Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Ein Berliner Journalist mit Ecken und Kanten: Gerhard Löwenthal zum 100. Geburtstag

Von Stefan Winckler

 

Ein journalistisches Urgestein: Gerhard Löwenthal, geboren am 8. Dezember 1922 in Berlin nahe des Kurfürstendamms.  Er kam als einer der ersten Mitarbeiter zum RIAS (1945/46), als eine Ruine zum Sendestudio des Drahtfunks hergerichtet wurde. Schon mit 25 Jahren leitete er den RIAS-Hochschulfunk und die RIAS-Funk-Universität. 1954 wurde er zum  stellvertretenden Intendanten des neuen Senders Freies Berlin berufen. Löwenthal wirkte von 1963 bis 1968 als erster ZDF-Korrespondent in Brüssel. V.a. bleibt er als Redaktionsleiter und Moderator des „ZDF-Magazins“ (1969 bis 1987) in Erinnerung.
Welche politischen Werte vertrat er und was ließ ihn in Deutschland bleiben?
Am Anfang stand die doppelte Erfahrung des Totalitarismus:
Löwenthal hatte als jüdischer Mensch den Nationalsozialismus mit seinen sich steigernden Demütigungen und v.a. mit der über Jahre anhaltenden Gefahr, deportiert und ermordet zu werden, überlebt. Kurzzeitig war er im KZ Sachsenhausen eingesperrt (1938), 1943 saß er in Gestapo-Haft. 1946/47 erkannte er das Wetterleuchten eines neuen Totalitarismus, diesmal unter den roten Fahnen der Stalinisten, deren Anmaßung immer mehr anwuchs. Konsequenz: Er wirkte an der Gründung der Freien Universität Berlin mit.
Nach NS und Shoah fühlte sich Löwenthal berufen, gegen alle Einparteienideologien und für den demokratischen Verfassungsstaat einzutreten, den er in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht sah. Er verteidigte ihn mit den Mitteln eines Journalisten gegen Extremisten, seien es Stasi-Agenten oder Terroristen.  Es war die Zeit des Kalten Krieges: Permanent prangerte er Menschenrechtsverletzungen in der DDR und der UdSSR an. Ihn erreichten „Hilferufe von drüben“, weil Ausreisewillige in einer Bekanntmachung ihrer Lage die letzte Chance sahen, den SED-Staat zu verlassen. Mehr als andere TV-Journalisten führte er die Spaltung Deutschlands durch den Eisernen Vorhang vor Augen.
Kennzeichnend für ihn war die globale Sicht auf den Ost-West-Konflikt: Die Stellvertreterkriege um rohstoffreiche Regionen im südlichen Afrika waren ihm ebenso ein Thema wie die sowjetische Invasion in Afghanistan oder weltweite Terror-Netzwerke (einschl. PLO).
Löwenthal gelang es, die relevantesten Politiker und Wissenschaftler vor sein Mikrofon zu holen: Ernst Reuter bei seiner Rückkehr aus dem Exil, Konrad Adenauer nach der ersten Kanzlerwahl, Richard Nixon und Henry Kissinger im ZDF-Studio, die Parteivorsitzenden – eine imponierende Liste.  Er ließ sich von Bedrohungen durch die RAF, rechtsextremistischen Antisemiten, Linksradikalen und  arabischen Israelfeinden nicht von seinem Weg abbringen.
Löwenthal war mit Franz Josef Strauß befreundet und stand dem konservativen Flügel der CDU nahe. Er gründete Bürgerinitiativen, hielt über tausend Reden zugunsten seiner politischen Anliegen, zu denen eine bundesweite Ausdehnung der CSU (1976) gehörte. Das Motto „Freiheit oder Sozialismus“ soll von ihm stammen. Er stand für einen freiheitlichen, auf die Bewahrung von Marktwirtschaft und Rechtsstaat drängenden, eher „angelsächsischen“ Konservatismus. Dementsprechend verstand er die Vereinigten Staaten als ein zweites Vaterland. Ähnlich wie Axel Springer bewunderte er Ronald Reagan.
Das ZDF in Person von Intendant Dieter Stolte und Chefredakteur Klaus Bresser nutzte Löwenthals Pensionsberechtigung 1987, um das Magazin nach 583 Folgen zu beenden, weniger als zwei Jahre vor der Friedlichen Revolution. Es folgten noch zehn Sendungen von und mit Fritz Schenk. Ein Angebot, als freier Mitarbeiter seine regen Kontakte zu nutzen, blieb aus: Der unbequeme, oft verbissen wirkende Konservative hatte wenige politische Freunde unter den Kollegen, auch im ZDF. Ein Dank des Arbeitgebers: Fehlanzeige, trotz seiner Anstellung ab der „ersten Stunde“, seit 25 Jahren.
Gerhard Löwenthal starb zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag am 6. Dezember 2002. Er ist auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße in Berlin bestattet. Seine Witwe Ingeborg Löwenthal, Tochter des früheren Bundesministers Ernst Lemmer, wirkte als Betriebsärztin auf dem Flughafen Frankfurt. Sie starb im Jahre 2019.

Stefan Winckler: Gerhard Löwenthal. Ein Beitrag zur politischen Publizistik der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: BeBra Wissenschaft, 2011.

© Stefan Winckler

 

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