Stefan Winckler
Historiker und Buchautor


Verfassung moderner Staat


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Stefan Winckler

Verfassungsentwicklung im Rheinbund und im Deutschen Bund

Auf dieser Seite werden wir der Einführung der ersten Verfassungen in den meisten deutschen Landen vor ungefähr 200 Jahren in einer Serie gedenken. Am Anfang soll die Frage nach dem Grund und dem geistigen Ursprung stehen, ebenso die Charakterisierung der Verfassungen in den Königreichen Westphalen und Baiern (vor 1825 noch mit „i“ statt mit „y“ geschrieben).

Verfassungen sind kennzeichnend für den modernen Staat. Mochte es in England zwar Grundsätze von Verfassungsrang aber keine geschriebene Verfassung geben, und mochten im Vormärz Österreich und Preußen noch ohne Verfassung existieren, so ist insbesondere in einer Republik die Verfassung wesentlicher Bestandteil des Staatslebens. So trat in den Vereinigten Staaten 1787, elf Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit, die Verfassung in Kraft, die noch heute gültig ist.

Stadtverfassungen gab es in Europa seit Jahrhunderten, doch die erste geschriebene Verfassung eines Flächenstaates trat am 14. April 1791 nicht etwa in Frankreich, sondern in Polen in Kraft. Sie war nur für anderthalb Jahre gültig.

Frankreichs erste Verfassung datiert vom 3. September 1791 – und konnte sich ebenfalls nur für ein Jahr behaupten.

Als erster Flächenstaat im deutschsprachigen Raum war es das völlig neu zusammengefügte Königreich Westphalen, das am 7. Dezember 1807 eine Verfassung einführte. Es war aber nicht der Landesherr, König Jerome (Hieronymus), der die Verfassung erließ. Er ist nicht einmal in der Präambel aufgeführt. Verfassungsgeber war vielmehr der Kaiser der Franzosen Napoleon Bonaparte als Hegemon im westlichen Europa, als „Beschützer des Rheinischen Bundes“ (Präambel), der als Familienoberhaupt der Bonapartes seinem jüngsten Bruder das sog. „Westphalen“ (es hatte wenig mit der geografischen Region Westfalen gemein) als Königreich zugewiesen hatte. Die Verfassungsgebung sei durch den 19. Artikel des Tilsiter Friedens veranlasst, ist in der Präambel zu lesen. Ziel der Verfassung des Kgr. Westphalen sei es, das „Glück seiner Völker“ zu sichern „und zugleich dem Souverain, als Mitglied des Rheinischen Bundes“, die Mittel zu gewähren, „zur gemeinschaftlichen Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken“.

Tatsächlich war die Verfassung in Frankreich entstanden und nichts anderes als eine „Morgengabe“ an den soeben von Napoleon installierten König.

Im ersten Artikel sind die Gebiete aufgelistet, aus denen das Königreich Westphalen (so die seinerzeitige Schreibweise) zusammengefügt ist. Im zweiten Artikel wird wiederum das Interesse Frankreichs deutlich, ja, es wird direkt beim Namen genannt:

„Wir behalten Uns die Hälfte der Allodial-Domainen der Fürsten vor, um solche zu den Belohnungen zu verwenden, die Wir den Offizieren Unserer Armeen versprochen haben, welche uns im gegenwärtigen Kriege die meisten Dienste leisteten“.

Dass der König zum 1. Dezember 1807 „in den Besitz des vollen Genusses und der Souveränität gesetzt werden“ soll (Art. 4) wird konterkariert durch die Festsetzung, das Kgr. Westphalen machen einen „Theil des Rheinischen Bundes“ aus. Die Souveränität, sich sein Bündnis selbst zu wählen und gegebenenfalls wieder zu kündigen, besteht also nicht einmal auf dem Papier. Vielmehr sind sogar die für napoleonische Interessen zu schaffenden Truppenstärken des Königreichs festgeschrieben – insgesamt „25.000 Mann, davon 20.000 Mann Infanterie, 3.500 Mann Cavallerie, 1.500 Mann Artillerie“. Vom Kgr. selbst sollen nur die Hälfte besoldet, der Rest von Frankreich gestellt und besoldet werden. Sogar die für letzteres vorgesehene Garnison Magdeburg wird beim Namen genannt.

Der dritte Teil (Art. 6-9) legt die Erbfolge fest: auch hier ausschließlich zugunsten der Familie Bonaparte, was bekräftigt wird durch: „Der König von Westphalen und seine Familie sind in dem, was sie betrifft, den Verfügungen der Kaiserlichen Familien-Statuten unterworfen“ (Art. 7). Auch daraus lässt sich die unvollständige Souveränität Westfalens ablesen.

Im vierten Teil wird der moderne Charakter der Konstitutionen sofort erkennbar: Wir lesen von der „Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetze“ und der „freye[n] Ausübung der Gottesdienstes der verschiedenen Religions-Gesellschaften“ (Art. 10). Das sind wesentliche Verfügungen über Gleichheit und Freiheit. Die bisherigen Privilegien der Stände und Familien sind aufgehoben (Art. 11 und 12), ebenso die Leibeigenschaft (Art. 13). Zwar bestehe der Adel weiter, jedoch ohne ausschließliche Vorrechte (Art. 14). So ist die antifeudalistische Ausrichtung der Verfassung klar benannt. Vereinheitlichung der Steuer in allen Teilen des Königreichs, der Maße und Gewichte sind in Art. 16 und 17 aufgeführt – keineswegs eine Trivialität, denn zum einen war der Staat aus verschiedenen Teilen zusammenzufügen, andererseits war selbst Preußen noch lange Jahre durch Binnenzölle in seiner Wirtschaftskraft geschwächt. Die Schaffung eines Einheitsstaates geht aus diesen Artikeln hervor.

Der fünfte Teil benennt die Verwaltungsreform. Es gibt vier Minister mit drei klar abgegrenzten Ressorts (Justiz/Inneres, Kriegswesen, Finanzen/Handel/öffentlicher Schatz) und einem Staatssekretariat (Art.19). „Die Minister sind, jeder in seinem Fache, fuer die Vollziehung der Gesetze und der Befehle des Königs verantwortlich“ (Art. 20).

Ein Kabinett gibt es darüber hinaus, genannt „Staatsrath“ (sechster Titel, Art. 21-28), bestehend aus mindestens 16 und höchstens 20 Mitgliedern. Seine Aufgabe sei es, Gesetze bzw. Verordnungen zu beraten und zu entwerfen (Art. 22).

Eine Ständevertretung, aus einhundert Mitgliedern bestehend, „berathschlagen über die vom Staatsrathe verfaßten Gesetzes-Entwürfe, welche ihnen auf Befehl des Königs vorgelegt werden, sowohl über die Auflagen oder das jährliche Finanz-Gesetz, als über die im Civil-Gesetzbuche und im Münzsysteme vorzunehmenden Veränderungen (…)“ (Art. 33).  Diese Versammlung verfügte nicht über Periodizität, sondern war völlig vom König abhängig: Er rief sie zusammen, vertagte sie und löste sie auf (Art. 32). Sie setzte sich aus Grundeigentümern (70 Personen), 15 Kaufleuten und Fabrikanten, 15 Gelehrten  und anderen um den Staat verdiente Bürger zusammen.  Mit diesen Vertretern aus dem Besitz- und Bildungsbürgertum erscheint die Zusammensetzung vergleichsweise modern. Der achte und neunte Teil der Verfassung benennt die Verwaltungsgliederung in Departements, Distrikte, Kantone und Gemeinden, nach französischem Vorbild. Analog: An der Spitze der Einheiten stehen Präfekte, Unterpräfekte, Maires. Ihnen stehen Räte bis hinunter zu den Gemeinderäten zur Seite. Die „Departements-Collegien“, welche die Stände ernennen und dem König Friedensrichter und sämtliche Räte vorschlagen, werden durch ein Zensuswahlrecht bestimmt (Teil 10). Der elfte Teil legt das Justizwesen fest: Einführung des Code Napoleon (Art. 45), Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren (Art. 46), Zuständigkeitsbereiche der unterschiedlichen Arten der Gerichtsbarkeit (Art. 47), Unabhängigkeit der Justiz (Art. 49). Die Gerichtsurteile werden im Namen des Königs verkündet, der begnadigen, die Strafe erlassen oder mildern kann (Art. 52).

Unterzeichnet ist die Konstitution von König Jerome („Hieronymus Napoleon“), dem königlichen Kabinettssekretär Cousin de Marinville und dem provisorischen Justiz- und Innenminister Simeon. 

Diese ausgesprochen fortschrittliche  Verfassung entfaltete auf Dauer wenig Wirkung, denn das Kgr. Westphalen endete nach nicht einmal sechs Jahren im Oktober 1813 infolge der großen europäischen Kriege. Die napoleonischen Kriege einschließlich der Wirtschaftskrise durch die Kontinentalsperre, ja selbst die anfangs beschriebene Vorzugsstellung französischer Interessen begrenzten die Zustimmung der Untertanen. Dennoch wäre es falsch, das Königreich Westphalen als Fremdherrschaft abzutun und anzunehmen, es sei nicht auf Gegenliebe gestoßen. Die Loyalität der Untertanen war von Region zu Region unterschiedlich, je nachdem, ob sich ihre Situation gegenüber der vorherigen Herrschaft verbessert oder verschlechtert hatte. Die staatsbürgerlichen Rechte waren alles andere als gering, und die Schaffung eines Einheitsstaates versprach, in wirtschaftlicher Hinsicht segensreich zu werden – vorausgesetzt, es hätte Frieden geherrscht.

Dass eine Verfassung in Paris ausgearbeitet und von Napoleon oktroyiert wird, wollten König Maximilian Joseph und sein leitender Minister Montgelas in bezug auf Bayern verhindern. Nachdem bereits die Mitgliedschaft im Rheinbund die (außenpolitische) Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten stark einschränkte, wollte Baiern am wenigsten auch noch einer gemeinsamen Rheinbundverfassung unterstellt werden. So gab sich das Königreich (von Napoleons Gnaden ab 1806), gestützt auf eine Kritik Montgelas an  den vorrevolutionären Zuständen, und gewiss auch mit Blick auf die westphälischen Verfassungsbestimmungen, zum 1. Mai 1808 eine eigene Konstitution.

Verfassungsgeber ist nicht Napoleon, sondern Maximilian Joseph, von Gottes Gnaden König von Baiern, denn Baiern war ja zuvor im Gegensatz zum Kgr. Westphalen seit Jahrhunderten als Herzogtum und Kurfürstentum existent. 

Auch hier geht aus der Präambel die Absicht hervor, mit einer Verfassung das neu zugeschnittete Land zu einen, d.h. einen zentralistischen Einheitsstaat aus Territorien mit völlig unterschiedlichen Traditionen zu formen. Baiern konnte durch Mediatisierung (Nürnberg z.B.) und Säkularisierung Gebietsgewinne verzeichnen.

§1 benennt Baiern als „Theil der Rheinischen Föderation“, wie es in der Präambel von Westphalen ebenfalls steht. §2 hebt „alle besonderen Verfassungen, Privilegien, Erbämter und landschaftliche Corporationen der einzelnen Provinzen“ auf. Auch dies dient der Vereinheitlichung und Zentralisierung des Landes, zugunsten der monarchischen Gewalt, und davon abgeleitet, der Beamtenschaft. Das Königreich wird in möglichst gleich große Kreise (heute: Regierungsbezirke) aufgeteilt, die den historisch gewachsenen Gegebenheiten ausdrücklich nicht entsprechen mussten (§ 4). Vielmehr waren sie nach geografischen Kategorien zugeschnitten und nach Flüssen benannt: Oberdonau, Isar, Unterdonau, Regen, Rezat, Obermain, Untermain und Rhein. Vgl.  Peter Claus Hartmann: Bayerns Weg in die Gegenwart. Vom Stammesherzogtum zum Freistaat heute. Regensburg 1989, S. 357).   

Der Adel bleibt mit seinen Titeln und „gutsherrlichen Rechten“ zwar bestehen, doch verliert er sein Monopol auf „Staatsämter, Staatswürden, Staatspfründen“. Entsprechendes gilt auch für die Geistlichkeit. Damit gibt es bei gleicher Qualifikation die Chancengleichheit für bürgerliche Bewerber im Staatsdienst (§§ 5 und 6).

Hervorzuheben ist §7: „Der Staat gewährt allen Staatsbürgern Sicherheit der Person und des Eigenthums – vollkommene Gewissensfreiheit – Preßfreiheit nach dem Zensuredikt vom 13. Juni 1813 und den wegen der politischen Zeitschriften am 6. September 1799 und 17. Februar 1806 erlassenen Verordnungen. Nur Eingeborne, oder im Staate Begüterte, können Staatsämter bekleiden. Das Indigenat kann nur durch eine königliche Erklärung oder ein Gesetz ertheilt werden“.

Der Staat gewährt den Untertanen nicht nur Freiheits- und Gleichheitsrechte, sondern fordert auch Loyalität ein: „Ein jeder Staatsbürger, der das 21. Jahr zurückgelegt hat, ist schuldig. Vor der Verwaltung seines Kreises einen Eid abzulegen, daß er der Constitution und den Gesetzen gehorchen – dem Könige treu seyn wolle“. Die Auswanderung weitgehend verboten, ebenso die Annahme ausländischer Einkünfte oder Ehrenzeichen (§ 8).

Der zweite Titel „Vom königlichen Hause“ stellt insbesondere die Erblichkeit der Krone im Mannesstamme und der agnatisch-linearen Reihenfolge fest (§ 1), ebenso deren Einkünfte. 

Der dritte Titel „Von der Verwaltung des Reiches“ (mit "Reich" ist das Kgr. Baiern gemeint) regelt die Zuständigkeiten von Regierung und Verwaltung: Es gibt wie in Westphalen eine Aufführung der Ressorts und eine Verantwortlichkeit der Minister: „Das Ministerium [d.h. Regierung] teilt sich in 5 Departements“: Auswärtiges, Justiz, Finanzen, Inneres und Kriegswesen. Königliche Dekrete bedürfen der Gegenzeichnung durch den zuständigen Minister (§ 1).

Ähnlich wie in Westphalen existiert ein beratender Staatsrat „der neben den Ministern aus 12 oder höchstens 16 Gliedern besteht“, welche vom König berufen werden. Der Staatsrat entwirft den grundsätzlichen Inhalt der Gesetze und der wichtigsten Verordnungen, die dann den Ministerien zugeleitet werden. Die Verantwortlichkeit der Minister berührt er nicht (§ 1).

Ähnlich wie in Westphalen verhält es sich auch in bezug auf die „Nationalrepräsentation“: In einem jeden Kreis werden aus denjenigen 200 Landeigenthümern, Kaufleuten oder Fabrikanten, welche die höchste Grundsteuer bezahlen, von den Wahlmännern sieben Mitglieder gewählt, welche zusammen die Reichsversammlung bilden“ (vierter Teil: von der Nationalrepräsentation; § 1). Nach heutigen Verständnis war dies freilich keine Vertretung des bayerischen Volkes („Nation“), sondern immerhin, wie in Westfalen, eine Versammlung, die gewählt und nicht nach Ständen (Klerus, Adel, Bürger) zusammengesetzt war. Die Versammlung wird vom König einberufen, eröffnet und geschlossen (ähnlich Westfalen). Ihre Mitglieder treten zu bestimmten Ausschüssen zusammen (Finanzen, bürgerliche und Strafgesetzgebung, innere Verwaltung und Tilgung der Staatsschulden.  (§§ 4,6). Die Kompetenzen halten sich in engen Grenzen, im Grund handelte es sich um ein Beratergremium, das kein Gesetz und keinen Haushalt initiieren oder stoppen konnte.

