Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

 Jordan und Totes Meer 

Der Jordan ist einer der meist erwähnten Flüsse der Welt: in der Bibel wird er mehrfach aufgeführt. Im Alten Testament führt Moses sein Volk bis zum Ostufer. Seinem Nachfolger Josua bleibt es vorbehalten, die Israeliten über den Jordan in das gelobte Land zu führen (Josua 3, 1-17). Dieser Wasserlauf bildete in den folgenden Jahrhunderten die Ostgrenze des Königreichs Kanaan. Dem Neuen Testament zufolge wird Jesus im Jordan getauft (Mt 3,13-16). 

Was erfährt der Leser über den Jordan aus der Bibel? Löwen durchstreiften das Dickicht an seinem Ufer (Jer 49, 19). Offenbar war das Land seinerzeit keine völlig trockene Wüste, sondern durch natürliche Bewässerung reich an Flora und Fauna. Noch tausende Jahre später, während der Kreuzzüge, galt: Der Fluss führte genügend Wasser, um an seinen Ufern Bananen zu züchten; es handelte sich weniger um ein subtropisch-trockenes Gelände als um einen tropischen Landstrich in einer ansonsten wasserarmen Region (Vgl. Runciman, a.a.O., S. 319f).

Mehr noch: Für die Kreuzritter markierte der Jordan nicht nur die Grenze des christlichen Königreiches Jerusalem zum östlich gelegenen Emirat Damaskus. Der Jordan begünstigte die Verteidigung des Kreuzfahrerstaates, denn es gab keine Brücke und kaum eine Furt auf den 105 Kilometer Luftlinie vom See Genezareth zum Toten Meer.

Noch vor einigen Jahrzehnten war der Jordangraben, die am tiefsten gelegene Senke der Erdoberfläche, eine Art langgestreckte Oase. „Der niedrigste Fluss der Welt führte jährlich rund 1,4 Milliarden Kubikmeter Wasser. Fische und Otter tummelten sich darin, Leoparden labten sich an den Fluten. Über den Weiden am Ufer zogen zwei Mal im Jahr hunderte Millionen Wandervögel hinweg – schließlich liegt die Jordansenke auf der drittwichtigsten Zugvogel-Route der Erde. Der amerikanische Marine-Lieutenant William Francis Lynch, der 1848 die erste Expedition den Fluss entlang leitete, trieb auf seinen Booten mit einer Geschwindigkeit von elf Stundenkilometern Richtung Süden. Ein Mitglied der Expedition verlor in den Stromschnellen das Leben. Noch 1917 musste der britische General Edmund Allenby bei der Eroberung Palästinas eine hundert Meter lange Pontonbrücke errichten, um den Fluss passierbar zu machen“ (vgl. Tagesspiegel, a.a.O.).

Dies änderte sich allmählich mit dem Beginn des britischen Mandats nach dem Ersten Weltkrieg, dessen östliche Grenze von 1923 bis 1948 wiederum der Jordan war. Die Briten stauten die Jordan-Zuflüsse, so dass weniger Wasser den Jordan erreichte. Der Plan der UNO, das Mandatsgebiet zwischen Juden und Arabern aufzuteilen, enthielt keinen Vorschlag für die Wassernutzung. Nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg waren die Jordan-Anrainerstaaten Israel, Syrien und Jordanien verfeindet, so dass eine gemeinsame Wassernutzung ausgeschlossen war. Zugleich war ein innerarabischer Konflikt aufgetreten: das Königreich Transjordanien annektierte völkerrechtswidrig das Westjordanland und machte sich bei den dort lebenden Arabern wegen mancherlei Vernachlässigung wenig beliebt. Außerdem war zu berücksichtigen, dass das Quellgebiet des Jordan im libanesisch-syrischen Grenzgebiet liegt, und diese Staaten planten, von dort Wasser zu entnehmen (auch, um Israels Wirtschaft zu schaden). Von Jahr zu Jahr wuchs allerdings die Einwohnerzahl der Anrainerstaaten: in der arabischen Welt wegen der hohen Geburtenzahlen, in Israel wegen der wachsenden Einwanderung aus Übersee. Weniger bekannt, aber unbedingt zu berücksichtigen ist auch, dass die arabischen Staaten nach 1948 die dort lebenden orientalischen Juden vertrieben und diese nun in Israel eine neue Heimat aufbauen mussten.

