Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

 Stefan Winckler

 Zum 1200. Todestage Karls des Großen

 

Karl der Große ist im Gespräch. Viel wird gegenwärtig über ihn veröffentlicht. Erwähnenswert sind die umfangreichen Biografien der Historiker Stefan Weinfurter (Karl der Große. Der heilige Barbar. München: Piper, 2013) und Johannes Fried (Karl der Große. Gewalt und Glaube. München: C.H. Beck, 2013). Die Anfangskapitel des letztgenannten Werks sind unter books.google im Internet durch die Eingabe von Autorenname und Buchtitel rasch aufzurufen. Ein Sammelband, als Spiegel-Edition von Dietmar Piper und Johannes Salzwedel herausgegeben, bietet einen Einstig in das Thema. Die Literaturliste ließe sich fortsetzen.

Eine Ausstellung im Frankfurter Haus am Dom ist nach vier Wochen im Februar zu Ende gegangen. Vor uns liegen drei Ausstellungen in Aachen: "Orte der Macht", "Karls Kunst" und "Verborgene Schätze". Sie sind vom 20. Juni bis 21. September 2014 geöffnet. An weiteren Veranstaltungen und Beiträgen in den Medien mangelt es nicht. 

 

Karl hat das Kaisertum in Westeuropa wieder zum Leben erweckt. Er sah sich als "Augustus Imperator Renovati Imperii Romani" ("Kaiser des erneuerten Römischen Reiches"). Zwar existierte das Oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel, das den alleinigen Anspruch auf die Nachfolge des Imperium Romanum erhob. Aber zum einen befand sich dieses in der Defensive gegen die unterschiedlichsten Regionalmächte, zum anderen war es durch interne Konflikte geschwächt. Der Streit zwischen Bilderverehrern und Bilderstürmern war zu Blutvergießen ausgeartet, und selbst innerhalb der herrschenden byzantinischen Dynastien war das Verstümmeln oder Töten beim Kampf um den Kaiserthron keine Seltenheit. Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung von Konstantinopel war legendär, aber dieses Byzanz war kein politisches Leuchtfeuer - umso weniger, da die Frau auf dem Kaiserthron, Irene, bei weitem nicht ausreichend anerkannt war. Das Amt des Papstes in dem zur Kleinstadt geschrumpften Rom war Spielball des örtlichen Adels. Mit der Kaiserkrönung an Weihnachten 800 in Rom verschob Karl den politischen Schwerpunkt in Europa weit nach Westen. Seine Nachfolger in den späteren westdeutschen Landen, Frankreich und Norditalien bauten darauf auf. Karl förderte das Christentum, liquidierte das Heidentum - freilich mit den Methoden seiner Zeit. dass er nach den an Dokumenten und sonstigen Quellen so armen Jahren nach dem Ende der Antike Gelehrte aus dem ganzen christlichen Westeuropa heranzog, die eine "karolingische Renovatio" ermöglichten. Man denke an die Bauwerke in Aachen und Ingelheim, an die Förderung der lateinischen Sprache (die er selbst gut beherrschte), die als Karolingische Minuskeln bekannte Schrift, das Sammeln antiker Literatur und an die Geistesgrößen selbst - Alkuin, Hrabanus Maurus, sein Biograf Einhard und andere - ist ihm sehr hoch anzurechnen. So ist von Carolus Magnus auch viel mehr überliefert als von seinen Vorgängern im Frankenreich. 

Das Gedenken an Karl beschränkt sich nicht auf das Jubiläumsjahr. In Frankfurt (er ist der Stadtpatron) und Aachen wird alljährlich am letzten Samstag im Januar zu seinen Ehren das Karlsamt gefeiert. Es ist eine besondere Heilige Messe mit latenischen Gesängen aus dem Mittelalter zu Ehren des Kaisers. Im Dom zu Frankfurt wird gesungen: 

"Francfordensis urbs regalis regni sedes principalis, prima regum curia, regi regum pange laudes, quae de magni regis gaudes Karoli praesentia" - "Frankfurt, du königliche Stadt, des Reiches Fürstensitz, erster Versammlungsort der Könige, dem König der Könige singe Lob, die du dich freust am Festtage des großen Königs Karl!"

(...) 

"Hic est magnus Imperator, boni fructus bonus sator et prudens agricola. Infideles hic convertit, fana, deos hic evertit et confringit idola" - "Er ist der große Herrscher, der Sämann der guten Frucht und der kluge Landmann. Er bekehrt die Ungläubigen, beseitigt die Tempel der Heidengötter und zerbricht die Götzenbilder". 

"Hic superbos domat reges, hic regnare sacras leges facit cum iustitia, quam tuetur eo fine, ut et iustus sed nec sine sit misericordia" - "Er bezwingt die hochmütigen Könige und er lässt herrschen die heiligen Gesetze mit Gerechtigkeit, deren Schützer er ist, dass er gerecht ist, voll Barmherzigkeit". 

(...)  (...)

Nach dieser Karlssequenz, dem zwölften Jahrhundert entstammend, folgen die Kaiserlaudes aus dem neunten Jahrhundert, Gesänge unter anderem mit der Bitte "Exaudi, Christe! Populo Germanorum et omnibus hominibus bonae voluntatis pax et vita!" - "Erhöre uns, Christus! Dem Volke der Deutschen und allen Menschen, die guten Willens sind, Friede und Leben!"

 Hauptzelebrant ist ein auswärtiger Bischof oder Erzbischof, um die verschiedenen Länder West- und Mitteleuropas mit Karl in Beziehung zu setzen. Die Messe zieht jedes Jahr etwa tausend Gläubige an. Ausschnitte sind unter youtube, Suchbegriff: Karlsamt, zu hören.  

Üblicherweise findet das Karlamt am letzten Samstag im Januar um 18.00 Uhr statt. 



 

 

Stefan Winckler

Stupor Mundi oder Antichrist? Kaiser Friedrich II., Re Federico

 Es gibt keine geschichtliche Persönlichkeit, die Italiener und Deutsche so stark verbindet wie Kaiser Friedrich II., der in Italien als Federico Secondo bekannt ist. Aufgewachsen in Palermo und bevorzugt in Apulien lebend, ist er sogar eher ein Italiener, ein Sizilianer vor allem, der als König ebendort Maßstäbe setze.  

Immer wieder hat Friedrich/Federico die Fantasie der Menschen beflügelt. Ja, noch Jahrzehnte nach seinem Tod gelang es Betrügern, als angeblicher Kaiser in Deutschland erfolgreich aufzutreten. Unterschiedlichste Autoren haben über ihn gearbeitet – sei es schwärmerisch wie Ernst Kantorowicz, oder betont sachlich, ja überkritisch wie David Abulafia. Für Stefan George war er gar der „grösste Friedrich“, wie er in seinem Gedicht "Die Gräber von Speyer" schreibt.  

Den Mann, der Jerusalem durch einen Vertrag unblutig für die Christen zurückgewann, der die Berufe des Arztes und des Apothekers trennte, der ein Pionier der Umweltschutzgesetzgebung war und der Sizilien zum modernsten Königreich Europas formte (sich freilich auf die Tradition seiner Ahnen mütterlicherseits, den normannischen Königen, stützte) beschrieb der Stuttgarter Historiker Wolfgang Stürner sehr präzise und mit äußerster Sachlichkeit. Hervorzuheben ist dabei nicht zuletzt das Kapitel "Der Kaiser und sein Hof. Friedrich und sein Gelehrtenkreis, seine künstlerischen und wissenschaftlichen Interessen" (S. 342-456). Stürners opus magnum von 1991 (erster Band) und 2000 (zweiter Band) ist 2009 unter dem schlichten Titel Friedrich II. als tausendseitige Monografie zu dem sehr günstigen Preis von 24,90 Euro erschienen. Wer sich zur Prüfungsvorbereitung oder bei der Abfassung einer akademischen Arbeit mit Friedrich befassen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. 