Tatsächlich trat die Versammlung niemals zusammen. Dies war vermutlich nicht nur den Kriegen geschuldet, sondern auch der aufgeklärt-absolutistischen und nach Frankreich orientierten Herrschaftsauffassung Maximilian Josephs und Montgelas‘, der bezeichnenderweise auf Betreiben des eher liberal und deutsch-romantisch denkenden Kronprinzen Ludwig 1817 abgelöst wurde.

Der fünfte Titel („Von der Justiz“) begrenzt die Macht des Königs in Bezug auf die Rechtsprechung: „Der König kann in Criminalsachen Gnade ertheilen, die Strafe erlassen, aber in keinem Falle irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen, vielweniger eine Partei ihrem gesetzlichen Richter entziehen“ (§4).

Ein Bürgerliches und ein Strafgesetzbuch sollen eingeführt werden (§ 7)

Der sechste Titel „Von dem Militärstande“ führt den Aufbau eines stehenden Heeres auf als Verteidigungsstreitmacht im Rahmen des Rheinbunds auf (§§ 1,3). 

Unterschrieben ist die Verfassung von König Maximilian Joseph, dem leitenden Minister Freiherr von Montgelas, Minister Graf Morawizky (Inneres) und Finanzminister Freiherr von Hompesch.

Diese Verfassung, die im Übrigen die wesentlichen Reformen der Ära Montgelas zusammenfasste und festschrieb, trat zu keiner Zeit vollständig in Kraft. Den Menschen jener Zeit wird diese Epoche ohnehin stärker als von Krieg (das bayerische Kontingent für Napoleons Russlandfeldzug umfasste 30.000 Mann) und wirtschaftlich nachteiligen Kriegsfolgen gekennzeichnet erschienen sein. Anerkennenswert sind aus heutiger Sicht die Freiheits- und Gleichheitsrechte wie die die Gleichstellung der Konfessionen und die Freiheit der jüdischen Religionsausübung. In stark traditionell geprägten Gebieten wie v.a. Tirol (Andreas Hofer!) stieß hingegen die hier in Verfassungsform gegossenen moderne auf Widerstand, wobei auch Ungeschicklichkeiten bayerischer Beamter eine Rolle spielten.

Auf das Ende des Rheinbundes 1813 und die Mitgliedschaft im Deutschen Bund hatte der Staat mit der Änderung der entsprechenden Verfassungsartikel zu reagieren. Auch die Grenzen Baierns wurden – auf dem Wiener Kongress – neu gezogen. Mainfranken und Aschaffenburg, bislang mainzerisch,  kamen hinzu, ebenso das bisherige Großherzogtum Würzburg. Bereits 1810 gelangte Bayreuth an Baiern. während Salzburg, Tirol und Vorarlberg verloren gingen. So ließe sich von einer Nordwestverschiebung Baierns reden.   Es galt, Forderungen nach nationaler Einigung und Freiheit abzuwehren, die nach den erfolgreichen Befreiungskriegen von den Burschenschaften und verschiedenen Publizisten erhoben wurden. Andererseits sollte dem Volk, das tausende Männer für das Vaterland geopfert hatte, in das staatliche Leben mit einbezogen werden, wenn auch nicht die Masse, sondern die adligen und bürgerlichen Eliten damit gemeint waren. Es kam vor allem auch darauf an, den mediatisierten Adel mit dem modernisierten Staat zu versöhnen (daher die Ersten Kammern bzw. Herrenhäuser in Staaten des Deutschen Bundes). Österreichische Einmischungsversuche waren abzuwehren, die eigene Souveränität war hervorzuheben. Erste Beratungen begannen schon 1814. 

1818 trat die neue Verfassung, die altständische mit repräsentativen Elementen verband, in Kraft. Baiern war eine konstitutionelle Monarchie. Hier ist erneut ein französisches Vorbild von Bedeutung gewesen: die Charte von 1814 unter Ludwig XVIII. An vorderer Stelle sind die Grundrechte ausgelistet. Dem baierischen Beispiel wiederum folgten die deutschen Mittelstaaten, angefangen mit Baden, während in Württemberg noch nicht entschieden war, wie die neue Verfassung gestaltet sein sollte.

Diese Verfassung blieb bis 1918, also für die vergleichsweise lange Zeit von einhundert Jahren, in Kraft. Veränderungen, v.a. 1848, kamen dem Parlamentarismus zugute, indem die Kompetenzen der zweiten Kammer – des Abgeordnetenhauses – erweitert wurden. 

Maximilian Joseph, "von Gottes Gnaden König von Baiern" (Präambel) erließ die Verfassung. Er ist der Verfassungsgeber, der die Art seiner Machtausübung festlegt. Wie in den meisten anderen Staaten des Deutschen Bundes in den ersten Jahren nach 1815 handelte es sich eindeutig um ein Verfassungs-Oktroi, während die inhaltlich gut vergleichbare Verfassung von Württemberg von 1820 eine zwischen Krone und den Ständen vereinbarte Konstitution war. Die Verfassung  ist zugleich auf die Grundsätze des Wiener Kongresses zurückzuführen, welche das „monarchische Prinzip“ für die Flächenstaaten im Deutschen Bund im Sinne der Legitimität und der Restauration festschrieb. Ebendort, in der Bundesakte, war aber auch das Gebot der Verfassungsgebung verzeichnet, wenn auch Frist und genauere Richtlinien: "In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung statt finden" (Art. XIII).

Angeleitet ist Maximilian Joseph von dem Ziel, "das Gesamtwohl Unserer Unterthanen zu befördern", so die Präambel. Die neue Verfassung sei eine Fortschreibung der Konstitution von 1808, in der die Einführung einer "ständischen Versammlung" bereits als Absicht aufgeführt worden sei. Mit dem nun eingetretenen Frieden könne das alte Staatsgrundgesetz nun weiterentwickelt werden.

 

Die Verfassung enthält bereits in der Präambel einen ausführlichen Katalog der Freiheits- und Gleichheitsrechte.

 An Freiheiten ist aufgeführt:

„Freyheit der Gewissen, und gewissenhafte Scheidung dessen, was des Staates und der Kirche ist,

 Freyheit der Meinungen" Letzteres Recht war allerdings mit dem Vorbehalt der "gesetzlichen Bestimmungen gegen ihren Mißbrauch“ verbunden, so dass eine Zensur unter Umständen möglich war. 

 

An Gleichheitsrechte ist bennannt:

 

„Gleiches Recht der Eingeborenen zu allen Graden des Staatsdienstes und zu allen Bezeichnungen des Verdienstes“, „gleiche Berufung zur Pflicht und zur Ehre der Waffen“, „Gleichheit der Gesetze und vor dem Gesetze“, „Gleichheit der Belegung und der Pflichtigkeit der Leistung“.

Unter Titel I: Allgemeine Bestimmungen lesen wir das Bekenntnis zum monarchischen Einheitsstaat und die Benennung einer „Ständeversammlung“, aus zwei Kammern bestehend.  Bezeichnenderweise ist hier nicht mehr von „National-Repräsentation“, von einer Volksversammlung, die Rede, sondern von einer Vertretung der traditionellen Eliten, dem Geist der Restauration entsprechend.

 

In Titel II. wird die Rolle des Königs nach dem monarchischen Prinzip festgelegt:

„Der König ist das Oberhaupt des Staates, vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt, und übt sie unter den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus.

Seine Person ist heilig und unverletzlich". Es war eine Selbstverständlichkeit - und hier nicht einmal erwähnt - dass der könig den Oberbefehl über das Heer hatte, seine Minister nach Belieben berufen und entlassen durfte und mit anderen Staaten Verträge abschließen konnte.

Die folgenden Artikel betreffen die Thronfolge und unterscheiden sich nicht wesentlich von den Bestimmungen des 1808er Staatsgrundgesetzes. Wichtig sollten in der bayerischen Geschichte noch die Bestimmungen zur "Reichs-Verwesung" werden (§§ 9-22), da Max Josephs Enkel Luitpold 1884 die Regentschaft für den für geisteskrank erklärten König Ludwig II und dessen Bruder Otto übernehmen sollte. 

 

Titel III „Von dem Staatsgute“ hebt die Einheitlichkeit des Staates deutlich hervor: 

 

(1)   Der ganze Umfang des Königreiches Baiern bildet eine einzige untheilbare unveräußerliche Gesammt-Masse aus sämmtlichen Bestandtheilen an Landen, Leuten, Herrschaften, Gütern, Regalien und Renten mit allem Zugehör.

(2)  Auch alle neuen Erwerbungen aus Privat-Titeln an unbeweglichen Gütern, sie mögen in der Haupt- oder Nebenlinie geschehen, wenn der erste Erwerber während seines Lebens nicht darüber verfügt hat, kommen in den Erbgang des Mannesstammes [der Dynastie] und werden als der Gesammt-Masse einverleibt angesehen.

Titel IV wendet sich der Frage nach der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Rechten und Pflichten zu. Hier soll einer willkürlichen Vergabe von Posten an Nicht-Bayern entgegengewirkt werden: „Kron-Aemter, oberste Hof-Aemter, Civil-Staatsdienste und oberste Militaire-Stellen, wie auch Kirchen-Aemter oder Pfründen können nur Eingeborene oder verfassungsmäßig Naturalisirten ertheilt werden“ (§ 4).

Umgekehrt kann „jeder Baier (…) zu allen Civil-, Militaire- und Kirchen-Aemtern oder Pfründen gelangen“ (§ 5) - eine wichtige Aussage zur Chancengleichheit. Gleichwohl blieben maßgebliche Stellen im Königreich überproportional mit Adeligen besetzt; der Elitenwandel ging allenfalls allmählich vonstatten. 

Ebenso wie elf Jahre zuvor im Kgr. Westphalen und entsprechend der vorherigen Verfassung ist die Leibeigenschaft aufgehoben (§ 6). 

 

Im gleichen  Titel werden die Sicherheit des Bürgers sowohl durch als auch vor dem Staat gewährleistet:

(1)   Der Staat gewährt jedem Einwohner Sicherheit seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte.

(2)  Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden.

(3)  Niemand darf verfolgt oder verhaftet werden, als in den durch die Gesetze bestimmten Fällen, und in der gesetzlichen Form.

 

(4)  Niemand darf gezwungen werden, sein Privat-Eigenthum, selbst für öffentliche Zwecke abzutreten, als nach einer förmlichen Entscheidung des versammelten Staatsraths, und nach vorgängiger Entschädigung, wie solches in der Verordnung vom 14. August 1815 bestimmt ist“.

 

Die drei christlichen Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Calvinisten) genießen „gleiche bürgerliche und politische Rechte“, die Obrigkeit darf den Klerus nicht in dessen eigenen Angelegenheiten einmischen oder hemmen, freilich besteht ein Vorbehalt: die Kirche darf auch kein „Staat im Staate“ sein: „(…) keine Verordnungen und Gesetze der Kirchen-Gewalt (dürfen) ohne vorgängige Einsicht und das Placet des Königs verkündet und vollzogen werden“. Die Kirchen und Geistlichen sind in ihren bürgerlichen Handlungen und Beziehungen wie auch in Ansehung des ihnen zustehenden Vermögens den Gesetzen des Staates und den weltlichen Gerichten untergeben; auch können sie von öffentlichen Staatslasten keine Befreyung ansprechen. Wichtig ist außerdem die Gewissensfreiheit für die nicht-christlichen Glaubensgemeinschaften (womit insbesondere die Juden gemeint sind). Konkret: „Die einfache Haus-Andacht darf daher Niemandem, zu welcher Religion er sich bekennen mag, untersagt werden“ (§ 9).

Entsprechend der Präambel ist außer der Gewissensfreiheit die Freiheit der Presse und des Buchhandels gesichert. Im Gegensatz zur zehn Jahre zuvor erlassenen Verfassung ist die Auswanderung, jedenfalls in andere Staaten des Deutschen Bundes, erlaubt, soweit die gesetzlichen Pflichten gegenüber Baiern erfüllt worden sind (§ 14).

Wie eingangs erwähnt, sollte der mediatisierte Adel für den neuen Staat gewonnen werden. Dies konkretisiert Titel V: Von besonderen Rechten und Vorzügen:

„Die vormals Reichsständischen Fürsten und Grafen werden all jene Vorzüge und Rechte zugesichert, welche in dem  ihre Verhältnisse bestimmenden besondern Edicte ausgesprochen sind.

Die der Baierischen Hoheit untergebenen ehemaligen unmittelbaren Reichadeligen genießen diejenigen Rechte, welche in Gemäßheit der Königlichen Declaration durch die constitutionellen Edicte ihnen zugesichert werden.

Der gesammte übrige Adel des Reiches behält, wie jeder Guts-Eigenthümer, seine gutsherrlichen Rechte nach den gesetzlichen Bestimmungen.

 

Uebrigens hat derselbe folgende Vorzüge zu genießen.

1., Ausschließlich das Recht, eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben zu können;

2. Familien-Fidei-Commisse auf Gutsvermögen zu errichten;

3. Einen von dem landgerichtlichen befreyten Gerichtsstand in bürgerlichen und strafrechtlichen Fällen;

4. die Rechte der Siegelmäßigkeit unter den Beschränkungen der Gesetze über das Hypothekenwesen; endlich

5. bey der Militaire-Conscription die Auszeichnung, daß die Söhne der Adelichen als Cadetten eintreten“ (§§ 2-4).

 

Titel VI regelt Zusammensetzung, Befugnisse und Wahl der Ständeversammlung. Sie besteht aus zwei Kammern. Die erste ist die Kammer der Reichsräte, die zweite die Abgeordnetenkammer. Beide sind gleichberechtigt.

 

Die Kammer der Reichsräte setzt sich aus

„1., den volljährigen Prinzen des Königlichen Hauses,

2., den Kronbeamten des Reichs,

3. den beyden Erzbischöfen ,

 4., den Häuptern der ehemals Reichsständischen fürstlichen und gräflichen Familien, als erblichen Reichs-Räthen, solange sie im Besitze ihrer vormaligen Reichsständischen im Königreiche gelegenen Herrschaften bleiben;

 5., einem vom Könige ernannten Bischofe und dem jedesmaligen Präsidenten des protestantischen General-Consistoriums

 6., aus denjenigen Personen, welche der König entweder wegen ausgezeichneter dem Staate geleisteter Dienste, oder wegen ihrer Geburt, oder ihres Vermögens zu Mitglieder dieser Kammer entweder erblich oder lebenslänglich besonders ernennt“ (§ 2).

