Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Stefan Winckler 

 

Antisemitismus in Deutschland, Frankreich und Großbritannien


Ist das Thema mehr als ein Dreivierteljahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg  überhaupt relevant?
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums und des Bundeskriminalamts ist die Zahl der antijüdischen Straftaten in Deutschland auf 3.027 im Jahre 2021 gestiegen – nach 2.351 Delikten im Vorjahr. Immer wieder werden Menschen verbal oder körperlich angegriffen, nur weil sie sich als Juden zu erkennen geben. Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein, denn viele Delikte (wie Beleidigungen) werden nicht angezeigt. Der Versuch, die Synagogenbesucher in Halle zu ermorden (9.10.2019), Friedhofsschändungen, der Versuch der schweren Brandstiftung an  der neuen Synagoge in Mainz (31.10.2010), die Brandanschläge in Worms (17.5.2010) und Wuppertal (29.7.2014) sorgten für Aufsehen. Der Täter von Halle ist Deutscher und erklärter Antisemit. Die Brandstifter von Wuppertal stammen aus Gaza und dem Westjordanland, sie leben seit Jahren in Deutschland. Als 150 bis 200 Menschen in der Synagoge von Hannover zu Jom Kippur diesjahr zusammenkamen, wurde eine Fensterscheibe zerstört. Genaueres wird derzeit ermittelt.
Nach einer Befragung der Hebräischen Universität Jerusalem vom Herbst 2021 halten 58,4 Prozent der Deutschen (61,1 Prozent in den westlichen, dagegen 43,5 Prozent in den östlichen Bundesländern) Antisemitismus für ein Problem.
Von welchen Bevölkerungsgruppen geht eine signifikante judenfeindliche Bedrohung aus? 72,2 Prozent sahen sie im rechten, 21,7 Prozent im linken Lager verortet, 70,1 Prozent in der Gesamtbevölkerung und 58 Prozent unter muslimischen Migranten.
Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Einwanderung von Arabern (v.a. Männern und wenigen Frauen): „Eine Mehrheit der jüdischen Israelis hält [Angela] Merkels Entscheidung, Flüchtlinge im Jahr 2015 aufzunehmen, für einen Fehler und nennt als Grund entweder ein Erstarken radikaler Islamisten oder einen demografischen Wandel in Deutschland. Gleichzeitig ist die Unterstützung unter arabischen Israelis (61 Prozent) für ihre Entscheidung sehr hoch“.1 Die Befragung wurde in Zusammenarbeit mit der Hanns-Seidel-Stiftung in Deutschland und Israel durchgeführt.
Antisemitismus nahm nach Einschätzung von 52 Prozent der befragten Deutschen in den Jahren von 2016 bis 2021 zu (14 Prozent: „stark“, 38 Prozent: „etwas“), während er für 30 Prozent gleich blieb und nach Meinung von neun Prozent abnahm. Weitere neun Prozent antworteten: „Ich weiß nicht“. Dennoch glaubten fast zwei Drittel der Deutschen, dass jüdische Menschen hierzulande eher oder sehr sicher sind. 2
Vorurteile und antisemitische Meinungen sind in der Tat nicht selten: Der These, dass Juden auf der Welt zu viel Einfluss hätten, stimmten 19 Prozent der Deutschen „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Der Aussage, Juden arbeiteten „mehr als andere Menschen mit Tricks, um zu erreichen, was sie wollten“, stimmten 21 Prozent „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Diese Behauptungen sind traditionell-antisemitisch und existierten in Abwandlungen auch schon vor und erst recht unter Hitlers Herrschaft.
Wenig überraschend ist der Zusammenhang Antizionismus – Antisemitismus: Wer ein ungünstiges Bild von Israel hat, äußert sich auch kritischer gegen Juden im allgemeinen als jemand, der von Israel eine positive oder neutrale Meinung hat. Antizionismus und Antisemitismus gehen ineinander über, wie wir anhand von Zitaten weiter unten aufzeigen werden.
