Stefan Winckler
Historiker und Buchautor



Stefan Winckler 

Mein Weg zu Dante

 Zuerst kam ich mit dem Thema Dante als 15-Jähriger im August 1982 in Berührung, als ich mit einem Freund meines längst verstorbenen Großvaters eine Ausstellung der Grafiken Salvador Dalis zur Göttlichen Komödie besuchte. Mein Begleiter war Apotheker, mittlerweile 81 Jahre alt, aber als Bildungsbürger mit ausgezeichneten geisteswissenschaftlichen Kenntnissen im Stande, die abgebildeten Figuren zu erkennen und zu erklären. Wir gingen anschließend am Rande des Spessarts wandern, wobei er gutgelaunt rief, „Ich bin jetzt Vergil, und du bist Dante“ und mir manche Hintergründe mitteilte.

Jener Sommerabend ist mir präzise im Gedächtnis, doch führte diese Annäherung an die Commedia und an Dante Alighieri noch nicht zu einem nachhaltigen, vertieften Interesse. Vielmehr las ich in den 1980ern in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Edgar Allan Poe und andere Autoren der Schwarzen Romantik, und nicht weniger die französischen Realisten wie Maupassant, Flaubert und Mérimée. Ich muss gestehen, für das Spätmittelalter und die beginnende Renaissance interessierte ich mich damals nicht, wohl aber für Politik und Neuere Geschichte. Dann begann ich 1988 mein Studium, Hauptfach Publizistik, und Dante Alighieri war weit in den Hintergrund getreten. Vorerst jedenfalls.
Adventszeit 2004 in Frankfurt: Was liegt näher, als an einem nasskalten, trüben Tag in einer geräumigen, gut sortierten Buchhandlung zu stöbern? In einem Regal mit literarischen Klassikern bemerkte ich Dantes Göttliche Komödie. Ein kurzer Blick auf den ersten Gesang dieses faszinierenden Werkes fesselte mich. Mehr noch: In jener Ausgabe (Übersetzung: Friedrich Freiherr von Falkenhausen; Frankfurt: Insel 2003) werden nicht nur Dantes Verse, sondern auch der „mystische Sinn“ und Dantes Weltbild erläutert. Es bedurfte keinerlei weiterer Überlegung, ich kaufte das mehr als 600-seitige Taschenbuch. Mein Interesse am Tempelritterorden, dessen Untergang der Zeitgenosse Dante in der Divina Commedia erwähnte, dürfte mich zusätzlich gereizt haben.
In den folgenden Jahren kümmerte ich mich um meine Promotion im Fach Neuere Geschichte, verfasste diverse Zeitschriftenartikel und versank in (zeitaufwendiger) Vereinsarbeit, so dass ich mich erst 2012 intensiv dem Thema Dante zuwandte. Ausschlaggebend war ein Kapitel in Hubertus Prinz zu Löwensteins „Deutscher Geschichte“ (München 1976), betitelt: Dante und der nahtlose Rock (S. 167-183). Löwenstein widmet sich darin insbesondere den Aussagen Dantes über Kaiser und Reich in der „Monarchia“. Ferner zitiert er aus der Göttlichen Komödie, soweit die deutschen Könige und Italien darin vorkommen. Löwensteins Buch begleitet mich seit der Kindheit, und bedeutet mir schon wegen der konsequent demokratischen und entschieden anti-extremistischen Haltung des Verfassers sehr viel.
Die Beschäftigung mit dem berühmten Florentiner wird mir seitdem durch die vollständigen, zugleich kostenlos recherchierbaren Übersetzungen unter https://gutenberg.spiegel.de/autor/-dante-115 erleichtert. Zugleich bin ich glücklich, online auf die Literatur über Dante von Franz X. Wegele (1852 und 1865) und Giovanni Andrea Scartazzini (1869) zurückgreifen zu können – um nur zwei Namen aufzuführen. Mehr noch: Die Kenntnisse über Dante lassen sich dank einiger alter Jahrbücher der Deutschen Dante-Gesellschaft ausbauen, zumal die ersten drei Bände von 1867, 1869 und 1871 auf books.google komplett gelesen werden können. Dies beförderte meinen Weg zur Deutschen Dante-Gesellschaft, deren Tradition über mehr als 150 Jahre mit 94 Jahresbänden beeindruckend genug ist.
Dies ist die erweiterte Fassung eines Beitrags in Il Novo Giorno, dem Mitteilungsblatt der Deutschen Dante-Gesellschaft (2020).

 

© Stefan Winckler



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