 

Dieses eher traditionsorientierte Oberhaus stellte zugleich ein Gegengewicht zum "modernen", als Volksvertretung gedachten "Unterhaus", der Zweiten Kammer dar.  

 

 

Nach einigen weniger wesentlichen Bestimmungen im Detail werden darauf folgend in § 7 die

 

Regelungen für die Zweite Kammer aufgeführt: Sie setzt sich zusammen

 

„a, aus den Grundbesitzern, welche eine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben und nicht Sitz und Stimme in der ersten Kammer haben,

 b, aus Abgeordneten der Universitäten,

 c, aus Geistlichen der katholischen und protestantischen Kirche,

 d, aus Abgeordneten der Städte und Märkte,

 e, aus den nicht zu a, gehörigen Landeigentümern“.

 

 

Auf 7000 Familien soll ein Abgeordneter kommen (§ 8). Eben dies geschah in der Praxis nicht; die Bestimmungen waren daher kaum gerecht: "Tatsächlich aber entfiel beim gerichtsherrlichen Adel (Klasse I) ein Abgeordneter auf 67,5 Familien, bei den Landeigentümern ohne eigene Gerichtsbarkeit (Klasse V) ein Abgeordneter auf 12041 Familien" (Eberhard Weis: Die Begründung des modernen bayerischen Staates. In: Handbuch der bayerischen Geschichte, 4.Bd.: das moderne Bayern. 1. Teilbd.: Staat und Politik, München 2003, S. 122). Der Anteil der aktiv Wahlberechtigten an der Gesamtbevölkerung angesichts der hohen Kinderzahl und dem seinerzeit völlig selbstverständlichem Ausschluss der Frauen vom aktiven Wahlrecht von 1,8 Prozent (vgl. ebd.) mag wenig aussagekräftig sein. In Frankreich waren selbst unter dem Bürgerkönig Louis Philipp nur 0,7 Prozent der Franzosen aktiv wahlbrechtigt. Es gibt jedoch aus heutiger demokratischer Sicht zu denken, dass "bei den Landgemeinden 1818, nach Kreisen (Regierungsbezirken) aufgeschlüsselt, jeweils zwichen 7 und 8 %, in einem Fall 12 % der Familienhäupter urwahlberechtig (waren)". Vergleichbar die Situation in den Städten, wo "selbst der größte Teil der Inhaber des Bürgerrechts - dies war teilweise eine Minderheit unter den tatsächlichen Einwohnern - von der Beteiligung an der Bestellung der Gesamtrepräsentation ausgeschlossen (waren)" (vgl. ebd.).

 

Zur Sitzverteilung:

 

„Von der auf solche Art bestimmte Zahl stellt:

 

a, die Klasse der adligen Grundbesitzer ein Achttheil,

 b, der Klasse der Geistlichen der katholischen und protestantischen Kirche ein Achttheil,

 c, der Klasse der Städte und Märkte ein Vierttheil,

 d, die Klasse der übrigen Landeigenthümer, welche keine gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausüben, zwey Vierttheile der Abgeordneten,

 e, jede der drey Universitäten ein Mitglied“.

  

Wir haben also eine eine exakt festgelegte Zuordnung der Abgeordneten nach Klassen und keine Parteien. 

 

Zur Beschickung:

 

„Jede Klasse wählt in jedem Regierungs-Bezirke, die sie dasselbst treffende Zahl von Abgeordneten nach der in dem angeführten Edicte vorgeschriebenen Wahlordnung für die sechsjährige Dauer der Versammlung“ (§ 11). Der Zeit entsprechend, ist das Wahlrecht an einen hohen Zensus gebunden, der nur einem minimalen Teil der männlichen Bevölkerung den - im übrigen öffentlichen und nicht geheimen - Wahlakt ermöglichte. 

 

Die Abgeordneten müssen das 30. Lebensjahr vollendet haben, finanziell unabhängig sein, und einer der  drei christlichen Konfessionen des westlichen Europa angehören. Sie dürfen in der Vergangenheit nie von einem Gericht verurteilt worden sein (§12).

 

Die Legislaturperiode dauert sechs Jahre, es sei denn, der König löst zuvor den Landtag auf (§ 13).

 

Der König ruft mindestens alle drei Jahre die beiden Kammern gleichzeitig zusammen, eröffnet und schließt sie. Die Sitzungen sollen innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen sein (§§ 16, 22). 

 

Zur Kompetenz (vgl. „Titel VII: Von dem Wirkungs-Kreise der Stände-Versammlung“)

 

„Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz , welches die Freyheit der Person oder des Eigentums des Staats-Angehörigen betrifft, erlassen, noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder aufgehoben werden“ (§ 2). Damit verfügt der Landtag noch nicht über die Gesetzesinitiative, sondern ist in den Gesetzgebungsprozess eingebunden bzw. beteiligt. Es handelt sich also nicht um eine Gewaltenteilung, sondern um eine Gewaltenverschränkung. 

 

„Der König erholt die Zustimmung der Stände zur Erhebung aller directen Steuern, so wie zur Erhebung neuer indirecten Auflagen oder zu der Erhöhung oder Veränderung der bestehenden“ (§ 3). Insofern besteht ein Steuerbewilligungsrecht, nicht aber ein vollständiges Budgetrecht, wie es aus weiteren Bestimmungen hervorgeht: 

 

Zwar wird den Ständen ein genauer Haushaltsplan vorgelegt, doch können sie nur ablehnen oder zustimmen, denn: sie „können mit der Bewilligung der Steuern mit keiner Bedingung verbinden“ (§ 9).

 

Auch zur die Erhöhung und Tilgung der Staatsschulden ist eine Zustimmung der Kammern erforderlich (§§ 11-16).

 

Die Haushaltsperiode beträgt sechs Jahre. 

 

Beschlüsse einer Kammermehrheit können dem König im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses vorgelegt werden, wenn sie die Zustimmung der anderen Kammernmehrheit finden. Art.21 benennt ein Beschwerderecht "jedes einzelnen Staatsbürger[s]", wenn er annimmt, die Verfassung sei verletzt worden. 

 

Mitglieder sowohl der ersten als auch der zweiten Kammer haben zu beeiden, „Ich schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrechterhaltung der Staats-Verfassung und in der Stände-Versammlung nur des ganzen Landes allgemeines Wohl und Beste ohne Rücksicht auf besondere Stände oder Klassen nach meiner innern Überzeugung zu berathen. So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium“ (§ 25). Diese Verpflichtung auf das Wohl des Gesamtstaates (und nicht auf ihrem jeweiligen Stand) bedeutete zuglich, dass das Mandat frei und nicht imperativ war. 

 

Die Abgeordneten genießen Immunität (§§ 26-27).

 

Titel VIII: Von der Rechtspflege

 

Urteile ergehen im Namen des Königs (§ 1), da das Monarchische Prinzip und nicht die Volkssouveränität gilt. Gerichtsurteile sind zu begründen (§ 2). Gerichte sind unabhängig; die Exekutive kann keinen Richter absetzen (§ 3). Der König kann begnadigen, die Strafe mildern oder erlassen, „aber in keinem Falle irgendeine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen (§ 4). Außer im Falle der Desertion ist keine Vermögenskonfikation möglich (§ 6). Für das ganze Königreich ist ein einheitliches Strafgesetzbuch gültig (§ 7).  

 

Titel IX: Militärverfassung

 

Es gilt eine Wehrpflicht, von der der geistliche Stand ausgenommen ist. Abgesehen davon ist keine Klasse bevorzugt oder ausgenommen. Die allgemeine Wehrpflicht ist für den Absolutismus eher untypisch, aber kennezeichnend für die Französische Revolution und auch das durch die Reformen Scharnhorsts veränderte und erweiterte (1814/15 auch siegreiche) preußische Heer. Mit der allgemeinen Wehrpflicht ist eine weitere Verfügung zugunsten des Gleichheitsgedankens erkennbar (vgl. dazu auch die Präambel). Die Militärmacht besteht aus stehendem Heer, Reservisteneinheiten und der Landwehr (§§ 1-2). 

 

Titel X: „Von der Gewähr der Verfassung“

 

Auch der König ist an Verfassung und Gesetz gebunden: „Ich schwöre nach der Verfassung und den Gesetzen des Reichs zu regieren, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium“ (§ 1). Damit wird der konstitutionelle Charakter der Monarchie unterstrichen.

 

Wer die Staatsbürgerschaft erlangt und wer als Beamter angestellt wird, hat zu schwören: „Ich schwöre Treue dem Könige, Gehorsam dem Gesetze und Beobachtung der Staats-Verfassung, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evangelium“.

 

Die Ministeranklage ist aufgeführt. Verfassungsänderungen sind alleine durch den König möglich, so weit die Stände ihre Zustimmung erteilen.

 

Unterzeichnet ist die Urkunde von König Maximilian Joseph alleine, ohne Unterschriften von Ministern.

 

Die Verfassung wurde am 26. Mai 1818, dem Vortag von Maximilian Josephs Geburtstag, feierlich verkündet und trat damit in Kraft. Sie war am darauf folgenden Tage zu beschwören. In jeder Kreishauptstadt waren auf Weisung des Justizministeriums in den Pfarrkirchen der christlichen Konfessionen Gottesdienste abzuhalten, um Gottes Segen auf das neue Staatsgrundgesetz zu erbitten" (vgl. Alfred Kröner: Eine unbekannte Rede Paul Johann Anselm Feuerbachs. In: Aufklärung und Kritik 1/2004, S. 153-163, dort S. 157). Der Rechtsgelehrte Anselm Feuerbach rühmte in seiner Ansprache als Präsident des Appellationsgerichts in Ansbach als "unschätzbar reiches Gnadengeschenk aus freier Huld seines väterlich und großgesinnten Königs" für das "baierische Volk". Mit dem Inkrafttreten beginne "für die Völker Baierns eine neue schönere Zeit", (ebd., S. 158). In einem privaten Brief, exakt zehn Monate später verfasst, kommt Feuerbach zu dem Fazit:

 

"Es ist in sehr vieler Beziehung jetzt eine große Freude, Baiern anzugehören (...). Kein Land ist wohl jetzt in Europa (England allein ausgenommen), wo freier gesprochen, freier geschrieben, offener gehandelt würde, als hier in Baiern. Man sollte nicht glauben, wa ein großes Königswort, wie unsere Verfassung, in kurzer Zeit für Dinge tun kann. Erst mit dieser Verfassung hat sich unser König Ansbach und Bayreuth, Würzburg, Bamberg und so weiter erobert. Jetzt sollte man einmal kommen und uns zumuten, andere Farben als blau und weiß zu tragen" (Anselm Ritter von Feuerbach an Tiedge und Elise von der Recke. In: Anselm Ritter von Feuerbach's Leben und Wirken aus seinen ungedruckten Briefen und Tagebüchern, Vorträgen und Denkschriften, Bd. 2. Leipzig 1852, S. 112f.). 


Stefan Winckler  

Verfassungsentwicklung im Freistaat Bayern: der Durchbruch zu Demokratie und Parlamentarismus

Nachdem Ludwig III. und sein Hofstaat, von Revolutionsfurcht getrieben, München verlassen hatten und der König Armee sowie die Beamtenschaft von Treueid entbunden hatte, stellten sich die Fragen nach der Verfasstheit Bayern neu - auch wenn Ludwig ausdrücklich nicht abgedankt hatte. Strittig war, ob Bayern, nunmehr  de facto Freistaat, sozialistisch oder freiheitlich-demokratisch verfasst sein werde. Die ersten bayerischen Landtagswahlen nach dem großen Krieg am 12. Januar und 2. Februar 1919 brachten (bei einer erstaunlich hohen Wahlbeteiligung von 86 Prozent) eine Niederlage der radikalen Linken mit sich. Die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) waren, für jedermann sichtbar, mit nur 2,5 Prozent Stimmenanteil (3 Mandate) die Wahlverlierer. Am besten schnitten die Bayerische Volkspartei und die (Mehrheits-)Sozialdemokraten mit 35 bzw. 33 Prozent ab.  (vgl. http://www.gonschior.de/weimar/Bayern/LT1.html).

 

Der von der USPD gestellte bisherige Ministerpräsident Kurt Eisner fiel auf dem Wege zur konstituierenden Sitzung des Landtag, wo er seinen Rücktritt erklären wollte, am einem Attentat des zum Opfer. Die darauf folgenden Schusswechsel am gleichen Tag im Landtag stellten den Auftakt zu Unruhen, die die bayerische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann zur Flucht nach Bamberg zwangen. Dort entstand in den folgenden Woche das häufig auch als Bamberger Verfassung bezeichnete Staatsgrundgesetz des Freistaats Bayern, das vom 14. August 1919 bis zum 9. März 1933 gültig blieb, bis es die Nationalsozialisten infolge ihrer putschartigen „Gleichschaltung“ Bayerns außer Kraft setzten. 1946 folgte eine neue Verfassung, die (wie zu erwarten war) in ihren Grundzügen der  1919er Verfassung ähnelte. 

 

Die "Bamberger Verfassung" war in elf Abschnitte mit insgesamt 95 Paragrafen gegliedert.

 

Die Präambel ist so kurz wie möglich gehalten und benennt lediglich das bayerische Volk, vertreten durch den Landtag, als Verfassungsgeber. Es fehlt der Hinweis auf Ereignisse und Zustände, die die Ausarbeitung der neuen Verfassung erst ermöglichten. Auch über Staatsziele findet sich keine Andeutung. Anders die gleichzeitig entstandene Weimarer Reichsverfassung, deren Präambel als Beispiel hier aufgeführt sein soll: "Das deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und vom Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuern, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben". 

 

Der erste Abschnitt der ersten auf der Volkssouveränität beruhenden Verfassung Bayerns behandelt "Staat, Staatsgebiet und Staatsgewalt".  

 

§ 1 legt fest: Bayern ist ein Freistaat. Gehörte Bayern früher dem Rheinbund und dem Deutschen Bund (bzw. ab 1871 dem Kaiserreich) an, so ist es jetzt Mitglied des Deutsche Reiches.

Außerdem wird die Einheit Bayerns hervorgehoben, wie auch in den vorangegangenen Verfassungen. Erstmals sind die Landesfarben weiß und blau aufgeführt.

Aus §2 entnehmen wir wiederum den Grundsatz der Volkssouveränität („Die Staatsgewalt geht von der Gesamtheit des Volkes aus“.

Die Volksvertretung („Landtag“) übt „alle Rechte der Staatsgewalt“ aus, soweit sie nicht durch diese Verfassung oder die Reichsverfassung „der Staatsbürgerschaft, den Behörden oder den Verbänden der Selbstverwaltung“ vorbehalten sind“ (§3)

Die zentrale Bedeutung des Landtags wir auch dadurch deutlich, dass seine „Rechte und Aufgaben unübertragbar“ sind, „soweit diese Verfassung nichts anderes vorsieht“.

Zur Exekutive: „Das Gesamtministerium [heute: Staatsregierung] ist die oberste vollziehende und leitende Behörde des Staates. Es wird von dem Landtage bestellt und ist diesem verantwortlich“ (§ 4).

 

§ 5 stellt die Unabhängigkeit der Justiz fest.

