Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Komptente Papstgeschichtsschreibung


Auf eine 543-Seiten-Monografie von Georg Schwaiger unter dem Titel „Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert“ sei an dieser Stelle hingewiesen. Aus mehrfachen Grund: zum einen liegen in jedem besseren Buchladen Bände über (oder von) Papst Franziskus aus, und auch über Benedikt XVI. konnte sich der geneigte Leser anhand seiner wieder ausgelegten Schriften („Einführung in das Christentum“) und anhand neuer Biographien, etwa von Andreas Englisch, eingehend informieren. Andererseits erlebte der interessierte Beobachter nur ein Jahr nach den gefüllten Büchertischen voller papstfreundlicher Literatur im Jahre 2006/07 eine Welle des Atheismus, angeführt von Richard Dawkins.
Wer sich über Päpste informieren will und dabei hohe Ansprüche stellt, sei eine 543-Seiten-Monografie unter dem Titel „Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert“ von Georg Schwaiger empfohlen, erschienen 1999 bei C.H. Beck in München. Im Gegensatz zu Autoren wie etwa der frontal das Christentum angreifende Karlheinz Deschner und den Kritikern Pius XII. wie Rolf Hochhuth, David Yallop und vielen anderen verfügt er dieser Autor als Professor über die höchstmögliche berufssoziologische Kompetenz, da er an einer Universität nicht  nur diesbezüglich geprüft wurde, sondern die Lehrbefugnis im Fach Katholische Theologie – seit 1971! – innehat. Aus diesem Grund entwickelt er keine publikumswirksamen Anklagen oder Verschwörungstheorien, sondern wägt sorgfältig an, was dem jeweiligen Papst angesichts seiner Persönlichkeit, seiner Umgebung und den innerkirchlichen wie weltlichen Gegebenheiten möglich war. So erfüllt er beispielhaft den Grundsatz, wonach der Historiker nicht Ankläger, Verteidiger und auch nicht Richter sein kann, sondern eher der intellektuelle „Spürhund“, der ermittelt, was aus welchen Gründen gewesen war. Zentrale Fragestellungen betreffen die theologische Ausrichtung und die politische Wirkung. Nicht zu kurz kommen auch Jugend auch Werdegang des jeweiligen Pontifex Maximus. So bekommt der Leser ein facettenreiches, sicher eher wohlwollendes, aber kein völlig einseitiges Bild von den Päpsten des vergangenen Jahrhunderts, von Leo XIII. bis Johannes Paul II. Beispielsweise wird herausgearbeitet, dass der weitsichtige, der modernen Wissenschaft relativ aufgeschlossene Papst Leo XIII (1878-1903) am Ende seines Lebens weit stärker reaktionär dachte, als es seinem Ruf entspricht.
Andererseits sei sein Nachfolger Pius X. (1903-14), als Widersacher des Modernismus bekannt, dank seiner Bemühungen um „innerkirchliche Erneuerung“ einer der „bedeutendsten Reformer der Papstgeschichte“ (S. 119) gewesen.  Verdienstvoll ist es, eine größere Leserschaft mit Benedikt XV. (1914-22) und seinen Friedensbemühungen während des Ersten Weltkriegs vertraut zu machen. Der scharfe Gegensatz zwischen Konservatismus (insbesondere dem katholischen Konservatismus) und dem Nationalsozialismus wird rasch deutlich am Porträt von Pius XI. (1922-39) und seinen wiederholten Protest gegen die Konkordatsverletzungen durch Hitlers Regime. Pius XII. (1939-58) erscheint – ähnlich wie bei Guido Knopps quellenkritischer und erfreulich zitatenreicher Einführung „Vatikan – die Macht der Päpste“ – nicht als der herzlose, gar judenfeindliche „Schweiger“, als den ihn etwa John Cornwell ("Hitler's Pope") zeichnet, sondern als tatkräftiger Diplomat: Er zog zahlreiche „stille“ Hilfsmaßnahmen vor, nachdem auf zahlreiche kirchliche Verlautbarungen erfahrungsgemäß um so stärkere NS-Repressalien folgten. Freilich, man kann darüber streiten. Aber die Tatsache, dass der Autor Hitlers Herrschaft noch erlebte, bewahrt ihn vor unwissenschaftlichen, besserwisserischen Spekulationen. Mit anderen Worten: Schwaigers Mahnung, nicht von der sicheren Warte des nachgeborenen über das Leben in totalitären Regimen zu richten, verdient gerade auch angesichts seiner eigenen Erfahrungen (er ist Jg. 1925) höchste Aufmerksamkeit.
Großen Respekt nötigt der Anmerkungsapparat ab: 1243 Endnoten unterschiedlicher Länge mit ein paar tausend Quellen- und Literaturangaben bieten nicht nur belege, sondern auch biografische Daten und Zitaten. Das Werk ist in einer leicht verständlichen Sprache für einen weiten Leserkreis verfasst und macht die Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte zu einem durchaus spannenden Erlebnis.


Georg Schwaiger: Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck, 1999


© Stefan Winckler


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