Die preußischen Tugenden und der Widerstand. Zum Gedenken an Claus Schenk von Stauffenberg
„Ich könnte den Frauen und Kindern der Gefallenen
nicht in die Augen sehen, wenn ich nicht alles täte,
weitere sinnlose Menschenopfer zu verhindern“
Stauffenberg 1943
Wer Claus Schenk von Stauffenberg war, kann jeder halbwegs gebildete Mensch beantworten. Und doch ist sein Name weniger in der Öffentlichkeit präsent, als er es eigentlich verdient. So ist seine Biografie nicht in dem Band „Die großen Deutschen unserer Epoche“ (herausgegeben von Lothar Gall, 1985) vertreten, und auch in „Die Großen der Weltgeschichte“ (herausgegeben von K. Fassmann und anderen, 1971 bis 1978) suchen wir ihn vergebens. Zwar sind Straßen nach ihm benannt, aber sie fallen kaum auf.
Stauffenberg, geboren am 15. November 1907 im schwäbischen Jettingen, war mütterlicherseits ein Urenkel General Gneisenaus, während sein Vater als Oberhofmarschall des württembergischen Königs diente. Von früh an musisch geprägt (er spielte Cello und kam in den Kreis des Dichters Stefan George9, entschied er sich 1926 für eine Offizierslaufbahn, vielleicht mit dem Goethe-Wort im Sinn, wonach es nichts besseres gäbe als einen gebildeten Offizier“. Die sehr harte Ausbildung, mit der die Reichswehr ihre Begrenzung auf 115 000 Mann auszugleichen versuchte, schien ihn nicht zu hindern. Mehrfach verwahrte er sich gegen die Schmähung der Farben Schwarz-Rot-Gold. Das Ideal des Katholiken Stauffenberg war aber nicht die Republik mit ihrer Parteien- und Verbandsvielfalt, sondern das Heilige Römische Reich, dessen Kaisermacht damals Ernst Kantorowicz anhand der Persönlichkeit des Kaisers Friedrich II. eindrucksvoll beschrieben hatte. Den Nationalsozialismus dürfte er mit Ambivalenz erlebt haben: Die Roheit und Gewalt der proletarischen SA einerseits, die Kampfansage an die christlichen Traditionen Deutschlands andererseits erkannte er, doch die Offiziere (1930 war er als Jahrgangsbester Leutnant) waren zur politischen Zurückhaltung verpflichtet. Ob er den Totalitarismus Hitlers schon Mitte der 1930er Jahre als einen Bruch mit deutschen Traditionen gesehen hat (vorher gab es eben keine Parteiherrschaft, keine Erziehungsdiktatur und keinen zentralistischen Einheitsstaat) muss offen bleiben. Wie eine Reihe bedeutender, kenntnisreicher Persönlichkeiten (die Generale Hoepner und Beck, der Politiker Goerdeler) erkannte aber auch Stauffenberg 1938/39 ein Vabanquespiel Hitlers, das mit Krieg und Niederlage enden musste. Nach dem 1. September 1939 staunte zunächst auch Stauffenberg über die deutschen Siege (an denen er als Rittmeister auch seinen Anteil hatte). Oft mehrere Aufgaben gleichzeitig erfüllend, rastlos alles selbst in Augenschein nehmend, erkannte Stauffenberg, dass Hitler ein Dilettant war, dessen militärisches Glück nicht von Dauer sein konnte: Die Niederlage im Russland-Krieg schien mit dem Winter 1941/42 vorgezeichnet, ohne dass Hitler Konsequenzen gezogen hätte. Des Weiteren gab es keine klare Gliederung der Befehlswege, sondern sich widersprechende Kompetenten – Stauffenberg sprach dies 1941 offen an einer Kriegsakademie aus. Russische Kriegsgefangene, die gegen Stalin kämpfen wollten, gingen elend zugrunde, eine brutale Besatzungspolitik im Osten sowie die Massenmorde an den Juden konnte er mit Blick auf die Opfer und hinsichtlich der Ehre der Frontsoldaten nicht hinnehmen.
Tieffliegerbeschuss an der nordafrikanischen Front kostete ihn eine Hand und ein Auge, Trotzdem entwickelte er sich mehr und mehr zum Motor des konservativen (Goerdeler) und des militärischen (Beck) Widerstandes, insbesondere wegen des Plans, das Ersatzheer im Inneren unter der Parole „Walküre“ zu einem Staatsstreich zu nutzen, um noch etwas von Deutschlands Ehre und Substanz „von innen heraus“ zu retten. Als sein wichtigster Verbündeter ist Henning von Treskow zu nennen. Nach einem gelungenen Attentat war zunächst an eine Beendigung des Nationalsozialismus, dann an eine Verfassungsordnung zu denken, über die die Frontsoldaten maßgeblich zu entscheiden hätten. Wie wir wissen, ließ General Fromm, auch um seine eigene Mitwisserschaft zu kaschieren, Stauffenberg am 20. Juli 1944 im Bendler-Block standrechtlich erschießen. „Es lebe das heilige Deutschland!“ – nach anderen Angaben: „Es lebe das geheime Deutschland!“ waren Stauffenbergs letzte Worte.
Was bleibt von Stauffenberg und seinem Kreis für uns heute? Die Tugenden Claus Schenk von Stauffenbergs verdienen zu allen Zeiten eine eingehende Betrachtung, gerade heute, wo geistige Oberflächlichkeit, mangelnde Verbundenheit mit der kulturellen und historischen Tradition Deutschlands und ein egoistischer Selbstverwirklichungsdrang bei vielen Menschen stark ausgeprägt sind. Daher ist ein Nachdenken über Gewissen, (humanistische) Bildung, Elite und ihre Verpflichtung zu Höchstleistungen und zum Vorbild, gerade auch Treue zu den christlich-abendländischen Werten stets zu fördern, und das keineswegs nur im engeren politischen Zusammenhang.
© Stefan Winckler