Die Gleichheit der Staatsbürger ist im zweiten Abschnitt in § 6 festgeschrieben: "Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, des Geschlechts, des Glaubens und des Berufs jeder Angehörige des bayerischen Staates, welcher das zwanzigste Lebensjahr vollendet hat".

Die Beteiligung der Staatsbürger am politischen Leben ist in § 7 aufgeführt: sein "Bürgerrecht" übt er durch Abstimmung bei Volksbegehren, Volksabstimmungen und Wahlen aus.

Das Wahlrecht ist eingeschränkt durch die Vorgabe, nur der seit mindestens sechs Monaten in Bayern lebende Bürger sei dazu berechtigt (§ 8) - entsprechendes gilt für das Wahlrecht, ja die Rechte insgesamt, auf kommunaler Ebene.

Der dritte Abschnitt widmet sich den Grundrechten: der bayerische Staatsangehörige darf nicht aus dem Staatsgebiet ausgewiesen werden (§ 13). § 14 benennt Aufenthalts- und Niederlassungsfreiheit. Alle Bayern sind vor dem Gesetz gleich (§ 15). Der bayerische Adel ist - in großem Unterschied zu 1818 - aufgehoben. Wichtig auch § 16: "Jedem Einwohner werden die Freiheit der Person und das Eigentum gewährleistet".  

Ein eigener, vierter Abschnitt ist "Gewissensfreiheit, Religionsgesellschaften, Schule" gewidmet. Interessanterweise ist die Glaubens- und Gewissensfreiheit (§ 17) als Menschenrecht ("Jedermann ist volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet") und nicht als alleine auf die bayerischen Staatsbürger beschränktes Recht deklariert. Über die Zugehörigkeit ihres Kindes zu einer Religionsgemeinschaft entscheiden die Eltern. Der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft kann vor dem örtlich zuständigen Standesamt erklärt werden. Zur Religionsfreiheit heißt es: "Die Vereinigung von Religionsgenossen zu gemeinsamer Hausandacht oder zu öffentlichen Kultushandlungen, zu Religionsgesellschaften, Religionsgemeinden oder geistlichen Gesellschaften ist innerhalb des Gesetzes freigegeben" (§ 18).  "Errichtung und Unterhaltung von Begräbnisplätzen obliegen den bürgerlichen Gemeinden" (§ 19). In Bezug auf Schule und Kultus beruft sich die Bamberger Verfassung ausdrücklich auf die entsprechenden Artikel 142-149 der Weimarer Reichsverfassung und stellt in weit knapperer Form fest: "Die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und ihrer Lehre wird gewährleistet und kann nur durch Gesetz und nur aus Wahrung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Gesundheit oder Sittlichkeit beschränkt werden" (§ 20). Damit ist ein weiteres Grundrecht genannt, ebenso die engen Voraussetzungen seiner Beschränkung. Der Staat regelt und fördert das öffentliche Erziehungs-, Unterrichts- und Bildungswesen, er genehmigt und beaufsichtigt die Privatschulen. Damit endete die geistliche Schulaufsicht. Eltern/Erziehungsberechtigen, dass ihre Kinder/Zöglinge der Schulpflicht während ihrer gesamten Dauer nachkommen (§ 21). Die Dauer der Schulpflicht ist nicht angegeben.   

Im fünften Abschnitt stehen die Bestimmungen für "Selbstverwaltung, Stiftungen". Es gilt die kommunale Selbstverwaltung. D.h., Kommunen "verwalten nach Maßgabe der Gesetze ihre eigenen und die ihnen vom Staat übertragenen Angelegenheiten. Sie haben das Recht, ihren Bedarf durch öffentliche Abgaben im Rahmen der Gesetze zu decken. Neue Aufgaben und Lasten können ihnen nur auf Grund Gesetzes (sic!) zugewiesen werden. (2) Der Staat überwacht die Erfüllung der Pflichten und der Gesetzesmäßigkeit der Verwaltung. (3) Der Staat schützt die Behörden der Gemeinden und Gemeindeverbände bei Durchführung ihrer Aufgaben" (§ 22).  Mit der staatsbürgerlichen Gleichheit und den staatsbürgerlichen Rechten (siehe oben) ist zugleich angedeutet, um welches Wahlrecht es sich handelt: "Der Landtag wird durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach dem Grundsatz des Verhältniswahlrecht gebildet" (§ 26, 1). Mit anderen Worten: das Zensuswahlrecht war Vergangenheit, der Bruch mit der monarchischen Verfassung eindeutig. Frauen stand erstmals das aktive und passive Wahlrecht zu. Gleiches galt für Soldaten. Das Verhältniswahlrecht war nach dem Ersten Weltkrieg als das demokratietheoretisch reinste, gerechteste Wahlrecht in zahlreichen Republiken eingeführt worden, zeitgleich also im Deutschen Reich, sowie beispielsweise auch in der Tschechoslowakei. Das passive Wahlrecht beschränkte sich auf bayerische Staatsbürger mit mindestens 25 Jahren. Auf mindestens 40.000 "Landeseinwohner" (nicht: Wähler) solle ein Abgeordneter kommen (im Reich waren es durchschnittlich etwa 70.000). Die Legislaturperiode/Wahlperiode umfasste vier Jahre. Der Landtag ist ein selbstständiges Organ, unabhängig von der Exekutive, das "durch Geschäftsordnung seine Einrichtungen, seinen Geschäftsgang, seine Disziplin und Gliederung" bestimmt. Der Landtag "wählt für seine Dauer aus seiner Mitte einen Vorstand, der aus einem Präsidenten, seinen Vertretern und den Schriftführern besteht" (§ 28). Der Landtagspräsident beruft, eröffnet und schließt den Landtag (§ 30). In der vorangegangenen monarchischen Verfassung stand dieses Recht dem König zu. Landtagsabgeordnete genießen Immunität (§ 39). Was die Aufgaben des Landtags angeht, so steht ihm im Gegensatz zur 1818er Verfassung das Initiativrecht im Gesetzgebungsverfahren zu (§ 44). Demgegenüber kannte die 1818er Verfassung lediglich die Bewilligung des Haushalts (in der Bamberger Verfassung unter §§ 47 - 49 aufgeführt). Neu ist auch - kennzeichnend für den Parlamentarismus neben der Gesetzgebung - das Recht des Landtags, das Gesamtministerium oder einzelne Minister zur Verantwortung zu ziehen (§ 53), sei es durch das persönliche Ablegen der Rechenschaft durch den Minister ( § 54) oder durch das Misstrauensvotum, das seinerzeit noch keine konstruktive Wirkung aufzuweisen hatte (§ 55).  Es besteht auch die Möglichkeit, einen Minister vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen (§ 56). Der siebte Abschnitt beschreibt die Staatsverwaltung: "Dem Staatsministerium obliegt die Leitung der gesamten Staatsverwaltung, der Vollzug aller Gesetze, Reichsverordnungen und Beschlüsse des Landtags sowie die Vertretung Bayerns gegenüber dem Reiche, den einzelnen Staaten des Reiches und den auswärtigen Mächten im Rahmen der Verfassung des Reiches. Die Staatsbehörden sind ihm untergeordnet. Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und der Tätigkeit des Rechnungshofes werden hierbei nicht berührt (...) (§ 57). Das Gesamtministerium (heute: Staatsregierung im Sinne von Landesregierung) wird vom Landtag bestellt, indem der Landtag den Ministerpräsidenten mit der "Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl" wählt und dieser dem Landtag eine Vorschlagsliste für die einzelnen Ministerien unterbreitet, die dann mit Einverständnis mit dem Landtag besetzt werden. Staatssekretäre können vom Gesamtministerium ernannt werden, im Einverständnis mit dem Landtag. Es gilt das Ressortprinzip (§ 58). Im Gegensatz zur vorigen monarchischen Ordnung bedürfen "die Minister zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Landtags", dem sie verantwortlich sind. D.h. im Umkehrschluss, wird ihnen das Misstrauen ausgesprochen, müssen sie zurücktreten (§ 59). § 60 beinhaltet die Regelungen der Ministerbesoldung und -versorgung. § 61 bindet die Tätigkeit des Gesamtministeriums und der einzelnen Minister an die Verfassung. Die Ausfertigung der Landesgesetze geschieht durch Landtagspräsident und Gesamtministerium. Staatsverträge sind vom Ministerpräsidenten und dem Landtagspräsidenten auszufertigen und zu verkünden (§ 62). "Das Gesamtministerium wacht über die Sicherheit des Staates. Es hat bei drohender Gefahr die Maßnahmen zu ergreifen, welche die Ruhe und Ordnung im Innern sichern oder gegenüber der Gefahr eines Angriffes von außen unmittelbar erforderlich sind" (§ 64). Dies sind selbstverständliche Befugnisse der Exekutive. Wichtig hier aber auch die Notstandsregelung, über die es im Anschluss heißt: "Zu diesem Zweck kann es vorübergehend die verfassungsmäßigen Grundrechte ganz oder teilweise außer Kraft setzen. (2) Um einer augenblicklichen Gefahr zu begegnen, kann das Gesamtministerium über die bewaffnete Macht verfügen und die erforderlichen Anordnungen treffen" (§ 69). Der Staatsgerichtshof, bestehend aus des Präsidenten des Obersten Landesgerichts, acht Richtern (davon drei Angehörigen des Verwaltungsgerichtshofes) und zehn vom Landtag zu wählende Mitglieder, entscheidet über Ministeranklagen, Verfassungsbeschwerden und Verfassungsstreitigkeiten, "für welche der Rechtsweg nicht geöffnet ist (§ 70).  

Abschnitt acht bezieht sich auf Gesetzgebung und Staatshaushalt. Rechtsvorschriften, die die Freiheit der Person oder das Vermögen betreffen, sind an Gesetze gebunden, die im Gesetzblatt zu veröffentlichen sind. Das betrifft auch Abgaben und Steuern (§ 74, 75). Volksbegehren können als förmliche Gesetzesentwürfe, auf ein bestimmtes Thema beschränkt und begründet, in den Landtag eingebracht werden. Wird ein Volksbegehren vollständig oder teilweise abgelehnt, wird darüber ein Volksentscheid stattfinden (§ 76). Dass vom Volksentscheid Haushaltsfragen (einschließlich der Beamtenbesoldung), Ausführungsgesetze zu Reichsgesetzen, dringende Gesetze, Staatsgesetze und Grenzregelungen ausgenommen sind (§ 77) versteht sich eigentlich von selbst. Damit ist beispielsweise einer Beschränkung oder Verminderung der Einkommensteuer - gewiss ein populäres Anliegen - ein Riegel vorgeschoben. Die Paragrafen 78 bis 85 betreffen den Haushalt.  

Der neunte Abschnitt bezieht sich auf das Heerwesen: "Jeder Bayer hat zur Verteidigung seines Vaterlandes nach den bestehenden Gesetzen mitzuwirken" (§ 86). "Die bayerischen Truppen bilden einen Teil der Wehrmacht des Deutschen Reiches. Sie sind ein geschlossener Truppenverband (§ 87). Damit gibt es keine bayerische Armee, wie zuvor in der Monarchie, mehr.  Der Einsatz der "bewaffneten Macht" zur Erhaltung von Sicherheit und Ordnung ist nur erlaubt, wenn dies der Polizei nicht mehr möglich ist und die "zuständige bürgerliche Behörde in gesetzmäßiger Form das Aufgebot an die militärische Behörde erläßt" (§ 88). 

Zur Infrastruktur (Abschnitt zehn), seinerzeit noch unter der Überschrift "Verkehrswesen", wird bestimmt, dass Gesetze und Vorschriften die Bedingungen für das private Eisenbahnwesen regeln werden (§ 89). "Das Recht, Post-, Telegraphen- und Fernsprechanstalten zu errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Staate zu". 

Schluss- und Übergangsbestimmungen in Abschnitt elf betreffen Verfassungsänderungen und Grenzregelungen (nur mit Zweidrittelmehrheit des Landtags), das Beschwerderecht des einzelnen Staatsbürgers und der juristischen Person an den Staatsgerichtshof, sowie die Kontinuität des Staates in Bezug auf die Gültigkeit der Gesetze, soweit diese nicht auf verfassungsmäßigem Wege aufgehoben oder abgeändert worden sind (§§ 93-95). Die Verfassung tritt am Tage ihrer Verkündigung im Gesetzblatt in Kraft. Dies war der 15.9.1919, fünf Wochen nachdem sie vom Landtag beschlossen worden war. Die Verfassungsurkunde ist unterschrieben vom Landtagspräsidenten Franz Schmitt und den Vertretern des Gesamtministeriums, allen voran Ministerpräsiden Hoffmann. 

 

Stefan Winckler  

Bayern in der Gegenwart: die Verfassung von 1946

Der zweite bayerische Ministerpräsident nach 1945, Wilhelm Hoegner (SPD) entwarf bereits während seiner Exiljahre in der Schweiz eine neue bayerische Verfassung. Die amerikanische Militärregierung beauftragte ihn am 9.2.1946, einen vorbereitenden Verfassungsausschuss einzuberufen. Am 30.6. 1946 wählten die Bayern eine Verfassungsgebende Landesversammlung (180 Personen), in der die CSU mit 109 Mandaten, die SPD mit 51, Kommunisten und Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung mit jeweils acht und die FDP mit vier Mitgliedern vertreten war. Die eigentliche Arbeit leistete ein Ausschuss von 21 Mitgliedern. Die Besatzungsmacht ließ sich informieren, vermied aber jede Einmischung. Die endgültige Verfassung wurde mit 136 Stimmen von CSU und SPD gegen 14 Stimmen von KPD, WAV und FDP verabschiedet. Nun stand die Genehmigung durch die amerikanische Militärregierung, vertreten durch General Lucius D. Clay, an. Dieser verwarf jeglichen (ohnehin nicht mehrheitsfähigen) bayerischen Separatismus, vielmehr dürfe sich Bayern der Teilnahme an einer künftigen bundesstaatliche Ordnung nicht verschließen, außerdem müsse ein bayerischer Staatsangehöriger zugleich deutscher Staatsangehöriger sein (vgl. Hoegner, a.a.O., S. 20ff.; Nawiasky/Leusser, a.a.O., S. 23-26), und erklärte sich mit der Verfassung einverstanden.

Mit der Ausfertigung im Gesetzes- und Verordnungsblatt trat die Verfassung am 8.12.1946 in Kraft. 

 

Schon auf den ersten Blick erkennt der Betrachter einen Gegensatz zur Bamberger Verfassung: Sie umfasst 188 Artikel, ist also fast doppelt so umfangreich (gemessen an Paragrafen bzw. Artikeln) wie die 1919er Verfassung. Warum? Es handelt sich nicht um die „reaktivierte“ Bamberger Verfassung, sondern – nicht verwunderlich – um ein Staatsgrundgesetz, das sehr bewusst mit Blick auf den politischen und moralischen Bankrott der nationalsozialistischen Ideologie- und Gewaltherrschaft entstanden ist.  So enthält die Präambel, im Gegensatz zur Bamberger Verfassung, deutliche Worte, was die Verfassungsautoren zu diesem Schritt führe und was daraus künftig erwachsen sollte:

 
"Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung" 

 

In der Gegenwart ist der Gottesbezug in Verfassungen (Europäische Union, Schleswig-Holstein u.a.) ein Thema von Relevanz, so dass sich ein Nachdenken über die oben wiedergegebenen Worte lohnt – umso mehr angesichts der Säkularisierung der Gesellschaft und des wachsenden Einflusses eines aggressiven Atheismus. Christliche Werte widersprechen totalitären Ideen und verweisen auf die gemeinsame religiös-kulturelle Prägung des Abendlandes.

