 nahmen u.a. Joschka Fischer und andere Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an einer PLO-Konferenz in Algier teil. An der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt wurde der israelische Außenminister Abba Eban während einer Rede 1970 ausgebuht. Ein Flugblatt des SDS enthielt die Sätze: „Der Besuch Abba Ebans, der als Vertreter eines rassistischen Staates in die Bundesrepublik reist, muss zu einer Demonstration und zum Protest gegen die zionistischen, ökonomischen und politisch parasitären Staat Israel und seine imperialistische Funktion im Nahen Osten werden […]. Der palästinensische Kampf ist ein Bestandteil des Kampfes aller unterdrückter Völker der Dritten Welt gegen den Imperialismus […]. Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde Israel“ (Martin Kloke: Israelkritik und Antizionismus in der deutschen Linken: ehrbarer Antisemitismus? In: Monika Schwarz-Friesel/Evyatar Friesel/Jehuda Reinharz (Hrsg.): Aktueller Antisemitismus – ein Phämomen der Mitte? Berlin 2010, S. 73-92, hier S. 82).
Es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass deutsche Terroristen 1970 in palästinensischen Lagern an Waffen ausgebildet wurden (vgl. u.a.: Stefan Aust: Der Baader Meinhof Komplex, Hamburg 2008, S. 171-177; Willi Winkler: Die Geschichte der RAF, Berlin 2007, S. 173-178). In Frankfurt entwickelte sich das Feindbild des „reichen Juden“, den Gerhard Zwerenz in seinem Roman „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ und Rainer Werner Fassbinder in dem daraus entstandenen Drama „Der Müll, die Stadt und der Tod“ verarbeiteten. Gemünzt war der Begriff des „reichen Juden“ und „jüdischen Kapitalisten“ insbesondere auf den Immobilienbesitzer Ignatz Bubis, der sich rückblickend vom Bestehen eines seinerzeitigen „linken Antisemitismus“ überzeugt zeigte (vgl. https://hiram7.wordpress.com/2007/09/29/bettina-rohls-interview-von-ignatz-bubis/).
In diesem Umfeld lebte auch der politische Aktivist Wilfried Böse, dessen Biografie ein Projekt-Seminar des Bamberger Dientzenhofer-Gymnasiums unter Leitung von Oberstudienrat Rafael Rempe rekonstruierte. Die Ergebnisse sind auf https://kaindenkmal-boese.jimdo.com/ veröffentlicht: Böse, geboren 1949 in Stuttgart-Bad Cannstatt, kam mit seinen Eltern im Jahr darauf nach Oberfranken. Am dortigen Dientzenhofer-Gymnasium fiel er, der Klassensprecher, durch Intelligenz, Selbstbewusstsein und – aus heutiger Sicht – durch harmlose Provokationen auf. Auch ehemalige Mitschüler des Ansbacher Gymnasiums, auf das er 1966 wechselte, sagen ihm eine politisch weit nach links tendierende Einstellung in jener Zeit nach. Zudem sei er, wie sich ein Lehrer erinnert, „sehr reif, eloquent, rhetorisch fast brillant“ gewesen, gerade auch hochinteressiert an Kunst, Theater und Film. Von Gewaltbereitschaft sei jedoch nichts zu spüren gewesen, so frühere Mitschüler. Zum Linksextremisten wurde er offenbar zu Beginn des Studiums: Nach zwei Semestern Soziologie-Studium in Freiburg kam Böse an die Johann Wolfgang Goethe-Universität. Dort, im linksradikalen Frankfurter Milieu, beteiligte er sich am Szene-Verlag „Roter Stern“, zusammen mit dem SDS-Bundesvorsitzenden K. D. Wolff und anderen. Frankfurt war eine Hochburg des Linkextremismus, in der u.a. Joschka Fischer und seine „Putztruppe“ Gewalt gegen Polizisten probte und unzählige Demonstrationen, unter anderem gegen eine teilweise verfehlte Baupolitik, in Straßenschlachten ausarteten.
