Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

 Vor 50 Jahren: Historische Versöhnung von römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche


Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras (1886-1972) hatte sich bereits als Metropolit von Korfu (1922) und als Erzbischof für Nord- und Südamerika derart (auch politisch) ausgezeichnet, dass er anschließend das Amt des Patriarchen von Konstantinopel übernehmen konnte – und US-Präsident Harry S. Truman ihm das Präsidentenflugzeug für die Reise zur Verfügung stellte. Sein vielleicht grösstes Geschick zeigte Athenagoras, ein vorzüglicher Diplomat, in Bezug auf die Ökumene. Er kannte Angelo Kardinal Roncalli aus dessen Zeit als Apostolischer Delegat in Istanbul gut genug, um dessen Wahl zum Papst (Johannes XXIII., 1958) mit den Worten zu begrüßen: „Es ward ein Mensch von Gott gesandt, und dessen Name war Johannes“. Umso mehr befürwortete er die Einberufung des zweiten Vatikanischen Konzils. Wie er dem deutschen Schriftsteller Hubertus Prinz zu Löwenstein seinerzeit, 1962, bekannte, ginge es „jetzt um die Schaffung einer wirklichen Gemeinschaft aller Christen“: „Oft haben die Theologen uns getrennt. Nun wollen wir uns verständigen. Mit der Begründung sollen sich die Theologen nachher befassen.“ Diese Einstellung entsprach im Grunde dem erklärten Wunsch Johannes‘ nach Einheit der Christen. Auf die Frage Löwensteins, ob Athenagoras ein „persönliches Treffen mit dem Papst in Erwägung ziehen wolle“, antwortete der Patriarch: „Ich würde sehr gerne den Heiligen Vater treffen“. Die Stellung des Papstes zog der griechisch-orthodoxe Kirchenfürst demnach nicht in Zweifel, im Gegenteil: „Er ist der erste Bischof der Christenheit, so steht es im kanonischen Recht seit bald 2000 Jahren (er selbst ist als Patriarch von Konstantinopel der Primus inter Pares innerhalb der griechischen Orthodoxie). Einen eventuellen Dissens in Bezug auf das Glaubensbekenntnis („Filioque“: geht der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn aus?“) zwischen römischen Katholiken und Orthodoxen verurteilte er: „Die Frage ist für mich längst gelöst, und zwar durch die Unionsformel, angenommen auf dem Konzil von Ferrara und Florenz im Jahre 1439. Wenn gewisse Kreise des niederen Klerus und des Volkes aus Vorurteilen und nationalistischen Ressentiments das Abkommen später zerrissen haben, so berührt mich, das Oberhaupt der orthodoxen Kirche, das in keiner Weise“.
Löwenstein übermittelte ein Protokoll seiner Unterredung dem Kurienkardinal Augustin Bea, einem Deutschen. Mit ihm kam er überein, dass sich Papst und Patriarch am besten in einem Kloster als Gleiche unter Gleichen treffen sollten, um protokollarische Schwierigkeiten zu vermeiden. Ein Bericht über das Gespräch ging - über Umwege - an den Papst. Währenddessen konnte Löwenstein erneut von Athenagoras empfangen werden, der den Deutschen sogar als Sonderbotschafter in dieser Angelegenheit für die Gespräche mit Bea ernannte - ein exzellenter Vertrauensbeweis. In diesem Zusammenhang stellte Athenagoras fest: "Das Tor, das der Papst aufgemacht hat, kann nie wieder geschlossen werden. Wir erkennen den Papst als den ersten Bischof der Christenheit an, und wir sind bereit, uns seiner Führung anzuschließen". Eine Begegnung zwischen Athenagoras und Papst Johannes XXIII. kam nicht mehr zustande. Der Papst starb Juni 1963. Sein Nachfolger Paul VI. erklärte sehr rasch nach seinem Amtsantritt, eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternehmen zu wollen (ein revolutionärer Entschluss, denn selbst die Bahnfahrt Johannes XXIII. nach Assisi 1962 galt als Sensation). Umfangreiche organisatorische Vorbereitungen waren in kurzer Zeit zu treffen. In der geteilten Stadt Jerusalem umarmten sich Paul und Athenagoras brüderlich und beendeten so die gegenseitige Verfluchung, die 1965 ""offiziell" aufgehoben wurde. Es war das erste Treffen von Papst und Patriarch seit 1439. Der russische Patriarch begrüßte die Begegnung, während der orthodoxe Erzbischof von Athen sie heftig ablehnte. Der Präsident Zyperns, Erzbischof Makarios, stand auf der Seite von Athenagoras.
Die Bemühungen zur Annäherung von römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche fanden 1967 eine Fortsetzung in der gemeinsamen Erklärung von Paul VI. und Athenagoras anlässlich ihrer erneuten Treffen in Istanbul (Juli) und Rom (Oktober). Beide stimmten überein, dass der Weg zur Einheit aller Christen lang sei, dass Klärungsbedarf und Hindernisse noch bestehen. Die Einheit im Glaubensbekenntnis sei notwendig für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft, doch betrachteten sich die beiden Konfessionen erfreulicherweise als Schwesterkirchen. Eine Zusammenarbeit sei anzustreben, und zwar in Form "regelmäßiger und tiefer Kontakte zwischen kath. und orth. Pfarrern für das Wohl ihrer Gläubigen". Probleme, wie solche mit gemischt-konfessionellen Ehen, sollen gelöst werden. Mehrere Briefwechsel folgten, der letzte im Juni 1972, fünf Wochen vor Athenagoras' Tod, den Paul VI. im Übrigen mit "geliebter Bruder" und "Eure Heiligkeit" anredete.
Symbolische Politik kann viel bewirken. Eine Geste ist daher besonders hervorzuheben: Der Papst gab den Griechen 1964 den Schädel des gerade für die Ostkirche so bedeutsamen Apostels Andreas zurück, den Kreuzfahrer 1204 in Konstantinopel geraubt hatten und den der Metropolit von Patras höflich erbeten hatte. Auch dies geschah dank Kardinal Beas Vermittlung.


Literatur


Hubertus Prinz zu Löwenstein: Botschafter ohne Auftrag. Düsseldorf 1972, S. 323-328.
Patrice Mahieu: Paul VI et le Orthodoxes. Paris 1972
Ernst Christof Suttner: Die Reliquien des heiligen Apostels Andreas und ihre Verehrung in Patras, Konstantinopel, Amalfi und Rom. http://nikowy.homepage.t-online.de/s_andrea.pdf
Briefe Pauls VI. an Athenagoras und gemeinsame Erklärungen von Papst und Patriarch: www.vatican.va, sowie die Artikel unter
http://www.spiegel.de/suche/index.html?suchbegriff=athenagoras und http://www.zeit.de/suche/index?q=athenagoras


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