Wir wollen im Folgenden insbesondere beschreiben, was sich gegenüber der „Bamberger Verfassung“ geändert hat und wie die Verfassungsautoren auf die Erfahrung des Extremismus in der Zwischenkriegszeit und v.a. des totalitären Nationalsozialismus reagierten.

Der erste Abschnitt behandelt die „Grundlagen des bayerischen Staates“.

Wie 1919 bezeichnet sich Bayern als „Freistaat“ (Art 1). Dies ist gleichbedeutend mit „Republik“. Im Gegensatz zu 1919 bezeichnet die Verfassung Bayern zusätzlich (Art. 2) als „Volksstaat“. Dies bedeutet: demokratischer Staat.  Im darauf folgenden Artikel ist Bayern als als „Rechts-, Kultur- und Sozialstaat“ festgeschrieben. Mochte die Verfassung von 1919 Bayern als Rechtsstaat konzipieren, so ist mit dem Kulturstaat etwas über die Inhalte des öffentlichen Lebens, insbesondere die Werte und Tugenden ausgesagt, die im Gegensatz zur „Bamberger Verfassung“ ausführlich erörtert werden. Dies geschieht in Art. 130:

 

„(1) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne.

 

(2) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen“. All diese Aussagen bedeuten einen Bruch mit dem Nationalsozialismus.  

 

Die Verfassung ist damit und darüber hinaus ausdrücklich verknüpft mit den Werten des demokratischen Staates. Dies kann als Reaktion auf den NS-Ideologie-und Unrechtsstaat gesehen werden.

 

Kommunale Selbstverwaltung (Art. 10, 11, 12) als entscheidendes Merkmal der Demokratie auf unterster Ebene und als Abwehr gegen (totalitären) Zentralismus ist besonders hervorgehoben. 

 

Im Gegensatz zur eher wertrelativistischen 1919er Verfassung (und der Weimarer Reichsverfassung) fordert die Verfassung von 1946 von ihren Beamten, „sich jederzeit zum demokratisch-konstitutionellen Staat und zu ihm innerhalb und außerhalb des Dienstes zu stehen“ (Art. 96). Eine Treuepflicht gegenüber „Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen“ gilt für „alle“ (Staatsbürger): „Alle haben die Verfassung und Gesetze zu achten und zu befolgen, an den öffentlichen Angelegenheiten Anteil zu nehmen und ihre körperlichen und geistigen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert“ (Art. 117). 

 

Bei Art. 105 handelt sich um ein Asylrecht, das im entsprechenden Abschnitt den Grundrechten zugeordnet ist. Es entstand fast drei Jahre vor dem viel debattierten Art. 16 GG („Politisch Verfolgte genießen Asyl“). 

 

Art. 126: Das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, ist mit Bedacht in die Verfassung aufgenommen worden, als Reaktion auf das totalitäre Begehren des Nationalsozialismus (vgl. Hoegner, a.a.O., S. 159; Nawiasky/Leussner, a.a.O., s. 207); „Kinder in BDM, Hitlerjugend und anderen Organisationen und Institutionen zu erziehen, ja regelrecht zu „formen“.

 

Als Reaktion auf die NS-Herrschaft und ihren Kirchenkampf lässt sich Art. 144 betrachten.

 

„(1) In der Erfüllung ihrer Amtspflichten genießen die Geistlichen den Schutz des Staates.

 

(2) Jede öffentliche Verächtlichmachung der Religion, ihrer Einrichtungen, der Geistlichen und Ordensleute in ihrer Eigenschaft als Religionsdiener ist verboten und strafbar.

 

(3) Geistliche können von Gerichten und anderen Behörden nicht um Auskunft über Tatsachen angehalten werden, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden sind“.  

 

Arbeit und Soziales

 

Zugleich lesen wir von Bayern als einem „Sozialstaat“. Dieser Gedanke wird im vierten Abschnitt „Die Arbeit“ präzisiert – was aus der Verfassung von 1919 an keiner Stelle geschieht:

 

Art. 166 (1) Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und steht unter dem besonderen Schutz des Staates.

 

(2) Jedermann hat das Recht, sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenz zu schaffen.

 

(3) Er hat das Recht und die Pflicht, eine seinen Anlagen und seiner Ausbildung entsprechende Arbeit im Dienste der Allgemeinheit nach näherer Bestimmung der Gesetze zu wählen.

 

Art. 167 (1) Die menschliche Arbeitskraft ist als wertvollstes wirtschaftliches Gut eines Volkes gegen Ausbeutung, Betriebsgefahren und sonstige gesundheitliche Schädigungen geschützt.

 

(2) Ausbeutung, die gesundheitliche Schäden nach sich zieht, ist als Körperverletzung strafbar.

 

(3) Die Verletzung von Bestimmungen zum Schutz gegen Gefahren und gesundheitliche Schädigungen in Betrieben wird bestraft.

 

Art. 168. (1) Jede ehrliche Arbeit hat den gleichen sittlichen Wert und Anspruch auf angemessenes Entgelt. Männer und Frauen erhalten für gleiche Arbeit den gleichen Lohn.

 

(2) Arbeitsloses Einkommen arbeitsfähiger Personen wird nach Maßgabe der Gesetze mit Sondersteuern belegt.

 

(3) Jeder Bewohner Bayerns, der arbeitsunfähig ist oder dem keine Arbeit vermittelt werden kann, hat ein Recht auf Fürsorge.

 

Art. 169. (1) Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie ermöglichen.

 

(2) Die Gesamtvereinbarungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden über das Arbeitsverhältnis sind für die Verbandsangehörigen verpflichtend und können, wenn es das Gesamtinteresse erfordert, für allgemein verbindlich erklärt werden.

 

Art. 170 (1) Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.

 

(2) Alle Abreden und Maßnahmen, welche die Vereinigungsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig und nichtig.

 

Art. 171 Jedermann hat Anspruch auf Sicherung gegen die Wechselfälle des Lebens durch eine ausreichende Sozialversicherung im Rahmen der Gesetze.

 

Art. 172 Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden in einem besonderen Gesetz geregelt.

 

Art. 173 Über die tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit werden durch Gesetz besondere Bestimmungen erlassen.

 

Art. 174 (1) Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf Erholung. Es wird grundsätzlich gewährleistet durch ein freies Wochenende und durch einen Jahresurlaub unter Fortbezug des Arbeitsentgelts. Die besonderen Verhältnisse in einzelnen Berufen werden durch Gesetz geregelt. Der Lohnausfall an gesetzlichen Feiertagen ist zu vergüten.

 

(2) Der 1. Mai ist gesetzlicher Feiertag.

 

Art. 175. Die Arbeitnehmer haben bei allen wirtschaftlichen Unternehmungen ein Mitbestimmungsrecht in den sie berührenden Angelegenheiten sowie in Unternehmungen von erheblicher Bedeutung einen unmittelbaren Einfluß auf die Leitung und die Verwaltung der Betriebe. Zu diesem Zwecke bilden sie Betriebsräte nach Maßgabe eines besonderen Gesetzes. Dieses enthält auch Bestimmungen über die Mitwirkung der Betriebsräte bei Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern.

 

Art. 176. Die Arbeitnehmer als gleichberechtigte Glieder der Wirtschaft nehmen zusammen mit den übrigen in der Wirtschaft Tätigen an den wirtschaftlichen Gestaltungsaufgaben teil.

 

Art. 177. (1) Arbeitsstreitigkeiten werden durch Arbeitsgerichte entschieden, die aus einer gleichen Anzahl von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und einem unabhängigen Vorsitzenden zusammengesetzt sind.

 

(2) Schiedssprüche in Arbeitsstreitigkeiten können gemäß den bestehenden Gesetzen für allgemeinverbindlich erklärt werden.“

Auch Art. 151 ist von weit reichender Bedeutung für das soziale Leben: 

 

"Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl, insbesondere die Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung aller Volksschichten". 

Während sich in Bezug auf die Bildung eher die christlich-konservativen Einstellungen durchsetzen, waren es bezüglich der Arbeit sozialdemokratische Ideen.

Auch in Bezug auf die Institutionen bestehen Unterschiede zur Bamberger Verfassung.

Das Recht des Landtags, einen Minister durch ein Misstrauensvotum zum Rücktritt zu zwingen, finde sich in der 1946 Verfassung nicht mehr. Misstrauensvoten hatten während der Weimarer Republik Staatskrisen nicht gelöst, eher ausgelöst und verschärft.

Im Gegensatz zu 1919er Verfassung verfügt die Volksvertretung von 1946 neben dem Landtag über einen Senat. Als einziges deutsches Bundesland verfügte Bayern über diese Vertretung der Körperschaften. War er eine zweite Parlamentskammer? Er mag, oberflächlich betrachtet, derartig erscheinen, doch ist er im Verfassungstext nicht als solche bezeichnet. Auch der „Verfassungsvater“ Hoegner bestreitet, dass der Senat eine zweite Kammer sei (vgl. a.a.O., S. 3 und S. 74), ebenso Meder (a.a.O, S. 149). Nawiasky/Leussner nennen ihn eine zweite Kammer, wenn auch mit eher eingeschränkten Befugnissen („sachverständiges Gremium“) (a.a.O., S. 111). Der Senat ist laut Verfassungsurkunde, Art. 34, die

„die Vertretung der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und gemeindlichen Körperschaften des Landes":

Art. 35 – Der Senat besteht aus 60 Mitgliedern. Er setzt sich wie folgt zusammen:

1. aus 11 Vertretern der Land- und Forstwirtschaft;

2. aus 5 Vertretern der Industrie und des Handels;

3. aus 5 Vertretern des Handwerks;

4. aus 11 Vertretern der Gewerkschaften;

5. aus 4 Vertretern der freien Berufe;

6. aus 5 Vertretern der Genossenschaften;

7. aus 5 Vertretern der Religionsgemeinschaften;

8. aus 5 Vertretern der Wohltätigkeitsorganisationen;

9. aus 3 Vertretern der Hochschulen und Akademien;

10. aus 6 Vertretern der Gemeinden und Gemeindeverbände.

 

Art. 36 – 1) Die Senatoren werden von den zuständigen Körperschaften des öffentlichen oder privaten Rechts nach demokratischen Grundsätzen gewählt; die Vertreter der Religionsgemeinschaften werden von diesen bestimmt.

2) Zum Senator kann nur ein wahlfähiger Staatsbürger berufen werden, der das 40. Lebensjahr vollendet hat

3) Er soll sich durch Rechtlichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung auszeichnen.

Art. 37 – 1) Die Senatoren bleiben sechs Jahre im Amt. Alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der gewählten Senatoren aus und findet eine neue Wahl statt.

2) Wiederberufung ist zulässig

Art. 38 – 1) Die Senatoren können nicht zugleich Mitglieder des Landtags sein.

2) Für die Mitglieder des Senats gelten sinngemäß die Vorschriften der Art. 27 mit 31.

Art. 39 – Der Senat kann Anträge und Gesetzesvorlagen unmittelbar oder durch die Staatsregierung an den Landtag bringen. Die Staatsregierung hat die Anträge und Vorlagen des Senats ungesäumt dem Landtag vorzulegen.

Art. 40 – Der Senat ist dazu berufen, zu den Gesetzesvorlagen der Staatsregierung auf deren Ersuchen gutachtlich Stellung zu nehmen. Die Staatsregierung soll diese Stellungnahme bei allen wichtigen Angelegenheiten einholen; sie muß es tun bei dem Gesetz über den Staatshaushalt, bei verfassungsändernden Gesetzen und bei solchen Gesetzen, die dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden sollen“.

Als einziges deutsches Bundesland verfügte Bayern über eine solche Vertretung der Körperschaften. Ausschlaggebend für den im Grunde als Ständevertretung an die konstitutionell-monarchische Epoche erinnernden Senat dürfte für die Verfassungsautoren die Erfahrung gewesen sein, dass eine extremistische Partei eine Mehrheit in der Volksvertretung erringen könnte (wie die NSDAP 1930-33), und ein den Staat stabilisierendes Gegengewicht nützlich sein könnte.


Exkurs: Abschaffung des Senats 

Den bayerischen Senat gibt es heute nicht mehr. Mehr als zehn Prozent der wahlberechtigten Bayern unterschrieben ein Volksbegehren, das die Ökologisch-Demokratischen Partei 1997 initiiert hatte und das auch die Unterstützung der größeren Oppositionsparteien SPD, Grüne und FDP sowie verschiedener Vereine und Einzelpersonen gefunden hatte. Ein Volksentscheid, abgehalten zusammen mit der Landtagswahl Februar 1998, ergab bei einer Wahlbeteiligung von 39,9 Prozent eine Quote von 69,2 Prozent für die Abschaffung des Senats (vgl.:http//www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP13/Drucksachen/0000009000/13_09097.pdf Freistaates Bayern vom 18. Februar 1998, StAnz Nr. 8 vom 20. Februar 1998 S. 3).   Die Vorlage eines Senatsreformgesetzes (vgl.:http://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP13/Drucksachen/0000009000/13_09097.pdf), ausgearbeitet von der CSU mit der Absicht, den Senat in veränderter Zusammensetzung zu erhalten, scheiterte gleichzeitig.   Der Senat konnte sich mit einer Klage nicht vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof durchsetzen. Mit Wirkung vom 1.1.2000 war der Senat abgeschafft. 

Das Argument der Gegner, der Senat koste zuviel, konnte nicht ernst gemeint sein. Der Aufwand belief sich auf neun Millionen Mark. Eine Abschaffung war daher fiskalisch nahezu bedeutungslos. Ob die Leistungen des Senats von anderer Seite, etwa durch private Gutachter, billiger erbracht werden könnten, erscheint mehr als zweifelhaft

(vgl.:  http://www.focus.de/politik/deutschland/bayerischer-senat-krieg-der-genossen_aid_169376.html).M.E. beabsichtigte die ÖDP, durch das Volksbegehren "Schlanker Staat ohne Senat" Wähler für ihre Liste zur Landtagswahl 1998 zu mobilisieren, was im übrigen nicht gelang (1,8 statt 2,1 Prozent 1994)

Der Volksentscheid führte darüber hinaus zu einer Verkleinerung der Staatsregierung und des Landtags. 

Völlig neu im Vergleich zur 1919er Verfassung sind in der Verfassung von 1946 die Aussagen zum Naturschutz sowie zum Zugang zur Natur in Art. 141 Absatz 2 und 3:

"Der deutsche Wald, kennzeichnende Orts- und Landschaftsbilder und die einheimischen Tier- und Pflanzenarten sind möglichst zu schonen und zu erhalten.