Einige Demonstranten gegen die Corona-Politik verglichen sich mit Juden unter der Hitler-Herrschaft und trugen gelbe Sterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“. Dies verärgerte die Mehrheit der deutschen Bevölkerung: 24 Prozent sind darüber sehr stark schockiert, 25 Prozent stark. Nur jeder Zehnte antwortete, dass ihn derartige Vergleiche überhaupt nicht stören oder schockieren.3
Linker und Israel-bezogener Antisemitismus
„Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“ – dieser Behauptung stimmen 36 Prozent der befragten Deutschen „voll und ganz“ oder „eher“ zu. 4
Dass es sich hierbei um Antizionismus handelt, dürfte unzweifelhaft sein. Aber Antisemitismus im Sinne von Feindschaft gegenüber „den Juden“? Der Historiker Michael Wolffsohn sieht in seinem Beitrag für die „Berliner Zeitung“ vom 26.9.2022 einen engen Zusammenhang: Mit Blick auf Verfolgungen und erst recht auf die Shoah ist Israel „Quasilebensversicherung bzw. der letzte Rettungsanker aller Juden. Daraus folgt: Wer die Daseinsberechtigung Israels bezweifelt oder gar bekämpft, entzieht den Juden, ja, allen Juden ihre Seins- und Daseinssicherheit“. Wolffsohn erkennt einen Antisemitismus, der von einer linken oder linksliberalen Kulturelite kommt. Im übrigen war es bereits 1967ff. die Neue Linke, die sich im Sinne eines „Antiimperialismus“ gegen Israel positionierte (im völligen Gegensatz zu Axel Springer). Die Waffenausbildung von linksradikalen Terroristen bei der PLO in Jordanien, ihr Zusammenwirken mit radikalsten Arabern bei den Flugzeugentführungen nach Entebbe und Mogadischu kennzeichnet die extremste Ausprägung. Doch auch das Drama „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder über die Wohnungsspekulation in Frankfurt galt so unterschiedlichen Zeitzeugen wie Joachim Fest und Ignatz Bubis als Beleg für linken Antisemitismus.
Die öffentliche Meinung über Israel dürfte stark von den Medieninhalten zum Thema Nahost geprägt sein – zumal sich eher wenige Deutsche bisher persönlich ein Bild von Israel gemacht haben und sich stattdessen auf den Medientenor stützen. Journalistische Mängel liegen beispielsweise vor, wenn Markus Lanz eine ZDF-Sendung über das Heilige Land an Weihnachten 2017 im Schatten von Sperranlagen moderiert, in der er die gewiss schwierige Lage vieler Araber ausführlich präsentiert, die Sicherheitsbedürfnisse der Israelis aber weitgehend verschweigt. Der ehemalige  Fernsehkorrespondent Ulrich W. Sahm verfasste dazu eine eingehende Kritik (www.pro-medienmagazin.de/markus-lanz-ueberfordert-in-israel-und-gaza/).
Auch Sigmund Gottlieb, langjähriger Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, stellt „seit Jahrzehnten einen anti-israelischen Reflex in fast aller Berichterstattung“ fest. Er spricht von einem „völligen Mangel an Differenzierung“.  Der Umgang mit dem Thema Israel stünde gleichsam unter der Überschrift: „Was die Nazis den Juden angetan haben, das tun die Israelis den Palästinensern an. Das ist jetzt wohlgemerkt zugespitzt, aber es trifft die Richtung“. Dies sei nicht alleine das Problem der deutschen, sondern der europäischen Journalisten. Aber gerade die deutschen Medienpraktiker sollten sensibler sein, so Gottlieb. 5
Oft werden Nachrichten mit Sätzen wie „Israelis erschießen Palästinenser“ angesagt oder überschrieben – aber was der Tat vorausging, ist bestenfalls aus dem weiteren Text zu entnehmen, den viele Mediennutzer nicht lesen oder hören: Immer wieder greifen Araber mit Messern, Schusswaffen oder Sprengstoff israelische Kontrollposten an. Damit verknüpft ist die Frage: Wie friedenswillig/friedensfähig ist die Autonomiebehörde mit Mahmud Abbas an der Spitze? Jassir Arafat und Abbas lehnten im Jahr 2000 die Abtretung weiter Teile des Westjordanlands an einen palästinensischen Staat („Camp David II“) ab, stattdessen setzten sie in Verkennung der Stärkeverhältnisse auf Maximalforderungen bezüglich Jerusalems. Die Autonomiebehörde wies ebenso den Konvergenzplan des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert zurück. Zweifellos belasten Kontrollen und gesperrte Straßen die Araber auf der Westbank, aber die Erziehung zum Hass auf Israel in den Schulen der Autonomiebehörde muss, denke ich, in die Ursachenforschung einbezogen werden.