In Frankfurt war Böse aktiv im Umfeld der Baader-Meinhof-Bande: Er gehörte zur „Roten Hilfe“, die den Terroristen Wohnungen suchte oder sie logistisch unterstützte. Dabei war Böse auch an kriminellen Aktionen beteiligt, indem er Batterien für Bomben beschaffte und Waffen lieferte. Mit steckbrieflich gesuchten Tätern stand er in engem Kontakt, mehr noch: er arbeitete ihnen zu. Böse war einer der Protagonisten der „Revolutionären Zellen“, die sich politisch-programmatisch wenig von der RAF unterschieden, aber anders organisiert waren: sie tauchten nicht in den Untergrund ab, sondern beteiligten sich am öffentlichen Leben, gingen Berufen nach, mischten in den politischen Debatten der Neuen Linken mit.
Böse gewann an Bedeutung und wurde zum überregional, ja international agierenden Kriminellen: Er half mit, die Geiselnahme der OPEC-Minister in Wien Dezember 1975 vorzubereiten und nahm an einer Guerilla-Ausbildung in einem südjemenitischen Palästinenserlager teil, mit Ausdauerlaufen, Nahkampf, Verwendung unterschiedlichster Schusswaffen von der Pistole bis zum Maschinengewehr, Handgranatenwerfen (vgl. Oliver Schröm: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus, Berlin 2002, S. 96f.).
Am 27. Juni 1976 entführten Böse und und seine Freundin Brigitte Kuhlmann nach gründlicher Vorbereitung und in Absprache mit Wadi Haddad, dem Kopf der Gruppe PFLP-EO (die sich von der PFLP separiert hatte), einen Airbus der Air France auf dem Weg von Tel Aviv nach Paris, nachdem das Flugzeug in Athen zwischengelandet war. Die Passagiere waren zum Teil Israelis. Das erste Ziel war Bengasi in Libyen, ein Land, das der betont arabisch-nationalistisch denkende und sich „weltrevolutionär“ gebärdende Muammar al-Gaddafi regierte. Dort verlangten sie (angeblich), dass die Maschine aufgetankt wird – ansonsten würden sie sie sprengen (vgl. Aussage Gaddafis: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41157613.html). Anschließend befahlen Böse/Kuhlmann, Entebbe in Uganda anzusteuern.
Was forderten die Luftpiraten? Ihr Ziel war die Freilassung von 53 inhaftierten Gesinnungsgenossen (u.a. Kozo Okamoto) aus deutscher, israelischer und französischer Haft, sowie eine Ablösesumme für die entführte Maschine. Laut dem Tagebuch der israelischen Geisel Sara Davidson erklärte Böse, „die Franzosen sind die Feinde der Araber. Sie haben Israel einen Atomreaktor geschenkt. Die Amerikaner sind Feinde der Araber. Sie haben Israel mit mörderischen Waffen versorgt. Aber der Hauptfeind ist Israel, sind die Israelis“.
Das Verhalten Böses ist u.a. aus Aufzeichnungen von Geiseln eingehend überliefert, da sie sich auf Dialoge mit ihm einließen. Während sich Kuhlmann sehr aggressiv und einschüchternd gab, zeigte sich Böse eher gelassen und geradezu diskussionsbereit. Nicht, dass er von seinen Einstellungen abgewichen wäre – seine Taten blieben so kriminell, wie sie geplant waren! Aber er versuchte offenbar, die Geiseln zu beruhigen, um das ganze Vorhaben reibungsloser zu gestalten. Laut dem Tagebuch der israelischen Geisel Sara Davidson sagte er: „Ihnen wird nichts geschehen. Die Geschichte der Entführungen beweist, dass wir die Passagiere nicht töten. Wir werden verhandeln. Wir stellen Forderungen. Wenn sie erfüllt werden, werden wir sie [sic!] freilassen und Sie können nach Hause gehen“ (vgl.https://kaindenkmal-boese.jimdo.com/wilfried-böse-lebensweg/böse-bei-der-entebbe-entführung/ ).
