Stefan Winckler
Historiker und Buchautor


© Stefan Winckler


Hermann Axen (SED) 

 

Hermann Axen zählt zu den DDR-Politikern mit einer höchst interessanten Biografie. Aus einer jüdischen Familie stammend, unter Hitler eingekerkert, der Shoah entronnen, gehörte er ab 1945 zu den kommunistischen Nachwuchskadern der Sowjetischen Besatzungszone und zur herrschenden Klasse der DDR.

Geboren am 6.3.1916, wuchs Axen als Kind eines Handelsvertreters im kleinbürgerlichen Milieu Leipzigs auf. Als Sohn gläubiger Juden der liberalen Ausprägung erlebte er seine Bar-Mizwa, sagte sich aber mit 14 Jahren zum großen Entsetzen der Eltern von der Religion los. Beeinflusst von seinem Bruder Rudolf schloss sich Axen 1932 dem Kommunistischen Jugendverband KJVD an. Sehr bald war er Mitglied der Unterbezirks-Leitung des KJVD Leipzig und Politischer Leiter der KJVD im Leipziger Südwesten. Außerdem besuchte er Lehrgänge der KPD-nahen Marxistischen Arbeiterschule. Auf seinem Gymnasium war er ein sehr guter Schüler mit starkem literarischem Interesse, begünstigt durch die große Privatbibliothek des Vaters.

Rudolf Axen, Jg. 1912, war Politsekretär des KPD-Unterverbandes Oberlausitz. Nach seiner Verhaftung als Leiter der illegalen KP in Ostsachsen quälte ihn die Gestapo 1933 zu Tode.

Hermann Axen nahm an der Untergrundarbeit des KJVD in Leipzig teil, dessen Bezirksleitung er angehörte. 1934 verhaftet und wegen Hochverrats verurteilt, war er bis 1937 im Zuchthaus Zwickau, verließ Deutschland über Umwege nach Paris und arbeitete weiterhin für kommunistische Organisationen wie die Rote Hilfe. Seine Familienangehörigen fielen der Shoah zum Opfer. Von der französischen Polizei 1940 als staatenloser Kommunist interniert und 1942 mit einer Gruppe Juden an Deutschland ausgeliefert, war er für zwei Tage in Auschwitz-Birkenau, dann mehr als zwei Jahre im Nebenlager Jawichowicze, wo er im Untertagebau arbeiten musste, und ab Januar 1945 im KZ Buchenwald.

In der DDR wurde die Rolle Axens im KZ oft übertrieben. So erfand ein Ghostwriter mit Professorentitel im 15. Entwurf seiner Biografie folgende Szene: Axen habe, mit einer Maschinenpistole bewaffnet, einen Wachturm der SS gestürmt. Demgegenüber haben seinem Persönlichen Referenten Manfred Uschner zufolge ehemalige Buchenwald-Häftlinge Axen als angebliches Mitglied der illegalen KPD-Leitung im Lager „sehr kühl und zurückhaltend“ begrüßt. Uschner weiter: „Im KZ hatte er als relativ junger Mensch keine Rolle gespielt, zumindest keine auffallend positive“.

Nach der Befreiung aus Buchenwald war er Jugendausschuss-Vorsitzender auf Stadt- und Landesebene in Leipzig, Mitbegründer und Funktionär der FDJ (u.a. mit Honecker), im Volksrat 1948/49 und der Volkskammer (1949 bis 1989), als Mitglied des SED-Zentralkomitees verantwortlich für Massenagitation und Presse (dazu gehörte die „Säuberung“ des Rundfunks von weniger „zuverlässigen“ Personen) sowie Chefredakteur des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ von 1956 bis 1966. Seit 1970 war Axen Vollmitglied des Politibüros - und damit in einer mächtigeren Position als die jeweiligen Außenminister Otto Winzer und Oskar Fischer, die dem höchsten Parteigremium nicht angehörten. Zu seinem maßgeblichen Politikfeld entwickelten sich die internationalen Beziehungen, insbesondere zur asiatischen, afrikanischen und zur arabischen Welt, sowie Abrüstungs- und Grundsatzdiskussionen mit der SPD. Nicht zuletzt gehörten die Kontakte zu den kommunistischen Parteien in sein Ressort.

Axen, wegen seiner rundlichen, kleingewachsenen Gestalt im Flüsterwitz als „Schweinchen Dick“ bezeichnet, trat mit dem gesamten Politbüro am 8.11.1989 zurück. Damit endete seine politische Karriere. Wegen Korruption und Amtsmissbrauch ermittelten SED-PDS und die untergehende DDR auch gegen ihn – lediglich sein schlechter Gesundheitszustand bewahrte ihn vor Parteiausschluss und Haft. Hermann Axen verstarb am 15.2.1992.