Seit einigen Jahren ist es insbesondere die Bewegung BDS, unterstützt durch den einstmals bedeutenden Musiker Roger Waters (Pink Floyd), die zu Boykott, Deinvestition und Sanktionen gegen Israel aufruft. Es geht ihr nicht um eine Änderung einzelner israelischer Gegebenheiten wie dem „Siedlungsbau“. Sie wendet sich vielmehr gegen den angeblich rassistischen jüdischen Staat durch den Aufruf zu Warenboykott, Unterbindung des Sport- und Wissenschaftsaustauschs, Abbruch der Investitionen u.a.m., um ein mehrheitlich arabisches Palästina zu schaffen. Regierungen und Parlamente Deutschlands, Österreichs und der Schweiz stuften die BDS-Bewegung als antisemitisch ein.
Die Documenta 15 in Kassel schockierte, als dort judenfeindliche Zeichnungen aus Indonesien gezeigt wurden, die frappierend an nationalsozialistische Hetzbilder erinnerten. 6 Jüdische Aktivisten fragen sich,  wie ehrlich das Totengedenken an die NS-Mordopfer ist, wenn jüdische Bürger derartiges in Deutschland erleben müssen und das Spektakel auch noch massiv durch Steuergelder gestützt wird. Die politisch verantwortliche Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth (Die Grünen), distanzierte sich erst, als ihr kaum noch etwas anderes übrig blieb. Wie hätte sie wohl auf anti-islamische Karikaturen reagiert? Oder wenn Protestierer von rechtsaußen derartiges gezeigt hätten? Auch Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) kann  als Aufsichtsratsvorsitzender der Documenta nicht von Fehlern freigesprochen werden.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sorgte, gelinde gesagt, für Kopfschütteln, als er der Islamischen Republik Iran zum Nationalfeiertag gratulierte. Iran ist Israels Hauptfeind und strebt den Besitz von atomaren Waffen an. Es stellt sich außerdem die Frage, ob Steinmeier bei seinem Besuch in Ramallah im Jahre 2017 wirklich einen Kranz auf dem Grab Arafats niederlegen musste.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken verhielt sich als Veranstalter geradezu skandalös einseitig, als auf dem Katholikentag in Stuttgart zwar ein „Workshop gegen rechte und rassistische Parolen“ und eine Podiumsdiskussion „Was tun wir gegen rechten Antisemitismus?“ stattfanden, aber nichts dergleichen über linke oder muslimische Judenfeindlichkeit.
Die Liste ließe sich fortsetzen, und eine Aufstellung von klischeegeladenen Äußerungen zu und über Juden unterhalb der Strafbarkeitsgrenze wäre nahezu unendlich.
Muslimischer Antisemitismus
Muslime in Deutschland sehen laut der o.g. Allensbach-Befragung Juden kritischer und ablehnender als es die Deutschen tun.
Selbstverständlich gibt es in Deutschland die verschiedensten muslimischen Menschen. Ein Beispiel: Türkische Arzthelferinnen, hier geboren und aufgewachsen, haben in der Regel andere Einstellungen zu den meisten Themen als gerade zugewanderte Syrer oder Nordafrikaner.  Die oben genannte Allensbach-Umfrage unterschied nicht nach türkischer oder arabischer Herkunft der Befragten. Lediglich eine Frage differenzierte: nach der praktizierten Religiosität. Häufige und gelegentliche Moscheebesucher äußerten sich signifikant kritischer und ablehnender gegen Juden („zu viel Macht“, „für viele Wirtschaftskrisen verantwortlich“, „nutzen ihren Status als Völkermord-Opfer aus“) als Muslime, die selten oder nie in die Moschee gehen.