Was hatten die Entführten in Uganda zu erwarten? Der Machthaber jenes ostafrikanischen Landes, Idi Amin Dada, hatte sich angeblich spontan als Vermittler angeboten. Amin war ursprünglich Israel-freundlich (er hatte einen militärischen Lehrgang bei den israelischen Streitkräften absolviert) und forcierte den Ausbau der ugandisch-israelischen Beziehungen nach seiner Machtergreifung, wendete sich aber zu einem Feind des jüdischen Staates, nachdem Israel verschiedene Wünsche Amins auf dem militärischen Sektor zurückgewiesen hatte. Ab 1972 war Amin ein Verbündeter Libyens und Saudi-Arabiens, mehr noch: ein Antisemit, der den Holocaust und das Massaker der palästinensischen Geiselnehmer an den israelischen Sportlern in München lobte und Verschwörungstheorien im Sinne der gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ aussprach (vgl. http://jcpa.org/article/israeli-ugandan-relations-in-the-time-of-idi-amin/). Palästinenser dienten in seiner Leibwache und als Luftwaffen-Piloten, andere betätigten sich wirtschaftlich als Nachfolger der von Amin aus Uganda ausgewiesenen asiatischen Händler (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41237665.html). Gegenüber internationalen Medien präsentierte sich Amin oft leutselig und clownesk. Die Wirklichkeit hätte nicht grauenhafter sein können: Unzählige Morde an angeblichen politischen Gegnern sorgten für weltweites Entsetzen, obwohl Nachrichten aus Kerkern und Folterstätten Afrikas sonst eher einen geringen Nachrichtenwert in der westlichen Welt einnahmen.
Rasch kam der Verdacht auf, Amin sei ein Komplize der Luftpiraten. Sich selbst präsentierte er als Vermittler, suchte den Flughafen auf und sprach zu den Geiseln (ausführlich dazu: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40736497.html ). Die Geisel Uzi Davidson fragte den lächelnden, gelassen wirkenden Böse, wo das Gepäck hingekommen sei, und benannte die miserable Unterbringung. „Er holte ein Stück Papier und einen Kugelschreiber heraus und notierte sich meine Bitten: Matratzen, Decken, Seife und Waschpulver sowie eine gründliche Reinigung der Toiletten. Er versprach mir, sich darum zu kümmern. Aber hier hatte er nichts mehr zu sagen, nur in der Luft war er der Anführer gewesen. Hier waren die Araber die Bosse, und er hatte als Soldat ihren Befehlen zu gehorchen. Der Mann weckte mein Interesse. Für mich hatte er etwas Geheimnisvolles. Von ihrem Standpunkt aus konnte ich die Palästinenser verstehen. Aber er, ein Deutscher, der den Eindruck eines wohlerzogenen und intelligenten jungen Mannes machte? Ich fragte ihn: ,Warum sind Sie hier?' Er zögerte einen Augenblick und antworteten dann ausführlich. Er glaube an die Rechte des palästinensischen Volkes. Die Palästinenser seien ein unglückliches Volk, weil sie keine Heimat hätten. Er müsse ihnen helfen. Darum sei er hier, und er sei bereit, alles zu tun, um diesem unglücklichen Volk zu helfen'." Auf die Frage, ob er sich auch für die Israelis einsetzen werde, wenn Israel zerstört werde, stellte er klar: „Ich stimme Ihnen zu, dass die Juden einen eigenen Staat haben sollten“. „Ja, gewiss“, sei er für die Existenz des Staates Israel. „Aber entweder sollte ein palästinensischer Staat neben Ihrem gegründet werden oder Sie sollten mit den Palästinensern gemeinsam in einem Staat leben“. Auf die Erwiderung, die PFLP bestreite die Existenzberechtigung Israels, antwortete er, dass er nicht Sprecher der Volksfront sei, seine eigene Meinung habe, erst recht nach Besuch eines Flüchtlingslagers, insbesondere mit Blick auf die Kinder. Was sein eigenes Land angehe: „Ich bin Deutscher und liebe mein Vaterland. Aber nicht so, wie es jetzt ist. Ich wünsche mir ein anderes Deutschland. Ich lebe im Untergrund, bin ständig auf der Flucht. Die deutsche Polizei sucht mich überall. Ich weiß, dass mein Leben entweder mit einer Kugel im Kopf enden wird oder dass ich bald sterben werde (...)