Taufe im Jordan 

So entwickelte sich rasch neben dem Konflikt um Land und Menschen auch ein weniger beachteter Konflikt um das Wasser. Das UNO-Hilfswerk für die Palästinenser (UNRWA) schlug vor, Jordanien solle 360 Mio. Kubikmeter (45 Prozent), Israel 320 Mio. Kubikmeter (40 Prozent) und Syrien/Libanon zusammen 120 Mio. Kubikmeter (15 Prozent) Jordanwasser ableiten dürfen. Israel billigte diesen Plan, im Gegensatz zu den arabischen Staaten – denn ein Vertrag hätte die völkerrechtliche Anerkannung Israels bedeutet. Immerhin konnten sich Jordanien und Israel auf der Basis des Plans stillschweigend einigen. Gleichzeitig nahm mit der wirtschaftlichen Entwicklung die Entnahme aus dem (vollständig auf israelischem Gebiet gelegenen) See Genezareth zu.


Jordan 

Heute sind die Jordan-Zuflüsse, die Lynch beschrieb, durch Wasserentnahmen der verschiedenen Anrainer ausgetrocknet oder mit Abwasser gefüllt. Statt gurgelnder Stromschnellen ist der Jordan eine „Kloake, an den meisten Stellen nicht breiter als fünf Meter und höchstens 20 Zentimeter tief“ (vgl. Tagesspiegel, a.a.O.). Der Verfasser kann dies aus eigener Anschauung bestätigen. Der Abfluss beträgt in langjährigen Mittel sechs Kubikmeter pro Sekunde – zum Vergleich: das Volumen der Pegnitz in Nürnberg ist fast doppelt so hoch. Seit 1950 ist die Wassermenge des Jordans an seiner Mündung in das Tote Meer um 95 Prozent zurückgegangen. Von einst 1.300.000 Kubikmetern verblieben 6500 Kubikmeter.

1994 schlossen Israel und Jordanien Frieden, gleichzeitig formierte sich die Palästinensische Autonomiebehörde für die Araber im Westjordanland und dem Gazastreifen. Damit stellte sich auch die Frage neu, wie das Jordanwasser künftig genutzt werden kann, welche okönomischen Vor- und ökologischen Nachteile damit verbunden sind, und ob Streitigkeiten darum zu neuen Konflikten führen können.

Israel öffnete 2013 erstmals den Deganja-Damm, um mit Wasser aus dem See Genezareth das Bett des Jordan wieder aufzufüllen und zu reinigen. In den folgenden Jahren soll die Menge auf etwa 30 Milionen Kubikmeter gesteigert werden. Zwar hält der Naturschutz-Verbund Friends of the Earth eine weit höhere Wassermenge für nötig, doch kann diese Maßnahme auch als friedensförderndes Projekt betrachtet werden: Sa‘ad Abu Hammur, Leiter der Behörde für das Jordantal in Jordanien, erklärte, Jordanien arbeite hier mit Israel zusammen.