Veranlasst durch den Krieg der Hamas gegen Israel kam es im Jahre 2014 zu den heftigsten antisemitischen Szenarien in der Öffentlichkeit. In Mainz skandierten  arabische Demonstranten „Kindermörder Israel“ sowie „Juden raus“, als sie eine pro-israelische deutsche Gruppe erblickten. Hier ging also der Antizionismus fließend in einen Antisemitismus über. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ex-Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Johannes Gerster, stellte als Zeuge des Sachverhalts daher Strafantrag wegen Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft Mainz, die nach wenigen Wochen mitteilte, „dass sie die Ermittlungen eingestellt hat. Begründung: Die Demonstration habe sich gegen die Politik des Staates Israel und nicht gegen die Juden in Deutschland gerichtet“. Der Generalstaatsanwalt wies Gersters daraufhin erfolgte Beschwerde ebenfalls zurück. Gerster: „Wieder einmal versagt die Justiz in Deutschland. Wissen diese Juristen nicht, dass gerade nach diesen Hasstiraden die Gewalt gegen Juden und ihre Einrichtungen nicht nur in Berlin und Frankfurt zugenommen hat? Wissen Staatsanwälte nicht, dass wegen der Naziverbrechen gestern eine besondere Verantwortungsethik gegenüber Juden heute gelebt werden muss?“ 7
Im übrigen gibt es keine absolute Demonstrationsfreiheit in Deutschland. Es heißt vielmehr in Art. 8 GG, „(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Im Falle der Mainzer Kundgebung aber handelte es sich nicht um Deutsche, und als friedlich können die Parolen auch kaum bezeichnet werden.
Und weiter: „(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden“.
Dieser zweite Absatz wird oft verschwiegen.
Um so merkwürdiger ist es, dass der Al-Quds-Tag, wenn auch unter Auflagen, immer wieder erlaubt wurde. Nicht nur im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg 2014 wurde die Parole „Jude Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf' allein“ gebrüllt. Der Demonstrationszug fordert, dass Jerusalem und ganz Israel unter moslemische Herrschaft fallen soll. Er richtete sich damit unmittelbar gegen Israel und nicht nur gegen kritikwürdige Einzelheiten. Es war stets damit zu rechnen, dass israelische Flaggen verbrannt werden. Allerdings sagten die Veranstalter den Marsch in Berlin in den Jahren 2021 und 2022 ab, da die öffentliche Kritik in den letzten Jahren zugenommen hatte und mit einem Verbot zu rechnen war. Eine ähnliche Veranstaltung in den Bezirken Neukölln und Kreuzberg war Ende April 2022 polizeilich untersagt worden. Das Oberverwaltungsgericht wies den Eilantrag der Veranstalter gegen das Verbot zurück. Begründung: Bei ähnlichen Kundgebungen waren Flaschen und Steine auf Polizisten geworfen worden.
Das Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz vom Februar 2021 sagt dazu aus (§ 14): „Eine Versammlung kann insbesondere verboten, beschränkt oder nach deren Beginn aufgelöst werden, wenn 1., nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die unmittelbare Gefahr besteht, dass in der Versammlung in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, a, gegen eine nationale, durch rassistische Zuschreibung beschriebene, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufgestachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen aufgefordert oder b) die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen wird, dass eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder ein Einzelner wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet wird (…)“.
Insofern muss das Gesetz nur konsequent angewandt werden.
Es gibt aber auch einen alltäglichen Antisemitismus: Jüdische Schüler und Sportler werden immer wieder mit Blick auf den Nahost-Konflikt oder pauschal gemobbt. Alon Meyer, Präsident des Jüdischen Sportverbands Makkabi in Deutschland erklärte im Jahre 2018: „95 bis 99 Prozent der Anfeindungen in den letzten anderthalb Jahren und auch schon den Jahren davor eigentlich, kommen aus muslimisch-arabischem Hintergrund – das ist fast ausschließlich so!“ Muslimisch-arabische Spieler der gegnerischen Mannschaft sehen den Davidstern als Vereinssymbol; erst recht, wenn es zum militärischen Schlagabtausch zwischen Israelis und Arabern kommt, eskaliert die Lage auf dem Spielfeld zu Beleidigungen.8 Im einzelnen bekommen die Makkabi-Spieler, ob jüdisch oder nicht, schon mal zu hören: „Du Drecksjude“ oder auch „Man hätte dich vergasen sollen“.9 Schiedsrichter hören oft weg, beschwichtigende Treffen vor den Wettkämpfen haben offenbar nur eine begrenzte Wirkung.