“. Der Dialog schloss mit der Frage „Wie fühlen Sie sich, wenn Sie hier mit erhobener Maschinenpistole vor Frauen und spielenden Kindern stehen? Wenn Sie uns bekämpfen müssen – wir haben doch Soldaten. Warum kämpfen sie nicht gegen unsere Soldaten?“ Er senkte den Blick. „Glauben Sie mir, ich fühle mich miserabel, wenn ich Sie und Ihre Kinder vor mir sehe...“. Uzi Davidson schloss: Gerade durch die scheinbare Freundlichkeit sei es Böse gelungen, ihn zu täuschen: „weil er sich lächelnd verstellen konnte“. Immer wieder habe Böse die Geiseln getröstet: „Sie haben keine Schuld. Sie sind in Ordnung. Ihnen wird nichts geschehen. Regen Sie sich nicht auf. Ihre Regierung wird einem Austausch zustimmen, und Sie fahren nach Hause“ (vgl.: https://kaindenkmal-boese.jimdo.com/wilfried-böse-lebensweg/böse-bei-der-entebbe-entführung/ )
Aber eben dies – Verhandlungen und Einigung – war ausgeschlossen, da Böse die Juden von den Nichtjuden anhand ihrer Pässe und Namen trennte und mit dieser an die Shoah erinnernden Tat auch die geringste Chance eines Agreements mit der israelischen Regierung zerstörte. Der israelische Verteidigungsminister Shimon Peres reagierte in der Besprechung mit den zuständigen Militärs: „Da stehen zwei verdammte Deutsche mit Pistolen und wiederholen die Szene der Endlösung: Juden zur Linken, die andern zur Rechten! Sie machen ,Selektion“ - mit uns!“ Der Ablauf im Flughafen von Entebbe: Böse sprach mit entspannter, ruhiger Stimme in ein Megafon, „ich werde jetzt die Namen der hier Anwesenden verlesen. Wenn Sie Ihren Namen hören, stehen Sie auf und gehen hinüber in den Nebenraum. Wir haben ihn für Sie freigemacht, damit Sie nicht so gedrängt zusammensitzen müssen. Es hat nichts mit der Nationalität zu tun“. Letzteres war eine Lüge, denn es handelte sich um eine Trennung von Israelis und Nicht-Israelis (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41124988.html). Die zwölfköpfige Besatzung verlangte, entsprechend ihrem Verantwortungsgefühl, bei den Passagieren in Entebbe bleiben zu dürfen. Böse akzeptierte.
Als ein Überlebender der Shoah Böse seine eintätowierte Häftlingsnummer zeigte und ihm eine Kontinuität zum Nationalsozialismus vorwarf, antwortete Böse: „Ich habe in Westdeutschland Terroranschläge verübt, weil das herrschende Establishment Nazis und Reaktionäre in seinen Dienst aufgenommen hat (…) Meine Freunde und ich sind hier, um den Palästinensern zu helfen. Sie sind die Underdogs. Sie leiden“.
Ein israelisches Einsatzkommando landete am 4. Juli 1976 auf einem abgelegenen Teil des Flughafens und befreite unter geringen Verlusten die 98 verbliebenen Geiseln. Die Terroristen aus Deutschland und dem Nahen Osten kamen ums Leben, ebenso 20 ugandische Soldaten (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41069402.html ). Ulrich Wegener, Kommandeur der deutschen GSG 9, war in Entebbe auf Ersuchen der Israelis anwesend – die Zusammenarbeit israelischer und deutscher Geheimdienste bzw. Spezialeinheiten funktionierte. Sie hofften auf Informationen über Böse/Kuhlmann und weitere Vorbereiter oder Unterstützer des Terrorakts (vgl. http://spiritofentebbe.blogspot.de/2006/01/german-hero.html).
