Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

 Der letzte Kaiser von China: Pu Yi

 Er war zweimal Kaiser von China. Er war Kaiser von Mandschukuo, Kriegsgefangener, Gärtner, Archivar und Abgeordneter in der maoistischen "Politischen Konsultativkonferenz", einer Funktionärsversammlung der Blockparteien und Massenorganisationen. Nur eines war er nicht (oder nur für kurze Zeit): ein freier, selbstbestimmter Mensch. Die Rede ist von Pu Yi, der vor 30 Jahren in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit geriet: der renommierte Regisseur Bernardo Bertolucci verfilmte Pu Yis Leben (nicht ohne Hinzufügungen, „künstlerischen Freiheiten“ und Abweichungen, wie sie in Filmbiografien üblich sind). Gleichzeitig legte der Deutsche Taschenbuch-Verlag die Memoiren des „letzten Kaisers“ (Filmtitel) neu auf.

Pu Yi wurde am 7. Februar 1906 geboren. Noch als Kleinkind zum Kaiser erhoben, stand er unter der Regentschaft der Kaiserwitwe. Als 1912 die Republik ausgerufen wurde, änderte sich für Pu Yi wenig: er durfte in der „Verbotenen Stadt“ samt dem Hof mit seinem aufwändigen Zeremoniell bleiben. 1917 kehrte die Monarchie zurück – für nicht einmal zwei Wochen. Ein schottischer Privatlehrer machte ihn mit westlicher Bildung bekannt. Die Sehnsucht nach einem Leben außerhalb des Goldenen Käfigs, am ehesten als Student in der westlichen Welt, konnte Pu Yi nicht umsetzen: seine Flucht scheiterte. Nach einem Machtwechsel in der Republik China führte er das Leben eines Playboy in der japanisch geprägten Hafenstadt. 1932 von den Japanern zum Kaiser der Mandschurei (Mandschukuo) ausgerufen, war er eine Art Marionettenherrscher. Was geschah, bestimmte Japan. 1945 geriet er für fünf Jahre in sowjetische Kriegsgefangenschaft, anschließend für neun Jahre in ein rotchinesisches Konzentrationslager. 1959 entlassen, war er eine gebrochene Persönlichkeit. Fortan lebte er als Gärtner und Archivar eines historischen Instituts. In jener Zeit war er durch Umerziehung (oder besser: Gehirnwäsche) dem Regime so weit genehm, dass er sogar Abgeordneter in der maoistischen Volkskammer sein durfte. Unter dem Namen von Pu Yi wurde 1964 eine Autobiografie veröffentlicht, die er sicher zum Teil selbst verfasst hat. Sie ist aber in einem extrem totalitären Staat und nicht in Freiheit entstanden, so dass es offen bleibt, von was er tatsächlich überzeugt war. Detaillierte Darstellungen des Hoflebens in der „verbotenen Stadt“ sprechen für Pu Yi als Autor, doch ist anzunehmen, dass ein Kollektiv von Parteischreibern für die „ideologisch richtigen“ Schlussfolgerungen sorgte. So steht in der Autobiografie Pu Yis:
„Ich dachte an all das, was ich in den letzten zehn Jahren erlebt hatte, sah den alten Direktor mit seinem weißen Haar vor mir und den jungen Direktor mit seinem lebhaften Redefluss. An all die Wärter, Ärzte, Pfleger und die anderen Mitglieder des Gefängnissystems erinnere ich mich. Mir fiel ein, wann ich versucht habe, sie zu täuschen; wenn ich ihnen mit schamvollen Winkelzügen widerstanden hatte; wann meine Unwissenheit, Unfähigkeit und Dummheit entlarvt worden waren; wann ich an mir verzweifelt war und das Weiterleben nicht mehr ertragen konnte: Immer hatten diese Kommunisten daran festgehalten, dass ich gebessert werden könnte, und hatten mich geduldig einem neuen Menschsein entgegengeführt.
,Mensch' war das erste Wort, das ich einst in meiner ersten Fibel (…) zu lesen gelernt hatte, aber sein Sinn war mir in meiner ersten Lebenshälfte verschlossen geblieben. Erst durch die Menschen der Kommunistischen Partei und die Umerziehungspolitik für Verbrecher kenne ich heute seine tiefe Bedeutung und bin ein richtiger Mensch geworden“ (zitiert in: Klaus Mühlhahn: Erinnern und Darstellen des Unvergesslichen. In: Bernhard Führer (Hrsg.): Text und Autorität in China in Geschichte und Gegenwart. Wiesbaden 2003, S. 115).
Wir haben es hier mit den Selbstbezichtigungen, dem Lob für die Peiniger und der ausdrücklichen Feststellung, zum neuen, echten Menschen geläutert zu sein, zu tun: das alles kennen wir aus George Orwells „1984“.
Schwere Zeiten brachen für Pu Yi mit der Kulturrevolution 1966 an: erneute Belästigungen und Gefährdungen.
Sein Bruder Puyie durchlebte ein sehr ähnliches Schicksal: Kaiserhof, japanische Dominanz, sowjetische Kriegsgefangenschaft, Umerziehung im Mao-Staat, Rehabilitation.
Am 17. Oktober 1967, verstarb Pu Yi in Peking an Krebs.
20 Jahre später rückte der Spielfilm "Der letzte Kaiser" von Bernardo Bertolucci das Schicksal Pu Yis in das Bewusstsein einer relativ breiten Öffentlichkeit. "Dichterische Freiheiten" wie der Selbstmordversuch des abgesetzten Kaisers in sowjetrussischer Gefangenschaft hielten sich in Grenzen. Über den Inhalt hinaus imponierte die Kameraarbeit von Vittorio Storaro sowie die Musik von David Byrne und Ryukiu Sakamoto.


© Stefan Winckler

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