Der Verband Makkabi Deutschland umfasst rund 40 einzelne Vereine mit ca. 5500 Mitgliedern, auch vielen Nicht-Juden. Stand 2022: „39 Prozent der Makkabi-Mitglieder waren bereits mindestens einmal von einem antisemitischen Vorfall im Sport betroffen, unter den Fußballerinnen und Fußballern sind es gar 68 Prozent“. 10
Dementsprechend ist auch die Lage an vielen Schulen mit arabisch-muslimischen Schülern. Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, verweist auf die Einwanderung von etwa einer Million Muslimen vor wenigen Jahren. Deren Jugend wuchs mit dem Feindbild „Jude“ auf, so dass der Antisemitismus spürbar anstieg. In vielen Klassenzimmern und Schulhöfen ist „Jude“ ein Schimpfwort. Wie reagieren Lehrerinnen (die oft genug als Frauen unter pauschaler Ablehnung durch männliche muslimische Schüler leiden – ein weithin vernachlässigtes Thema)? Was können Lehrer tun?
Rechtsextremistischer Antisemitismus
Antisemitismus ist von jeher ein Bestandteil von nationalistischer Demokratiefeindlichkeit, ob in Deutschland oder anderswo in Europa. Das Bundeskriminalamt stellt für 2021 fest: „Gegenüber dem Vorjahr ist im Phänomenbereich PMK -rechts- mit 1.898 Fällen im Jahr 2019, davon 62 Gewalttaten, ein Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten zu verzeichnen (2018: 1.603 Fälle). Damit sind die antisemitischen Straftaten nach wie vor weit überwiegend dem Phänomenbereich PMK -rechts- zuzuordnen (93,4 %)“. 11
Um politisch motivierte Sachbeschädigung handelt es sich beispielsweise, wenn jugendliche Neonazis jüdische Grabsteine umstoßen oder mit Hakenkreuzen, Parolen u.ä. beschmieren. Alleine im Jahre 2020 geschahen derartige Störungen der Totenruhe und Sachbeschädigungen 20 mal (2019: 34) in Deutschland. Die erste Schändung eines jüdischen Friedhofs hierzulande nach dem Zweiten Weltkrieg geschah bereits im Sommer 1945.
Das zuständige Jugendgericht verurteilte die fünf Täter von Sarre-Union (siehe Foto) zu Bewährungsstrafen von acht und 18 Monaten sowie in drei Fällen zu zwölf Monaten. Alle fünf mussten jeweils 140 gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten. Sie waren zuvor unauffällig und zum Tatzeitpunkt zwischen 15 und 17 Jahre alt.  Sarre-Union, ein Dorf knapp 40 Kilometer südlich von Saarbrücken, ist nicht der einzige Ort eines antijüdischen Friedhofsvandalismus im Elsass. Bereits 1988 und 2001 wurden in Sarre-Union 60 bzw. 54 Grabsteine umgestoßen. Einer der Anwälte sprach von einem miesen „Rollenspiel“, in das sich die Täter hineingesteigert hätten.
Hass auf Juden ist kennzeichnend für den sog. „Rechtsrock“, der  m.E. nicht als Musik, sondern als Krach mit neonationalsozialistischem Inhalt bezeichnet werden kann. M.E. kann von Politischer Perversion gesprochen werden, wenn der Nationalsozialismus gefeiert und die millionenfache Ermordung von Juden sogar begrüßt wird. Der Verfassungsschutz zählte 144 rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Jahre 2021.