Der Genuß der Naturschönheiten und die Erholung in der freien Natur, insbesondere das Betreten von Wald und Bergweide, das Befahren der Gewässer und die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang ist jedermann gestattet. Staat und Gemeinde sind berechtigt und verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Seen, Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten freizuhalten und allenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen sowie Wanderwege und Erholungsparks anzulegen".

Hoegner schreibt voller Stolz, das auf seine Veranlassung in Art. 141 III aufgeführte Grundrecht auf Naturgenuss und Zugang zu Gewässern und schönen Landschaften sei seiner Kenntnis zufolge „weltweit einmalig“ (a.a.O., S. 5).  Jedenfalls ist es auch nach Auffassung von Möstl (a.a.O., S. 1024) ein „Unikat in der deutschen Verfassungslandschaft“.

Hervorgehoben werden soll auch der Abschnitt zur Landwirtschaft (Art. 163-166 ) in der Verfassung, der sich leicht mit der damaligen stark agrarischen Struktur Bayerns erklären lässt und nicht in den anderen süddeutsche  Verfassungen vorkommt. So finden wir die Gewährleistung des  bäuerlichen Eigentums an Grund und Boden (Art. 163 III), Gewährleistung eines „menschenwürdigen Auskommens der landwirtschaftlichen Bevölkerung“ (Art. 164 I), Sicherstellung eines angemessenen landwirtschaftlichen Einkommens (Art. 164 II), sowie: „Die Überschuldung landwirtschaftlicher Betriebe ist durch die Gesetzgebung möglichst zu verhindern“ (Art. 165). Vermutlich war auch hier ein Ausgangspunkt, durch Überschuldung und Zwangsvollstreckung ruinierte Bauern (oder solche, die dies befürchten müssen) könnten Zuflucht bei extremistischen Parteien suchen, wie vor 1933 bei der NSDAP. 

Unterschrieben wurde die Verfassung vom Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Hoegner. 

 

Fazit

Hervorzuheben ist die sehr gute Verhandlungsatmosphäre der beiden großen Parteien und die einwandfreien Beziehungen zur Militärregierung. Überhaupt waren die Richtlinien der Besatzungsmacht sehr allgemein gehalten (Demokratie, Trennung von Exekutive und Legislative) und sogar im Einklang mit dem Traditionen der demokratische und liberalen  Kräfte seit dem 19. Jahrhundert). SPD und CSU vermieden es, sich gegenseitig zu blockieren, vielmehr sind katholisch-konservative und sozialdemokratische Ziele in dem Verfassungstext leicht zu erkennen. Die Verfassung hat sich in den 68 Jahren ihres Bestehens bewährt, auch wenn sie der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist. Wo bleibt die ausführliche Erörterung im Schulunterricht, insbesondere in Gemeinschaftskunde, Geschichte, Wirtschafts- und Rechtslehre, zumal das GG ja auch Gegenstand ist? 

 

Literatur

Wilhelm Hoegner: Lehrbuch des bayerischen Verfassungsrechts. München 1949

Thomas Holzner: Verfassung des Freistaates Bayern. Kommentar. Wiesbaden 2014

Josef Franz Lindner/Markus Möstl/Heinrich Amadeus Wolff: Verfassung des Freistaates Bayern. Kommentar. München 2009

Theodor Meder: Die Verfassung des Freistaates Bayern. Handkommentar. Stuttgart [u.a.] 4 1992

Hans Nawiasky/Claus Leussner: Die Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946. Systematischer Überblick und Handkommentar. München 1948

Walter Siegel: Bayerns Staatswerdung und Verfassungsentstehung. Ein Beitrag zur politischen und rechtlichen Problematik bei der Entstehung der Verfassung des Freistaates Bayern von 1946, Bamberg 1978

 

Stefan Winckler

Preußen auf dem Weg zur Verfassung 1848/50

O. Einleitung: Relevanz, Forschungs- und Quellenlage

Das Thema ist relevant. Denn Preußen war nach 1848 ein Staat von mittlerer Größe mit ständig wachsender, vergleichsweise stark auf der Industrie beruhender Wirtschaftsleistung und ein bedeutender Standort von Wissenschaft und Kultur. Da die streng legitimistische Habsburgermonarchie mit ihrer Vielzahl an Völkern kaum zur Schaffung eines deutschen Nationalstaates einschließlich konstitutioneller Mindestanforderungen geeignet erschien, und eine Einigung „von unten“, also durch die Revolution oder durch die Mehrheitsbeschlüsse gewählter Abgeordneter utopisch war, blieb nur Preußen als Vorreiter der Deutschen Einheit übrig. Dazu bedurfte es einer stabilen Ordnung, Rechtssicherheit und des Vertrauens der Untertanen in den Staat. Eine Verfassung trägt wesentlich zu diesen Faktoren bei.[1] Angesichts ihrer Bedeutung verwundert es nicht, dass die preußische Verfassungsentwicklung gut erforscht ist[2], ebenso die Wahlverordnung zur Zweiten Kammer von 1849 („Dreiklassenwahlrecht“)[3] als Bestandteil der revidierten Verfassung. Persönlichkeit und Staatsdenken König Friedrichs Wilhelms haben gerade in den vergangenen 30 Jahren ihre Anziehungskraft auf Historiker ausgeübt.[4] 

Welche Quellen sind veröffentlicht? Zunächst sind das die Verfassungen selbst, Verfassungsentwürfe, maßgebliche Gesetze und Verordnungen. Wir finden sie in Ernst Rudolf Hubers Standardwerk zur Verfassungsentwicklung in Deutschland seit 1789.[5] Regierungs- und Kommissionsentwurf der Preußischen Verfassung sind im Anhang zu Susanne Böhrs Monographie wiedergegeben. Zwar liegen keine Beratungsprotokolle der Verfassungskommission vor, wohl aber die Protokolle der Plenarsitzungen der Preußischen Nationalversammlung[6] mit ihren Anträgen. Sie wurden bereits 1848 gedruckt.

Werte, Einstellungen und Meinungen des Königs können aus seinen Reden, unter dem Titel „So sprach der König“ 1861 veröffentlicht, erschlossen werden. Aussagekraft haben neben den offiziellen Verlautbarungen die „Revolutionsbriefe. Ungedrucktes aus dem Nachlass König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen“ (hrsg. von Karl Haenchen, Leipzig 1930). Aufschlussreich, ja beinahe unverzichtbar, sind die durch Heinrich von Poschinger herausgegebenen „Denkwürdigkeiten des Ministers Otto Freiherr von Manteuffel“ (Berlin 1901). Ferner finden sich im gedruckten Nachlass von Friedrich Wilhelms Vertrauten Joseph von Radowitz[7] mehrere Stellungnahmen. Zwar liegen auch die Regesten der Beratungen des preußischen Staatsministeriums[8] seit mehreren Jahren vor, und die dazugehörigen ausführlichen Protokolle sind auf Mikrofiche ebenfalls veröffentlicht. Eine Durchsicht der Regesten enttäuscht: Die oktroyierte Verfassung bleibt unerwähnt, und nur wenige Beratungen – erst Anfang Januar 1850! – befassten sich mit der Verfassungsrevision.

Außerdem bietet die website www.documentarchiv.de zum Thema Preußen 1848 bis 1850 einige Texte[9]. Darüber hinaus vermitteln die „Rückblicke auf die Preußische National-Versammlung von 1848“ ein Bild der konservativen Kritik an prominenten Abgeordneten der Linken. Untertitel: „An die Wahlmänner des Preußischen Staates. Gallerie der demokratischen Volksvertreter vor denen die Wahlmänner sich zu hüten haben“, erschienen: Berlin 1849.

 Noch unveröffentlichte Quellen befinden sich im Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem (www.gsta-spk-berlin.de). Wir wollen nicht zuletzt die Einstellungen der wichtigsten Protagonisten von 1848/50 anhand ihrer Denkschriften und Marginalien aufzeigen. Wir wollen auch die unterschiedlichen Haltungen von Historikern nationalliberaler (Heinrich von Treitschke) und liberal-demokratischer Richtung (Friedrich Meinecke) verdeutlichen. Zumal es nicht nur darauf ankommt, wer Geschichte macht, sondern auch, wer die Geschichte schreibt – oder eine Verfassung interpretiert!

Wir werden prüfen, ob es denn wirklich einen konservativen oder autoritären, gar vorkonstitutionellen „deutschen Sonderweg“ gab, der sich von einem (falls vorhandenen) „westlich-liberalen Weg zur Demokratie“ unterscheiden lässt.

Auch bei diesem Thema gilt der Grundsatz, an die geschichtlichen Vorgänge der Liberalisierung und Demokratieentwicklung nicht den politischen Maßstab der Gegenwart anzulegen. Der Historiker soll nicht Partei ergreifen und den Ankläger, Richter oder Verteidiger spielen. Er soll vielmehr dem Kriminalbeamten gleichen, der einen Tathergang anhand aussagekräftiger Quellen zu rekonstruieren und zu erklären versucht – wie es Rainer Zitelmann im Zusammenhang mit der Frage nach der Historisierung forderte.

I.                  Das Staatsdenken Friedrich Wilhelms IV.

König Friedrich Wilhelm IV. (1848-58/61) favorisierte als kenntnisreicher Anhänger der politischen Romantik eine Monarchie, die mit den Ständevertretungen (für Adel, Städte und ländlichen Grundbesitz) auf der Ebene der acht preußischen Provinzen insbesondere auf dem Gebiet der Finanzen zusammenwirkt (und nicht etwa misstrauisch kontrolliert wird oder sich im Meinungsstreit ergeht). Durch die unterschiedlichen Vertretungen kämen die Eigenarten der Provinzen zum Tragen. Was „organisch“ im Laufe der Jahrhunderte gewachsen sei, solle nicht durch eine gesamtstaatliche Repräsentativ-Verfassung zerstört werden. Es sei falsch, die politischen Systeme westlicher Staaten zu kopieren, vielmehr müsse sich Preußen auf seine „teutschen“ Traditionen des Staatslebens bis hin zum Mittelalter besinnen. Regierende und Regierte sollen, bildlich gesprochen, von einem Band der Zuneigung und des Vertrauens umschlungen sein. Da der König nach Auffassung Friedrich Wilhelms in besten Wissen und Gewissen und vor allem in Verantwortung vor Gott[10] zu regieren habe – das sei seine Berufung – dürfe er von einem Parlament gar nicht kontrolliert werden.[11] Friedrich Wilhelms Einstellung zu einer Verfassung liberalen Typs geht aus seiner Ansprache zur Eröffnung des Vereinigten Landtags hervor:

„Ich bin aber unversöhnlicher Feind jeder Willkürlichkeit, und mußte es vor Allem dem Gedanken sein, eine ständische Verfassung künstlich-willkürlich zusammenzusetzen, welche die edle Schöpfung des theuren Königs, die Provinzial-Landtage, entwerthet hätte. Es war daher seit vielen Jahren Mein fester Entschluss, diese gesetzlich gebotene Versammlung nur durch die Vereinigung der Provinzial-Landtage zu bilden“.

 

In dieser Rede finde sich auch der häufig zitierte Satz,

„daß es keiner Macht der Erde je gelingen soll, Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei Uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein conventionelles, constitutionelles zu wandeln, und daß Ich es nun und nimmermehr zugeben werden, daß sich zwischen Unsern Herrn Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung, eindränge, um Uns mit seinen Paragraphen zu regieren und druch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen“.

Der König mahnte die Anwesenden an alte, weit über die Gesetzgebung seines Vaters hinausgehende Traditionen:

 „Das sind die Rechte, das sind die Pflichten germanischer Stände“, also die Bewilligung der Staatseinnahmen, nicht aber „Meinungen zu repräsentiren“, Zeit-. Und Schulmeinungen zur Geltung bringen zu sollen. Das ist vollkommen undeutsch (…), denn es führt nothwendig zu unlösbaren Verwicklungen mit der Krone, welche nach dem Gesetze Gottes und des Landes und nach eigener freier Bestimmung herrschen soll, aber nicht nach dem Willen von Majoritäten regieren kann und darf (…).“[12]

 Zu den Pflichten des Königs erklärte Friedrich Wilhelm in dem Manifest „An mein Volk“ vom 8. November 1848: Als König von Gottes Gnaden gehöre Ich zu Meinem Volk; Ich bin sein Eigenthum wie das Haupt des Leibes Eigenthum ist. Mein Volk hat das unveräußerliche Recht von Mir, von seiner angestammten Obrigkeit zu verlangen, daß ich der Schutz und Schirm seiner wohlerworbenen Rechte, seines Besitzes und Eigenthums, der Familie, der Sitte, der Ruhe und Sicherheit, der Hort seines Bestehens und seiner Ehre, der Ehre des Preußischen Namens sei“.

Insofern bedürfe es im Grunde keiner Verfassung, die das Volk vor der Exekutive zu schützen vorgibt, denn der König sieht sich als der Beschützer.

 Im ganzen betrachtet, stand Friedrich Wilhelm, den Heinrich von Treitschke zu Recht den „Doctrinär des altständischen Staates“[13] nannte und den sein Bewunderer Hermann von Petersdorff noch 1901 als den „gewissenhaftesten aller Monarchen“[14] rühmte, in Opposition zu den maßgeblichen geistigen Strömungen der 1840er Jahre. Die übergroßen Erwartungen, die mit seiner Thronbesteigung 1840 verbunden waren, konnte er ebenso wenig erfüllen wie der um drei Jahre ältere Papst Pius IX. 1846 als Regent des Kirchenstaates. Dieser galt vielen Italienern seinerzeit als „heimlicher Liberaler“ und als verständnisvoll gegenüber der Nationalbewegung eingestellt. Friedrich Wilhelm IV. und Pius IX. schürten die Erwartungen noch, als sie sehr rasch nach der Krönung politische Gegner begnadigten und die Zensur milderten. Beide werden auch als liebenswürdige Charaktere beschrieben, aber auch eine gewisse Unberechenbarkeit, ja ein emotionaler Überschwang in Wort und Tat wird ihnen zuerkannt. Von der Revolution im „tollen Jahr“ (Friedrich Wilhelm IV.) 1848 tief verletzt, standen beide für eine „reaktionäre“ Politik in der weiteren Amtszeit. 

 2., Vom Vereinigten Landtag zur Märzrevolution

Am 3. Februar 1847 berief der König den Vereinigten Landtag, bestehend aus 677 Abgeordneten der acht Provinzialvertretungen, zum 11. April 1847 in die Stadt Brandenburg ein.[15] Um eine überregionale Eisenbahnlinie (später „Ostbahn“ genannt) zu bauen, war eine Erhebung neuer Staatsanleihen notwendig geworden. Dazu bedurfte es, wie Friedrich Wilhelm IV. in seiner „Allerhöchsten Thronrede“ darlegte, nach dem Gesetz vom 8. Juni 1823 der Zustimmung der Stände. Dem Vereinigten Landtag oblag die „Begutachtung von Gesetzesentwürfen, das Bewilligungsrecht neuer Steuern und Staatsanleihen außer Kriegsanleihen“, nicht aber die Budgetbewilligung, Auch war keine regelmäßige Zusammenkunft des Plenums vorgesehen, wohl aber eine „Vereinigten Ständischen Ausschusses“.