 

Wolfgang Stürner: Friedrich II. 1194-1250. Darmstadt 2009

 

 



 

Stefan Winckler

Ein kaiserlicher Versuch, die Konfessionsspaltung zu überwinden

 

Zugegeben, den Bekanntheitsgrad seines Bruders und Vorgängers Karl V. hat Kaiser Ferdinand I. (1503-1564) trotz bedeutender Leistungen nicht erreicht. Dies mag daran liegen, dass es nicht nur auf den geschichtlichen Akteur und seine Taten ankommt, sondern auch, wer die Geschichte schreibt.

Ferdinand vertrat den abwesenden Kaiser Karl auf der Ebene des Reiches, einte die habsburgischen Erblande Österreich, Böhmen-Mähren und (West-)Ungarn durch eine (bis 1848 gültige) Verwaltungsreform und handelte 1555 den Augsburger Religionsfrieden aus, der den protestantischen Ständen im Reich die volle Religionsfreiheit und Gleichberechtigung gegenüber den Katholiken einbrachte. Wieviel seelische Kraft mag ihn, der in Spanien erzogen war, dieser Kompromiss gekostet haben? Denn Ferdinand sah deutlicher als der allmählich verbrauchte, kranke Karl V., dass eine Gegenreformation nicht gewaltsam, sondern eher mit den Mitteln der Erziehung und Bildung durchzuführen war. Ausgehend von seinem Wahlspruch „Gerechtigkeit muss sein, oder die Welt geht zugrunde“ forderte Ferdinand, persönlich ein frommer Katholik, die päpstliche Kirche möge sich verändern, damit die Konfessionen wieder zusammenfinden. Im Einzelnen unterbreitete er dem Konzil von Trient folgenden Katalog („Reformationslibell“ von 1563): Kurienreform, Verbot der Pfründenanhäufung, Volkssprache beim Gottesdienst, Unentgeltlichkeit der Sakramente, Kommunion unter beiden Gestalten, Aufteilung der großen Bistümer, Priesterehe. Das Konzil dämmte manche Missstände ein („Tridentinische Erneuerung“), lehnte allerdings Ferdinands weiter reichende Forderungen ab. Der Kaiser starb bald darauf. Seine Nachkommen bildeten die österreichische Linie des Hauses Habsburg, während Karl die spanische Linie begründete. Im Mittelschiff des Prager Veitsdoms ist Ferdinand als böhmischer König neben seinem Nachfolger Maximilian und unweit von seinem Enkel Rudolf II. bestattet.

 

 

Literatur

 

Theodor Bruno Kassowitz: Die Reformvorschläge Kaiser Ferdinand I. auf dem Konzil von Trient. Würzburg 1906.

 

Richard Reifenscheid: Kaiser Ferdinand I. In: Gerhard Hartmann/Karl Schnith (Hrsg.): Die Kaiser. 1200 Jahre europäische Geschichte. Wiesbaden 2006, S. 510-520. 

 

 

 Stefan Winckler

Vor 400 Jahren: Kaiser Rudolf II. verstorben

 

Nein, er war kein großer Staatsmann. Rudolf II. (1552-1612) musste andere  Qualitäten haben, die ihn auch heute noch, 400 Jahre nach seinem Tode, zu einem der bekannteren römisch-deutschen Kaiser machen, um nicht zu sagen: zur Legende. Es gab offensichtlich Eigenheiten, die ihn aus der Gruppe der anderen gekrönten Häupter aufragen lassen (wer kann heute überhaupt etwas über spätere Habsburger wie Ferdinand  II.  sagen?). Der Erzbischof von Prag zelebrierte am 20. Januar 2012 ein Requiem zu seinem Andenken, die tschechische Nationalbank brachte eine Gedenkmünze für Rudolf heraus, die Wochenzeitung „Die Zeit“[1] (sonst wenig an der frühen Neuzeit interessiert) veröffentlichte dem gelungenen Artikel. Schon vor sieben Jahren wählte ihn das tschechische Fernsehpublikum in die Liste der hundert größten Böhmen (an die Spitze: Kaiser Karl IV.), und auch in deutschen Veröffentlichungen ist stets ein Hinweis auf die sehr große Begabung Rudolfs vorhanden.  Dass eine überregional erfolgreiche Brauerei, 1583 von ihm gekauft, sich seit etwa 20 Jahren auf ihn beruft (Krušovice „Imperial“) und auch ein edles Restaurant nahe Pilsen  nach ihm benannt ist, zeigt auf, dass sein Ruf alles andere als schlecht ist, und seine posthume Wirkung größer ist als der seiner Nachfolger.

Rudolf trug den Namen des Königs Rudolf von Habsburg. Sein Vater war Maximilian II., ein interessanter und viel zu wenig beachteter Regent, der sich um eine Kirchenreform bis hin zur Versöhnung von Katholizismus und Protestantismus stark machte. Dessen verständnisvolle Einstellung gegenüber den Lutheranern bewog seine Ehefrau, Rudolfs Mutter, die Söhne Rudolf und Ernst in das katholische Spanien zu entsenden, um sie reformatorischem Einfluss zu entziehen (es handelte sich um Maria, Cousine ihres Ehemanns Max, aus der spanischen Linie der Habsburger stammend). Der Madrid-Aufenthalt, von dem fast nichts überliefert ist, datiert von 1563  bis 1571. Diese Jugenderlebnisse, bis hin zu Inquisition und Cousin Don Carlos‘ rätselhaftem Tod, mögen Rudolf wesentlich geprägt haben. 1575 erhielt er die Krone Böhmens (vier Millionen Einwohner, mehrheitlich deutsch sprechend), im gleichen Jahr war er römisch-deutscher König und 1576 deutscher Kaiser (seine ungarische Königkrone können wir hier vernachlässigen, weil Ungarn größtenteils unter türkischer Herrschaft stand).

Wesentlich für sein weiteres Leben war die Entscheidung 1583 die Residenz von seinem Geburtsort Wien nach Prag zu verlegen. Nicht abwegig, schließlich war er böhmischer König. Aber auch Konflikte am Hof und vor allem die nahe Grenze zum Osmanischen Reich können ihn bewogen haben, von der Donau an die Moldau zu ziehen. Ein Kaiser konnte in jener Zeit ohnehin nur sehr wenig im Heiligen Römischen Reich bewegen (Rudolf versuchte einiges in den ersten Jahren seiner Herrschaft) – es kam vielmehr auf die Hausmacht an. Allerdings war in jener vorabsolutistischen Epoche auf die Stände Rücksicht zu nehmen.

Von 1591 bis 1606 entbrannten erneut die Türkenkriege. Rudolf hatte die Idee, sich mit Russland und Persien zu verbünden, um das Osmanische Reich von Osten her unter Druck zu setzen. Kaum eine rein militärische Tat Rudolfs ist nachgewiesen.

Einen Namen machte sich Rudolf, die europäischen Monarchen an Bildung weit übertreffend,  dagegen als Förderer der Wissenschaften und der Künste – Welten, in die er geradezu flüchtete.  So fühlte er sich von den Geisteswissenschaften und der Dichtung, mehr aber noch von den Naturwissenschaften angezogen. Die Astronomie, in jener Zeit noch mit der Astrologie verknüpft, faszinierte ihn sehr (daher auch sein Wahlspruch: es leuchtet des Kaisers Gestirn). Er holte die besten Astronomen nach Prag: Tycho Brahe und Johannes Kepler. Nicht ohne Grund benannte Kepler seine Tabellen über die Bewegung der Planeten „Rudolfinische Tafeln“. Der Kaiser hielt sich selbst viele Stunden in Labor und Sternwarte auf.   Es war eine vor-rationalistische Epoche, in der nicht nur Horoskope hoch in Kurs standen (auch Zeitgenosse Shakespeare schrieb hier und da von Einflüssen der Planeten auf den Menschen), sondern auch die Alchemie. Hieran war Rudolf stark interessiert, zumal die Umwandlung von Blei in Gold die Erwartungen beflügelte.  