 

 

Marxismus-Leninismus statt Moses

 

 

Wie stand Axen zum Judentum im Allgemeinen und zum Staat Israel? Am jüdischen Leben in Berlin zeigte Axen als Atheist kein Interesse: er war nie Mitglied einer jüdischen Gemeinde, und betrat weder die Synagogen in der Fasanenstraße noch der Oranienburger Straße. Seine jüdische Identitat hatte er 1932 aufgegeben, um sich völlig dem Marxismus-Leninismus als Ersatzreligion zu widmen.

Es wäre ihm wohl möglich gewesen, Deutschland nach der Shoah und all den persönlich erlittenen Quälereien in Richtung Mandatsgebiet Palästina bzw. Israel zu verlassen. Inge Deutschkron beispielsweise zog 1946 nach England, später nach Israel. Es gibt keine aussagekräftige Quelle, wonach Axen 1945 und später eine Auswanderung in Erwägung zog. Er diente seiner Partei trotz des heftigen SED-Antizionismus, der ihn offenbar wenig störte, und trotz des Antisemitismus, den es nur allzu oft im „sozialistischen Lager“, etwa in der Endphase der Stalinzeit und in Polen 1968 gab. Für jüdische Belange setzte er sich ebenso wenig ein wie andere SED-Politiker, die aus jüdischen Familien stammten. Zwar sprach Axen 1988 auf einer Buchenwald-Kundgebung von jüdischen Opfern – und nicht nur von den Antifaschisten/Kommunisten. Es war aber weniger Axens Einsicht, sondern Uschners Überredungskunst, die ihn wenigstens mit Worten auf die Shoah-Ermordeten zugehen ließ. Und Taten? Bei seiner USA-Reise Mai 1988 zeigte Axen keinerlei Interesse, auf die Ansprüche der Jewish Claims Conference einzugehen; er blieb der SED-Sprachregelung verhaftet, wonach die DDR als antifaschistischer Staat den „Hitlerfaschismus“ samt seinen Wurzeln beseitigt hätte. Vielmehr hinterließ er mit allgemein gehaltenen Phrasen von „Frieden“ und „Abrüstung“ einen enttäuschenden Eindruck.

Als Chef-Außenpolitiker der SED (soweit er nicht von Honecker übergangen wurde) beteiligte er sich maßgeblich an der Unterstützung sog. „revolutionär-demokratischer Kräfte“ wie der Bath-Partei, Algeriens FLN und Libyen unter Gaddafi sowie der PLO. Israel als „offen aggressiver imperialistischer Staat“ versuche die „Entwicklung zu sozialem Fortschritt aufzuhalten“, der Sechstagekrieg sei eine „völkerrechtswidrige Aggression“ und ein „Überfall“ gewesen, die israelischen Truppen seien aus den besetzten Gebieten abzuziehen – so der DDR-offizielle Band „Außenpolitik der DDR für Sozialismus und Frieden“ (1974). Die DDR unterstützte das angebliche Rederecht der PLO in der UNO 1974 und stimmte 1975 für eine Resolution, die „Zionismus“ als eine Form von „Rassismus“ und „Rassendiskriminierung“ verdammte. Wenn Arafat und ähnliche erklärte Feinde Israels die DDR besuchten, stand Axen gut gelaunt in der ersten Reihe des Empfangskomitees. Leider kam das Thema Israel/Nahost-Konflikt im 400-seitigen Interviewband mit Axen 1991/92 nicht zur Sprache (Ich war ein Diener der Partei, Berlin 1996), da es den Verfassern nicht wichtig erschien!

Von Anfang an war er, soeben noch Opfer, daran beteiligt, eine neue, zunehmend totalitäre Ordnung gegen den Willen des Volkes aufzubauen. Bildung, Sprachkenntnisse und Intelligenz des Autodidakten Axen lagen weit über dem Durchschnitt des Politbüros. Gesprächspartner schildern ihn als umgänglich-kultiviert. Besorgt um seine Privilegien, zur Kritik an Honecker unfähig und vom Mut der Jugendjahre verlassen, war er ein williger Vollstrecker kommunistischer Politik, der ebenso wie die anderen Nomenklatur-„Genossen“ in geschlossener Formation auf dem abgeschotteten Holzweg marschierte. Die SED habe große Fehler gemacht, so Axen rückblickend. Ob er damit auch die Politik gegenüber Israel meinte, ließ er offen.

 

 

Veröffentlicht in der Jüdischen Rundschau im April 2018

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