Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

© Stefan Winckler

Wie steht es um die journalistische Glaubwürdigkeit?


 

 

Der  irische Musiker Bob Geldof und seine Band, die Boomtown Rats, waren mit Liedern voller Bitterkeit und grimmigem Witz einer der geistreichsten Bestandteile des New Wave-Rock. Sein Song “Don't believe what you read“ aus dem Jahre 1979 enthielt wenig Schmeichelhaftes über Journalisten:

 

 

 

As soon as I wake up every day,

 

I look at the papers to see what they say,
I know most what I read will be a lot of lies,
But then you learn really fast to read between the lines,
'Cos I know (he knows) What I read ain't true
I know (he knows) And I'm telling you
I know (he knows) If they say it's red, it's blue

 

 

 

Don't believe what you read,

 

Do you believe what you read?

No, I don't believe what I read. (Refrain)

 

 

 

 

Never put it down in writing the old man said

 

I didn't know then but now I know what he meant
And if you're wondering why your letters never get a reply,
It's just when you tell me that you love me I need to see your eyes.
'Cos I know What I read ain't true
I know And I'm telling you
I know If they say it's one, it's two

 

 

(Refrain)

 

And if you pick up a book and you're starting to read it,

 

I'll tell you what you'd better do,
You can read it till the end and even if you believe it,
That doesn't mean to say it's true...

 

 

(Refrain)

 

 

Der ehemalige Musikjournalist Geldof verarbeitete hier offenbar die Erfahrungen aus seinem früheren Lebensabschnitt als Reporter und dem Medienecho auf seine neue Karriere als Musiker. Ganz abgesehen davon ist es ein Angriff auf das Medien-Establishment überhaupt, voller politisch motivierter Gesellschaftskritik. Dieser Zuspitzung ließ er in seinem Lied “Having my picture taken“ einen Seitenhieb auf die Fotoreporter bzw. Paparazzi folgen:

 

 

My camera sees things my eyes can't see

it has a focus from here to eternity

 

 

Freilich ahnte Geldof damals nicht, was die digitale Bildverarbeitung unserer Tage zu leisten im Stande ist...

 

 

Lügen gegen den Bundespräsidenten

 

 

Journalisten sind keine Lügner. Vielmehr arbeiten sie im Alltagsgeschäft unter erheblichem Zeitdruck an der Wiedergabe und Kommentierung der Wirklichkeit (anders verhält es sich oft in Konflikten und Debatten, z.B. in Sachen Diesel, durch einseitige Faktenauswahl). Journalistisches Fehlverhalten gab und gibt es ebenso wie ein Verstoß gegen Berufsregeln in anderen Branchen. Die Öffentlichkeitswirkung einer journalistischen Aussage kann freilich heftig sein und lange andauern, bis hin zu Rufmord und Existenzvernichtung.

Im Dezember 2018 sorgte Claas Relotius für Aufsehen: Ganze Textpassagen seiner vielgelobten Reportagen hatte er frei erfunden. Es war der „Spiegel“, sein Arbeitgeber, der dieses Vergehen aufdeckte und sich entschuldigte. Anders eine Affäre der Vergangenheit:

In den 1960er Jahren erfand ein „Spiegel“-Redakteur namens Ernst Goyke Zitate von Bundespräsident Heinrich Lübke. So habe Lübke Queen Elizabeth während ihres Deutschlandbesuchs auf Schloss Brühl zugeraunt: „Equal goes it lose“ - und „Gleich geht es los“ gemeint. Warum? Goyke wollte sich dafür rächen, dass das Protokoll ihn nicht in die unmittelbare Nähe von Bundespräsident und Königin ließ. Auch für das angebliche Lübke-Zitat „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger“ fehlt jeder Beleg. Andere „Spiegel“-Redakteure wie Manfred Kohnke folgten Goykes Beispiel, indem sie unter falschen Namen Leserbriefe mit erfundenen Lübke-Zitaten an das Politmagazin sandten. Sie unterstellten damit, Lübke habe sich auf eine haarsträubende, lächerliche, dem Amt und dem Ansehen der Bundesrepublik schädigende Weise geäußert. Lübke sei vergreist, verkalkt und damit amtsunfähig.

Diese Fälschungen enthüllte der einstige „Spiegel“-Journalist Hermann L. Gremliza erst fünf Jahrzehnte später („Konkret“, 3/2006, S. 7).

Lübke war das siebte Kind eines Schuhmachers aus einem winzigen sauerländischen Dorf.

Zwar schien er mit seiner schlichten Artikulation weit entfernt vom bildungsbürgerlichen Habitus seines Vorgängers Theodor Heuss und jenseits des 70. Geburtstages wohl wegen Durchblutungsstörungen des Großhirns (Zerebralsklerose) geschwächt. Dennoch übte er sein Amt zehn Jahre lang bis zum 30.6.1969 aus, wobei die Beziehungen zu Entwicklungsländern einen Schwerpunkt bildeten.

Die Verleumdungen Lübkes dienten als Vorlage für hämische Bemerkungen und Witze über das Staatsoberhaupt in einer Zeit, in der der Propagandakampf der DDR gegen die Bundesrepublik auf Hochtouren lief (die Stasi setzte Lübkes echte Unterschrift unter einen gefälschten KZ-Bauplan). Darüber hinaus veränderten sie über Generationen das Bild eines gewiss nicht brillanten, aber soliden Staatsoberhaupts zu einer Witzfigur.

Im Gegensatz zu wahren und fiktiven Aussprüchen ist ein Satz des damaligen NRW-Ernährungsministers Lübke im Verborgenen geblieben. „Wollen Sie denn mein Volk verhungern lassen?“ herrschte er den britischen Militärgouverneur General Brian Robertson im Winter 1947/48 an. Seine Umgebung behandelte den Aufschrei jedoch mit großer Vertraulichkeit, und in den 1960er Jahren war er quasi vergessen. Der Verfasser erfuhr von dieser Szene vom Sohn eines seinerzeitigen Lübke-Mitarbeiters.

Seltsam nur, dass Lübkes Hobby laut wikipedia Vergleichende Sprachwissenschaft war, und er sich für Mikrobiologie interessierte. Ehefrau Wilhelmine beherrschte mehrere Sprachen, nicht nur Englisch, sondern auch Russisch. 

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