Rabbi Löw war ein Gesprächspartner – eine Zusammenkunft ist nachgewiesen. Mit wem der wissbegierige, mehrere Sprachen fließend beherrschende Rudolf zusammenkam, und wie oft dies geschah, wurde nicht immer dokumentiert: amtliche Akte haben seit jeher Vorrang in den Kanzleien.  

Rudolf wandte sich auch der kunstgewerblichen Arbeit, insbesondere dem Goldschmiedehandwerk zu; mancher gefertigte Gegenstand geht auf seinen Entwurf zurück. Künstler wie Giuseppe Arcimboldo (berühmt durch sein Gemälde, das des Kaisers Gesicht aus einer Anzahl Früchten zusammengesetzt erscheinen lässt), Hans van Aachen und gerade auch viele Niederländer wirkten an seinem Hof. Kuriositäten und wertvolle Sammelstücke, Münzen und Handschriften erwarb er in großen Mengen. Ein Teil dieser Sammlungen, die europäische Spitzenklasse bedeuteten, wurde im Dreißigjährigen Krieg durch Sachsen und Schweden verschleppt. Erhebliche Bestände sind im Kunsthistorischen Museum zu Wien zu besichtigen. In seinen Gärten tummelte sich manches exotische Getier, blühten Pflanzen fremder Herkunft.

Es war dieses unablässige Sammeln und das übergroße Interesse, das zum Stocken der Staatsgeschäfte führte. Mochte das Interesse an Kunst und Kuriositäten manische Züge angenommen haben, so wirkte Rudolfs Rückzug von der Politik gerade als Hinweis auf Depressionen. In späteren Jahren, speziell nach 1598, mussten Diplomaten auf eine Audienz warten, und nur mit größter Mühe waren Unterschriften von ihm zu erlangen (dies förderte die Macht der Kammerdiener, die den Zugang zu Rudolf kontrollierten). So vieles lag ihm am Herzen: um Fischteiche anzulegen, ließ er einen Kanal über eine Strecke von zweieinhalb Kilometer unter einem Hügel graben (im 19. Jahrhundert noch gut genug für die Wasserversorgung Prags). Würden wir heute nicht von Verzettelung reden?

Im Zusammenhang mit Rudolf wird in der Regel über Krankheit gesprochen. Stets in spanischer Hoftracht schwarz gekleidet, anfangs freundlich und milde, später zunehmend distanziert, schweigsam und zurückgezogen, von größter Empfindlichkeit gegenüber allem Ungewohnten, belastete er speziell in seinen letzten Lebensjahren seine Umgebung durch Tobsucht. Begründetes Misstrauen steigerte sich in Verfolgungswahn. Als Kind von Cousin und Cousine, die auch über andere Herkunftslinien möglicherweise zusätzlich miteinander verwandt waren, waren Rudolfs Erbanlagen nicht die besten. Eindeutig geisteskrank war sein Sohn Julius von Österreich, der in Český Krumlov/ Böhmisch Krumau einen bestialischen Mord an einer von ihm begehrten Frau beging. Die Nachricht darüber und der bald folgende Tod dieses Nachkommen dürften die geistige Gesundheit Rudolfs endgültig ruiniert haben. Es ist aber gleichzeitig zu bedenken, dass Gerüchte über Wahn und Regierungsunfähigkeit gezielt von seinen Feinden, nicht zuletzt seinem farblosen Bruder Mathias aus Gründen des Machtgewinns gestreut wurden. Franz Grillparzer hat den Kampf in seinem Drama „Ein Bruderzwist im Hause Habsburg“ verewigt.

Rudolf II. verstarb am 20. Januar 1612.  Er ist im Veitsdom zu Prag begraben, wo er auch seine Eltern und Großeltern bestatten ließ. Einer arrangierten Ehe mit einer Cousine ging er aus dem Weg, er blieb vielmehr unverheiratet. Rudolf hinterließ mehrere uneheliche Kinder.

 

Literatur:

 

Felix Stieve: Rudolf II. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 29, Leipzig 1889, S. 493-515.

http://www.bgzehnwn.ac.at/rudolf/

[1] Peter Rawert: Ein Traum aus Kunst und Magie. In: Die Zeit, 20.1.2012.

Berthold Seewald: Für eine Erotik-Sammlung gab er ein Kaiserreich. In: Die Welt, 20.1.2012.

 

 

 Stefan Winckler

Vor 200 Jahren legte Kaiser Franz II. die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nieder

 

1., Das Dokument

Am Morgen des 6. August 1806 verlas der Herold des Reiches vor der Kirche zu den neun Engeln in Wien einen Urkundentext, der im Namen von Kaiser Franz II. die formalrechtliche Konsequenz aus den Friedensbestimmungen von Pressburg und dem übertritt maßgeblicher Fürsten zu Napoleons „Rheinbund“ am 12. Juli d. J. zog:


„(…) Bei der hierdurch vollendeten Überzeugung von der gänzlichen Unmöglichkeit, die Pflichten Unseres kaiserlichen Amtes länger zu erfüllen, sind Wir es Unseren Grundsätzen und Unserer Würde schuldig, auf eine Krone zu verzichten, welche nur so lange Werth in Unseren Augen haben konnte, als Wir dem, von Kurfürsten, Fürsten und Ständen und den übrigen Angehörigen des deutschen Reiches Uns bezeigten Zutrauen zu entsprechen, und dem übernommenen Obliegenheiten ein Genüge zu leisten im Stande waren. Wir erklären demnach durch Gegenwärtiges, dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, daß Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde (…) als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das Deutsche Reich losgezählt betrachten und die wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen. Wir entbinden zugleich Kurfürsten, Fürsten, und Stände  und alle Reichsangehörigen insbesondere auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft von ihren Pflichten womit sie an Uns, als das gesetzliche Oberhaupt des Reiches, durch die Constitution gebunden waren (…)  (1)

Diese Sterbeurkunde des alten Reiches hatte Graf Stadion entworfen, nachdem Napoleon Franz II. unter Androhung militärischer Gewalt zur Niederlegung der römisch-deutschen Kaiserkrone gezwungen hatte.

Vorausgegangen war 1803 die Säkularisierung der geistlichen Fürstentümer und die Aufhebung der Klöster. Reichsunmittelbare Städte verloren ihre Selbständigkeit (Mediatisierung) und sanken zu Landgemeinden mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen herab, die viel Aufträge der bisherigen Residenten entbehren mussten. So verstaubt und zukunftsunfähig die Vielzahl an Territorien („Flickenteppich“) auch war, so bedeutete die Säkularisierung oft eine Verschleuderung kirchlichen Eigentums durch die neue Obrigkeit, eine mangende Pflege von Kunstgegenständen und nicht zuletzt Probleme, den neuen Untertanen die Schulbildung zu vermitteln, die der Klerus seit Jahrhunderten in seiner Hand hatte.

Die Bedeutung des Reichs wurde 1804 mit der Krönung Napoleons zum Kaiser der Franzosen und der Proklamation des Kaisertums Österreichs (Franz versuchte, mit Napoleon gleichrangig zu bleiben) weiter untergraben. Der Tod des Reiches wartete eigentlich nur noch darauf, amtlich bekundet zu werden.