Rechtsextremismus äußert sich im aktiven Bestreiten und Herunterspielen des Holocaust. Dies ist strafbar, da es impliziert, die Shoah sei eine von Juden erfundene und verbreitete Lüge, um den Deutschen Geld aus den Taschen zu ziehen (ein altes antijüdisches Klischee) und sie zu beherrschen.
Zu den neueren Symptomen gehört, dass manche Internet-Schreiber im Zuge der Corona-Eindämmung „die Juden“ verantwortlich für Corona machten. Oft ist auch nicht mehr von „Juden“, sondern in leicht durchschaubarer Tarnsprache von „Rothschild“, „Rockefeller“, der „Hochfinanz“ usw. die Rede. Als Feindbilder dienen sog. „globalistische Eliten“, die angeblich eine neue Weltordnung und einen Bevölkerungsaustausch („Umvolkung“) anstreben.
In Königs Wusterhausen-Senzig ermordete ein Mann am 4. Dezember 2021 erst seine drei minderjährigen Kinder, seine Frau und schließlich sich selbst. Er soll in einem Abschiedsbrief seine Angst vor Verhaftung geäußert haben, weil er das Impfzertifikat seiner Frau gefälscht hatte. Ebenso fürchtete er eine „Zwangsimpfung“ seiner Kinder. Chatverläufe belegen eine antisemitische Einstellung. Das Bundesinnenministerium: „Danach war der Tatverdächtige laut derzeitigem Kenntnisstand davon überzeugt, dass der Staat mit der Impfkampagne einen ,bösen' Plan verfolge und die Weltbevölkerung um die Hälfte reduzieren und eine neue Weltordnung unter jüdischer Führung gründen wolle. Die Einordnung der Tat als „antisemitisch“ ergebe sich aus der Ansicht des Tatverdächtigen, dass es eine jüdische Weltverschwörung gäbe“.12 Diese absurde Verschwörungserzählung von einem  jüdischen „Pandemie-Plan“ fand Anhänger nicht nur im traditionell nationalistisch-demokratiefeindlichen Milieu.
Rechtsextremistische Polit-Sekten wie „Der Dritte Weg“ und „Die Rechte“ betreiben einen offenen antisemitischen Verbalradikalismus, dicht gefolgt von der in jeglicher Hinsicht geschrumpften NPD.
Berührungspunkte linksextremistischer, rechtsextremistischer und arabisch-antijüdischer Ideologien am Beispiel des Antisemitismus
Es gibt einen deplatzierten Antiimperialismus, der Israel als „Terrorstaat“ und Land der Apartheid bezeichnet, und zum Boykott aufruft („Die Rechte“, „III.Weg“). Auch die Ablehnung des „Kapitalismus“, v.a. eines auf totale Unterwerfung ziehenden „Großkapitals“ (NPD) ist fester Programmbestandteil. So sind Feindbild und Schlagworte von der extremistischen Neuen Linken mit Verzögerung von etlichen Jahren übernommen worden.
Horst Mahler, einst am äußersten linken Rand agierender Terrorist, absolvierte 1970 eine Waffenausbildung in einem PLO-Lager, Er entwickelte sich spätestens ab dem Jahr 2000 zum Nationalsozialisten mit unverhüllter Judenfeindlichkeit, der mehrfach wegen Volksverhetzung und Propagandadelikten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde.
Wolfgang Gedeon, einst Landtagskandidat de KPD/ML in Nordrhein-Westfalen (1975) und bekennender Anhänger des albanischen Kommunismus, löste sich allmählich von linksextremistischen Ideen und veröffentlichte antisemitische Aussagen, wobei er sich auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ berief und diese nachdrücklich für authentisch erklärte. Die AfD schloss ihn daher, wenn auch zögernd und teilweise halbherzig, aus ihrer Fraktion in Landtag von Baden-Württemberg und der Partei aus. Die „Protokolle“, eine von Journalisten und Gerichten entlarvte antijüdische Fälschung des zaristischen Geheimdienstes, sind ein Werkzeug nationalistischen Judenhasses und verbreiteten sich nach 1945 im Nahen Osten als antijüdische Kampfschrift. Gedeon vertritt unter seinem Pseudonym „W.G. Meister“ nicht nur einen Antizionismus, sondern auch die Behauptung von einer grundsätzlichen jahrhundertealten Feindschaft von Juden gegen Christen.
