Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

 Vor 400 Jahren: Kaiser Rudolf II. verstorben


Nein, er war kein großer Staatsmann. Rudolf II. (1552-1612) musste andere  Qualitäten haben, die ihn auch heute noch, 400 Jahre nach seinem Tode, zu einem der bekannteren römisch-deutschen Kaiser machen, um nicht zu sagen: zur Legende. Es gab offensichtlich Eigenheiten, die ihn aus der Gruppe der anderen gekrönten Häupter aufragen lassen (wer kann heute überhaupt etwas über spätere Habsburger wie Ferdinand  II.  sagen?). Der Erzbischof von Prag zelebrierte am 20. Januar 2012 ein Requiem zu seinem Andenken, die tschechische Nationalbank brachte eine Gedenkmünze für Rudolf heraus, die Wochenzeitung „Die Zeit“[1] (sonst wenig an der frühen Neuzeit interessiert) veröffentlichte dem gelungenen Artikel. Schon vor sieben Jahren wählte ihn das tschechische Fernsehpublikum in die Liste der hundert größten Böhmen (an die Spitze: Kaiser Karl IV.), und auch in deutschen Veröffentlichungen ist stets ein Hinweis auf die sehr große Begabung Rudolfs vorhanden.  Dass eine überregional erfolgreiche Brauerei, 1583 von ihm gekauft, sich seit etwa 20 Jahren auf ihn beruft (Krušovice „Imperial“) und auch ein edles Restaurant nahe Pilsen  nach ihm benannt ist, zeigt auf, dass sein Ruf alles andere als schlecht ist, und seine posthume Wirkung größer ist als der seiner Nachfolger.
Rudolf trug den Namen des Königs Rudolf von Habsburg. Sein Vater war Maximilian II., ein interessanter und viel zu wenig beachteter Regent, der sich um eine Kirchenreform bis hin zur Versöhnung von Katholizismus und Protestantismus stark machte. Dessen verständnisvolle Einstellung gegenüber den Lutheranern bewog seine Ehefrau, Rudolfs Mutter, die Söhne Rudolf und Ernst in das katholische Spanien zu entsenden, um sie reformatorischem Einfluss zu entziehen (es handelte sich um Maria, Cousine ihres Ehemanns Max, aus der spanischen Linie der Habsburger stammend). Der Madrid-Aufenthalt, von dem fast nichts überliefert ist, datiert von 1563  bis 1571. Diese Jugenderlebnisse, bis hin zu Inquisition und Cousin Don Carlos‘ rätselhaftem Tod, mögen Rudolf wesentlich geprägt haben. 1575 erhielt er die Krone Böhmens (vier Millionen Einwohner, mehrheitlich deutsch sprechend), im gleichen Jahr war er römisch-deutscher König und 1576 deutscher Kaiser (seine ungarische Königkrone können wir hier vernachlässigen, weil Ungarn größtenteils unter türkischer Herrschaft stand).
Wesentlich für sein weiteres Leben war die Entscheidung 1583 die Residenz von seinem Geburtsort Wien nach Prag zu verlegen. Nicht abwegig, schließlich war er böhmischer König. Aber auch Konflikte am Hof und vor allem die nahe Grenze zum Osmanischen Reich können ihn bewogen haben, von der Donau an die Moldau zu ziehen. Ein Kaiser konnte in jener Zeit ohnehin nur sehr wenig im Heiligen Römischen Reich bewegen (Rudolf versuchte einiges in den ersten Jahren seiner Herrschaft) – es kam vielmehr auf die Hausmacht an. Allerdings war in jener vorabsolutistischen Epoche auf die Stände Rücksicht zu nehmen.
Von 1591 bis 1606 entbrannten erneut die Türkenkriege. Rudolf hatte die Idee, sich mit Russland und Persien zu verbünden, um das Osmanische Reich von Osten her unter Druck zu setzen. Kaum eine rein militärische Tat Rudolfs ist nachgewiesen.
Einen Namen machte sich Rudolf, die europäischen Monarchen an Bildung weit übertreffend,  dagegen als Förderer der Wissenschaften und der Künste – Welten, in die er geradezu flüchtete.  So fühlte er sich von den Geisteswissenschaften und der Dichtung, mehr aber noch von den Naturwissenschaften angezogen. Die Astronomie, in jener Zeit noch mit der Astrologie verknüpft, faszinierte ihn sehr (daher auch sein Wahlspruch: es leuchtet des Kaisers Gestirn). Er holte die besten Astronomen nach Prag: Tycho Brahe und Johannes Kepler. Nicht ohne Grund benannte Kepler seine Tabellen über die Bewegung der Planeten „Rudolfinische Tafeln“. Der Kaiser hielt sich selbst viele Stunden in Labor und Sternwarte auf.   Es war eine vor-rationalistische Epoche, in der nicht nur Horoskope hoch in Kurs standen (auch Zeitgenosse Shakespeare schrieb hier und da von Einflüssen der Planeten auf den Menschen), sondern auch die Alchemie. Hieran war Rudolf stark interessiert, zumal die Umwandlung von Blei in Gold die Erwartungen beflügelte.
