Stefan Winckler
Zur Geschichte der Deutschen Dante-Gesellschaft e.V. (DDG): 160. Gründungstag, 100 Jahreskongresse, 100 Jahrbücher
Was läge näher, als zum 100. Band des Jahrbuchs, mit Blick auf den kürzlich abgehaltenen 100. Jahreskongress und anlässlich des 160. Gründungstags einen Aufsatz oder eine Rede über die DDG zu verfassen? Relevant ist die Deutsche Dante-Gesellschaft durchaus, nicht nur für deutschsprachige Romanisten: Heinz Willi Wittschier zählt sie zu den drei wichtigsten Dante-Vereinigungen weltweit.1
Zwei Monografien zur Geschichte der DDG liegen vor. Der seinerzeitige Präsident der DDG Walter Goetz2 veröffentlichte die Geschichte der Deutschen Dante-Gesellschaft und der Deutschen Dante-Forschung (Weimar 1940) über die Gründungsphase und die Fortsetzung nach 1915/20. Das Buch ist antiquarisch lieferbar. Der untersuchte Zeitraum lässt sich darüber hinaus recht leicht recherchieren: Die frühe Phase kann anhand der ersten vier Jahrbücher der Dante-Gesellschaft , der Dante-Forschungen Karl Wittes3 (1869 und 1877) und den unten angegebenen Schriften von Franz X. Kraus und Hugo Daffner nachgezeichnet werden (wobei die Recherche durch den Online-Zugang zu den vier Jahrbüchern und den Witte-Bänden begünstigt wird). An jenen Band schließt die Monografie des Romanisten und Wissenschaftshistorikers Frank-Rutger Hausmann an: Die Deutsche Dante-Gesellschaft im geteilten Deutschland. Stuttgart 2012. Sie widmet sich nach einer eingehenden Darlegung der Quellen- und Literaturlage (Vorbemerkung auf S. 7 ff., Grundprobleme der Geschichtsschreibung der Deutschen Dante-Gesellschaft im 20. Jahrhundert auf S. 10-14) zunächst knapp den ersten 80 Jahren der DDG: So schwierig das Vereinsleben im totalitären Nationalsozialismus war, so komplex verlief die Geschichte einer im ganzen deutschen Sprachraum wirkenden Gesellschaft angesichts der deutschen Teilung und der herrschenden Lehre des Marxismus-Leninismus in der DDR. Dies beschreibt Hausmann unter Verweis auf veröffentlichte und unveröffentlichte Quellen (S. 21-155): Zu letzteren zählen Nachlässe von Präsidenten der DDG sowie der in Jena bzw. Zwickau wirkenden Vizepräsidenten Friedrich Schneider und Otto Riedel. Im Anhang mit seinen 425 Anmerkungen (Endnoten zum Exkurs-Thema nicht mitgerechnet, S. 171-248) zitiert er u.a. ausführlich aus Briefen der DDG-Präsidenten. Hausmann lässt seine Untersuchung mit dem Jahr 1982 enden, v.a. wegen der archivalischen Sperrfrist von 30 Jahren. Dem aufschlussreichen Werk hätte ein Interview mit einem Vorstandsmitglied über die 1980er und 1990er Jahre gut getan. Das Buch ist über die Verlage Hauswedell und Anton Hiersemann direkt beziehbar, nicht aber über den Buchhandel und Amazon. Nur wenige Universitätsbibliotheken (u.a. Konstanz) besitzen es.
Hausmann stellt fest, die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V. verfüge über kein Vereinsarchiv. Im Gegensatz zur Entstehungszeit von Hausmanns Monografie befinden sich heute Bücher, Kunstwerke und Archivalien der DDG in der Klassik Stiftung Weimar. In der Herzogin Anna Amalia-Bibliothek sind neben der Literatur über Dante Alighieri die Mitteilungsblätter und Jahrbücher der DDG archiviert – insgesamt sind 2129 Titel aufrufbar.4 Der wissenschaftliche und DDG-bezogene Nachlass der Dante-Forscherin Marcella Roddewig und anderer befindet sich im Weimarer Dante-Archiv in Verwahrung des Goethe- und Schiller-Archivs.5
Ein Rückblick Hugo Daffners, der die erneute Gründung der Dante-Gesellschaft initiierte, gibt Aufschlüsse über Verfall und Rekonstruktion der DDG: Die Neue Dante-Gesellschaft (Bd. 5, 1920, S. 2-9). Friedrich Schneider gedenkt nicht nur des verstorbenen Ehrenpräsidenten Walter Goetz, sondern zeichnet im 39. Band auch die Geschichte der DDG nach. Im Jahrbuch Bd. 66 (1991) widmet sich der Präsident August Buck der Vereinsgeschichte aus Anlass des 125. Gründungstages (S. 7-24). Sein Artikel nennt u.a. die Präsidenten und Herausgeber der Jahrbücher, beschäftigt sich aber stärker mit der Dantistik in Deutschland im Allgemeinen als mit der DDG-Geschichte. Der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes stützt sich auf die Jahrbücher, ferner auf die Webseite der DDG als aussagekräftige Quellen. Darüber hinaus liefert Hausmann wertvolle Hintergrundinformationen, v.a. über die Bemühungen, die DDG über den Eisernen Vorhang hinweg zu erhalten. Die Geschichte der Deutschen Dante-Gesellschaft im geteilten Deutschland entbehrt jedoch der Hinweise auf diesbezügliche juristische Hilfe für die bundesdeutschen Vorstandsmitglieder und Vorsitzenden, die sicherlich einen erheblichen Aktenbestand umfassten. Informationen zur vereinsinternen Kommunikation unterhalb der Ebene von Präsident und Jahrbuch-Herausgeber(in) sind rar.
