Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Stefan Winckler

Verwahrlosung – ein Problem, das in den Medien zu wenig erörtert wird

 

Wissen Sie noch, was Bürgerlichkeit als Lebensform bedeutet? Besuchen Sie ab und zu ein Museum, lesen einen klassischen Roman und sehen einen Film an, der mit Anspruch und ohne Fäkalsprache auskommt? Und vor allem: Sie legen Wert auf ein sachliches Gespräch und einen persönlichen Austausch ohne leise Verdächtigungen und laute Beschimpfungen? Nicht zuletzt: Kennen Sie Ihre Werte und Tugenden, die für das Funktionieren einer Gesellschaft unabdingbar sind?

Zum einen ist der Vandalismus ein sichtbares Problem, das (anscheinend?) achselzuckend hingenommen wird. Die Deutsche Bahn beziffert den Schaden durch Grafitti auf Zügen, Brückenpfeilern, Bahnsteigzugänge und Lärmschutzwände im Jahr 2016 auf etwa 34 Millionen Euro. 2016 wurden 27.000 Vandalismus- und Graffititaten zu Lasten der DB registriert.

Zwar setzt die Bahn Schutzfolien und Speziallacke ein, um Schmier- und Sprühschäden zu begrenzen – gewiss keine billige Angelegenheit. Anders sieht es bei privaten Hausbesitzern und dem Staat aus. Die Schäden, die durch illegale Graffiti und wildes Plakatieren entstehen, beziffert der Deutsche Städtetag auf jährlich mindestens 200 Millionen Euro. Der Eigentümerverband Haus&Grund geht von Schäden in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr durch illegale Graffiti aus.

Der ungenügende Respekt vor fremden Eigentum ist für jedermann sichtbar. Weniger auffallend ist die Verwahrlosung im privaten Rahmen, selbst in manchen Familien. Die Verfasser dieses Beitrags haben im Lauf der Jahre, oft ohne danach zu suchen, einiges gehört und gesehen. Verwahrlosung reicht von Respektlosigkeit auch in Paar-Beziehungen über Anmaßung in Form von Rechthaberei, Unfähigkeit zur Selbstkritik sowie Schuldzuweisungen (auch in aggressivem, beleidigenden Ton) bis zur Gewaltdrohung, wenn nicht Gewaltanwendung.

Faulheit, Bequemlichkeit und Desinteresse an anderen, eigentlich nahestehenden Menschen, die vielleicht Unterstützung gebrauchen könnten, geht solchen Ausprägungen oft voraus. Stattdessen wird häufig ein typisches Unterschichten-Fernsehen konsumiert und Groschenhefte gelesen, ein übertriebener Kraftkult im Fitnessstudio getrieben, großflächige Tätowierungen gestochen (wo fängt optische Umweltverschmutzung an?), Rauschgifte genommen. Wenn man schon nicht im Kopf stark ist, so will man's auf andere Weise sein – oder eine pervertierte Form von Kraft suggerieren. Wer soweit ist, der hat auch viel Erfahrung in Bezug auf Horrorfilme (nicht gemeint sind die Klassiker aus dem alten Hollywood), in denen es gar nicht ekelerregend und abwegig genug zugehen kann. Anspruchsvolle Inhalte im Fernsehen werden abgelehnt und nicht selten lächerlich gemacht, denn sie strengen ja vielleicht den Kopf an. Sex and violence statt vielleicht sax and violins, Rapper und Brachialrocker wie die Böhsen Onkelz obendrein! Es gibt Personen, die sich sogar darin gefallen, asozial zu sein, oder sich zumindest derart zu präsentieren. Damit kann auch eine Rücksichtslosigkeit gegenüber Haustieren oder gegenüber der Natur insgesamt verknüpft sein (Müllentsorgung am Straßenrand!). Wenn die Verwahrlosung eine politische Komponente hat, dann ist es das Ergötzen an einfachsten Schlagwörtern, geschmacklosen Witzen, Beleidigung Andersdenkender, Neonazismus, Waffenkult oder auch gewalttätiger Linksextremismus. Perversion des politischen Denkens, um keinen Deut besser als gewalttätige Ausschreitungen von Türken und Arabern im Problem-Kietz! Es bedarf keiner überschäumenden Fantasie, sich vorzustellen, unter welchen schlechten Voraussetzungen Kinder dieser Menschen aufwachsen.

Neu ist das Gaffen mit Smartphones, wenn sich schwere Unfälle ereignet haben. Rettungskräfte werden behindert, der Respekt vor Verletzten, Sterbenden oder Toten wird mit Füßen getreten.

Es reicht aber nicht aus, das Verhalten von Unterschichtlern zu beklagen. Moralische Verwahrlosung kommt auch bei Menschen vor, die sich dem Besitzbürgertum zurechnen. Gemeint sind damit nicht nur Steuerhinterzieher, sondern auch diejenigen, die stark materialistisch denken, sich permanent benachteiligt fühlen (insbesondere in Bezug auf Erbschaften und Schenkungen) und durch Vorwürfe, Streit etc. Keile in die Familien treiben. Dass das letzte Hemd keine Taschen hat, mag man ihnen sagen – und erhält zur Antwort, dass sie ja weniger an sich, sondern an ihre eigenen Kinder oder Enkel denken. Doch wie werden die sich später einmal verhalten?

© Stefan Winckler

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