Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Auf der Suche nach einem deutschen Dante

Dante Alighieri war anlässlich seines 700. Todestages im Jahre 2021 Thema der NON NOBIS-Sommerausgabe. Unterschiedlichste Medien nahmen den Gedenktag zum Anlass, um Dante zu untersuchen oder zu würdigen. Vieles gäbe es über seine staatsphilosophische Abhandlung Monarchia zu schreiben, doch weit stärker ist es seine umfangreiche literarische Jenseitswanderung Divina Commedia, die in der Gegenwart das Interesse auf sich zieht, z.B. in der Fachvereinigung Deutsche Dante Gesellschaft.
Im Zusammenhang mit Dante und seiner Zeit war eine Forschungsfrage nicht oder jedenfalls kaum zu vernehmen: Gibt es eine Art „deutschen Dante“, der dem Florentiner vielleicht im Umfang der literarischen Produktion, also quantitativ, ähnlich gewesen wäre und die Sünder entsprechend der christlichen Morallehre ebenfalls beim Namen nannte?
Niemand wird hierzulande als Gegenstück zu Dante bezeichnet bzw. gewürdigt. Es wäre angesichts von Dantes Leistung auch gewagt, vielleicht anmaßend. Dennoch verdient es ein Dichter, eingehend betrachtet zu werden: Hugo von Trimberg. Das Graduiertenzentrum der Universität Bamburg Trimberg Research Academy trägt seinen Namen, darüber hinaus jeweils eine Grund- und Mittelschule in Bamberg und Niederwerrn. Aber ansonsten beschränkt sich sein Bekanntheitsgrad auf die Fachwelt. Im Jahre 2000 behandelte die Habilitationsschrift von Rudolf Kilian Weigand Hugos Hauptwerk: Der 'Renner' des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung (Wissensliteratur im Mittelalter, 35), Wiesbaden 2000. Weigand, ebenfalls ein Franke aus Gerolzhofen, wirkte als außerplanmäßiger Professor für und Leiter der Forschungsstelle für die geistliche Literatur des Mittelalters an der Katholischen Universität Eichstätt.
Hugo ist nicht zu verwechseln mit Süßkind von Trimberg, dem nahezu gleichaltrigen Spruchdichter: auch Suezkint von Trimberg (alte Schreibweise) war Franke. Hugo und Süßkind waren nicht miteinander verwandt.
Wenig ist über ihn bekannt. Während an Dantes Geburtsjahr 1265 und seinem Tierkreiszeichen (Zwillinge) kein Zweifel besteht, liegt Hugos Geburtsjahr im Dunkeln. „Um 1230“ oder auch 1235 ist nachzulesen. Der Geburtsort Niederwerrn bei Schweinfurt steht dagegen außer Frage, und auch der Ort seiner Schulmeistertätigkeit, den Stift St. Gangolf in (Bamberg-)Theuerstadt ist nachgewiesen. Dante verstarb am 14. September 1321, während Hugos Sterbejahr vage mit „nach 1313“ angegeben wird. Wie Dante hatte er eine Familie zu ernähren, seine finanziellen Mittel hielten sich in Grenzen.
Bemerkenswert und eher untypisch für das damalige Zeitalter ist: Die beiden herausragenden Denker und Dichter Hugo und Dante waren Laien, sprich: keine Mönche. .
Bei allen Unterschieden zu Dante ist Hugo vonTrimberg mit einem ebenfalls riesigen Hauptwerk in die christlich-spätmittelalterliche Literaturgeschichte eingegangen: Sein mittelhochdeutsches Traktat „Der Renner“ umfasst ca. 24.000, nach anderen Angaben sogar über 25.000 oder 26.000 Verse. Die Commedia, als Göttliche Komödie auch im deutschen Sprachraum vielfach übersetzt, enthält 14.000 Verse.
Die Commedia ist in Dantes Volkssprache (florentiner Italienisch) geschrieben, Hugo verfasste den Renner ebenfalls in der Volkssprache Mittelhochdeutsch. Andere Schriften Dantes und Hugos sind auf Latein geschrieben.  Dante nannte sein opus magnum schlicht „Commedia“, weil es vom Schlechten zum Guten führt. Der Zusatz „Divina“ (göttlich) stammt von dem Dante-Verehrer und – Landsmann und -Biografen Boccaccio. Auch Hugo nannte sein gigantisches Hauptwerk nicht „Der Renner“. Vielmehr geht diese Namensgebung auf den Würzburger Protonotar Michael de Leone zurück, der unter „rennen“ das „Hineilen auf das Gottesreich durch besseres Erkennen Gottes“ (Miekisch a.a.O., S. 7) meinte. Mit Recht ließe sich aber auch Dante „Commedia“ als Wegbeschreibung zu Gott auffasen: vom Wald, in dem sich der Erzähler verirrt hat, über das Inferno und den Läuterungsberg in das Paradies, wo am ende die liebe Gottes „bewegt Sonn' und Sterne“. Auch Hugo beschreibt einen Gang: bei ihm ist es kein Wald, sondern eine blümenübersäte Heide (die Menschheit bzw. Adam) mit einem Birnbaum (Eva), dessen Früchte (die Seelen) in die Dornen  (Hochmut), einen Brunnen (Geiz) und eine Wasserlache (Völlerei) sowie die übrigen Sünden (Unkeuschheit, Neid, Trägheit, Zorn) fallen, also an die Untugenden verlorengehen. Hochmut kann Angehörige aller Schichten befallen. Im folgenden untersucht er einzelne Gruppen und Stände der damaligen Gesellschaft.  Als gute Charaktere nennt er die „edlen Herren“ wie etwa Walter von der Vogelweide und Otto von der Botenlaube, deren Lieder die Sünder vergessen hätten.
Während Dante in der Göttliche Komödie die Sünder in einem vielgestaltigen Inferno büßen lässt, geißelt auch Hugo die Untugenden seiner Epoche: allerdings keine Einzelpersonen, sondern verschiedene Gruppen: Bauern, Ritter, Adelige, Frauen.  Damit will er sie belehren, den falschen Weg aufzugeben und den richtigen einzuschlagen.
Wie die „Göttliche Komödie“ wirkte auch der „Renner“ in den Jahrzehnten nach seiner Entstehung.  70 Handschriften des Renners sind überliefert. Im Jahre 1549 wurde er erstmalig gedruckt. Nach der Edition durch den Bamberger Historischen Verein setzte allmählich die wissenschaftliche Erforschung ein: Im Jahre 1856 verfasste Karl Janicke seine Dissertation über Leben und Schriften Hugo von Trimbergs, 1884 folgte eine weitere Promotionsarbeit übr Autor und Hauptwerk, im 20. Jahrhundert war der „Renner“ wiederholt Thema der Forschung. Auch Dante war im 19. Jahrhundert gerade auch im deutschen Sprachraum – und noch weit stärker als Hugo – Gegenstand der Wissenschaften – Karl Witte, Franz X. Wegele und Giovanni Andrea Scartazzini (deren Dante-Biographien unter google.books vollständig und kostenfrei nachgelesen werden können) haben im deutschen Sprachraum die wichtigsten Beiträge dazu geleistet. Auch die Gründung der Deutschen Dante-Gesellschaft steht in diesen Zusammenhang.
Dante versuchte mit seiner volkssprachlich abgefassten Abhandlung Convivio („Das Gastmahl“) die Grundlagen der antiken und abendländischen Philosophie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Auch Hugo beabsichtigte, philosophische Erkenntnisse an eine relativ breite Öffentlichkeit weiter zu leiten:
Kirchenkritik
Dante griff das Papsttum an, in Person der Päpste Bonifaz und Klemens V.
Hugo wandte sich gegen den Ablasshandel
Sowohl Dante als auch Hugo standen zur kirchlichen Lehre. Ihre Ablehnung galt bestimmten Klerikern.