Auf dem Weg zu einer deutschsprachigen Dante-Vereinigung
Im 19. Jahrhundert erschienen zahlreiche historiografische Werke, u.a. die Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter von Ferdinand Gregorovius. Die detaillierte biografische Erforschung Dante Alighieris und seines Werks führte zu einigen Monografien und Sammelbänden. Mehrere Übersetzungen von Dantes Divina Commedia entstanden.
Bereits 1767/1769 erschien in Leipzig die erste vollständige deutsche Übertragung der Göttlichen Komödie von Lebrecht Bachenschwanz in Prosa. Bis 1865 kamen weitere elf Gesamt-Übersetzungen hinzu, von denen die vielgelobte Arbeit des Philaletes (Pseudonym für: Prinz Johann von Sachsen) aus dem Jahre 1839/1840/1849 die bekannteste ist. Maßstäbe setzten Karl Ludwig Kannegießer (1821) und Karl Streckfuß (1826). Eine vollständige Übertragung in Blankversen schuf der Maler und Erfinder August Kopisch6. Viel Zustimmung, auch das Lob Johanns, fand Josefine von Hoffinger, eine Österreicherin, mit ihrer Übertragung im Jahre 1865. Sie war im gleichen Jahr eines der 20 Gründungsmitglieder der Deutschen Dante-Gesellschaft. Aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert liegen Teilübersetzungen der Commedia von Friedrich Schlegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling vor. Dante war weit darüber hinaus ein Thema der Romantiker. August Wilhelm Schlegels Gedicht Dante ist ein Hinweis darauf, in Frankreich schuf Eugen Delacroix im Jahre 1822 das Gemälde „Die Dantebarke“ mit einem Motiv aus der Divina Commedia.
Eine Übersetzung der Monarchia datiert aus dem Jahre 1845 (Kannegießer), eine weitere von 1872 (Oscar Hubatsch).
Dante war Gegenstand einer Monografie des Historikers Franz X. Wegele (Prof. in Jena): Dantes Leben und Werke (Jena 1852). „Zum Ausgangspunkt dient die Darstellung der nationalen, politischen und literarischen Emanzipation Italiens, woran sich die Darstellung von Dantes Leben schließt, die an Vollständigkeit und Genauigkeit alle Vorgänger übertrifft“7, so Paul Alfred Merbach in seiner Betrachtung der Dante-Rezeption in Deutschland. Wegeles Werk erlebte in mehreren Auflagen Erweiterungen und Verbesserungen, so 1865 und 1879.
Der Schweizer Pastor und Gymnasialprofessor Giovanni Andrea Scartazzini verfasste eine eigene Lebens- und Werkbeschreibung Dantes: Dante Alighieri. Seine Zeit, sein Leben, seine Werke (Biel 1869). Wollte er Wegele widerlegen? Nein! Ihm lag an einer eher einführenden Annäherung an Dante für ein breiteres Publikum, wie er in der Einleitung schrieb.
Ausführlicher als Wegele beschäftigte sich Scartazzini mit Dantes Epoche: Kaisertum und Papsttum, Italien und Florenz, Sitten, Glaube, Wissenschaften / Künste, Nationalsprache und Nationalliteratur. Mit anderen Worten: mit dem vielfältigen Konfliktpotenzial der Dante-Zeit, das auf den Dichter einwirkte. Später veröffentlichte er ein 511seitiges Dante-Handbuch (Leipzig 1891).
An Wegeles und Scartazzinis Monografien imponiert schon auf den ersten Blick der Umfang: Wegeles zweite Auflage kommt auf 604 Seiten, Scartazzinis Werk von 1869 umfasst 539 Seiten.
Diese Dante-Biografien sind über google.books vollständig und kostenlos abrufbar.
Der überragende deutsche Dantist des 19. Jahrhunderts war Karl Witte. Als Pastorensohn im Jahre 1800 in Lochau bei Halle/Saale geboren, entwickelte er sich zum Wunderkind (Promotion 1813) und wirkte später als Prof. für Römisches Recht. Bedeutender war er als Übersetzer und Kommentator der Göttlichen Komödie (Berlin 1865), zumal er eine Einleitung von 31 Seiten und 188 Seiten an Erläuterungen hinzufügte.8 Der „Hohepriester des Dantekults“ (Ferdinand Gregorovius) veröffentlichte Briefe Dantes und kam in seinen sehr kompetenten Schriften in der langen Zeit von 1824 bis 1879 immer wieder auf Dante zurück.9 Seine Textkritiken und ausführlichen Besprechungen der Dante-Literatur erschienen in zwei Bänden unter dem Titel Dante-Forschungen.10 Witte verstarb im Jahre 1883. Sein wissenschaftlicher Nachlass befindet sich nicht im Weimarer Dante-Archiv, sondern im Witte-Archiv der Bibliotheque nationale universitaire de Strasbourg.11 Angeregt von den Dante-Übersetzern und-forschern bildeten sich in etlichen Universitsstädten von Bonn bis Breslau Dante-Zirkel. Auch in der Musik war Dante ein Thema: Franz Liszt verarbeitete das Inferno in der Klaviersonate Après une lecture du Dante (1837/1849, veröffentlicht 1856) und seiner Dante-Symphonie (Inferno und Purgatorio, 1857).
Es fällt auf, dass die Dante-Rezeption des 19. Jahrhunderts zu einem großen Teil im sächsisch-mitteldeutschen Raum stattfand: Jena (die Romantiker, Wegele), Halle (Witte), Dresden (Prinz Johann, die Deutsche Dante-Gesellschaft 1865). Leipzig als Verlagsort der frühen Jahrbücher (bis 1925) kommt hinzu. Aus Greiz in Thüringen stammte Karl Streckfuß. Diesselbe Kleinstadt war Geburts-, Wohn- und Sterbeort von Friedrich Schneider. Im 20. Jahrhundert, nach der erneuten Gründung, waren wiederum Jena (Friedrich Schneider als Dozent und Herausgeber des Jahrbuchs) und Weimar (Vereinssitz und mehrfacher Tagungsort) Hauptorte der deutschen Dantistik.