Die jüdische Geisel Dora Bloch, die zuvor aus dem Flughafen in eine Klinik eingeliefert worden war, wurde dort anschließend aus Rache ermordet (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40736497.html ). Nach Amins Sturz 1979 wurde Blochs Leichnam nach Israel überführt und mit einem Staatsbegräbnis geehrt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Dora_Bloch)
Fazit
Der Schluss fällt leicht: Wer ehrlich beansprucht, aus den Verbrechen und politischen Perversionen Hitlers die richtigen Konsequenzen gezogen zu haben – wie es die Neue Linke behauptete – kann sich nicht mit einer Person wie Amin verbünden. Er kann sich nicht mit der wohl radikalsten, mörderischsten aller Palästinensergruppen verbünden, die einen Kampf gegen Israel in Form von Massenmorden an Wehrlosen durchführt. Böse wollte als junger Mensch eine Lehre aus der NS-Vergangenheit ziehen – und am Aufbau einer (wie er meinte) gerechten, humanen Gesellschaft mitwirken. Was er dann tat, war das exakte Gegenteil: Beihilfe zu Mord und Sachbeschädigung, Freiheitsberaubung, Angriff auf den Luftverkehr. Im Gespräch mit jüdischen Geiseln dürfte es Böse ausschließlich um einen reibungslosen Ablauf des geplanten Coups gegangen sein. Dass er im Augenblick seines Todes die Maschinenpistole auf Geiseln richtete, spricht gegen jeden Ansatz einer Läuterung. Wir wissen zwar von den Gesprächen und einer gewissen Nachdenklichkeit Böses – die allerdings kaum zu seinen Gunsten gewertet werden kann. Er beteiligte sich an einem Verbrechen, auf das er sich gründlich vorbereitet hatte, egal, ob er diskutierte und lächelte, oder nicht. Für Hanns Martin Schleyer war es ein Jahr später ebenso unerheblich, dass seine Entführer mit ihm diskutierten und sogar „Monopoly“ spielten. Er wurde ermordet, wie es seine Kidnapper zuvor angedroht hatten, und noch als Toter in einer Mitteilung an die Öffentlichkeit verhöhnt: „Wir haben (…) Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet“. In der Tat hat Böse seine Intelligenz zu hochkriminellen Zwecken vergeudet. Die Erzeugung von Todesangst und die „Selektion“, und eben nicht nur Kuhlmanns Geschrei, weckte Erinnerungen an die Verbrechen der Nationalsozialisten. Uzi Davidson hatte recht, als er Böse ins Gesicht sagte: „Sie verschwenden sich, junger Mann. Sie sind hochintelligent. Wenn Sie etwas Nützliches studieren würden, könnten Sie der Menschheit weit besser dienen als mit Flugzeugentführungen. Sie haben sich in einem Netzwerk verstrickt, in dem Sie Ihre Kräfte sinnlos vergeuden“ (Zitat in:https://kaindenkmal-boese.jimdo.com/wilfried-böse-lebensweg/böse-bei-der-entebbe-entführung/ ).
Die Projektgruppe aus dem Bamberger Dientzenhofer-Gymnasium zieht die Schlussfolgerung, dass es die Befreiung der „Landshut“-Geiseln durch die Grenzschutzgruppe 9 nicht ohne den vorausgegangenen israelischen Sieg in Entebbe gegeben hätte. Zweifellos war der Sieg von Entebbe ermutigend. Sie übersieht dabei, dass die GSG 9 bereits im Herbst 1972, als Reaktion auf die Geiselnahme während der Olympischen Spiele, beschlossen wurde und sich seitdem auf vergleichbare Situation vorbereitete.
„Entebbe“ bildete einen Wendepunkt: die Terroristen verloren auf der ganzen Linie, die PFLP spaltete sich. Das Bündnis mit dem offenkundig geisteskranken Machthaber Idi Amin und die „Selektion“ jüdischer Fluggäste durch einen eiskalt agierenden „antifaschistischen“ Deutschen bewirkte sicher einen Verfall auch der letzten Reste von Sympathie in der Öffentlichkeit. Im Abstand von einem Vierteljahrhundert resümierte Joschka Fischer, Böses Tat in Entebbe habe wesentlich seine Abwendung von der Sympathisantenszene bewirkt.
Als im Oktober 1977 palästinensische Terroristen in einer Art weltrevolutionärer, antiimperialistischer Solidarität den Lufthansa-Cityjet „Landshut“ entführten, knüpften sie bewusst an Böse/Kuhlmann an: Brigitte Kuhlmann trug 1976 den Decknamen Halimeh, Böse nannte sich „Mahmud“. Der Anführer der „Landshut“-Hijacker nannte sich „Martyr Mahmud“ - „Mahmud“ war der Deckname Böses. Das Kommando hieß „Operation Martyr Halimeh“ - Halimeh war der Deckname Kuhlmanns (vgl. http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/dokumentarfilm-mogadischu-die-wirrkoepfe-in-stammheim-waren-unerheblich-1726057.html). Es handelte sich um Kader der PFLP-EO, einer Gruppe um Wadi Haddad, die sich von der PFLP abgespalten hatte.
Die Befreiungen in Entebbe und Mogadischu sowie der Tod des Organisators Haddad 1978 – in Ostberlin, wo er in einem Akt linker, antiimperialistischer, internationalistischer Solidarität in eine Klinik aufgenommen wurde – bewirkten offensichtlich, dass Palästinenser seitdem von weiteren vergleichbaren Flugzeugentführungen absahen.
© Stefan Winckler