 Am 5. März 1848, eine Woche nach der Februarrevolution in Frankreich, gewährte der König als Dank für seine Leistungen dem Vereinigten Landtag nun doch das Recht auf Periodizität. Im Allerhöchsten Patent vom 14. März 1848 verkündet Friedrich Wilhelm, er werde am 27. April 1848 in Berlin den Vereinigten Landtag eröffnen.[16] Die Märzrevolution[17] ließ den König ein großes Zugeständnis machen: Im Aufruf „An mein Volk“ vom 21. März 1848 sagt er zu,

„wahre constitutionelle Verfassungen, mit Verantwortlichkeit der Minister in allen Einzelheiten, öffentliche und mündliche Rechtspflege, in Strafsachen auf Geschworenengerichte gestützt, gleiche politische und bürgerliche rechte für alle Glaubens-Bekenntnisse, und eine wahrhaft volksthümlich, freisinnige Verwaltung“

einzuführen, denn nur sie könnten eine deutsche Einheit herbeiführen und halten.[18]

 Am 22. März 1848 erging ein „Allerhöchster Bescheid an die Deputation der städtischen Behörden von Breslau und Liegnitz“, der mit den Worten beginnt:

  „Nachdem ich eine constitutionelle Verfassung auf den breitesten Grundlagen verheißen habe, ist es Mein Wille, ein volksthümliches Wahlgesetz zu erlassen, welches eine auf Urwahlen gegründete, alle Interessen des Volkes ohne Unterschied der religiösen Glaubensbekenntnisse umfassende Vertretung herbeizuführen geeignet ist, und dieses Gesetz vorher dem vereinigten Landtag zur Begutachtung vorzulegen, dessen schleunige Berufung Ich nach allen bisher Mir zugegangenen Anträgen für den allgemeinen Wunsch des Landes halten muß“.

Neben den am Tag zuvor genannten Einzelheiten findet sich hier die Ankündigung, er werde auch „das stehende Heer  auf die neue Verfassung vereidigen lassen“.[19]

Aus diesem Wechsel der Einstellung wird erneut deutlich, wie schwankend, um nicht zu sagen: wie eingeschüchtert der König durch die revolutionären Ereignisse war.

 

Am 2. April 1848 stimmte der Vereinigte Landtag grundsätzlich einer Umformung des Staates in Richtung einer konstitutionellen Monarchie zu. Die zumindest partielle, ansatzweise Trennung der exekutiven von der judikativen Gewalt  wird in der Verordnung über einige künftige Verfassungsgrundlagen vom 6. April 1848 aufgeführt:

„Die Untersuchung und Bestrafung aller Staatsverbrechen erfolgt fortan durch die ordentlichen Gerichte und es wird jeder durch Ausnahmegesetze dafür eingesetzte besondere Gerichtsstand hierdurch aufgehoben. In dem Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln tritt auch bei politischen und Preßvergehen die Zuständigkeit der Geschworenengerichte ein“ (Art. 2).

 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden als weitere zentrale liberale Forderungen von König und Regierung gewährt:

 „Alle Preußen sind berechtigt, sich friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln, ohne daß die Ausübung dieses Rechts einer vorgängigen polizeilichen Erlaubniß unterworfen wäre“.

Einschränkend heißt es über Versammlungen unter „freiem Himmel“, sie können, "in sofern sie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefahrbringend sind, von der Obrigkeit gestattet werden“. Weitgehend hingegen die Vereinigungsfreiheit: „Ebenso sind alle Preußen berechtigt, zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, sich ohne vorgängige polizeiliche Erlaubniß in Gesellschaften zu vereinigen. Alle, das freie Vereinigungsrecht beschränkenden, noch bestehenden gesetzlichen Bestimmungen werden hiermit aufgehoben (Art. 4). In dieser Regierungsverordnung finden wir die Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Teilnahme am Staatsleben (Art. 5) und eine erweiterte Berechtigung der Volksvertreter an der Etatbewilligung und Steuerfestsetzung (Art. 6). Das Dokument unterzeichneten König Friedrich Wilhelm und die Minister.[20]

 

3., Verfassungsentwürfe

Ein „Urentwurf“ des Staatsministeriums stieß auf die Kritik Friedrich Wilhelms, insbesondere wegen der fehlenden Einleitungsformel, der Stellung der Kirchen und der Ersten Parlamentskammer, die er durch königliche Ernennungen eher aristokratisch und weniger demokratisch zusammengesetzt sehen wollte. Ein „Verfassungs-Gesetz für den preußischen Staat“[21] vom 20. Mai 1848, entworfen von der Regierung, leitet in seiner Präambel, dem königlichen Willen entsprechend, die Herrschaft des Monarchen von Gottes Gnaden her. Es betont die Absicht des Königs, mit den Volksvertretern eine Verfassung zu vereinbaren und hernach zu verkünden. Der Verfassungsentwurf enthält einen Grundrechtskatalog nach dem Muster der belgischen Verfassung.[22]

Friedrich Wilhelm blieb jedoch bei seinen politisch-romantischen Grundsätzen und schrieb am 21. Mai 1848 an seinen Berater Radowitz: 

"[Mein Ministerium] hat einen Verfassungs-Entwurf gemacht, der einem Primaner Schande machen würde, für einen Sekundaner als ,nicht übel' bezeichnet werden könnte. Die Discussion darüber ist eine der gräßlichsten Stunden meines Lebens! (...) Den Gräuel von Constitutions Entwurf werden Sie bald durch die Zeitung kennen lernen. ich habe Alles, was ein Mensch vermag, gethan, um dem allergrößten Unflath daraus zu entfernen, aber vollkommen vergebens !!!!!!! Ich glaubte vorgestern vor Schmerz, Kummer und Indignazion in der dessfallsigen Ministerial-Sitzung zu sterben" Beten Sie für mich, theuerster Freund! (...)"[23] 

Die Volksvertretung, die "preußische Nationalversammlung", wurde gemäß Friedrich Wilhelms allerhöchstem Bescheid an die Deputationen aus Schlesien auf der Basis eines allgemeinen, gleichen, indirekten Männerwahlrechts am 1. Mai 1848 in Urwahlen und eine Woche später durch die Wahlmänner bestimmt. König Friedrich Wilhelm betonte in seiner Eröffnungsrede am 20. Mai 1848: es sei die Aufgabe dieser "Versammlung", "mit Mir die Verfassung zu vereinbaren", das heißt: "Meine Regierung" (unter dem rheinischen Liberalen Ludolf von Camphausen) werde einen Entwurf vorlegen.[24] Unmissverständlich ist, dass sich der König die Initiative vorbehielt, aus eigenem Entschluss eine Verfassung gewährt, und dabei die Volksvertreter anhört.

Eine "Kommission" der Preußischen Nationalversammlung erarbeitete bis zum 26. Juli 1848 einen Verfassungsentwurf, nach dem Ausschussvorsitzenden auch als "Charte Waldeck" bezeichnet.  Auch diese Vorlage geht vom Begriff des Gottesgnadentums aus. Im Gegensatz zum Regierungsentwurf ist nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz in Art. 4 aufgeführt, sondern auch eine Präzisierung bzw. weit reichende Konsequenz daraus: "es gibt im Staate weder Standes-Unterschiede noch Standes-Vorrechte", ja mehr noch: "Der Adel ist abgeschafft". Kennzeichnend im Vergleich zum Verfassungsentwurf der Regierung ist, dass der Kommissionsentwurf umfangreicher und präziser ist. Offenbar sollten dadurch Lücken, die der Staat zuungunsten der bürgerlichen Freiheiten ausnutzen könnte, beseitigt werden. 34 Artikel (Art. 3 bis 37) sind dem Titel II "Von den Rechten der Preußen" zugeordnet, während es im Regierungsentwurf 16 (§§ 3-19) sind. während im § 5 der Regierungsvorlage steht, "Allen Staatsbürgern ist die persönliche Freiheit gewährleistet. Kein Staatsbürger darf anders, als in den gesetzlich bestimmten Fällen und Formen verhaftet werden", liest sich Art. 5 der Kommissionsvorlage wie folgt: "Die persönliche Freiheit ist gewährleistet" (also ein Bezug auf die Menschen und nicht nur auf die Staatsbürger), und weiter: "Außer dem Falle der Ergreifung auf frischer Tat darf eine Verhaftung nur kraft eines schriftlichen, die Anschuldigungen bezeichnenden, richterlichen Befehls bewirkt werden. Dieser Befehl muss entweder bei der Verhaftung oder spätestens innerhalb von 24 Stunden zugestellt werden. In gleicher Frist ist das Erforderliche zu veranlassen, um den Verhafteten dem zuständigen Richter vorzuführen". So ist in diesem Passus, der der belgischen Vorlage entspricht, bereits einem Gesetzesentwurf vorgegriffen. Zugleich sind "politische Verfahren", wie wir heute sagen würden, ausgeschlossen. "Niemand darf wider seinen Willen vor einen anderen als den im Gesetze bezeichneten Richter gestellt werden. Ausnahmegerichte und außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft". Sinngemäß übereinstimmen in beiden Entwürfen ist dann das Verbot der Willkür: "Keine Strafe kann angedroht oder verhängt werden, als in Gemäßheit des Gesetzes" (Art. 6).     

Im Unterschied zum Regierungsentwurf "finden die Strafen des bürgerlichen Todes[25] und der Vermögens-Konfiskation nicht statt" (Art. 8). Die Auswanderungsfreiheit ohne Abzugsgelder ist aufgeführt (Art. 9), im Regierungsentwurf fehlt sie.

 Im Kommissionsentwurf ist die Trennung von Kirche und Staat als liberales Anliegen in Angriff genommen: Art. 19: "Jede Religions-Gemeinschaft ist in Betreff ihrer inneren Angelegenheiten und der Verwaltung ihres Vermögens der Staatsgewalt gegenüber frei und selbstständig [sic!]" (...) Art. 20: "Das Kirchen-Patronat sowohl des Staates als der Privaten soll aufgehoben werden (...)". Art 21: "Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe wird durch deren Abschließung vor dem dazu von der Staats-Gesetzgebung bestimmten Zivilstands-Beamten bedingt". Auch ein kirchliches Unterrichtsmonopol ist in diesem Entwurf nicht mehr vorgesehen, im Gegenteil: Der Staat sorgt für die Volksschulen, die Gründung weiterer Schulen ist frei. Am ausführlichsten beantwortet der Kommissionsentwurf die Frage nach dem Militär: Wie der Regierungsentwurf (Art. 19) sieht er eine Wehrpflicht vor. Während der Regierungsentwurf den Gesetzgeber mit der näheren Gestaltung beauftragt, ist der Kommissionsentwurf auch hier sehr präzise: die bewaffnete Macht, bestehend aus dem stehenden Heer, der Landwehr und der Volkswehr, wird auf die Verfassung vereidigt und kann nur "auf Requisition der Zivilbehörden zur Unterdrückung innerer Unruhen und in den vom Gesetz bestimmten Fällen und Formen verwende werden (Art. 26 bis 28). So soll also einem königlichen Befehl gegen politische Gegner vorgebeugt werden. Die Volkswehr ist eine Art Reserve mit der Aufgabe, "die konstituierten Gewalten zu schützen und für die Aufrechterhaltung der Ordnung und der verfassungsgemäßen Rechte des Volkes zu wachen (Art. 29). Sie hat das Recht, "ihre Führer bis zu den Chefs der Bataillone einschließlich selbst zu wählen". Bei der Landwehr ist der Hauptmann der höchste zu wählende Offizier (Art. 30). 

Antifeudalistisch erscheinen, neben Art. 4, auch Bestimmungen über die Privilegien des Grundherrn: "Aufgehoben ohne Entschädigung sind: a, die Gerichtsherrlichkeit, die gutsherrliche Polizei und obrigkeitsstaatliche Gewalt, sowie die gewissen Grundstücken zustehenden Hoheitsrechte und Privilegien, wogegen die Lasten und Leistungen wegfallen, die den bisher Berechtigten oblagen; b, die aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit, der früheren Erbuntertänigkeit, der früheren Steuer- und Gewerbe-Verfassung herstammenden Verpflichtungen (...)".

Titel III bestimmt die Stellung des Königs. Sowohl in der Regierungsvorlage als auch im Kommissionsentwurf ist in wörtlicher Übereinstimmung festgelegt: "Die Person des Königs ist unverletzlich. Seine Minister sind verantwortlich. Alle Regierungs-Akte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortung übernimmt". Damit haben die Minister für Fehler geradezustehen. "Dem König steht allein die vollziehende Gewalt zu", bestimmt die Regierungsvorlage (Art. 21), während die Kommissionsvorlage demgegenüber das Wort "allein" nicht aufführt. Regierungs- und Kommissionsvorlage stimmen darin überein, dass dem König das Recht auf Ernennung und Entlassung der Minister, das Verkündigen und Ausfertigen der Gesetze, der Oberbefehl über das Heer, die Stellenbesetzungen in Heer und Staat, das Verleihen von Orden, Begnadigung und Strafminderung, die auswärtigen Beziehungen (Kriegserklärung und Friedensschluss) zusteht. Nach dem Kommissionsentwurf ist der König, wie geschrieben, nicht alleine im Besitz der Exekutive. Zur Vertragsschließung bedarf er (im Gegensatz zur Regierungsvorlage) grundsätzlich der Zustimmung oder "nachträglichen Genehmigung" der Kammern, während der Regierungsentwurf hier nur die Mitwirkung der Kammern benennt, wenn es Handelsverträge sind oder Verträge, "durch welche dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegt werden". Der große Unterschied zwischen beiden Entwürfen besteht des Weiteren in der Forderung der Kommissionsvorlage nach einem Eid des Königs auf die Verfassung vor den Kammern, (wie in Belgien, wo aber König Leopold ein gewählter, aus Coburg stammender Fürst war, im völligen Gegensatz zu den traditionsreichen Hohenzollern!): "Ich schwöre, die Verfassung des Königreiches fest und unverbrüchlich zu halten und in Übereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren" (Art. 40).

Grundsätzlich stimmten Regierungs- und Kommissionsvorlage in der Kompetenz der Kammern überein: "Die gesetzgeberische Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und die zwei Kammern ausgeübt". Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetze erforderlich (§ 36 Regierungsentwurf, Art. 55 Kommissionsentwurf. nach der Kommissionsvorlage bestand aber die Möglichkeit, einen Entwurf auch ohne königliche Mitwirkung Gesetzeskraft erlangen zu lassen, wenn er von beiden Kammern "zum dritten Male angenommen" wird. Wichtiger ist aber die Zusammensetzung:  Die Erste Kammer besteht dem Regierungsentwurf zufolge aus Mitgliedern des Königshauses, vom König ernannter Abgeordneter und von den Wahlmännern bestimmte Besitzbürger und Honoratioren (§ 39). Die Kommission hingegen zielt - eher liberal-demokratisch - auf eine Wahl der Ersten Kammer durch Bezirks- und Kreis-Vertreter. Die Zweite Kammer besteht laut Regierungsvorlage aus gewählten Mitgliedern, das Wahlgesetz werde Näheres bestimmen. Demgegenüber legt die Kommissionsvorlage (gewiss nicht überraschend) in Art. 56 bereits genau fest, dass die Abgeordneten in indirekter, allgemeiner, gleicher Wahl bestimmt werden (entsprechend ihrer eigenen Wahl vom Mai 1848). 