 

2., Begrifflichkeit und Wesen des Reiches


Zwar war die Bezeichnung „deutsches Königreich“ bzw. „Königreich der Deutschen“ (regnum teutoni[or]um) 925 erstmals aufgetreten. Doch war mit der Kaiserkrönung Otto des Großen 962  („Imperator Romanorum“ in seiner Urkunde von 976) durch papst Johannes XXII. Ein übernationaler Aspekt hinzugetreten: der Charakter des Reiches als Universalmonarchie in Nachfolge des Imperium Romanum und in Fortsetzung des Kaisertums Karls des Großen (Translatio Imperii) als höchste weltliche Macht auf Erden. Das bedeutete auch, dass sich der Kaiser als gleichrangig mit dem Papst, der höchsten geistlichen Instanz, erachtete, dass sein Reich gottesunmittelbar und erhaben war. So war 1157 erstmals in einer Urkunde Friedrich Barbarossas von „Sacrum Imperii“ („Geheiligtes Reich“) die Rede. 1243 wurde „Sacrum Imperium Romanum“ offiziell. Man beachte: „sacrum“, nicht „sanctum“ („heilig“) im Original. Der Zusatz „nationis germaniae“ („deutscher Nation“) ist erstmals 1486 in einem Reichsgesetz nachgewiesen und wurde seit dem 16. Jahrhundert offiziell. Zweck des Reiches war nicht Ausdehnung und Machtstreben, sondern Schutz des Rechts und Bewahrung des Friedens. So war das Alte Reich auch praktisch zum Angriff unfähig, denn die dafür erforderlichen Massenheere sind ein Mittel der Nationalstaaten mit allgemeiner Wehrpflicht – Stichwort Französische Revolution und Napoleon. Vielmehr sollte das reich die Machtgier eindämmen, die Untertanen vor Fürstenwillkür, die kleinen Reichsstände vor den großen Ständen schützen. Ein christlicher Ansatz! Doch weil es ein Himmelreich auf Erden nicht geben kann (denn wer es anstrebt, schafft meist eine Hölle), waren die hehren Ansprüche oft nur ungenügend verwirklicht worden. Vom stolzen Kaisertum entwickelte es sich zum Verbund aus Kaiser und Reichsständen, nachdem schon der „Apulier“ Friedrich II. 1220 Zugeständnisse an die Fürsten machen musste, damit sie ihn (bzw. seinen Sohn) zum König wählen.

Eine Verbindung aus englischen Verfassungsgrundzügen und dem Wesen des Reiches strebte Freiherr vom und zum Stein im frühen 19. Jahrhundert an, ohne sich gegen die auf ihrer Souveränität bestehenden „35 kleinen Despoten“ der Landesfürsten durchsetzen zu können.   

3., Vergangenheit und Gegenwart

Einige Bücher über das Alte Reich sind 2006 neu erschienen. Vor allem war das Reich durch ausschließlich ihm gewidmete, große Doppel-Ausstellung in Magdeburg und in Berlin von August bis Dezember 2008 ins Gespräch gekommen:  Wikipedia schrieb von 440 000 Besuchern, so dass dies die erfolgreiche Ausstellung über Geschichte seit der Preußen-Ausstellung von 1981 war.

Die Kenntnis – nicht die Idealisierung durch die Romantik – des Heiligen Römischen Reiches hilft, neben der Geschichte der deutschen Lande auch die Vergangenheit der benachbarten mitteleuropäischen Regionen im Westen, Süden und Osten zu verstehen. Dort haben Deutsche und andere Völker meist gemeinsam, mit den gleichen christlichen Werten, Kultur- und Wirtschaftsgut geschaffen. Völkerverständigung ergibt sich demnach nicht aus der Umsetzung von EU-Richtlinien, sondern aus verbindender geschichtlicher Vergangenheit – wie es aus dem Wirken der geistlichen Ritterorden oder dem kaisertreuen Ghibellinen und weißen Guelfen – allen voran Dante – ersichtlich ist.

 

1   Wolfgang Lautemann/Manfred Schlenke: Geschichte in Quellen. Bd.4: Amerikanische und Französische Revolution. München 1981, S. 550f.

 

 

Literaturhinweise 

Karl Otmar von Aretin: Heiliges Römisches Reich 1776-1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität. Zugl.: Habilitationsschrift. Wiesbaden 1967.

Klaus Herbus/Helmut Neuhaus: Das Heilige Römische Reich – Schauplatz einer tausendjährigen Geschichte (843-1806): Köln, Weimar: Böhlau 2005.

Hubertus Prinz zu Löwenstein: Deutsche Geschichte. München: F.A, Herbig, 1976

Mathias Puhle/Claus-Peter Hasse: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962-1806. Von Otto de, Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. Katalog- und Essayband zur 29. Ausstellung des Europarates. Dresden 2006.  

Bernd Schneidmüller (Hrsg.): Heilig – Römisch - Deutsch: das Reich im mittelalterlichen Europa. Dresden 2006

Barbara Stollberg-Rilinger: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806. München 1806.

http://de.wikipedia.org/wiki/Heiliges_Römisches_Reich

http://de.wikipedia.org/wiki/Ausstellung_Heiliges_Römisches_Reich_Deutscher_Nation

 

 

3. Beiträge zur neuen und neuesten Geschichte

 


 

 

 

Stefan Winckler

Vor 150 Jahren: Friedrich Wilhelm IV. von Preußen gestorben

 

Friedrich Wilhelm IV. war der Sohn von Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise. Er wurde am 15. Oktober 1795 geboren, zwei Jahre vor seinem Bruder Wilhelm I. Verheiratet war er mit Elisabeth, einer katholischen Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach, die nach der Hochzeit zum Protestantismus übertrat. Die Ehe blieb kinderlos.

In jungen Jahren war er eher ein Künstler als ein Kronprinz: Schon als Kind entpuppte er sich als ein begabter Zeichner (Humor und Ironie werden deutlich anhand einiger Selbstkarikaturen), später war er ein bedeutender Bauherr, von dem mehr als tausend Entwürfe, gerade auch für Sakralbauten, stammten. Ihm ist es zu verdanken, dass der Kölner Dom nach 1842 fertig gebaut wurde, und dass die „Kölner Wirren“, also die Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und preußischem Staat, gleichzeitig ein Ende fanden.

Vor allem aber war der Hochbegabte, mit den führenden Geistesgrößen Preußens wie Karl Friedrich Schinkel und Alexander von Humboldt verkehrende Friedrich Wilhelm IV. ein sehr gläubiger Christ. 1840 bestieg er den Thron, und sprach anlässlich seiner Huldigungsfeier: „Wenn von Ihnen nun der Sinn nicht nach einer sogenannten glorreichen Regierung steht, die mit Geschützesdonner und Posaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfüllt, sondern wer sich begnügen lassen will mit einer einfachen, väterlichen, echt deutschen und christlichen Regierung, der fasse Vertrauen zu Mir. (…) Ich will (…) Friede halten zu Meiner Zeit (…)“.

Friedrich Wilhelm IV., der im Vergleich zu anderen Monarchen ungewöhnlich häufig Ansprachen hielt, blieb konsequent: Zum Unwillen Frankreichs und Englands auf der einen, Russlands auf der anderen Seite beteiligte sich Preußen nicht am Krimkrieg 1853-1856. Dadurch war dieser Waffengang auf das Schwarze Meer beschränkt, Mitteleuropa blieb verschont. Ein anderer Grund war allerdings auch die Schwäche des preußischen Heeres, das erst unter Bismarck zu einer (wieder) schlagkräftigen Armee wurde – Stichwort: Heeresreform 1860ff.

Zugleich fühlte Friedrich Wilhelm, auch darin ein Romantiker, zutiefst „teutsch“ (wie auch Ludwig I. von Bayern, sein Schwager).  Doch wollte er, der Romantik entsprechend, die Deutsche Einheit nicht durch die Abgeordneten der Paulskirche (oder gar nur durch einen Teil von ihnen) verwirklicht sehen, sondern durch sich und seinesgleichen, die Fürsten des Deutschen Bundes. Für diese Einstellung verzichtete er auf die deutsche Kaiserkrone, die seiner Überzeugung nach dem österreichischen Monarchen gebühren sollte. Der Versuch einer deutschen Einigung „von oben“ scheiterte jedoch 1850 (Punktation von Olmütz).

In Preußen wehrte sich Friedrich Wilhelm gegen eine moderne, liberale  Verfassungsgebung, wie sie beispielsweise in Baden und Bayern existierte. Er fühlte sich als König von Gottes Gnaden, der nur dem Schöpfer Rechenschaft schuldig sei („Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen“) und in diesem Sinne sein Volk unter Mitwirkung der Stände liebevoll-väterlich regiere. Wäre da, so Friedrich Wilhelm, eine seine Rechte einschränkende Verfassung nicht ein Akt des Misstrauens, ja eine Gotteslästerung, weil sie die „organische“, gottgewollte Ordnung umzugestalten versucht? Doch machte er unmissverständlich deutlich, was sein Selbstverständnis als Herrscher war:

„Es drängt mich zu der feierlichen Erklärung, daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles und konstitutionelles zu wandeln, und daß ich es nie und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen unseren Herrgott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen. Zwischen uns sei Wahrheit. Von einer Schwäche weiß ich mich gänzlich frei. Ich strebe nicht nach eitler Volksgunst (Und wer könnte das, der sich durch die Geschichte hat belehren lassen?). Ich strebe allein danach, meine Pflicht nach bestem Wissen und nach meinem Gewissen zu erfüllen und den Dank meines Volke zu verdienen, sollte er mir auch nimmer zuteil werden…“. 

