Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Die ersten beiden Toten des Ersten Weltkriegs - Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg


Das Jahr 2014 steht im Zeichen eines hundertsten Jahrestages. Die Rede ist vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wir wollen hier der ersten beiden Opfer des "Großen Krieges" gedenken. Sie heißen Sophie von Hohenberg (geborene Chotek) und Franz Ferdinand von Österreich-Este.
War Franz Ferdinand die "hervorragendste Gestalt der herrschenden Dynastien in Europa im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts", wie ihn der englische Historiker Robert William Seton-Watson (ein Jugoslawenfreund und Habsburgerfeind!) nannte? Ein liberaler, fast demokratischer Gegenpol zur Hofburg und erst recht zum Deutschen Kaiserreich, wie der Regisseur Max Ophüls ihn  in seinem französischen Spielfilm "De Mayerling a Sarajevo" auftreten lässt? Oder doch der menschenverachtende, verbitterte Choleriker? Wie waren seine Reformpläne für die Monarchie beschaffen? War sein Ziel der Trialismus, also eine Aufwertung der slawischen Völker gegenüber den Deutschen und vor allem den Ungarn?
Franz Ferdinand wurde am 18. Dezember 1863 in Graz geboren. Sein Vater war der Bruder des Kaisers Franz Joseph, Erzherzog Karl Ludwig. Nichts deutete darauf hin, dass er Thronfolger werden sollte, bis Kronprinz Rudolf in Mayerling Selbstmord beging. Die Jahre danach waren der Vorbereitung auf das höchste Amt aber kaum dienlich, weil Franz Ferdinand unter Tuberkulose litt und sehr lange Kuraufenthalte bestreiten musste. Seine Zukunft war in Frage gestellt.
Franz Ferdinand war selbst für die seinerzeitigen Verhältnisse außerordentlich konservativ eingestellt. Im Grunde war der sehr fromme Thronfolger ein Exponent des Gottesgnadentums und eher im Neoabsolutismus verankert. Entscheidender Maßstab in der praktischen Politik war für ihn daher die Treue der Untertanen zur Dynastie. Er hasste die ungarischen Eliten, die sich auf Kosten "Wiens" ständig mehr Rechte für die östliche Reichshälfte anzumaßen versuchten und die die seiner Überzeugung nach Habsburg-treuen Völker der Slowaken, Rumänen und Kroaten unterdrückten. Seine Diagnose lässt sich nicht bestreiten: Die Magyarisierung war im Königreich Ungarn in vollem Gange, die meisten Schulen der Deutschen und Slawen dort wurden geschlossen. Vor allem die Kroaten hatten seine Sympathie.
Doch wie sollte das Kaisertum neu geordnet werden, um überhaupt weiterbestehen zu können? Auch wenn der Erzherzog unbeständig in seinen Einstellungen zu Reformplänen war, gab es eine Konstante: Er bevorzugte die Revision des 1867er Ausgleichs mit Ungarn. Das Magyarentum sollte zugunsten der Zentralgewalt in Wien zurückgestuft werden. Zumindest zeitweise favorisierte er in diesem Sinne die Konstruktion der "Vereinigten Staaten von Groß-Österreich", wie sie der Publizist Aurel Popovici zu Papier brachte. Das Reich sollte in ungefähr 15 national möglichst homogene, teilweise autonome Kantone aufgeteilt werden. Eine starke Zentralgewalt in Wien sollte den Dualismus Österreich-Ungarn ersetzen. Eine andere Möglichkeit, mit der er sympathisierte, war der Trialismus: Er dachte an ein südslawisches Königreich der Habsburger, das Kroatien mit Dalmatien und Bosnien-Herzegowina umfassen sollte, und das eine Ausstrahlung auf das wirtschaftlich schwächere Königreich Serbien gehabt hätte. Gleichzeitig wäre Kroatien von der bisherigen ungarischen Vorherrschaft gelöst worden. Ob es Franz Ferdinand gelungen wäre, sich durchzusetzen, wenn Franz Joseph vielleicht im Jahre 1912 verstorben wäre? Das bleibt allerdings zweifelhaft. Vor allem, aber nicht nur die Ungarn hätten sich unverzüglich dagegen gesperrt. Auch in Österreich war Franz Ferdinand nicht beliebt (er verzichtete vollkommen auf Öffentlichkeitsarbeit, was seine vorkonstitutionelle Einstellung belegen hilft). Und selbst, wenn er ein neues Kaisertum Österreich eingeleitet hätte, wären die Erwartungen bei vielen Völkern zu hoch gewesen. Meines Erachtens war Franz Ferdinand zu sehr von neoabsolutistischen, vor-konstitutionellen Einstellungen geprägt, als dass er die großen Fragen der Demokratisierung, der Freiheit und der sozialen Herausforderung auch nur in Angriff genommen hätte.
Bezeichnend für seinen Konservatismus war die Einstellung zu Italien. Auch wenn es sich bei diesem Nationalstaat um ein Königreich handelte, war ihm der Staat geradezu verhasst, weil er dort die Freimaurer an der Macht glaubte und ihm, dem papsttreuen Katholiken, die Feindschaft zwischen dem Vatikan und dem Quirinalspalast bewusst war. Als Gefühlsmensch, der er war, verzichtete er auf jegliche Italienreise und besuchte nicht einmal seinen ererbten Besitz Este bei Modena.