Gründung und vorläufiges Ende
Diese beständige, intensive Auseinandersetzung mit Dante Alighieri ließ eine wissenschaftliche Vereinigung der Dante-Forschung und -Verehrung im deutschen Sprachraum entstehen. Eine Vorläuferin existierte in Dresden unter der Bezeichnung Accademia Dantesca: ein Gesprächskreis, der Prinz Johanns Dante-Übertragung ermutigend und anregend begleitete. Ihm gehörten u.a. Carl Gustav Carus und Ludwig Tieck an.
Johann, nunmehr König von Sachsen, veröffentlichte in den Jahren 1865/66 seine Commedia-Übertragung erneut, diesmal bei B.G. Teubner in Leipzig, nachdem die vorherigen Teilbände befriedigende Absatzzahlen erreicht hatten. Der erste Band (Inferno) der Neuausgabe konnte rechtzeitig zur Gründung der Deutschen Dante-Gesellschaft e.V. ausgeliefert werden. Anlässlich von Dantes 600. Geburtstag 1865 (am 13. September, dem Vorabend von Dantes 544. Todestag) in Dresden gegründet, ist sie die älteste aller bestehenden Dante-Vereinigungen: Sie ist 23 Jahre älter als die Societa Dantesca Italiana. In ihr kamen Mitglieder aus dem gesamten deutschen Sprachraum zusammen, desweiteren einige Ausländer wie Henry W. Longfellow. Als Vereinszweck ist die „Erweiterung und Verbreitung des Verständnisses des Dichters und der Liebe zu demselben“ genannt. Der Verein stieß auf internationale Beachtung, wie Initiator und Präsident Karl Witte in seiner Eröffnungsansprache darlegte: „Italienische Blätter in grosser Anzahl, Französische, Englische, ja Spanische haben im Voraus unsere heutige Veranstaltung und, wenigstens soweit als meine Kunde reicht, mit entschiedener Anerkennung unseres Strebens besprochen“. Im einzelnen, so Witte weiter, werde sich die Gesellschaft weniger der strittigen Feinheiten der italienischen Sprache als der Philosophie und Textkritik annehmen. Der seinerzeit wohl bedeutendste Dante-Forscher Italiens, Giambattista Giuliani, reiste aus Florenz an und hielt die Schlussansprache. Im ersten Jahrbuch ist er, der auch zum zweiten Band einen Aufsatz beisteuerte, als Ehrenmitglied aufgeführt, ebenso die Königinnen Auguste und Elisabeth von Preußen. 12 So erfreute sich die Dante-Gesellschaft in ihrer Gründungs- und Frühphase eines hohen Renommees. Sie zählte nach zwei Jahren 85 (ohne Ehrenmitglieder) und nach vier Jahren 114 Mitglieder. 13 Das Jahrbuch ist seit den Anfängen das wissenschaftliche Publikationsorgan der DDG. Karl Witte gab die ersten drei Bände 1867, 1869 und 1871 heraus. Neben dem Niveau der Artikel imponiert der Umfang (zwischen 411 und 550 Seiten, zwischen 21 und 29 Beiträge zuzüglich Nachträge, Rechnungsübersicht, Register). Seitdem finden sich in den Jahrbüchern auch Aufsätze und Reden in italienischer Sprache.
Der Tod des Protektors König Johann 1873 schien die Gesellschaft zu lähmen, so dass der nächste Band auf sich warten ließ. Witte übertrug die Aufgabe des Editors aus Alters- und Krankheitsgründen an Scartazzini, dessen DDG-Jahresband von 1877 15 Beiträge (zuzüglich Vorwort, Nachtrag zum Vorgängerband, Rechnungsübersicht, Namensverzeichnis) auf 675 Seiten umfasste. Im Vergleich zu den ersten drei Bänden sind hier die Artikel umfangreicher: Sie gehen auf das jeweilige Thema „tiefer ein“, was Witte in seiner Rezension ausdrücklich begrüßte.14 Aufsätze kamen beim Herausgeber verzögert oder gar nicht an, so dass er sich gezwungen sah, den eigenen Anteil auszuweiten (sein Text „Über die Congruenz der Sünden und Strafen in Dante's Hölle“ erstreckt sich über 82 Seiten; er sollte offenbar Wittes Aufsatz „Dantes Sündensystem“ ersetzen, der letztlich noch eintraf und übernommen wurde.15 Der italienische Konsul in Sachsen, Guglielmo Baron Locella, würdigte den Anteil König Johannes an der Gründung ebenso wie die Forschungsergebnisse der ersten Dante-Jahrbücher: „Wenn wir der Verdienste Philalethes' um die deutsche Dante-Litteratur gedenken, so dürfen wir nicht vergessen, wie er auch durch sein persönliches Walten die Sache gefördert, der er ein lebenslanges Interesse bewahrt. Er rief die Deutsche Dante-Gesellschaft ins Leben, der die ausgezeichnetsten Dantisten Deutschlands und Italiens angehörten und die unter seinem Protektorat Großes geleistet hat: die vier inhaltsschweren Bände ihres Jahrbuchs legen Zeugnis davon ab. Wie sehr König Johann die Seele des Ganzen gewesen, beweist der Umstand, daß nach seinem Tode die Deutsche Dante-Gesellschaft nur noch ein kurzes klägliches Dasein gefristet hat“.16 Nach dem vierten Band fehlte es in der Tat an Unterstützung für die DDG, Beitragsautoren blieben aus.17 Möglicherweise lag dies (auch) an an der Regel, keine Aufsatzhonorare zu zahlen. Spätestens der Tod Wittes, Wegeles (1897) und Scartazzinis (1901) ließ die Gesellschaft in Lethargie versinken. Eine Wiederbelebung durch den Kunst- und Kirchenhistoriker Franz Xaver Kraus18 , der in einem Aufsatz auch auf interne Streitigkeiten hinwies, scheiterte. Das bedeutete aber nicht das Ende der Dante-Übertragungen oder der Dante-Forschung hierzulande. Alfred Bassermann leistete mit seiner Übersetzung der Göttlichen Komödie („Hölle“ 1892, „Fegeberg“ 1909, „Paradies“ 1921) wertvolle Beiträge. Derselbe veröffentlichte mit Dantes Spuren in Italien (Heidelberg 1897) eine ebenso umfang- wie detailreiche Untersuchung zu Dantes Aufenthaltsorten. Zu den bekannteren Übertragungen zählen die beiden in Terzinenform von Richard Zoozmann (1907 und 1908) sowie – als „Umdichtung“ 20 ausgewählter „Stellen“ – jene von Stefan George19 (1909, erneut 1912 und 1921 aufgelegt). Sie sind unter projekt.gutenberg.de unter dem Suchbegriff Dante vollständig abrufbar.