Von einer derartigen Plumpheit ist Jürgen Elsässer weit entfernt. Der seinerzeit als als „Anti-Deutscher“ schreibende Journalist geriet mit den verschiedenen Protagonisten des linksextremistischen Milieus in Streit und versuchte sein berufliches Dasein als Wortführer und Organisator einer Querfront aus Linken und Rechten zu gestalten. In seiner vehementen Kritik an den „Eliten“ und an den USA fand er eine Leserschaft für sein Magazin „Compact“ ausgerechnet bei Nationalen, Putin-Anhängern und Iran-Fürsprechern.
Die extreme Rechte und Islamisten  finden ihre raren Übereinstimmung im Antisemitismus und im Hass auf die Vereinigten Staaten. Außer zur Holocaustleugner-Konferenz im Teheran Ende 2006 kamen die Vertreter beider Seiten allerdings äußerst selten zusammen.  Mit eben diesem Treffen und seiner Kritik am deutschen § 130 (Volksverhetzung) machte sich der damalige an der Shoah mehr als zweifelnde iranische Staatspräsident Ahmadinedschad zum Idol unterschiedlicher deutscher Rechtsextremisten wie dem seinerzeitigen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt, der zur „Wahl“ Ahmadinedschads gratulierte: „Was für ein Wunder, dort wurde anders gewählt, als es der westlichen Welt und ihrer jüdischen Lobby recht ist“. Ahmadinedschad sei „Weltfeind der Zionisten und seiner (!) Befürworter in der US-Administration“. Gerhard Frey (DVU) lobte in seiner National-Zeitung den iranischen Präsidenten für seine angebliche „tiefe Zuneigung“ zum deutschen Volk und seine angebliche „Bewunderung für Deutschland“. Die NPD-Fraktion in Kreistag des Burgenlandkreises erschien zu einer Sitzung mit T-Shirts, welche eine Abbildung A. samt Freundschaftsbekundung zeigten.13 Die Liste ließe sich mit etlichen weiteren Zitaten fortsetzen.
Wie gefährlich ist der Antisemitismus in anderen Ländern, z.B. in Frankreich?
Laut einer europaweiten Befragung im Jahre 2018 war das Bedrohungsgefühl unter französischen Juden  am stärksten. 77 Prozent meinten, der Antisemitismus habe in den Jahren 2013 bis 2018 stark zugenommen (europäischer Durchschnitt: 63 Prozent). 60 Prozent fürchteten wegen ihrer jüdischen  Identität im kommenden Jahr angegriffen und beleidigt zu werden (gegenüber 47 Prozent im europäischen Durchschnitt). Die Mehrheit der französischen Juden sah sich am meisten durch den radikalen Islam bedroht. Seit 2012 haben mehr als 30.000 Juden Frankreich in Richtung Israel verlassen.
Staatspräsident Emmanuel Macron sprach im Frühjahr 2019 von einem „Wiedererstarken des Antisemitismus, wie es ihn vermutlich seit dem Zweiten Weltkrieg“ nicht mehr gegeben habe. Eine der modernen Formen des Antisemitismus sei der Antizionismus, außerdem wachse neben dem traditionellen Antisemitismus „ein Antisemitismus auf Grundlage des radikalen Islamismus“.
Ein „Manifest gegen den neuen Antisemitismus“, initiiert von Philippe Val (Ex-Chefredakteur von „Charlie Hebdo“) und unterzeichnet von Spitzenpolitikern, Künstlern und Intellektuellen, warnte im Jahre 2018 vor einer schleichenden islamischen Radikalisierung, die eine stillschweigende ethnische Säuberung in bestimmten Banlieu-Vierteln zur Folge habe. Schuld sei nicht der alte Rechtsextremismus, sondern die „Komplizenschaft eines Teils der radikalen Linken, die im Antizionismus einen Vorwand gefunden habe und aus den Tätern Opfern der Gesellschaft mache, indem sie diesen neuen Antisemitismus lediglich als Ausdruck einer sozialen Revolte betrachte. Die Medien, heißt es weiter, schwiegen. Und die politische Klasse? Sie sei nachlässig gegenüber der Judenfeindlichkeit, weil die muslimische Wählerschaft zehnmal so groß ist wie das jüdische Elektorat.