2015 starteten Israel, Jordanien und die Palästinensische Autonomiebehörde eine gemeinsame Initiative zur Rettung des Jordan. Dem regionalen Masterplan zufolge soll eine Wiederaufbereitungsanlage errichtet werden, die den Zulauf von ungeklärten israelischen und jordanischen Abwässern in den Jordan beenden soll. 127 nationale und regionale Einzelprojekte mit einem Gesamtvolumen von 4,5 Milliarden Dollar sollen das Jordantal bis 2050 zu einer „kooperativen, selbstbewussten und friedlichen Region mit gesunder Wirtschaft und starken Entwicklungsaussichten für die in ihr lebenden Menschen machen“, so der Masterplan. Zweifel sind allerdings angebracht, da in dem Papier von einem unabhängigen, gleichberechtigten Palästinenserstaat ausgegangen wird, der sich in absehbarer Zeit nicht formieren wird. Im August 2017 meldete das israelische Finanzministerium in Bezug auf eine Einleitung in den Jordan, die um 100 Millionen Neue Israelische Schekel (24,25 Mio. Euro) angeschwollenen Kosten nicht zahlen zu wollen. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit lassen neue Streitigkeiten um die Wassermengen erwarten, da sich möglicherweise die Palästinensische Autonomiebehörde die Gelegenheit nicht entgehen lässt, im Propagandakrieg mit Israel eine populistische „Wasser-Karte“ zu ziehen.

Das Tote Meer

Nach Aussagen des Alten Testaments war das Tote Meer seit Menschengedenken ein „Salzmeer“ (1. Mos 14,3; 4 Mos 34,3.12; 5 Mo 3,17; Jos 3, 16), das den Siedlungsraum der Israeliten nach Osten abgrenzte.

Die geringe Wasserführung des Jordan in Verbindung mit der hohen Verdunstung lässt das Tote Meer immer mehr schrumpfen. Seit etwa vier Jahrzehnten ist es in einen größeren, nördlichen und einen kleineren südlichen Salzsees geteilt. Der Wasserspiegel des Nordteils sinkt Jahr für Jahr um einen Meter ab, auch deswegen, weil Firmen Wasser entnehmen und zwecks Mineralienabbau in den salinenartig genutzten Südteil leiten. Dies bringt nicht nur Probleme für den Tourismus im Nordabschnitt – Pensionen und Lokale, die einst ufernah errichtet worden waren, sind heute oft an die zwei Kilometer vom Wasser entfernt. Mehr noch: Strandbesucher brechen zuweilen metertief in den porös gewordenen Boden ein und ziehen sich Verletzungen zu. Andere Orte, wie Ein Gedi, erscheinen davon aber kaum betroffen. 

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Blick von Massada auf die Region Totes Meer

Ansätze zur Problemlösung

Am 9.12. 2013 einigten sich Israel, Jordanien und die Palästinenserbehörde in Washington auf den Bau einer Pipeline, um Rotmeerwasser in das Tote Meer zu leiten. „Den Plänen zufolge sollen 80 der jährlich 2oo Millionen Kubikmeter Wasser in einer neuen Entsalzungsanlage in Jordanien zu Trinkwasser aufbereitet und an Jordanien, Israel und die Palästinenser verteilt werden. Auch von Hunderten neuen Jobs ist die Rede, die das rund fünf Jahre dauernde Bauprojekt mit sich bringen soll (…)“ (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/jordanien-israel-und-palaestinenser-bauen-wasser-pipeline-a-938125.html). Bemerkenswert erscheint, dass die Palästinser zu jener guten Zusammenarbeit mit Israel zurückkehrten, die sich nach dem Friedensabkommen von Oslo für einige Jahre ergeben hatte.                                                           Blick von Ein Gedi über das Tote Meer nach Jordanien

Israel und Jordanien vereinbarten als „erste Stufe“ am 26.2.2015 in Amman die Errichtung einer Meerwasserentsalzungsanlage, die Trinkwasser für die Aravasenke (zwischen Rotem und Totem Meer) aufbereiten soll. 300 Millionen Liter Meerwasser sollen vom Roten Meer ins allmählich austrocknende Tote Meer durch eine Pipeline geleitet werden. Kostenpunkt: 600 Mio. Dollar, die hauptsächlich durch Spenden aquiriert werden sollen (vgl. Ulrich W. Sahm, a.a.O.).
 

Am 20.7.2017 meldete die „Jüdische Allgemeine“: Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde haben ein Abkommen über eine massive Wasserpipeline abgeschlossen. „Das sogenannte Rotes-Meer-Totes-Meer-Projekt soll den palästinensischen Gebieten 32 Millionen Kubikmeter Wasser im Jahr liefern. Israel sagte zu, das Wasser für das Westjordanvorland und den Gazastreifen zu einem reduzierten Preis abzugeben“ (vgl. Jüdische Allgemeine, a.a.O.).