Wer in jenen Jahren als Dante-Gelehrter oder des Italienischen kundiger Schriftsteller die seinerzeitige Dante-Forschung rezipieren wollte, war auf das Periodikum der Società Dantesca Italiana, „Bullettino“20, angewiesen, das zuerst im Jahre 1890 erschien.
Eine kurze Auswertung der Dante-Jahrbücher der Zwischenkriegszeit
Im Jahre 1914 erstellten deutschsprachige Dantisten eine Vereinssatzung, um die Gesellschaft wieder zu beleben. Diese Statuten sind weit ausführlicher als jene von 1865, da sie vereinsrechtliche Details aufführen. Der Vereinszweck ist neu formuliert: „Pflege Dantes, die Erforschung seines Lebens, seiner Werke, seiner Zeit“. Wie schon 1865 wird als Mittel dazu die Edition eines Jahrbuchs genannt, außerdem der Ausbau einer schon 1865 angekündigten Dante-Bibliothek. Unter dem Namen „Neue Deutsche Dante-Gesellschaft e.V.“ trug das Amtsgericht Dresden die Gemeinschaft am 10. Mai 1915 in das Vereinsregister ein.
Der Erste Weltkrieg mit Italiens Eintritt gegen die Mittelmächte verzögerte das Erscheinen des weitgehend fertig gestellten Jahrbuchs bis 1920.21 Es war das fünfte insgesamt, das nun nach 43 Jahren Unterbrechung vorlag. Herausgeber war der Präsident Hugo Daffner, ein Arzt, Komponist und Feuilleton-Journalist. Vier weitere Bände folgten bis 1925, ehe Daffners Erkrankung die wissenschaftliche Produktion erneut stocken ließ und einen Bruch mit ihm herbeiführte. Zu den Erfolgen der Ära Daffner gehört die rasch ansteigende Mitgliederzahl (1921: rund 300; 1922: ca. 400).22 Dennoch drohte ein Ende der Neuen Deutschen Dante-Gesellschaft, bis einige kompetente Mitglieder eine neue Satzung, einen neuen Vorstand und eine Reorganisation der Mitgliederschaft herbeiführten.23 Die Gesellschaft kehrte jetzt nach dem Tode der aus der Frühphase 1865ff. verbliebenen Mitglieder zu ihrem ursprünglichen Namen Deutsche Dante-Gesellschaft zurück. Erst 1927, nach dem Abgang Daffners, lud sie zu einer Jahrestagung. Die Kongresse fanden fortan in Weimar, dem Vereinssitz seit 1921, statt. Walter Goetz, der als Professor für Kultur- und Universalgeschichte in Leipzig lehrte und zeitweise als Reichstagsabgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei wirkte, übernahm das Amt des Präsidenten.
Eine Mitgliederliste ist, abgesehen von Bd. 1 (1867), nur im 13. Band des Jahrbuchs (1931, S. VII-XIII) abgedruckt. Aus ihr geht hervor, dass die Verbindung mit dem Haus Wettin in der Republik fortbestand: S.K.H. Prinz Johann Georg, Herzog zu Sachsen ist als Protektor aufgeführt. Der neunköpfige Vorstand setzte sich aus den Historikern Walter Goetz, Heinrich Finke, Friedrich Schneider (allesamt Professoren), dem Staatssekretär a.D. Fritz von Falkenhausen (der 1937 eine Übertragung der Göttlichen Komödie veröffentlichte), dem Rechtshistoriker Prof. Karl Rauch (Inhaber des Verlags Hermann Böhlaus Nachfolger, in dem das Jahrbuch erschien) und dem Prof. für Romanistik Eduard Wechssler (Autor von Wege zu Dante, Halle 1922) zusammen. Als Geschäftsführender Ausschuss vor Ort in Weimar fungierten Bürgermeister Erich Kloss und der für die eher überschaubare Bibliothek der DDG verantwortliche Prof. Werner Deetjen24 (Germanist, Literaturhistoriker, Vorsitzender der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft). Folglich lagen die berufssoziologischen Kompetenzen der Vorstandsmitglieder stärker im Bereich der Geschichtswissenschaften, gefolgt von den Rechtswissenschaften, und weniger in der Romanistik. An Professoren der Romanistik mangelte es dennoch nicht: Erich Auerbach (Marburg), Ernst R. Curtius (Bonn), Karl Vossler (München), Helmut Hatzfeld (Frankfurt), Gerhard Moldenhauer (Bonn), Berthold Wiese (Halle) sowie Privatdozent Ulrich Leo (Frankfurt). Auffallend viele Theologen gehörten der DDG an: Kardinal-Fürsterzbischof Adolf Bertram (Breslau), Kardinal-Fürsterzbischof Joseph Schulte (Köln), Bischof Wilhelm Berning (Osnabrück), Dompropst Prof. Adolf Donders (Münster), Prof. Engelbert Krebs (Tübingen), Prof. Joseph Sauer (Freiburg), Domvikar Karl Jacubczyk sowie ein Franziskanerpater, sieben Pfarrer und ein Vikar. Vergleichsweise namhaft sind die Geschichtsprofessoren Alexander Cartellieri (Bonn), Robert Davidsohn (Florenz), Alfred Doren (Leipzig), Wilhelm Levison (Bonn) und Richard Scholz (Leipzig). Zwei Italiener sind aufgeführt: Prof. F. Carta aus Mailand und Graf Ponzone, Generalkonsul in Dresden. Insgesamt enthält diese DDG-Mitgliederliste 143 Personen (Vorstände nicht mitgezählt), davon 24 Frauen. Als ein geografischer Schwerpunkt lässt sich die Universitätsstadt Bonn mit Bad Godesberg und Siegburg benennen: zwölf Personen. Weimar folgt mit neun Namen (als Sitz der DDG wenig überraschend). Aussagekräftig in Bezug auf das Renommee der DDG erscheint die Mitgliedschaft von 33 Universitäts-, Staats-, Stadt- und Hofbibliotheken: U.a. sind die Staatsbibliothek in der lettischen Hauptstadt Riga und die Universitätsbibliothek in Uppsala sowie vier Romanische Seminare aufgeführt. Ende 1944 soll sich laut einem Rundschreiben des Präsidenten Goetz die Mitgliederzahl auf 370 belaufen haben25 (war die Liste von 1931 unvollständig, gab es einen starken Zuwachs oder war hier eine andere Zählweise vorgenommen worden?).