Nur nach schwerstem Inneren Ringen legte er dennoch seinen Eid auf die oktroyierte Verfassung 1848 und die revidierte Verfassung 1850 ab. Damit war Preußen eine konstitutionelle Monarchie.

Auch Friedrich Wilhelm IV., über den es noch viel zu sagen gäbe, war kein idealer Herrscher. Seine symbolische Politik nach 1840 machte den Liberalen Hoffnungen, die der König bald wieder enttäuschte: Zwar begnadigte er unter anderem den „Turnvater“ Jahn und setzte noch in seinem Krönungsjahr Ernst Moritz Arndt wieder auf seinen Lehrstuhl in Bonn, aber dies tat er aus dem christlichen Motiv der Versöhnung. Im Revolutionsjahr 1848 blieb Friedrich Wilhelm IV. monatelang in der Defensive (man könnte auch sagen: er war verunsichert) – ein Zustand, der Otto von Bismarck rasend vor Ungeduld und Wut machte. Auf die soziale Frage, die ihm Bettina von Arnim nahezubringen versuchte, fand er keine Antwort. 

Friedrich Wilhelm IV. starb nach mehreren Schlaganfällen am 2. Januar 1861. Er ist in der Friedenskirche von Potsdam begraben.  Mit ihm trat die Generation Preußens, die die Befreiungskriege, das Erweckungschristentum und die Romantik bewusst, ja prägend erlebt hatte, ab: Es war das Todesjahr Friedrich Carl von Savignys, Friedrich Julius Stahls und Leopold von Gerlachs. Die nächsten 30 Jahre standen im Zeichen von Bismarcks Realpolitik.

 

Literaturhinweise:

 

Friedrich Wilhelm IV. ist gut erforscht. Eine Quellensammlung erschien bereits 1855 („Reden und Trinksprüche Friedrich Wilhelms IV.“). Aufschlüsse geben  gerade auch die Schriften seines Freundes und Beraters Radowitz und seines Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel. Kein Historiker der preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts wie z.B. Leopold von Ranke konnte das Thema vernachlässigen. Doch wurde Friedrich Wilhelm IV. im Deutschen Kaiserreich eher ungünstig beurteilt, weil er kein Tatmensch war, ihm die deutsche Einheit nicht gelang, und er völlig in Bismarcks Schatten geraten war. In den letzten Jahren erschienen folgende Bücher: David E. Barklay: Anarchie und guter Wille. Berlin 1995; Dirk Blasius: Friedrich Wilhelm IV: Psychopathologie und Geschichte, Göttingen 1992; Walter Bußmann: Zwischen Preußen und Deutschland: Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1990; Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik. Berlin 1990; Peter Krüger: Der verkannte Monarch: Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit, Potsdam 1997. Darüber hinaus existiert ein Katalog zu der Ausstellung Friedrich Wilhelm IV., Künstler und König, die 1995 in der neuen Orangerie im Park von Sanssouci stattfand. 

 

 


 

 

 

Stefan Winckler 

Die ersten beiden Toten des Ersten Weltkriegs - Erzherzog Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg

 

Das Jahr 2014 steht im Zeichen eines hundertsten Jahrestages. Die Rede ist vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wir wollen hier der ersten beiden Opfer des "Großen Krieges" gedenken. Sie heißen Sophie von Hohenberg (geborene Chotek) und Franz Ferdinand von Österreich-Este. 

War Franz Ferdinand die "hervorragendste Gestalt der herrschenden Dynastien in Europa im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts", wie ihn der englische Historiker Robert William Seton-Watson (ein Jugoslawenfreund und Habsburgerfeind!) nannte? Ein liberaler, fast demokratischer Gegenpol zur Hofburg und erst recht zum Deutschen Kaiserreich, wie der Regisseur Max Ophüls ihn  in seinem französischen Spielfilm "De Mayerling a Sarajevo" auftreten lässt? Oder doch der menschenverachtende, verbitterte Choleriker? Wie waren seine Reformpläne für die Monarchie beschaffen? War sein Ziel der Trialismus, also eine Aufwertung der slawischen Völker gegenüber den Deutschen und vor allem den Ungarn?

Franz Ferdinand wurde am 18. Dezember 1863 in Graz geboren. Sein Vater war der Bruder des Kaisers Franz Joseph, Erzherzog Karl Ludwig. Nichts deutete darauf hin, dass er Thronfolger werden sollte, bis Kronprinz Rudolf in Mayerling Selbstmord beging. Die Jahre danach waren der Vorbereitung auf das höchste Amt aber kaum dienlich, weil Franz Ferdinand unter Tuberkulose litt und sehr lange Kuraufenthalte bestreiten musste. Seine Zukunft war in Frage gestellt.

Franz Ferdinand war selbst für die seinerzeitigen Verhältnisse außerordentlich konservativ eingestellt. Im Grunde war der sehr fromme Thronfolger ein Exponent des Gottesgnadentums und eher im Neoabsolutismus verankert. Entscheidender Maßstab in der praktischen Politik war für ihn daher die Treue der Untertanen zur Dynastie. Er hasste die ungarischen Eliten, die sich auf Kosten "Wiens" ständig mehr Rechte für die östliche Reichshälfte anzumaßen versuchten und die die seiner Überzeugung nach Habsburg-treuen Völker der Slowaken, Rumänen und Kroaten unterdrückten. Seine Diagnose lässt sich nicht bestreiten: Die Magyarisierung war im Königreich Ungarn in vollem Gange, die meisten Schulen der Deutschen und Slawen dort wurden geschlossen. Vor allem die Kroaten hatten seine Sympathie.  

Doch wie sollte das Kaisertum neu geordnet werden, um überhaupt weiterbestehen zu können? Auch wenn der Erzherzog unbeständig in seinen Einstellungen zu Reformplänen war, gab es eine Konstante: Er bevorzugte die Revision des 1867er Ausgleichs mit Ungarn. Das Magyarentum sollte zugunsten der Zentralgewalt in Wien zurückgestuft werden. Zumindest zeitweise favorisierte er in diesem Sinne die Konstruktion der "Vereinigten Staaten von Groß-Österreich", wie sie der Publizist Aurel Popovici zu Papier brachte. Das Reich sollte in ungefähr 15 national möglichst homogene, teilweise autonome Kantone aufgeteilt werden. Eine starke Zentralgewalt in Wien sollte den Dualismus Österreich-Ungarn ersetzen. Eine andere Möglichkeit, mit der er sympathisierte, war der Trialismus: Er dachte an ein südslawisches Königreich der Habsburger, das Kroatien mit Dalmatien und Bosnien-Herzegowina umfassen sollte, und das eine Ausstrahlung auf das wirtschaftlich schwächere Königreich Serbien gehabt hätte. Gleichzeitig wäre Kroatien von der bisherigen ungarischen Vorherrschaft gelöst worden. Ob es Franz Ferdinand gelungen wäre, sich durchzusetzen, wenn Franz Joseph vielleicht im Jahre 1912 verstorben wäre? Das bleibt allerdings zweifelhaft. Vor allem, aber nicht nur die Ungarn hätten sich unverzüglich dagegen gesperrt. Auch in Österreich war Franz Ferdinand nicht beliebt (er verzichtete vollkommen auf Öffentlichkeitsarbeit, was seine vorkonstitutionelle Einstellung belegen hilft). Und selbst, wenn er ein neues Kaisertum Österreich eingeleitet hätte, wären die Erwartungen bei vielen Völkern zu hoch gewesen. Meines Erachtens war Franz Ferdinand zu sehr von neoabsolutistischen, vor-konstitutionellen Einstellungen geprägt, als dass er die großen Fragen der Demokratisierung, der Freiheit und der sozialen Herausforderung auch nur in Angriff genommen hätte.  

