Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Stefan Winckler

Achtundsechziger und Dreiunddreißiger. Rezension zu Götz Aly: "Unser Kampf 1968" 

 

Wenn es ein verbindendes Element der „68er“-Bewegung gibt, so ist es die entschiedene Ablehnung des Nationalsozialismus und der politischen Rechten. Dies wird verdeutlicht in dem Slogan „Muff von tausend Jahren“, den es unter den Professorentalaren zu „entlarven“ gälte.

Tragen manche ehemalige „neue Linke“ nicht selbst die dicksten Larven? Sie kritisierten die Vätergeneration oft pauschal, aber nicht wenige von ihnen verehrten Mao, Lenin und Ho Chi Minh – allesamt totalitäre Herrscher an der Spitze von Unrechtsstaaten, die nicht zimperlich in der Anwendung militärischer Gewalt waren. Linksradikale ließen sich ohne Zwang von Potentaten, die ihnen als weltliche Messiasfiguren erschienen, faszinieren. Hier sind diejenigen, die inflationär den Begriff „kritisch“ im Sinne von „gesellschaftskritisch“ missbrauchten, nach der kritischen Distanz zu fragen. Vielen dürfte das Elend dort egal gewesen sein. Als nach 1975 die Boatpeople aus dem nunmehr roten Vietnam flohen, waren es bürgerliche Politiker wie Ernst Albrecht (CDU) und nicht die 68er, die Zehntausende nach Deutschland holten. Offenbar hatten die zahlreichen APO-Demonstrationen, oft im Laufschritt („Ho Ho Ho… !“), neben den Beinen auch die Gehirne ermüdet.

 Aus der NS-Vergangenheit der Väter gelernt? Drei Kurzbiografien

 Nicht wenige Protagonisten stammten aus Elternhäusern, die Mitläufer, wenn nicht überzeugte Anhänger des Hitler-Regimes waren. Die oft mangelnde Auseinandersetzung der Väter- (und Mütter-)Generation mit den einstigen Einstellungen sowie die ungenügende Kommunikation zwischen der älteren und der jüngeren Generation mögen die Protestbewegung angeschoben haben.

Hannes Heer, der „Rudi Dutschke von Bonn“ (General-Anzeiger), wurde 1941 geboren. Sein Vater, einst NSDAP-Mitglied ohne bekannte Funktionen, brach dem Kontakt ab, als sich Hannes Heer führend im SDS Bonn an „unserer kleinen deutschen Kulturrevolution“ (Gerd Koenen) beteiligte. Heer, später Organisator der „Wehrmachtsausstellung“, sieht sich heute als „radikaler Demokrat“. Vater und Sohn versöhnten sich, Heer senior starb in den Armen des Juniors, der wohl nicht politische, aber charakterliche Gemeinsamkeiten mit ihm erkennt – und bekennt.

Horst Mahler, Jg. 1936, entstammte einem entschieden nationalsozialistischen Elternhaus. Nach einem kurzen Zwischenspiel als bürgerlicher Anwalt setzte er sich zunächst im Rahmen seines Berufs, dann auch mit illegalen, ja kriminellen Mitteln für linksextremistische Ziele ein. Dazu kam eine Waffenausbildung in einem PLO-Lager auf jordanischem Boden. Jahre nach der Haftentlassung und Wiederzulassung als Anwalt kehrte er zum Extremismus zurück – aber dieser war nicht links und internationalistisch wie zuvor. Stattdessen bekannte er sich zu Nationalsozialismus und Antisemitismus, womit er ungeachtet der verschiedenen Epochen und Systeme in der Gedankenwelt seines Vaters gelandet war. Diese Schussfahrt in die politische Perversion äußerte sich u.a. in Holocaustleugnung und Hitlergruß anlässlich eines Interviewtermins mit Michel Friedman.