Zu einer Häufung antisemitischer Delikte kam es kurz nach den Konfrontationen im Nahost-Konflikt wie der zweiten Intifada und dem Gaza-Konflikt. 14
In Großbritannien fiel in der vergangenen Dekade ein massiver Antizionismus in  der Labour Party auf, der vielfach auch als linker Antisemitismus gewertet wurde. Vertreten wurde er durch den damaligen Vorsitzenden Jeremy Corbyn, einem Protagonisten des alt-sozialistischen, antiimperialistischen Flügels. In seiner Wikipedia-Biografie ist ein ganzer Abschnitt seinen Einstellungen zu Israel und den Juden gewidmet.15 Im Jahre 2018 erklärten 44 Prozent aller befragten jüdischen Briten die Auswanderung, falls Corbyn Premierminister würde. Corbyn ist mittlerweile kein Labour-Abgeordneter mehr, sondern fraktionslos.
Im Jahre 2021 verzeichnete das Community Security Trust (eine eingetragene jüdische Wohltätigkeitsorganisation im Vereinigten Königreich) 2255 antijüdische Vorfälle.16 Im Jahre 2013 waren es ungefähr 500 gewesen.  Die Steigerung von 2020 auf 2021 um 34 Prozent könnte auf das Wiederaufflammen des Gaza-Konflikts und Verschwörungserzählungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zurückzuführen sein.
Fazit
Linker Antisemitismus übt einseitig Kritik an grundsätzlichen Feldern der israelischen Politik bis hin zum Vorwurf der Apartheid oder dem NS-Vergleich. Das Recht auf Selbstverteidigung Israels wird in Zweifel gezogen. Es ist anzunehmen, dass linke Politiker versuchen, durch eine strikt anti-israelische und pro-arabische Linie Wählerstimmen von Immigranten zu gewinnen.
Arabisch-muslimischer Antisemitismus zielt auf  das Ende des israelischen Staates.
Der rechtsextremistische Antisemitismus sieht die Juden als Kraft, die sich gegen alle anderen verschworen hat und „schmutzige Mittel“ anwendet. Er zeigt sich am häufigsten in Friedhofsschändungen und Hass-Äußerungen.
Der Journalist Boris Reitschuster stellte im vergangenen Juni fest: Das Bundeskriminalamt stuft in seiner Statistik alle gegen Juden gerichteten Straftaten mit unklarer Motivlage als „rechtsextrem motiviert“ ein. Dies mag auf viele zutreffen. Es sei anzunehmen, so Reitschuster, dass ein Teil davon dem muslimischen Antisemitismus/Extremismus zuzurechnen ist. So kam es auch schon vor, dass Araber aus Sympathie für Hitler NS-Symbole verwendeten. Zwar werden bei antisemitischen Straftaten, wenn möglich, Alter und Geschlecht aufgeführt, nicht aber die Religionszugehörigkeit. So bildet die Statistik die Realität nicht exakt ab. Dementsprechend sprach der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Justizministerkonferenz mit keinem Wort vom muslimischen Antisemitismus, als er auf einer Pressekonferenz im Mai die aktuellen Zahlen zum Antisemitismus vorstellte. 17
Dagegen trifft das französische Manifest m.E. den Nagel auf den Kopf, wenn es moniert: Aus politischen Gründen werde der muslimisch-arabische Antisemitismus heruntergespielt und der linke Antisemitismus moralisch bemäntelt.
Ceterum censeo: Und wie sieht es bei alledem mit der Solidarität der nicht-jüdischen Bürger aus?

Literaturhinweise

Aly. Götz: Europa gegen die Juden. 1880-1945. Frankfurt 2017
Steinke, Ronen: Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage. Berlin 2020
Waldbauer, Peter: Lexikon der antisemitischen Klischees. Antijüdische Vorurteile und ihre historische Entstehung. Murnau 2007


© Stefan Winckler

 

 

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