Bezeichnend für seinen Konservatismus war die Einstellung zu Italien. Auch wenn es sich bei diesem Nationalstaat um ein Königreich handelte, war ihm der Staat geradezu verhasst, weil er dort die Freimaurer an der Macht glaubte und ihm, dem papsttreuen Katholiken, die Feindschaft zwischen dem Vatikan und dem Quirinalspalast bewusst war. Als Gefühlsmensch, der er war, verzichtete er auf jegliche Italienreise und besuchte nicht einmal seinen ererbten Besitz Este bei Modena.  

Während sich Franz Ferdinand im Dienst oft wütend und hasserfüllt zeigte, war er ein vorbildlicher Familienvater. Er hatte bei einem Empfang des Statthalters in Prag 1894 die Tochter eines im Grafenstand befindlichen böhmischen Diplomaten in kaiserlich-österreichischen  Diensten, Sophie von Chotek (Jahrgang 1868), kennengelernt.  Als die heimliche Verbindung aufflog, setzte er alles daran, Sophie zu heiraten. Nach den seinerzeitigen Bestimmungen des Hauses Habsburg-Lothringen wäre nur eine Braut aus einer regierenden europäischen Dynastie in Frage gekommen. Es bedurfte viel seelischer Kraft, bis sich das Paar gegen Kaiser Franz Joseph durchsetzen konnte. 1900 heiratete Franz Ferdinand seine Geliebte, verbunden mit einigen harten Bedingungen in Bezug auf das Habsburg-lothringische Erbe ("morganatische Ehe"). Dennoch war das Paar zahlreichen Demütigungen durch den Oberhofmeister Alfred von Montenuovo ausgesetzt. Auch deswegen hielt es sich so oft es ging in seinem ländlichen Schloss Konopischt unweit von Prag auf.  

Das Pistolenattentat erfolgte am 28. Juni 1914, dem St. Veits-Tag, in Sarajewo, wo Franz Ferdinand als Generalinspekteur der Streitkräfte zu einem Manöver geladen war. Während Franz Ferdinand - von den nationalen Serben fälschlicherweise als Kriegstreiber eingeschätzt! - und Sophie wohl eher an ihren bevorstehenden 14. Hochzeitstag dachten, war der 28. Juni für die Serben ein symbolträchtiger historischer Tag: das Datum der national bedeutsamen ersten Schlacht auf dem Amselfeld. Eben dies dürfte serbische Nationalisten zusätzlich provoziert haben. 

Franz Ferdinand ist an der Seite seiner Frau in der Schlosskapelle zu Artstetten in der Wachau begraben. Die letzte Ruhestätte für sich und seine Frau hatte er zu Lebzeiten errichten lassen, da die Kapuzinergruft als Grablege der Herrscher Österreichs wegen der "Unebenbürtigkeit" seiner Frau nicht in Frage kam. 

Der Attentäter Gavrilo Princip, der als Minderjähriger (19 Jahre) dem Todesurteil entkam, verfügte über hochrangige Hintermänner in Belgrad: den groß-serbischen Geheimbund "Schwarze Hand". Er verstarb in der Kleinen Festung Theresienstadt aufgrund der sehr schlechten Haftbedingungen an Tuberkulose noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Er sagte nach der Verhaftung aus, dass er keineswegs die Absicht hatte, auch Sophie zu töten.

 

Der Nachlass Franz Ferdinands befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. 

Das Auto, in dem Franz Ferdinand und Sophie starben, ist ebenso wie die blutbefleckte Uniform des Erzherzogs im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien zu sehen.  Schloss Artstetten ist im Besitz der Urenkelin Franz Ferdinands, Anita Hohenberg und kann besichtigt werden. Eine Gedenkfeier ist dort für den 28. Juni 2014 geplant. 

Mehr Besucher hat Schloss Konopiště/Konopischt, etwa 40 Kilometer südlich von Prag. Eine Brauerei nahe Konopischt produziert seit Jahren wieder das Ferdinand-Bier, das explizit nach dem einstigen Besitzer benannt ist. Das Restaurant in der Nähe des Schlosses beruft sich in der Speisekarte auf die "alte Zeit", unter anderem mit der "belegte Platte, die beim Besuch Kaiser Wilhelms II. in Konopiště 1914 serviert wurde", oder dem "Hasen in Sahne a la Kaiserin Elisabeth".  Ein Gedenkgottesdienst für Franz Ferdinand und Sophie von Hohenberg wird am 28. Juni 2014 vom Prager Erzbischof Dominik Kardinal Duka zelebriert.  

Im Königreich Jugoslawien und unter Tito galt Princip offiziell als Held. Und heute? Uns ist nicht nur die serbische Kriegführung im Jugoslawien-Krieg v.a. in Kroatien und Bosnien in trauriger Erinnerung. In Belgrad und im serbischen Teil Sarajewo ist nach Zeitungsberichten vom 23. Januar 2014 die Errichtung eines Denkmals für den Mörder Gavrilo Princip geplant. Auftraggeber ist die serbische Regierung. Die Nachricht über das Vorhaben ging kam nur zwei Tage nach dem Beginn der Beitrittsverhandlungen Serbiens mit der EU an die Öffentlichkeit. Es fällt maßgeblichen serbischen Kreisen offenbar schwer, sich aus vergangenen Zusammenhängen zu lösen und aus der Geschichte zu lernen. Wohltuend hingegen der Großmufti von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Cerić , in einer ORF 2-Sendung: "Die Ermordung des Thronfolgers war keine Heldentat, sondern ein Akt der Feigheit. Denn Gavrilo Princip war ganauso ein Terrorist wie jeder andere, der Leute umbringt". 

 

www.schloss-artstetten.at

www.konopiste.cz/de

 

Literatur: 

 Jean-Paul Bled: Der eigensinnige Thronfolger. Wien 2013  

Alma Hannig: Franz Ferdinand. Die Biografie. Wien 2013

Anita Hohenberg: Er war mein Urgroßvater. Wien 2013 

Ludwig Winder: Der Thronfolger. Roman. Wien 2014 (Erstauflage 1935)

 

 

 

 

 

 

Stefan Winckler

Papstgeschichtsschreibung mit Kompetenz

 

Auf eine 543-Seiten-Monografie von Georg Schwaiger unter dem Titel „Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert“ sei an dieser Stelle hingewiesen. Aus mehrfachen Grund: zum einen liegen in jedem besseren Buchladen Bände über (oder von) Papst Franziskus aus, und auch über Benedikt XVI. konnte sich der geneigte Leser anhand seiner wieder ausgelegten Schriften („Einführung in das Christentum“) und anhand neuer Biographien, etwa von Andreas Englisch, eingehend informieren. Andererseits erlebte der interessierte Beobachter nur ein Jahr nach den gefüllten Büchertischen voller papstfreundlicher Literatur im Jahre 2006/07 eine Welle des Atheismus, angeführt von Richard Dawkins.