Bernward Vesper (1938-1971) war der Sohn des völkisch-protestantischen, antisemitischen und NS-fixierten Dichters Will Vesper (1882-1962). In seinem autobiografischen Roman „Die Reise“ (posthum 1977) beschreibt er das Verhältnis zum Vater und seinen eigenen APO-Anschluss – und schuf damit das „literarische Ereignis des Jahres“ (Martin Zeyn, Bayerischer Rundfunk). 1962 war demnach von einem Bruch zwischen den Generationen im Hause Vesper noch nichts nach draußen gedrungen: B. Vesper editierte zusammen mit seiner späteren Verlobten Gudrun Ensslin den Gedichtband „Letzte Ernte“ aus dem väterlichen Nachlass (kaum erfolgreich). Anfangs stimmten beide politisch zumindest teilweise überein, der Sohn unterstützte sogar eine rechtsradikale Partei als Plakatkleber. Ob dies aus Überzeugung geschah oder in der Absicht, dem Vater zu gefallen, wissen wir nicht. In „Die Reise“ schildert der jüngere Vesper ein schmerzliches Streitgespräch, in dem der ältere Vesper den Holocaust heftig leugnete und dadurch den Sohn verstörte. Die strenge Erziehung, sein Kampf um Selbsterhaltung, die fehlende Liebe und Anerkennung führten allmählich einen Bruch herbei (wie es etliche in seiner Generation erlebten), begleitet von Kontakten mit Gleichaltrigen auf Auslandsreisen und der Lektüre von Wilhelm Reichs „Massenpsychologie des Faschismus“. Drogen wirken schließlich wie ein „Gegengift zu den väterlichen Einflüsterungen“ (Zeyn). Es war ein Abstieg in die Selbstzerstörung: Psychiatrieaufenthalt, dort Suizid 1971. Vielleicht als Ersatzhandlung für einen Vatermord?

 

Braune Bewegung, rote Bewegung

 Natürlich kann der linksradikale Teil der akademische Jugend von 1967ff. nicht mit dem NS-Studentenbund gleichgesetzt werden. Historische Vorgänge wiederholen sich nicht im Verhältnis eins zu eins. Deutsch-jüdische Wissenschaftler wie v.a. Ernst Fraenkel (FU Berlin) bemerkten jedoch Ende der 1960er Jahre Parallelen zwischen beiden Phänomenen und erwogen eine erneute Emigration.

Der Historiker Götz Aly beschreibt in der Monografie „Unser Kampf 1968“ (Frankfurt 2008) Ähnlichkeiten: den Kampf gegen die Etablierten und Reaktionäre, sowie das Niederschreien missliebiger Dozenten. Revolutionsbesoffenheit da wie dort. Schon 1965 reagierte Joachim Fest auf eine Redesalve Ulrike Meinhofs, so viel „energische Selbstgewissheit über den Lauf und die Bestimmung der Welt“ habe er zuletzt 1944 von seinem NS-Führungsoffizier hören müssen.

 Hass auf Israel

 Es waren keine Neomarxisten, sondern deren Feindbilder Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß, die Israel unterstützten. Im Gegenteil, nach dem Sechstagekrieg sympathisierten manche Linksradikale (Mahler!) aus antiimperialistischen Motiven mit der PLO und schmähten Israel als „faschistisch“. Ein Vortrag des israelischen Botschafters Asher Ben-Nathan in einer der „Hauptstädte der Bewegung“, Frankfurt, wurde massiv gestört. Eine antiisraelische Resolution des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes datiert vom September 1967. Joschka Fischer nahm 1969 an einem Solidaritätskongress mit der PLO in Algier teil, und Dieter Kunzelmann schrieb in seinem „Brief aus Amman“ vom November 1969: „(...) Palestina (sic!) ist für die BRD und Europa das, was für die Amis Vietnam ist. Die Linken haben das noch nicht begriffen. Warum? Der Judenknax. ,Wir haben 6 Millionen Juden vergast. Die Juden heißen heute Israelis. Wer den Faschismus bekämpft, ist heute für Israel'. Das stimmt hinten und vorne nicht. Wenn wir endlich gelernt haben, die faschistische Ideologie ,Zionismus' zu begreifen, werden wir nicht mehr zögern, unseren simplen Philosemitismus zu ersetzen durch eindeutige Solidarität mit AL FATAH, die im Nahen Osten den Kampf gegen das Dritte Reich von Gestern und Heute und seine Folgen aufgenommen hat (…)“.

Laut Verleger Lothar Menne soll Kunzelmann schon in den frühen 1960ern ein Antisemit gewesen sein, ungeachtet des liberalen Vaters Otto K.

Post-68er „Muffel“

 Seit dem Aufbegehren eines Teils der Studentengeneration sind über 50 Jahre vergangen. Wie offen, wie ehrlich sind Akteure von damals, wenn es um „wunde Punkte“ wie Extremismus, Antizionismus/Antisemitismus, Gewalt (meist, aber nicht nur gegen Sachen) und Einschüchterung von Dozenten geht? Aly sieht mehr als nur Selbstgefälligkeit. Er schreibt vom „Schweigekodex“, wenn es um unrühmliche Taten geht. Kein Zweifel, auch an jener Gruppe haftet eine Menge Muff.

  

Veröffentlicht in der "Jüdischen Rundschau", August 2020 

© Stefan Winckler

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