Von 1928 bis 1961 redigierte der Historiker Friedrich Schneider26, Professor in Jena, das Dante-Jahrbuch. Bezüglich Goetz und Schneider lässt sich eine erstaunliche Kontinuität ungeachtet der politisch-gesellschaftlichen Systemwechsel feststellen. Schneider (1887-1962) ist als Biograf Kaiser Heinrichs VII. bekannt – jener Monarch, auf den Dante seine Hoffnungen für das übernationale Reich und Reichsitalien setzte. Es gelang Schneider, den Auftrag des Vorstands umzusetzen: jährlich einen Band zu veröffentlichen. Unter der Ägide von Goetz und Schneider konnte die Deutsche Dante-Gesellschaft, wie aus ihren Bänden hervorgeht, nationalsozialistischen Einflussnahmen weitgehend entgehen27 - und das in einer Zeit, in der es immer wieder Versuche verschiedener Autoren gab, Dante als „Germanen“ und geistigen Ahn Hitlers und Mussolinis zu missbrauchen!28
Seit 1937 wendet sich die DDG mit dem Mitteilungsblatt Il Novo Giorno an die Mitglieder, insbesondere mit Ausstellungsberichten, Annäherungen an Dante in Form von Gedichten und Illustrationen, vereinsinternen Themen und der Reihe „Mein Weg zu Dante“; lediglich von 1944 bis 1952 ist eine Unterbrechung zu verzeichnen.
Eine Schriftenreihe, ebenfalls zwei Jahre vor Kriegsbeginn begründet, musste bald aus finanziellen Gründen abgebrochen werden.
Lediglich 1944 und 1945 konnte keine Anthologie veröffentlicht werden. Bereits 1946 erschien der erste Nachkriegs-Jahresband (Bd. 26 insgesamt, Bd. 17 der neuen Folge, die mit dem Band von 1928 begann). Schneider formulierte darin kein Resümee der vergangenen zwölf Jahre. Nach der „Katastrophe“ wolle die DDG durch das neue Jahrbuch „ihre dem Genius und der Humanität gewidmete Aufgabe“ wieder aufzunehmen und ihren Teil „dazu beitragen, die ewigen Ideale der Menschheit zu vertreten“. 29
Die DDG während der deutschen Teilung
Auf den nunmehr 82jährigen Goetz folgte 1949 der Münchner Professor für Romanistik Hans Rheinfelder.
30 Tatsächlicher Sitz der Gesellschaft war München, angesichts der unberechenbaren Verhältnisse in der SBZ/DDR. Die Kongresse 1950, 1953 und 1954 fanden in Weimar statt. In den folgenden 30 Jahren hielt die DDG ihre Tagungen im Zwei- bis Dreijahresrhythmus in Krefeld ab, gefördert vom Direktor der dortigen Stadtbibliothek Friedrich Schlüter, der dem DDG-Vorstand angehörte. Dazwischen tagte die DDG in wechselnden Städten der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz.
31Dennoch erfolgte die Herstellung der Dante-Jahrbücher weiterhin in der DDR. Der im Jahre 1928 gewählte Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger blieb. Druckort war Weimar (Ausnahme 1965: Hildburghausen, Bd. 43). Gebunden wurden sie bis 1964 in Jena, anschließend in Leipzig. Hermann Böhlaus Nachfolger war in der DDR als privat geführter Verlag außergewöhnlich genug. Möglicherweise genoss er einen gewissen Schutz, da sein Besitzer Karl Rauch Österreicher und Nazi-Gegner war.
32 Sein Programm zielte auf den gesamten deutschen Sprachraum. Schon seit 1942 von der klassischen Philologin Leiva Constanze Petersen (ab 1947 als persönlich haftende Gesellschafterin) geleitet, verlegte das Haus auch die Schriften der Goethe- und der Shakespeare-Gesellschaft sowie Werke zur Kunst-, Rechts- und Verfassungsgeschichte. Die zuständigen staatlichen Stellen beabsichtigten offenbar die Bedeutung Weimars als eines der Zentren deutscher Geistesgeschichte zu pflegen und damit zu werben.