Ein Sprecher des israelischen Ministeriums für regionale Zusammenarbeit erklärte im Januar dieses Jahres, die erste Bauphase des Projekts werde 2018 beginnen.

Selbst wenn die Einleitung von Rotmeerwasser in das Tote Meer ein wenig schwieriger ist als es auf den ersten Blick erscheint – unterschiedliche Salze treffen aufeinander, ein Gebirgszug ist zu überwinden, die zugeführte Wassermenge ist nicht sehr groß – erscheint meines Erachtens der ökologische und der politische Gewinn erheblich: je stärker zwei Länder gemeinsam einen Notstand bekämpfen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit,dass sie sich in einem Krieg zu zerfleischen.

Der jordanische Minister Hazim El-Naser sagte, „dass Jordanien die Zusammenarbeit begrüße, die zur Stärkung der bilateralen Verbindungen führen und einen gemeinsamen Umgang mit dem Wasserproblem in der Region erleichtern würde“. 

Gesehen in einer Apotheke im Seebad Ein Gedi 

Minister Silvan Shalom erklärte: "Ich stehe hier und bin sehr bewegt von dieser historischen Unterzeichnung eines Abkommens zu einem gemeinsamen Projekt für den Bau eines Kanals zwischen den zwei Meeren. Heute realisieren wir die Vision von Benjamin Zeev Herzl, dem Vater des Staates, der im späten 19. Jahrhundert die Notwendigkeit erkannte, das Tote Meer zu beleben. Dies ist das wichtigste und bedeutendste Abkommen seit dem Friedensvertrag mit Jordanien. Dies ist der Höhepunkt einer fruchtbaren und sehr guten Zusammenarbeit zwischen Israel und Jordanien und wird helfen, das Tote Meer wiederherzustellen und Wasserprobleme in Jordanien und der Arava zu lösen".

Literatur

Amir Ben David: Jordan river drying up amid finance impasse. In: https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-4999780,00.html

Sabine Brandes: Nachrichten. Wasser. In: Jüdische Allgemeine, 20.7.2017. Online: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/29155

Ines Dombrowsky: Die Wasserkrise im Nahen Osten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 48/49/2001, S. 30-38. Online: https://www.bpb.de/apuz/25871/die-wasserkrise-im-nahen-osten?p=all

Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge. München 1995 (Originalausgabe 1957)

http://www.botschaftisrael.de/2016/11/18/fakten-zur-wasserversorgung-im-westjordanland/

Giuseppe Nardi: Westufer des Jordan wird nahe der Taufstelle Jesu von Landminen gesäubert. http://www.katholisches.info/2016/05/westufer-des-jordan-wird-nahe-der-taufstelle-jesu-von-landminen-gesaeubert/

Gil Yaron: Grenzfluss Jordan. In: Tagesspiegel, 11.8.2013. http://www.tagesspiegel.de/politik/grenzfluss-jordan-lauf-des-wassers/8624504.html

Rettungsaktion für den Jordan. https://www.israelnetz.com/index.php?id=45538

https://www.israelnetz.com/politik-wirtschaft/politik/2015/06/11/trilaterale-rettungsaktion-fuer-den-jordan/

Ulrich W. Sahm: http://israelaktuell.de/historisches-abkommen-zwischen-israel-und-jordanien/

http://derstandard.at/2000051727959/Bau-des-Friedenskanals-zwischen-Rotem-und-Totem-Meer-beginnt-2018

N.N.: Abkommen zwischen Israel und Jordanien. In: http://linkis.com/www.hagalil.com/2015/5CMLI

Video:

Mit offenen Karten: Ein Kanal vom Roten ins Tote Meer. In: Arte France, 2008 https://www.youtube.com/watch?v=B5LAroyepjw&t=143

© Stefan Winckler                                                                                                                                Seebad Ein Gedi

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