Rabbi Löw war ein Gesprächspartner – eine Zusammenkunft ist nachgewiesen. Mit wem der wissbegierige, mehrere Sprachen fließend beherrschende Rudolf zusammenkam, und wie oft dies geschah, wurde nicht immer dokumentiert: amtliche Akte haben seit jeher Vorrang in den Kanzleien.
Rudolf wandte sich auch der kunstgewerblichen Arbeit, insbesondere dem Goldschmiedehandwerk zu; mancher gefertigte Gegenstand geht auf seinen Entwurf zurück. Künstler wie Giuseppe Arcimboldo (berühmt durch sein Gemälde, das des Kaisers Gesicht aus einer Anzahl Früchten zusammengesetzt erscheinen lässt), Hans van Aachen und gerade auch viele Niederländer wirkten an seinem Hof. Kuriositäten und wertvolle Sammelstücke, Münzen und Handschriften erwarb er in großen Mengen. Ein Teil dieser Sammlungen, die europäische Spitzenklasse bedeuteten, wurde im Dreißigjährigen Krieg durch Sachsen und Schweden verschleppt. Erhebliche Bestände sind im Kunsthistorischen Museum zu Wien zu besichtigen. In seinen Gärten tummelte sich manches exotische Getier, blühten Pflanzen fremder Herkunft.
Es war dieses unablässige Sammeln und das übergroße Interesse, das zum Stocken der Staatsgeschäfte führte. Mochte das Interesse an Kunst und Kuriositäten manische Züge angenommen haben, so wirkte Rudolfs Rückzug von der Politik gerade als Hinweis auf Depressionen. In späteren Jahren, speziell nach 1598, mussten Diplomaten auf eine Audienz warten, und nur mit größter Mühe waren Unterschriften von ihm zu erlangen (dies förderte die Macht der Kammerdiener, die den Zugang zu Rudolf kontrollierten). So vieles lag ihm am Herzen: um Fischteiche anzulegen, ließ er einen Kanal über eine Strecke von zweieinhalb Kilometer unter einem Hügel graben (im 19. Jahrhundert noch gut genug für die Wasserversorgung Prags). Würden wir heute nicht von Verzettelung reden?
Im Zusammenhang mit Rudolf wird in der Regel über Krankheit gesprochen. Stets in spanischer Hoftracht schwarz gekleidet, anfangs freundlich und milde, später zunehmend distanziert, schweigsam und zurückgezogen, von größter Empfindlichkeit gegenüber allem Ungewohnten, belastete er speziell in seinen letzten Lebensjahren seine Umgebung durch Tobsucht. Begründetes Misstrauen steigerte sich in Verfolgungswahn. Als Kind von Cousin und Cousine, die auch über andere Herkunftslinien möglicherweise zusätzlich miteinander verwandt waren, waren Rudolfs Erbanlagen nicht die besten. Eindeutig geisteskrank war sein Sohn Julius von Österreich, der in Český Krumlov/ Böhmisch Krumau einen bestialischen Mord an einer von ihm begehrten Frau beging. Die Nachricht darüber und der bald folgende Tod dieses Nachkommen dürften die geistige Gesundheit Rudolfs endgültig ruiniert haben. Es ist aber gleichzeitig zu bedenken, dass Gerüchte über Wahn und Regierungsunfähigkeit gezielt von seinen Feinden, nicht zuletzt seinem farblosen Bruder Mathias aus Gründen des Machtgewinns gestreut wurden. Franz Grillparzer hat den Kampf in seinem Drama „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg“ verewigt.
Rudolf II. verstarb am 20. Januar 1612.  Er ist im Veitsdom zu Prag begraben, wo er auch seine Eltern und Großeltern bestatten ließ. Einer arrangierten Ehe mit einer Cousine ging er aus dem Weg, er blieb vielmehr unverheiratet. Rudolf hinterließ mehrere uneheliche Kinder.


Literatur:


Felix Stieve: Rudolf II. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 29, Leipzig 1889, S. 493-515.
http://www.bgzehnwn.ac.at/rudolf/

[1] Peter Rawert: Ein Traum aus Kunst und Magie. In: Die Zeit, 20.1.2012.
Berthold Seewald: Für eine Erotik-Sammlung gab er ein Kaiserreich. In: Die Welt, 20.1.2012.


© Stefan Winckler

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