Wer sich über Päpste informieren will und dabei hohe Ansprüche stellt, sei eine 543-Seiten-Monografie unter dem Titel „Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert“ von Georg Schwaiger empfohlen, erschienen 1999 bei C.H. Beck in München. Im Gegensatz zu Autoren wie etwa der frontal das Christentum angreifende Karlheinz Deschner und den Kritikern Pius XII. wie Rolf Hochhuth, David Yallop und vielen anderen verfügt er dieser Autor als Professor über die höchstmögliche berufssoziologische Kompetenz, da er an einer Universität nicht  nur diesbezüglich geprüft wurde, sondern die Lehrbefugnis im Fach Katholische Theologie – seit 1971! – innehat. Aus diesem Grund entwickelt er keine publikumswirksamen Anklagen oder Verschwörungstheorien, sondern wägt sorgfältig an, was dem jeweiligen Papst angesichts seiner Persönlichkeit, seiner Umgebung und den innerkirchlichen wie weltlichen Gegebenheiten möglich war. So erfüllt er beispielhaft den Grundsatz, wonach der Historiker nicht Ankläger, Verteidiger und auch nicht Richter sein kann, sondern eher der intellektuelle „Spürhund“, der ermittelt, was aus welchen Gründen gewesen war. Zentrale Fragestellungen betreffen die theologische Ausrichtung und die politische Wirkung. Nicht zu kurz kommen auch Jugend auch Werdegang des jeweiligen Pontifex Maximus. So bekommt der Leser ein facettenreiches, sicher eher wohlwollendes, aber kein völlig einseitiges Bild von den Päpsten des vergangenen Jahrhunderts, von Leo XIII. bis Johannes Paul II. Beispielsweise wird herausgearbeitet, dass der weitsichtige, der modernen Wissenschaft relativ aufgeschlossene Papst Leo XIII (1878-1903) am Ende seines Lebens weit stärker reaktionär dachte, als es seinem Ruf entspricht.

Andererseits sei sein Nachfolger Pius X. (1903-14), als Widersacher des Modernismus bekannt, dank seiner Bemühungen um „innerkirchliche Erneuerung“ einer der „bedeutendsten Reformer der Papstgeschichte“ (S. 119) gewesen.  Verdienstvoll ist es, eine größere Leserschaft mit Benedikt XV. (1914-22) und seinen Friedensbemühungen während des Ersten Weltkriegs vertraut zu machen. Der scharfe Gegensatz zwischen Konservatismus (insbesondere dem katholischen Konservatismus) und dem Nationalsozialismus wird rasch deutlich am Porträt von Pius XI. (1922-39) und seinen wiederholten Protest gegen die Konkordatsverletzungen durch Hitlers Regime. Pius XII. (1939-58) erscheint – ähnlich wie bei Guido Knopps quellenkritischer und erfreulich zitatenreicher Einführung „Vatikan – die Macht der Päpste“ – nicht als der herzlose, gar judenfeindliche „Schweiger“, als den ihn etwa John Cornwell ("Hitler's Pope") zeichnet, sondern als tatkräftiger Diplomat: Er zog zahlreiche „stille“ Hilfsmaßnahmen vor, nachdem auf zahlreiche kirchliche Verlautbarungen erfahrungsgemäß um so stärkere NS-Repressalien folgten. Freilich, man kann darüber streiten. Aber die Tatsache, dass der Autor Hitlers Herrschaft noch erlebte, bewahrt ihn vor unwissenschaftlichen, besserwisserischen Spekulationen. Mit anderen Worten: Schwaigers Mahnung, nicht von der sicheren Warte des nachgeborenen über das Leben in totalitären Regimen zu richten, verdient gerade auch angesichts seiner eigenen Erfahrungen (er ist Jg. 1925) höchste Aufmerksamkeit.

Großen Respekt nötigt der Anmerkungsapparat ab: 1243 Endnoten unterschiedlicher Länge mit ein paar tausend Quellen- und Literaturangaben bieten nicht nur belege, sondern auch biografische Daten und Zitaten. Das Werk ist in einer leicht verständlichen Sprache für einen weiten Leserkreis verfasst und macht die Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte zu einem durchaus spannenden Erlebnis.

 

 

Georg Schwaiger: Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. München: C.H. Beck, 1999

 

 

4., Brückenschläge in Europa

 

 

Stefan Winckler

Vor 50 Jahren: Historische Versöhnung von römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche

 

Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras (1886-1972) hatte sich bereits als Metropolit von Korfu (1922) und als Erzbischof für Nord- und Südamerika derart (auch politisch) ausgezeichnet, dass er anschließend das Amt des Patriarchen von Konstantinopel übernehmen konnte – und US-Präsident Harry S. Truman ihm das Präsidentenflugzeug für die Reise zur Verfügung stellte. Sein vielleicht grösstes Geschick zeigte Athenagoras, ein vorzüglicher Diplomat, in Bezug auf die Ökumene. Er kannte Angelo Kardinal Roncalli aus dessen Zeit als Apostolischer Delegat in Istanbul gut genug, um dessen Wahl zum Papst (Johannes XXIII., 1958) mit den Worten zu begrüßen: „Es ward ein Mensch von Gott gesandt, und dessen Name war Johannes“. Umso mehr befürwortete er die Einberufung des zweiten Vatikanischen Konzils. Wie er dem deutschen Schriftsteller Hubertus Prinz zu Löwenstein seinerzeit, 1962, bekannte, ginge es „jetzt um die Schaffung einer wirklichen Gemeinschaft aller Christen“: „Oft haben die Theologen uns getrennt. Nun wollen wir uns verständigen. Mit der Begründung sollen sich die Theologen nachher befassen.“ Diese Einstellung entsprach im Grunde dem erklärten Wunsch Johannes‘ nach Einheit der Christen. Auf die Frage Löwensteins, ob Athenagoras ein „persönliches Treffen mit dem Papst in Erwägung ziehen wolle“, antwortete der Patriarch: „Ich würde sehr gerne den Heiligen Vater treffen“. Die Stellung des Papstes zog der griechisch-orthodoxe Kirchenfürst demnach nicht in Zweifel, im Gegenteil: „Er ist der erste Bischof der Christenheit, so steht es im kanonischen Recht seit bald 2000 Jahren (er selbst ist als Patriarch von Konstantinopel der Primus inter Pares innerhalb der griechischen Orthodoxie). Einen eventuellen Dissens in Bezug auf das Glaubensbekenntnis („Filioque“: geht der Heilige Geist vom Vater und vom Sohn aus?“) zwischen römischen Katholiken und Orthodoxen verurteilte er: „Die Frage ist für mich längst gelöst, und zwar durch die Unionsformel, angenommen auf dem Konzil von Ferrara und Florenz im Jahre 1439. Wenn gewisse Kreise des niederen Klerus und des Volkes aus Vorurteilen und nationalistischen Ressentiments das Abkommen später zerrissen haben, so berührt mich, das Oberhaupt der orthodoxen Kirche, das in keiner Weise“. 

Löwenstein übermittelte ein Protokoll seiner Unterredung dem Kurienkardinal Augustin Bea, einem Deutschen. Mit ihm kam er überein, dass sich Papst und Patriarch am besten in einem Kloster als Gleiche unter Gleichen treffen sollten, um protokollarische Schwierigkeiten zu vermeiden. Ein Bericht über das Gespräch ging - über Umwege - an den Papst. Währenddessen konnte Löwenstein erneut von Athenagoras empfangen werden, der den Deutschen sogar als Sonderbotschafter in dieser Angelegenheit für die Gespräche mit Bea ernannte - ein exzellenter Vertrauensbeweis. In diesem Zusammenhang stellte Athenagoras fest: "Das Tor, das der Papst aufgemacht hat, kann nie wieder geschlossen werden. Wir erkennen den Papst als den ersten Bischof der Christenheit an, und wir sind bereit, uns seiner Führung anzuschließen". Eine Begegnung zwischen Athenagoras und Papst Johannes XXIII. kam nicht mehr zustande. Der Papst starb Juni 1963. Sein Nachfolger Paul VI. erklärte sehr rasch nach seinem Amtsantritt, eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternehmen zu wollen (ein revolutionärer Entschluss, denn selbst die Bahnfahrt Johannes XXIII. nach Assisi 1962 galt als Sensation). Umfangreiche organisatorische Vorbereitungen waren in kurzer Zeit zu treffen. In der geteilten Stadt Jerusalem umarmten sich Paul und Athenagoras brüderlich und beendeten so die gegenseitige Verfluchung, die 1965 ""offiziell" aufgehoben wurde. Es war das erste Treffen von Papst und Patriarch seit 1439. Der russische Patriarch begrüßte die Begegnung, während der orthodoxe Erzbischof von Athen sie heftig ablehnte. Der Präsident Zyperns, Erzbischof Makarios, stand auf der Seite von Athenagoras.