Friedrich Schneider als stellvertretendem Vorsitzenden der Deutschen Dante-Gesellschaft oblag die Mitgliederbetreuung in der SBZ bzw. DDR nach 1945. Autoren aus West und Ostdeutschland (auch Viktor Klemperer) waren in den Dante-Jahrbüchern präsent.
Die bemerkenswerte Zusammenarbeit über den Eisernen Vorhang war sicher zu einem erheblichen Teil der Person Schneiders zu verdanken. Dieser durch und durch bürgerliche Wissenschaftler war nach 1945 Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, jener DDR-Blockpartei also, die wie die Ost-CDU ein – wenn auch scharf kontrolliertes – Auffangbecken für Nicht-Marxisten war, die mit ihrem Einsatz für Kunst und Kultur in der DDR einen „gesellschaftlichen Beitrag“ leisteten. Er war zeitweise Abgeordneter im Thüringischen Landtag, Vorstandsmitglied der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion in Thüringen und des Nationalkomitees der Historiker der DDR ebenda. Als Organisator im Bereich von Wissenschaft und Kultur war er geschätzt. Meist war Dante Gegenstand seiner Lehrveranstaltungen. Als nach Schneiders Tod der Zwickauer Schriftsteller und Pastor Otto Riedel33, der der Kulturbürokratie trotz seiner CDU-Mitgliedschaft nicht genehm war, die Vizepräsidentschaft annahm und ein von Ost-Berlin aus favorisierter Romanistik-Professor in der DDG-Mitgliedschaft schon mit Blick auf Riedel nicht durchsetzbar erschien, scheiterte der von Rheinfelder und dem Weimarer Oberbürgermeister Luitpold Steidle (CDU) für das Jahr 1963 vorgesehene Jahreskongress im Weimar, ebenso die Eröffnung eines Dante-Hauses in der gleichen Stadt.34 Neben Schneider lag es auch in Rheinfelders gesamtdeutschem Interesse, die Dante-Gesellschaft für den ganzen deutschen Sprachraum zu erhalten. Rheinfelder war kein Kommunist, unterhielt aber mit Blick auf Weimar und wegen der Mitglieder in der DDR manche Ostkontakte, was ihn dem Verfassungsschutz verdächtig machte. Er gehörte, unabhängig von der DDG, dem sog. Eichmann-Komitee und der Deutschen Friedens-Union an. Das könnte die DDR-Behörden darin gebremst haben, der DDG zu schaden.
Der dreizehnköpfige Vorstand bestand 1965 aus acht Bundesdeutschen und fünf Deutschen aus der DDR.35 In jenen Jahren betätigte sich Riedel in der gesamten DDR, bis nach Bad Doberan und Rostock, in Vorträgen und Veranstaltungen sehr stark im Sinne der Dante-Gesellschaft. Angeblich 55 Beitritte36 in den Jahren zwischen 1961 und 1966 sind wohl v.a. ihm zu verdanken. Seine wahrscheinlich einflussreichste Gegnerin innerhalb der DDR-Nomenklatura war die Leiterin der Hauptabteilung Schöne Literatur im Kulturministerium, Johanna Rudolph (eigentlich: Marianne Gundermann), die ihm vorwarf, „ein großes Netzwerk von Verbindungen mit ausländischen Intellektuellen geschaffen“ zu pflegen, „ständig an alle möglichen staatlichen und gesellschaftlichen Stellen der DDR“ zu schreiben, diese „gegeneinander auszuspielen“ und zu versuchen, „andere Geistliche auf seine Seite“ zu ziehen. Die DDG sei „halblegal“ und reaktionär, nach den staatlich organisierten Feierlichkeiten37 zum 700. Geburtstag Dantes in Berlin (Ost) werden sich die Kulturfunktionäre Zeit nehmen, die Jahrbücher und die Dante-Gesellschaft selbst zu überprüfen.38 Die DDG in der DDR war Johanna Rudoph zufolge, „wegen ihrer Zusammensetzung und Leitung (…) gegenwärtig in keiner Weise geeignet, wissenschaftlich und kulturpolitisch für die Deutsche Demokratische Republik repräsentativ zu sein“, so dass eine offizielle „Einbeziehung der Gesellschaft in die Dante-Ehrung“ ausgeschlossen war, abgesehen von einigen linientreuen Mitgliedern, die wissenschaftlich oder kulturpolitisch tätig waren. Die DDG in Westdeutschland sei teilweise „extrem-klerikal“.39 Im Sinne Rudolphs kündigten nach dem Druck des 44./45. Bandes (1967) der VEB Landesdruckerei Thüringen und (unfreiwillig) der Verlag Böhlau Nachf. den Vertrag mit der DDG. Anschließend erschien das Jahrbuch ab Bd. 46 (1970) in Köln bei Böhlau, nachdem der Vorstand mit mehreren Verlagen verhandelt hatte.40 Der Böhlau Verlag Köln Wien war unabhängig von Hermann Böhlaus Nachf. in Weimar, passte aber wegen seines Profils als Wissenschaftsverlag und des Namens „Böhlau“. Das Cover wurde 1970 ff. (vorerst) nicht geändert. Eine satzungsgemäße gesamtdeutsche Vereinsarbeit war spätestens nach 1967 nicht mehr möglich, zumal berufstätige Dante-Freunde aus der DDR keine Reisegenehmigung nach Westdeutschland erhielten (es sei denn, es handelte sich