Fazit

Wenn auch Hugo von Trimberg nicht an Dante heranreicht, so ist er doch einer der produktivsten Autoren des Spätmittelalters mit einem interessanten Hauptwerk gewesen. Die Unterschiede des Renners zur Göttlichen Komödie liegen auf der Hand. Hugo von Trimberg gibt zu, dass seine „Dichtkunst“ rechr beschränkt war. In der Allgemeinen Deutschen Biografie geht der Richard M. Meyer noch viel weiter: „Aber der alte Dichter ist völlig außer Stande, seinen „Renner“ zu bemeistern; der läuft, wie er selbst klagt, nach Willkür seinen eigenen Weg. Hugo kommt fortwährend vom Hundertsten ins Tausendste, wiederholt sich, zum Theil wörtlich, und verwirrt sich; nie aber widerspricht er sich, denn seine Weltanschauung ist so einfach und fest, wie seine Disposition verworren und locker ist“ (https://de.wikisource.org/wiki/ADB:Hugo_von_Trimberg).
Eine Handlung kaum vorhanden, wohl aber eine etwas grimmige Bestandsaufnahme seiner Zeit: Welche Gruppe ist auf welche Weise der sieben Todsünden  Hochmut, Habgier, Unmäßigkeit, Völlerei, Zorn, Neid und Trägheit schuldig? Hugo und der „Renner“ waren zwar seit dem 19. Jahrhundert mehrfach wissenschaftlich untersucht worden, doch in weit niedrigerem Umfang als Dante und die Göttliche Komödie.
Quellen:
Gustav Ehrismann (Hrsg:) Der Renner von Hugo von Trimberg, 4 Bde., Tübingen 1908-1911.
Der renner : Hugo, von Trimberg, ca. 1230-ca. 1313 : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Hugo von Trimberg Der Renner 3 : Hugo von Trimberg : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
Hugo von Trimberg Der Renner 4 : Hugo von Trimberg : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive
(insgesamt 1354 Seiten)

 

Literatur

Hugo von Trimberg: Der Renner. Ausgewählt, erläutert und ins Neuhochdeutsche übersetzt von Horst Miekisch. Bamberg 2021 

 


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