 

Die Bemühungen zur Annäherung von römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche fanden 1967 eine Fortsetzung in der gemeinsamen Erklärung von Paul VI. und Athenagoras anlässlich ihrer erneuten Treffen in Istanbul (Juli) und Rom (Oktober). Beide stimmten überein, dass der Weg zur Einheit aller Christen lang sei, dass Klärungsbedarf und Hindernisse noch bestehen. Die Einheit im Glaubensbekenntnis sei notwendig für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft, doch betrachteten sich die beiden Konfessionen erfreulicherweise als Schwesterkirchen. Eine Zusammenarbeit sei anzustreben, und zwar in Form "regelmäßiger und tiefer Kontakte zwischen kath. und orth. Pfarrern für das Wohl ihrer Gläubigen". Probleme, wie solche mit gemischt-konfessionellen Ehen, sollen gelöst werden. Mehrere Briefwechsel folgten, der letzte im Juni 1972, fünf Wochen vor Athenagoras' Tod, den Paul VI. im Übrigen mit "geliebter Bruder" und "Eure Heiligkeit" anredete.  

 

Symbolische Politik kann viel bewirken. Eine Geste ist daher besonders hervorzuheben: Der Papst gab den Griechen 1964 den Schädel des gerade für die Ostkirche so bedeutsamen Apostels Andreas zurück, den Kreuzfahrer 1204 in Konstantinopel geraubt hatten und den der Metropolit von Patras höflich erbeten hatte. Auch dies geschah dank Kardinal Beas Vermittlung. 

 

Literatur: 

 

Hubertus Prinz zu Löwenstein: Botschafter ohne Auftrag. Düsseldorf 1972, S. 323-328.

Patrice Mahieu: Paul VI et le Orthodoxes. Paris 1972.

Ernst Christof Suttner: Die Reliquien des heiligen Apostels Andreas und ihre Verehrung in Patras, Konstantinopel, Amalfi und Rom. http://nikowy.homepage.t-online.de/s_andrea.pdf

 

Briefe Pauls VI. an Athenagoras und gemeinsame Erklärungen von Papst und Patriarch: www.vatican.va, sowie die Artikel unter 

http://www.spiegel.de/suche/index.html?suchbegriff=athenagoras und http://www.zeit.de/suche/index?q=athenagoras

 
© Stefan Winckler

 

 

      Stefan Winckler

    Kein Platz für das Kreuz der Patrone Europas – wegen Europa?

 

      „Die Apostel der Slawen, die heiligen Cyrill und Methodius, bleiben im Gedächtnis der Kirche zusammen mit ihrem großen Werk, der Glaubensverkündigung, das sie vollbracht haben. Man kann sogar sagen, dass ihr Andenken in unseren Tagen besonders lebendig und aktuell geworden ist“. Mit diesen Worten begann Johannes Paul II. seine Enzyklika „Slavorum Apostoli“ 1985.

 

2013 wird vielerorts die Ankunft der Slawenapostel Kyrill und Method vor 1150 Jahren in Mähren gefeiert. Welche Bedeutung die beiden Geistlichen hatten und haben, und weswegen ihr Gedenken im Winter 2012/13 eine politische Auseinandersetzung auslöste, soll in diesem Artikel behandelt werden. Relevant sind sie als gemeinsame Heilige der westlichen und der östlichen Kirche; auch die Evangelischen gedenken ihrer. Das ist zu begrüßen, denn erscheint nicht die gemeinsame Verehrung durch unterschiedliche Konfessionen als Ansatzpunkt für die Ökumene? (1) Ihr Tag ist sowohl für Katholiken, Lutheraner und Anglikaner der 14. Februar (uns eher als Tag des Hl. Valentin bekannt), für die Orthodoxen der 6. April. In Tschechien und der Slowakei ist der 5. Juli zu Ehren der Heiligen arbeitsfreier Feiertag. Der Papst erhob Kyrill und Method 1980 zu Patronen Europas, an der Seite des Benedikt von Nursia.

 

Kyrill und Method wurden als Söhne eines griechischen kaiserlichen Beamten und einer slawischen Mutter 815 und 827 in Saloniki geboren. Sie schlugen eine geistliche Laufbahn ein, die sie zunächst in das südrussische Gebiet zwischen Dnjepr und Wolga führte. Der Fürst des Großmährischen Reiches, Rastislaw, rief sie 863 in das Kerngebiet seines Landes, das sich 150 Kilometer nördlich von Wien befindet, um zu missionieren. Dahinter stand die politische Hinwendung zu Byzanz, nachdem er sich mit dem Karolinger Ludwig dem deutschen zerstritten hatte. Kyrill und Method übersetzten die Bibel in die altslawische Kirchensprache, so dass sie auch in philologischer Hinsicht bedeutsam wurden. Dies fand die ausdrückliche Billigung von Papst Hadrian II., den die Brüder in Rom aufsuchten. V.a. missionierten sie auf friedliche Art, die bestehende Kultur achtend, fördernd und weiter entwickelnd. Nach dem Tode Kyrills war Method Gründer des Erzbistums Großmähren. Bayerische Missionare lateinischer Sprache behinderten seine Arbeit; zeitweise war er sogar im ostfränkischen Reich in Gefangenschaft. Method starb am 6.April 885 in Velehrad/Mähren. Dies ist heute ein Wallfahrtsort im Zentrum Mitteleuropas, den Papst Johannes Paul II. 1990 aufsuchte und mit der Goldenen Rose auszeichnete. Eingedenk dieser historischen Tatsachen verwundert es nicht, dass die Slowakische Nationalbank 2012 mit Blick auf das bevorstehende Jubiläum Zwei-Euro-Münzen prägen lassen wollte, auf deren Rückseite die beiden Glaubensboten abgebildet sind. Auflage: eine Million Stück. Die Kommission der Europäischen Union erklärte dazu, die vorgesehene Abbildung von Heiligenscheinen und den Kreuzen auf der Stola de Method sei unstatthaft, da die EU den Grundsatz der religiösen Neutralität vertrete. Das laizistische Frankreich stand auf dem gleichen Standpunkt, während Griechenland offenbar als Retourkutsche für die slowakische Weigerung, den Euro-Rettungsschirm auszuweiten, ebenfalls gegen die religiösen Kennzeichen protestierte (ungeachtet dessen zeigen Griechenlands Staatswappen und Flagge ein Kreuz). Es gelang der slowakischen Öffentlichkeit, nicht nur den Bischöfen, die zwischenzeitlich schwankende Nationalbank zur geplanten Abbildung der religiösen Symbole zu veranlassen. Maßgeblich am erfolgreichen Protest gegen die EU-Forderung war der Nürnberger Europa-Abgeordnete Martin Kastler beteiligt, der damit ein hervorragendes Beispiel von Unterstützung grenzüberschreitender Anliegen in christlichem Geist bot. Die Ausgabe der Münzen wurde im Mai 2013 verwirklicht.

 

Dies alles zeigt, dass heute politische Interventionen ohne Rücksicht auf gewachsene religiöse Strukturen anderer Länder vorgenommen werden (nahezu 75 Prozent der Slowaken sind Christen) und die Gefahr des Einknickens besteht, falls es keine politisch hervortretende Zivilgesellschaft gibt. Diese Interventionen geschehen, wenn Amtsinhaber am politischen Mittelpunkt nicht wissen oder nicht wissen wollen, dass das Christentum Europa in vielfacher Hinsicht entscheidend geprägt hat, ja auch die Völker verbinden hilft. 

 

Beiträge im Internet:

 

http://www.heiligenlexikon.de/BiographienC/Cyrillus_von_Saloniki.htm 

http://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Methodius_von_Maehren.htm

http://www.radio.cz/de/rubrik/schauplatz/kyrill-und-method-und-die-globale-sicht-des-christentums-die-bedeutung-der-slawenaposteln

http://www.uni-jena.de/Mitteilungen/PM140127_Kyrillschau.print

 
© Stefan Winckler

 

 


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