um Reisekader, was von Professorenin Berlin-Ost angenommen werden kann): Riedel durfte nicht zur DDG-Tagung nach Krefeld 1967 kommen. Die DDR verschärfte all diese Bedingungen im gleichen Jahr: Die Mitgliedschaft in internationalen bzw. westdeutschen Vereinigungen war den DDR-Deutschen nicht gestattet, es sei denn, sie erhielten eine ausdrückliche Genehmigung. Ein Besuch Rheinfelders und Riedels im Ministerium für Kultur blieb erfolglos: Alle Mitglieder der DDG in der DDR sollten stattdessen ihren Austritt erklären. Rheinfelder und Riedel wollten dies nicht akzeptieren, doch verschiedene Briefe an Minister Klaus Gysi und den Ost-Berliner UdSSR-Botschafter Pjotr Abrassimow blieben erfolglos. Vielmehr verstärkte das MfS die Überwachung der Dantisten in der DDR.41
Auf den verstorbenen Präsidenten Hans Rheinfelder, der den Deutschen Romanistenverband (heute: Romanistikverband) gegründet hatte, folgte im Jahre 1972 der Romanist August Buck42 (Prof. in Marburg, 1972 bis 1974 Vizepräsident der Akademie deutsch-italienischer Studien) bis 1993. In diese Zeit fällt die Registrierung der DDG als rechtsfähiger eingetragener, gemeinnütziger Verein in München, der die Spaltung besiegelte: Riedels Kompromissbemühungen (der Verein möge sich als international begreifen, die Mitglieder aus der DDR sollten im Jahrbuch veröffentlichen dürfen) waren gescheitert. Jahrbuch und Mitteilungsblatt konnten bestenfalls durch Privatpersonen in die DDR gelangen. Riedels setzte seine Dante-Besinnungen nicht mehr als Vizepräsident, sondern als „Vizepräsident ehrenhalber“ in seinem Pfarrhaus fort, wo er bspw. 1975 bei Musik und Kerzenschein vor rund 40 christlichen und regimekritischen Menschen aus dem Süden der DDR einen Bogen von Dantes Begriff der Liebe zu den mörderischen Fehlentwicklungen der Gegenwart schlug. 1978 übertrug er, nunmehr 70 Jahre alt, seine Arbeit an Wolfgang Hradský, Lehrer für klassische Sprachen an einer kirchlichen Einrichtung. Hradsky organisierte in verschiedenen Städten der DDR eher wissenschaftlich-nüchterne, philologisch orientierte Veranstaltungen. 43
Zum 125sten Gründungstag 1990 nahm die Deutsche Dante-Gesellschaft die Dante-Freunde aus der untergegangenen DDR als neue Mitglieder auf. Rainer Stillers resümiert, damit habe sich der Diskurs bei Kongressen in den östlichen Bundesländern verändert: An die Seite der bisherigen rein wissenschaftlichen Debatten träten auf einmal persönliche Überzeugungen, getragen von einem „ethischen und politischen Ernst, den ich so auf Tagungen noch nicht erlebt habe“.44 Die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V. in der Gegenwart
Bucks Nachfolger war der am 31.12.2024 verstorbene Romanist Bernhard König45 (Prof. für Romanische Philologie in Köln, 1981 ff. Mitherausgeber des Romanistischen Jahrbuchs, 1989-1993 Rektor der Universität zu Köln) in den Jahren von 1993 bis 2005. Winfried Wehle46 (Prof. für Romanistische und Allg. Literaturwissenschaft an der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ehrenmitglied der Società Dantesca, 1997-2001 Vorsitzender des Deutschen Italianistenverbandes) war Präsident bis 2013. Rainer Stillers (Prof. für Romanistische Literaturwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg) amtierte bis 2021, und Karl Philipp Ellerbrock (Privatdozent, Vertreter der Professur für Romanische Literaturen mit Schwerpunkt Italienische Literatur an der Universität Konstanz) ist seitdem Präsident der Gesellschaft.47 Die Geschichte der Deutschen Dante-Gesellschaft wäre unvollständig ohne den Hinweis auf die Romanistin Marcella Roddewig48, die das Jahrbuch (nach wechselnden Herausgebern zwischen 1962 und 1971) über einen außerordentlich langen Zeitraum verantwortete: von 1972 bis zu ihrem Tode im Jahr 2000. Sie wirkte als Lehrbeauftragte an der Universität Düsselsdorf. Ihr Hauptwerk war eine vergleichende Bestandsaufnahme von rund 850 Commedia-Handschriften (Stuttgart 1984). Auf sie folgte als Herausgeber Rainer Stillers. Es wird nicht überraschen, dass sich Wissenschaftler aus mehreren unterschiedlichen Disziplinen der Dante-Forschung widmeten, gerade auch als Autoren im Dante-Jahrbuch. Historiker, Theologen, Kunsthistoriker, ein promovierter Feuilleton-Journalist sind oben erwähnt. Im Laufe der Jahrzehnte gewannen die Romanisten als Vorsitzende und Herausgeber, als Referenten der Jahrekongresse und Beitragsautoren, ohne dass der interdisziplinäre Charakter der DDG verloren gegangen wäre.