Während sich Franz Ferdinand im Dienst oft wütend und hasserfüllt zeigte, war er ein vorbildlicher Familienvater. Er hatte bei einem Empfang des Statthalters in Prag 1894 die Tochter eines im Grafenstand befindlichen böhmischen Diplomaten in kaiserlich-österreichischen  Diensten, Sophie von Chotek (Jahrgang 1868), kennengelernt.  Als die heimliche Verbindung aufflog, setzte er alles daran, Sophie zu heiraten. Nach den seinerzeitigen Bestimmungen des Hauses Habsburg-Lothringen wäre nur eine Braut aus einer regierenden europäischen Dynastie in Frage gekommen. Es bedurfte viel seelischer Kraft, bis sich das Paar gegen Kaiser Franz Joseph durchsetzen konnte. 1900 heiratete Franz Ferdinand seine Geliebte, verbunden mit einigen harten Bedingungen in Bezug auf das Habsburg-lothringische Erbe ("morganatische Ehe"). Dennoch war das Paar zahlreichen Demütigungen durch den Oberhofmeister Alfred von Montenuovo ausgesetzt. Auch deswegen hielt es sich so oft es ging in seinem ländlichen Schloss Konopischt unweit von Prag auf.
Das Pistolenattentat erfolgte am 28. Juni 1914, dem St. Veits-Tag, in Sarajewo, wo Franz Ferdinand als Generalinspekteur der Streitkräfte zu einem Manöver geladen war. Während Franz Ferdinand - von den nationalen Serben fälschlicherweise als Kriegstreiber eingeschätzt! - und Sophie wohl eher an ihren bevorstehenden 14. Hochzeitstag dachten, war der 28. Juni für die Serben ein symbolträchtiger historischer Tag: das Datum der national bedeutsamen ersten Schlacht auf dem Amselfeld. Eben dies dürfte serbische Nationalisten zusätzlich provoziert haben.
Franz Ferdinand ist an der Seite seiner Frau in der Schlosskapelle zu Artstetten in der Wachau begraben. Die letzte Ruhestätte für sich und seine Frau hatte er zu Lebzeiten errichten lassen, da die Kapuzinergruft als Grablege der Herrscher Österreichs wegen der "Unebenbürtigkeit" seiner Frau nicht in Frage kam.
Der Attentäter Gavrilo Princip, der als Minderjähriger (19 Jahre) dem Todesurteil entkam, verfügte über hochrangige Hintermänner in Belgrad: den groß-serbischen Geheimbund "Schwarze Hand". Er verstarb in der Kleinen Festung Theresienstadt aufgrund der sehr schlechten Haftbedingungen an Tuberkulose noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Er sagte nach der Verhaftung aus, dass er keineswegs die Absicht hatte, auch Sophie zu töten.
Der Nachlass Franz Ferdinands befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien.
Das Auto, in dem Franz Ferdinand und Sophie starben, ist ebenso wie die blutbefleckte Uniform des Erzherzogs im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien zu sehen.  Schloss Artstetten ist im Besitz der Urenkelin Franz Ferdinands, Anita Hohenberg und kann besichtigt werden. Eine Gedenkfeier ist dort für den 28. Juni 2014 geplant.
Mehr Besucher hat Schloss Konopiště/Konopischt, etwa 40 Kilometer südlich von Prag. Eine Brauerei nahe Konopischt produziert seit Jahren wieder das Ferdinand-Bier, das explizit nach dem einstigen Besitzer benannt ist. Das Restaurant in der Nähe des Schlosses beruft sich in der Speisekarte auf die "alte Zeit", unter anderem mit der "belegte Platte, die beim Besuch Kaiser Wilhelms II. in Konopiště 1914 serviert wurde", oder dem "Hasen in Sahne a la Kaiserin Elisabeth".  Ein Gedenkgottesdienst für Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg wird am 28. Juni 2014 vom Prager Erzbischof Dominik Kardinal Duka zelebriert.
Im Königreich Jugoslawien und unter Tito galt Princip offiziell als Held. Und heute? Uns ist nicht nur die serbische Kriegführung im Jugoslawien-Krieg v.a. in Kroatien und Bosnien in trauriger Erinnerung. In Belgrad und im serbischen Teil Sarajewo ist nach Zeitungsberichten vom 23. Januar 2014 die Errichtung eines Denkmals für den Mörder Gavrilo Princip geplant. Auftraggeber ist die serbische Regierung. Die Nachricht über das Vorhaben ging kam nur zwei Tage nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen Serbiens mit der EU an die Öffentlichkeit. Es fällt maßgeblichen serbischen Kreisen offenbar schwer, sich aus vergangenen Zusammenhängen zu lösen und aus der Geschichte zu lernen. Wohltuend hingegen der Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Cerić , in einer ORF 2-Sendung: "Die Ermordung des Thronfolgers war keine Heldentat, sondern ein Akt der Feigheit. Denn Gavrilo Princip war ganauso ein Terrorist wie jeder andere, der Leute umbringt".


Literatur:
Jean-Paul Bled: Der eigensinnige Thronfolger. Wien 2013
Alma Hannig: Franz Ferdinand. Die Biografie. Wien 2013
Anita Hohenberg: Er war mein Urgroßvater. Wien 2013
Ludwig Winder: Der Thronfolger. Roman. Wien 2014 (Erstauflage 1935)

www.schloss-artstetten.at
www.konopiste.cz/de

© Stefan Winckler



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