Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Klaus Kelles Beitrag zur Gesellschaftskritik

Es gibt immer noch einige Millionen Deutsche, die sich als bürgerlich einstufen – aber nicht als „spießig“. Sie bestehen auf Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen Menschen, allerdings verknüpft mit christlichen Werten und Tugenden. Und sie sind wertkonservativ, nehmen Verantwortung wahr. Sie sind dem Genderismus und der politischen Korrektheit heftig abgeneigt. Einer von ihnen heißt Klaus Kelle, ist 57 Jahre und seit einem guten Dritteljahrhundert Journalist. In dem sehr persönlich gehaltenen Pamphlet (im besten Sinne) „Bürgerlich, christlich, sucht“ schildert er seine Eindrücke einer oft heruntergekommenen Gesellschaft und einer immer wieder hirnrissigen Politik in einem – ja! - immer noch liebenswerten Vaterland.

Und das ist auch schon das erste Stichwort: Vaterland. Wie gehen die Deutschen damit um – und wie könnte es besser sein? Der Nationalfeiertag am 3. Oktober sei viel zu sehr „Honoratiorenfest“. Sein Verbesserungsvorschlag: „Machen wir aus diesem Tag ein echtes Bürgerfest!“ Hängen wir Deutschlandfahnen aus dem Fenster, befestigen wir einen schwarz-rot-goldnen Wimpel am Auto. Ein Freundes- und Nachbarschaftstreffen beim Grill, zu dem ein Zeitzeuge herangezogen wird, der etwas über die friedliche Revolution 1989/90 aussagen kann, wäre doch ein guter Anfang. Im Jahr darauf könnten Vereine eingeladen werden, sich „anzuschließen und Einheitsfeste zu veranstalten. Nicht von oben organisiert, sondern von uns, den Bürgern dieses Landes“ (S. 36f.).

Wer so denkt wie er, ist mit seinen politischen Einstellungen nicht allein. Es fragt sich nur, warum vernünftige Ideen, wie Kelle und andere Bürger(liche) sie formulieren, so wenig umgesetzt werden. Warum stellen sich Parteifunktionäre taub und tauber, wenn es doch nach allen Regeln der Werbekommunikation darauf ankommt, die "Stammkundschaft" zuerst zu bedienen?

Politik ist aber nicht das einzige Thema, vielmehr übt Kelle eine leicht nachvollziehbare Gesellschaftskritik, indem er eine Reise (oder besser: Odyssee?) in einem Zug durch Deutschland beschreibt. Schlechtes Benehmen hat viele Gesichter. 

Im Schlusskapitel benennt Kelle knapp, was er ändern möchte: „Ich würde die finanziellen Institutionen auf die Kernaufgaben des Staates konzentrieren: Bildung, Sicherheit, Infrastruktur". Leider werden ständig kulturelle Projekte öffentlich gefördert, die eher ein Faustschlag für den Zuschauer als einen Denkanstoß sind. Weiter: „Ich würde Familien fördern, und zwar nicht nur mit mickrigen 150 Euro im Monat pro Kind, sondern dem dreifachen oder vierfachen Betrag – wie in Norwegen“ (S. 242). Angesichts der weitgehenden Gleichstellung von Mann und Frau könnten Gleichstellungsbeauftragte (alias Frauenbeauftragte) abgeschafft werden. Telefondaten seien länger zu speichern, weil die Kripo dadurch bessere Möglichkeiten zur Fahndung hat. Eine umfassende Reform der EU ist nötig, viele Aufgaben seien von Brüssel wieder zurück an die Mitgliedsländer zu geben. „Das Europa der souveränen Vaterländer würde seine Außengrenzen mit großem Aufwand schützen, denn das ist die Grundlage dafür, dass es eine EU ohne Grenzen überhaupt geben kann. Ich würde die Kompetenz des EU-Parlaments deutlich ausweiten und Direktwahlkreise zulassen, damit nicht Parteifunktionäre Listen vorschlagen, die man dann als Bürger wählen kann oder nicht“ (S. 246f). Höchst wünschenswert sei auch ein Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Ich würde mit deutlich reduzierten Zwangsgebühren (…) eine deutliche Weiterentwicklung von Information, Dokumentation und Live-Übertragungen durchsetzen. Die ARD hat weltweit Redaktionsbüros, warum also nicht täglich einen ,Weltspiegel'? Wir haben doch gelernt, dass unsere Welt mehr und mehr zusammenwächst“ (S. 247). Änderungen im Strafprozessrecht seien nötig. Wenn ein Gewaltkrimineller einen festen Wohnsitz hat, sollte dies nicht automatisch bedeuten, dass er nach der Vernehmung wieder nach Hause gehen darf. Zu guter Letzt: „Ich würde niemandem vorschreiben, was er sagen, schreiben, denken und fühlen darf. Denn Deutschland soll ein freies Land sein“ (S. 248).

 Insgesamt eine klar und einfach verfasste Lektüre, kritisch und konstruktiv. Das Taschenbuch sollte gerade auch von Jugendliche gelesen werden – jene, die offen sind für bewährte Grundsätze, für notwendige Veränderungen und neue Formen.

  

Klaus Kelle: Bürgerlich, christlich, sucht... Biete Meinung statt Mitte. Basel: Fontis, 2017. ISBN 978-3-03848-107-2, € 15,-

© Stefan Winckler

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