Die Deutsche Einheit ermöglichte es, den Sitz der Deutschen Dante-Gesellschaft im Jahre 2016 wieder nach Weimar zu verlegen, auch wenn es dort keine Geschäftsstelle gibt. Im traditionellen sächsisch-thüringischen Raum fanden seit den 1990er Jahren immer wieder Jahreskongresse statt, so in Weimar 1993, in Dresden 1997, in Jena 2022, in Halle 2023 und in Dresden 2024.Mit dem Band 87/88 (2013) erscheint das Jahrbuch im Verlag de Gruyter, Berlin, nach über 40jähriger „zuverlässiger Betreuung“ durch Böhlau in Köln. Der Verlagswechsel ging einher mit einer neuen Herausgeberin, Christine Ott, in der Nachfolge von Rainer Stillers, der die Bände in den Jahren von 2001-2012 verantwortete. Stillers war es gelungen, das Jahrbuch stärker interdisziplinär auszurichten und zu einer „zunehmend in internationalen Kreisen rezipierten Zeitschrift“ zu machen“.49 Ott ist Professorin für Italienische und Französische Literaturwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Der Satzung (Stand 29.10.2022) zufolge verfolgt die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V. die Aufgabe, das „geistige Erbe des Dichters und Denkers Dante Alighieri im deutschen Sprachraum lebendig und wirksam zu erhalten“. Zweck der Gesellschaft ist die „Förderung von Kunst und Kultur“, was insbesondere verwirklicht wird durch „1., Versammlungen und Vorträge (Lectura Dantis), 2., Herausgabe eines wissenschaftlichen Jahrbuchs, eines Mitteilungsblatts und wissenschaftlicher Schriften, 3., Unterhaltung und Ausbau einer wissenschaftlichen Bibliothek zum Studium von Leben und Werk Dantes und der Geschichte seiner Zeit, 4., Förderung wissenschaftlicher Forschungen und Arbeiten (Dissertationen), 5., Anregung und Unterstützung von Dante-Vorlesungen an Universitäten, Schulen und Erwachsenenbildungsstätten. Die Gesellschaft steht allen Dante-Forschern und Freunden offen, gleich welcher Staatsangehörigkeit und Nationalität“. Im Jahre 2024 traf sich die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V. zum einhundertsten Jahreskongress an ihrem Gründungsort Dresden, wo sie am seinerzeitigen Versammlungshaus Neumarkt 9 eine Plakette zur Erinnerung an 1865 anbrachte. Die Referate werden im 100. Band des Jahrbuchs veröffentlicht. Darüber hinaus wendet sich die DDG über ihre Website und über Facebook an die Öffentlichkeit.
Fazit
Die Deutsche Dante-Gesellschaft entwickelte sich in erstaunlicher Kontinuität. Ebenso wie 1865 bis 1877 ist sie dem gesamten deutschen Sprachraum verpflichtet. Präsidenten und Herausgeber des Jahrbuchs erfreuten sich in der Regel über lange Zeiträume des Vertrauens der Mitglieder.
Ebenso wie in den Gründungs- und Anfangsjahren ist der interdisziplinäre Charakter der Gesellschaft anhand des Mitteilungsblatts, der Referate auf den Jahreskongressen und der Mitgliederschaft leicht nachweisbar. Um so stärker gilt dies für das Jahrbuch, so dass Rainer Stillers mit Recht äußerte: „Ein vorrangiges Ziel des Jahrbuchs bleibt weiterhin, ein disziplinenübergeifendes Forum für die Dante-Forschung im deutschsprachigen Raum und für ihren Dialog mit der internationalen Dantistik zu bieten. Diesem Ziel wären irgendwelche methodischen oder allzu enge thematische Grenzen eher abträglich. Wissenschaftliche Forschung muss die weltliterarische Bedeutung ebenso im Blick behalten wie wie die Vorgeschichte von Dantes Werk, dessen historischen, literarischen und kulturellen Epochenkontext an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit sowie die Rezeption Dantes in Literatur, in anderen Künsten und anderen Medien“.50
Literatur
Deutsche Dante-Gesellschaft e.V.:
insbesondere
Deutsches Dante-Jahrbuch, Bände 1-100 von 1867 bis 2024.
Il Novo Giorno 2020, 2021, 2022, 2023, 2024 (online: https://dante-gesellschaft.de/il-novo-giorno/)
Übertragung, Einleitung und Erläuterung:
Dante Alighieri's Göttliche Komödie. Übersetzt von Karl Witte. Berlin 1865. Online: Vollständig und kostenlos unter google books, Suchbegriff: „Göttliche Komödie, Karl Witte, 1865“ abrufbar.
Sekundärliteratur
Baumann, Betty: Dante lesen … und auch einmal so stehen lassen. Rainer Stillers, Vorsitzender der Deutschen Dante-Gesellschaft, im Interview. In: SLUB Dresden Blog: "Dante lesen… und auch einmal so stehen lassen: Rainer Stillers, Vorsitzender der Deutschen Dante-Gesellschaft, im Interview"
Hausmann, Frank-Rutger: Die Deutsche Dante-Gesellschaft im geteilten Deutschland. Stuttgart 2012.
Kraus, Franz Xaver: Ueber die Neubegründung einer deutschen Dantegesellschaft. In: Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 18 (1897), S. 520-526 Über die Neubegründung einer deutschen Dantegesellschaft - Google Books
Lauterbach, Gunter: "Petersen, Leiva" in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 257-258 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118593145.html#ndbcontent
Locella, Bar. G.: Zur deutschen Dante-Litteratur mit besonderer Berücksichtigung von Dante's Göttlicher Komödie. Leipzig 1889.
Petzholdt, J.: Zur Geschichte der Dante-Ausgaben des Philaletes. Dresden 1884.
Scartazzini, Giovanni Andrea: Dante. Seine Zeit, sein Leben und seine Werke. Biel
1869.
Wegele, Franz X.: Dantes Leben und Werke. Jena 185
2. Online: Dantes Leben und Werke. Kulturgeschichtlich dargestellt - Google Books
Wittschier, Heinz Willi: Dantes Divina Commedia. Einführung und Handbuch (Grundlagen der Italianistik, Bd.
4), Frankfurt 2004.
Karl Witte – Wikisource
Witte, Karl: Dante-Forschungen. Altes und Neues. Halle 18
69, Online: Dante-Forschungen: Altes und Neues - Johann Heinrich F. Karl Witte - Google Books
Ders.: Bd. 2, Heilbronn 1879. Nachdruck: Norderstedt 20
16 Online: Dante-Forschungen - Google Books
Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie über Franz X. Wegele und Karl Witte Allgemeine Deutsche Biographie – Wikisource
Wikipedia-Artikel über: August Buck, Hugo Daffner, Walter Goetz, Bernhard König, Hans Rheinfelder, Otto Riedel, Marcella Roddewig, Rainer Stiller, Winfried Wehle, Karl Witte, Deutsche Dante-Gesellschaft.
© Stefan Winckler