Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Die Rechtsgutachten gegen den historischen Templerorden

Der Untergang des mittelalterlichen Templerordens ist vielfach Gegenstand wissenschaftlicher und populär orientierter Veröffentlichung geworden, auch der Roman „Die Templer“ von Ernst Sommer (1935) behandelt dieses Thema. Während die geschichtswissenschaftlichen Darstellungen richtigerweise König Philipp, seinen Kanzler Guillaume de Nogaret und den Papst auf der Täterseite als Akteure ausmachen, stellt sich die Frage nach deren Helfern, abgesehen von den Soldaten, den päpstlichen Legaten, den Verhörspezialisten, Anklägern und Richtern. Nachdem der Papst gefordert hatte, die Templer einer geistlichen Gerichtsbarkeit zu überantworten und nachdem Großmeister Jacques de Molay sein erstes (erzwungenes) Geständnis widerrief, besann sich der König auf seine Beziehungen zur Universität. Er legte den Doktoren der Theologie im Februar 1308 sieben Fragen vor:

„1., Darf ein weltlicher Herrscher auch ohne kirchliche Aufforderung gegen Häretiker vorgehen, wenn diese den Namen Gottes offenkundig lästern? 2., Darf ein weltlicher Herrscher ohne kirchliche Aufforderung gegen die Templer mit der Begründung vorgehen, daß sie (a) als Ritter nicht die kirchliche Immunität genießen oder (b) daß sie aufgrund ihrer abscheulichen Häresie das Privileg der Immunität verwirkt haben? 3., Darf der Orden verurteilt werden, nachdem über 500 Templer in Frankreich die Häresie eingestanden haben, ohne das Ergebnis des Verfahrens in anderen Königreichen abzuwarten? 4., Sollen Templer, die auf keinem Weg zu einem Geständnis zu bewegen sind, als katholisch gelten? 5., Soll der Orden wegen der wenigen Personen, die nicht geständig waren, aufrecht erhalten oder vielmehr wegen der überwiegenden Zahl der Geständnisse verdammt werden? 6., Darf der weltliche Fürst wegen der Häresie der Templer die Güter konfiszieren oder sind sie der Kirche und dem heiligen Land vorzubehalten? 7., Soll der Fürst oder die Kirche die Aufsicht über die Templergüter innehaben, wenn diese für die Sache des heiligen Landes vorbehalten bleiben? (S. 17f.).

Die Antwort der 14 Pariser Gelehrten (Namen und Ordenszugehörigkeit siehe S. 46f) vom 25.3.1308 setzte dem König massive Schranken. Offenbar ließen sich die Theologen nicht durch die frühere „Arbeitsbeziehungen“ mit Philipp (im Konflikt mit Papst Bonifaz) zugunsten der Krone beeinflussen. Sie erwiderten, dass der weltliche Fürst erstens Häretiker „ohne Aufforderung durch die Kirche weder ergreifen noch befragen noch bestrafen“ dürfe, es sei denn, es bestehe eine „offensichtliche und unverkennbare Gefahr“. Mehr noch: Der Fürst müsse auf die nachträgliche Autorisierung durch die Kirche hoffen können und müsse die Häretiker bei der nächstbesten Gelegenheit der Kirche übergeben. Zweitens mache das Gelöbnis die Tempelritter zu Mitgliedern eines geistlichen Ordens, daher seien ihre Verbrechen ausschließlich durch das geistliche Gericht zu untersuchen! Allerdings waren die Dozenten keine Fürsprecher der Angeklagten: Denn drittens bestehe zu recht aufgrund der Geständnisse u.a. des Großmeisters ein starker Ketzereiverdacht. Viertens: „Die nicht Geständigen sollen unter strenger Aufsicht bewacht werden, da auch gegen sie ein starker Verdacht besteht und da auf diese Weise eine Verbreitung der Häresie unterbunden werden kann“. Die letzte Antwort widersprach dem königlichen Begehren nach dem Kapital der Templer: Fünftens seien die Templergüter entsprechend ihrem eigentlichen Zweck der Rückgewinnung des Heiligen Landes zu widmen (S. 18f).

Diese Antwort in lateinischer Sprache ist in dem hier vorgestellten Buch vollständig wiedergegeben. Der Frage- und Antwortkatalog war der Forschung bislang keineswegs fremd, vielmehr ist Heinrich Finke 1907 in seinem Werk „Papsttum und Untergang des Templerordens“, Bd. 2 darauf eingegangen, samt auszugsweisem Abdruck (S. 102-107), ebenso sein Zeitgenosse George Lizerand in „Le dossier de l'affaire des Templiers“. Allerdings findet diese Debatte in den ausgesprochen detaillierten Darstellungen kaum Erwähnung.

Die beiden anderen Gutachten, verfasst von dem Pariser Dozenten Jean de Pouilly um 1309 sind in den hier vorgestellten Band erstmals vollständig editiert. Die erste Ausarbeitung erörtert, „ob dem Papst die Geheimnisse eines jeden Ordens enthüllt werden sollten“. Die zweite fragt, ob diejenigen, die ihre Geständnisse im Angesicht der Kirche widerrufen, als rückfällige Ketzer (heretici relapsi) zu behandeln seien (S. VI). Letzteres befürwortet er, alternativ stand die Verurteilung als „unbußfertige Häretiker“ zur Debatte (S. 47).

Die Doppelmonografie von Courtenay (Madison) und Ubl (Tübingen) ist wegen der Relevanz ihrer Fragestellung dem Experten zu empfehlen. Ein breiteres bildungsbürgerliches Publikum hingegen wird eine Inhaltsangabe der Gutachten in deutscher Sprache vermissen.

William J. Courtenay/Karl Ubl: Gelehrte Gutachten und königliche Politik im Templerprozeß. Hannover 2010

© Stefan Winckler

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