Was die richterliche Gewalt (Art. VI) angeht, so findet sich ein klarer Hinweis auf die Gewaltenteilung: "Die Gerichte sind unabhängig und keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfen". Urteile ergehen aber laut diesem Entwurf nicht im "Namen des Volkes", sondern wie bisher "im Namen des Königs", in dessen Namen sie auch vollstreckt werden. Im Gegensatz zur belgischen Konstitution von 1831 fehlt der Begriff "Volk" oder "Nation" völlig. In Preußen war eben zuerst der Staat und der König da, erst dann die Verfassung. Es galt nicht die Volkssouveränität, sondern das monarchische Prinzip. 

  4., Politische Entscheidungen und Öffentliche Meinung

Die Nationalversammlung erregte zunächst einen heftigen Widerwillen des Hofes und der Konservativen durch verschiedene Bestimmungen in der Charte Waldeck, in den Beschlüssen vor allem zur Abschaffung der Todesstrafe und durch den "Antrag Stein". Denn der linksliberale Abgeordnete Julius Stein hatte, nachdem der Festungskommandant in Schweidnitz (Schlesien) am 31. Juli 1848 seine Soldaten auf aufgebrachte Bürger hatte schießen lassen, einen Antrag in der Nationalversammlung eingereicht: Offiziere mögen nicht nur "reaktionairen Bestrebungen fern bleiben", sondern durch "Annäherung an die Bürger und Vereinigung mit denselben zeigen, daß sie mit Aufrichtigkeit und Hingebung  an der Verwirklichung eines constitutionellen Rechtszustandes mitarbeiten wollen"[26] (37. Sitzung, 9. August 1848). Damit berührte Stein, der in der Nationalversammlung einen Mehrheitsbeschluss erreichte, einen wichtigen Punkt, nämlich die Besetzung im Staatsdienst und der bewaffneten Macht, also eine königliche Machtbefugnis. Das Ministerium Auerwald-Hansemann setzte diesem Beschluss der Nationalversammlung zunächt keinen Widerstand entgegen, lehnte aber am 2. September 1848 eine Säuberung des Offizierskorps ab. Es setzte sich damit der Kritik, ja dem Misstrauen beider Seiten aus. Gleichzeitig geriet die öffentliche Meinung immer mehr in eine konservative Richtung. Der liberal-demokratische Historiker Veit Valentin zitiert in seinem 1931 erschienen Standardwerk über die Revolution den Patriotischen Verein von Neudamm mit Datum vom 23. August 1848:

 

"Über das fast unaufhörlich stattfindende unruhige Treiben in der Hauptstadt werden die Bewohner der Provinz immer mehr gegen dieselbe aufgeregt, da sie überzeugt sind, daß für das Vaterland nur Heil durch strenge Handhabung der Ordnung ersprießen kann".

Zum einen genoss das Militär höchstes Ansehen, zum anderen belastete die Wirtschaftslage die Gewerbetreibenden und deren Beschäftigte.[27]

Die veröffentlichte Meinung tendierte ebenfalls immer stärker zum Konservatismus (bezeichnenderweise wurde 1848 die Neue Preußische Zeitung/Kreuzzeitung gegründet). In diesem Meinungsklima dürfte es dem König leichter gefallen sein, am 11. September 1848 sein "Kampfprogramm"[28] zu verfassen. Nimmt die Nationalversammlung die Forderung, den Beschluss Stein zu vollziehen, zurück, wird sie lediglich in die Stadt Brandenburg oder einen ähnlichen eher zweitrangigen Ort vertagt. Rebelliert sie, dann ist sie aufzulösen, ein Verfassungsentwurf sei von einer anderen Versammlung zu beraten, oder eine Verfassung ist zu oktroyieren. 

Der König ernannte ein neues, nur noch von seinem Vertrauen getragenes Ministerium unter Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg. Am 8. November 1848 ließ Friedrich Wilhelm IV. die Preußische Nationalversammlung auf den 27. November vertagen und nach Brandenburg/Havel verlegen - mit der Begründung, erregtes Volk habe die Versammlungsstätte belagert und die Abgeordneten einzuschüchtern versucht.[29] Die Nationalversammlung erklärte am folgenden Tag diese Entscheidung für ungesetzlich; sie wollte weiterhin in Berlin tagen.[30] General Friedrich von Wrangel rückte mit feldmarschmäßig ausgerüsteten Truppen in Berlin ein und verhängte am 12. November 1848 den Belagerungszustand.[31] Die Nationalversammlung antwortete auf diesen unblutigen Staatsstreich - während gleichzeitig die Gegenrevolution in Wien nur durch Artilleriebeschuss mit 6000 Todesopfern "triumphieren" konnte - am 15. November 1848 mit einem Steuerverweigerungsbeschluss.[32] Die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt am Main forderte die preußische Krone auf, die Verlegung nach Brandenburg zurückzunehmen und ein Ministerium zu bilden, dem das Land vertraue. Aber auch der Steuerverweigerungsbeschluss sei null und nichtig, da offenbar rechtswidrig.[33] Innenminister Otto von Manteuffel, dem an einer starken Krone, untermauert von einer Verfassung unter Einschluss einer Volksvertretung gelegen war, favorisierte am 16. November 1848 die Oktroyierung einer Verfassung, die sich an den Entwurf der Nationalversammlung anlehnen sollte.[34] Friedrich Wilhelm zog es vor, den Regierungsentwurf vom 22. Mai 1848 zur Beratung vorzulegen. Er unterzog in einem Brief an Manteuffel vom 23. November 1848 den Entwurf einer oktroyierten Verfassung einer eingehenden Prüfung. Missfallen oder Änderungswünsche äußerte er zu 31 Artikeln in Form von Marginalien.  So wollte er den "bürgerlichen Tod" und die "Strafe der Vermögensentziehung" nicht gestrichen sehen (Art. 9), die Meinungs- und "Preßfreiheit" (Art. 26) sah er mit Unbehagen: "Hier ist viel zu viel fortgegeben". Eine Bannmeile von drei Meilen um das Königliche Hoflager und den Sitz der "Landesrepräsentation" gehörte zu seinen Wünschen (Art. 13). Die Bestimmungen über das Kirchenpatronat wollte er vermeiden (Art. 14), "das dem Staate zustehende Vorschlags-, Wahl- und Bestätigungsrecht kirchlicher Stellen " (Art. 15) wollte er beibehalten. Seine Randbemerkung "In Zeichen hoher Gefahr übernimmt der König die Diktatur" (zu Art. 105) konnte er ebenso wenig wie die vorangegangenen Änderungswünsche durchsetzen. Nur wenige Modifikationen flossen in die oktroyierte Verfassung ein. Über eine Marginalie geht sein Konzept eines Vier-Klassen-Wahlrechts zur Zweiten Kammer, um ein "unberechenbares Unglück" zu verhindern, hinaus; die ersten beiden Klassen wählen direkt, die anderen indirekt. Schon im November 1848 favorisierte er zudem eine Beschickung der Ersten Kammer mit ernannten und nicht gewählten Mitgliedern vorzugsweise aus dem Hochadel, wie sie dann 1855 per Gesetz zustande kam.[35]

 

Der König löste die Nationalversammlung wegen des bestehenden Konflikts unter dem Vorwand der Beschlussunfähigkeit (nur eine Minderheit der Abgeordneten hatte sich in Brandenburg versammelt) am 5. Dezember 1848 auf[36] und setzte am gleichen Tag mit einem gewissen Widerwillen eine provisorische Verfassung ein (Verfassungs-Oktroi), um aus der gegenseitigen Blockade herauszukommen und um sein Verfassungsversprechen in die Tat umzusetzen. Dennoch geschah die Oktroyierung eher auf Manteuffels Initiative: der König fand für die Verfassung die Bezeichnung "affrös"[37] - "eine Verfassung, deren Schlechtigkeit mir die allgemeine Zufriedenheit damit erst recht schauderhaft macht"[38]. Er stellte damit die Autorität wieder her und konnte sich großzügig als Verfassungsgeber zeigen, seinem Versprechen treu bleibend. 

 

 5., Die Oktroyierte Verfassung

Die oktroyierte Verfassung[39] vom 5. Dezember 1848 betonte in der Präambel das Gottesgnadentum entsprechend den vorangegangenen Entwürfen. Weiter: "Außerordentliche Umstände" hatten die "beabsichtige Vereinbarung der Verfassung" unmöglich gemacht, so dass der König nun eine Verfassung erließ, die die Vorarbeiten der gewählten Volksvertreter "möglichst" berücksichtigt. Titel I bezeichnet das preußische Staatsgebiet, dessen Grenzen nur durch Gesetz geändert werden könnten. Im Gegensatz zu Titel I der belgischen Verfassung sind die einzelnen Provinzen nicht namentlich aufgeführt.

Ähnlich wie die belgische Verfassung, der Regierungsentwurf vom 20. Mai 1848 und die Charte Waldeck enthielt die Dezemberverfassung einen Grundrechtskatalog (Titel II): Verbot willkürlicher Bestimmungen gegen das Individuum ("Die Verfassung und das Gesetz bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines Preußen und die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden" (Art. 3) sowie "Die persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Verhaftung zulässig ist, sind durch das Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 24. September laufenden Jahres bestimmt (Art. 5). Wir finden sie Unverletzlichkeit der Wohnung (außer in gesetzlich bestimmten Fällen und Formen, Art. 6), das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 7), die Unverletzlichkeit des Eigentums (Art. 8), die Unmöglichkeit der Strafen des bürgerlichen Todes und der Vermögenseinziehung (Art. 9), die "Freiheit der Auswanderung" (Art. 10), Religionsfreiheit (Art. 11), Autonomie der Kirchen und "Religions-Gemeinschaften" (Art. 11-15, 21), Ziviltrauung (Art. 16), Freiheit von Wissenschaft und Lehre (Art. 17), Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 24), Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen zu friedlichen Zwecken (unter freiem Himmel: polizeiliche Genehmigung notwendig), Vereinigungsfreiheit (unter Gesetzesvorbehalt). Grundsätzlich bestand auch das Recht, über Grundeigentum frei zu verfügen (Art. 40). Schule und Kultus nehmen hier einen recht großen Umfang ein, im Gegensatz zum Regierungsentwurf vom Mai, in Übereinstimmung mit dem Kommissionsentwurf. So ist die Schulpflicht in Art. 18 aufgeführt. 

Im Unterschied zum Art. 20 des Kommissionsentwurfs ist die Bestimmung über das Kirchenpatronat dem Gesetz- und nicht dem Verfassungsgeber zugestanden. Hier konnte der König offenbar eine für die Kirchen ungünstige Bestimmung streichen. Art. 4 ist in der Verfassungsurkunde vom Dezember 1848 gegenüber dem Kommissionsentwurf geändert. Zwar "sind alle Preußen vor dem Gesetz gleich. Standes-Vorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind für alle dazu Befähigten gleich zugänglich". Doch die antifeudale Spitze der Verfassungskommission, wonach es "im Staate keine Standes-Unterschiede" gäbe (dies steht wörtlich auch in der belgischen Konstitution, Art. 6) und der Adel "abgeschafft" sei, ist verschwunden. Gestrichen wurde - nicht überraschend - auch die Bestimmung aus dem Kommissionsentwurf, wonach die "bewaffnete Macht auf die Verfassung verpflichtet" wird (dort Art. 28). Von einer Wahl der Volkswehroffiziere ist keine Rede mehr - damit ist eine weitere demokratisch-revolutionäre "Spitze" schon vor den Revisionsverhandlungen des Jahres 1849 entfernt. Der Name "Volkswehr" ist durch "Bürgerwehr" ersetzt, aber nicht weiter ausgeführt. Die Grundrechte auf persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Vereinigungen und Versammlungen gelten für Soldaten eingeschränkt. 

Die Art. 41 bis 59 legen die starke Position des Königs fest: "Dem König allein steht die vollziehende Gewalt zu" (hier ist das Wort "allein" gegenüber dem Kommissionsentwurf eingefügt). Seine Rechte und Aufgaben: Ernennung und Entlassung der Minister, Verkündigung der Gesetze und Erlassung der entsprechenden Verordnungsbestimmungen, Oberbefehl über das Heer und Besetzung der Stellen in Heer und Staatsdienst, Begnadigung und Strafmilderung, Verleihung von Orden, Einberufung und Auflösung der Parlamentskammern, auswärtige Beziehungen. Hieß es im Kommissionsentwurf noch, alle Verträge und Friedensschlüsse mit fremden Staaten bedürfen der Zustimmung oder nachträglichen Genehmigung der Kammern (Art. 47), so ist die Zustimmung laut oktroyierter Verfassung nur noch für Handelsverträge oder solche Verträge nötig, die dem Staat Lasten oder seinen Bürgern Verpflichtungen auferlegen (Art. 46). 

Völlig entgegen dem monarchischen Selbstverständnis Friedrich Wilhelms IV. (Gottesgnadentum bedeutet Verantwortung vor Gott) ist der König verpflichtet, einen Eid auf die Verfassung abzulegen: "Er leistet in Gegenwart der vereinigten Kammern das eidliche Gelöbniß, die Verfassung des Königreiches fest und unverbrüchlich zu halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren (Art. 52). Diesen Eid hatte auch der Regent im Falle der Regierungsunfähigkeit des Königs, wie sie nach der Regierungsunfähigkeit Friedrich Wilhelms 1857 eintrat, zu leisten. Wohl mit Blick auf Österreich[40] in den Jahren 1835 bis 1848 ist ein Regentschaftsrat (und damit eine Verwischung der Verantwortlichkeit) ausgeschlossen, nur ein Regent ist möglich (1858 war es Prinz Wilhelm). 

Die Minister (Titel IV, Art. 58, 59) sind knapp mit ihren Pflichten und nicht mit ihren Rechten benannt. Sie sind dem König und nicht dem Kammern verantwortlich. Die Kammern können allerdings ihr Erscheinen verlangen. Minister können angeklagt werden. Darüber hat der oberste Gerichtshof zu entscheiden. 

An fünfter Stelle sind die Kammern aufgeführt (Art. 60 bis 84). Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und zwei Kammern ausgeübt. Das heißt im Umkehrschluss, dass dem König ein Vetorecht gegen eine Gesetzesvorlage zusteht, die die Kammern verabschiedet haben. Die Möglichkeit, durch dreimalige Annahme eines Antrags diesem Gesetzeskraft zu verleihen (Kommissionsentwurf) entfiel. "Die Mitglieder der ersten Kammer werden durch Provinzial-, Bezirks- und Kreisvertreter erwählt (vgl. Kommissionsentwurf). Eine Erweiterung zugunsten der königlichen Macht ist in Aussicht gestellt: "Bei der Revision der Verfassungs-Urkunde bleibt zu erwägen, ob ein Theil der Mitglieder der ersten Kammer vom Könige zu ernennen, und ob den Ober-Bürgermeistern der großen Städte so wie den Vertretern der Universitäten und Akademien der Wissenschaft und der Künste ein Sitz in der Kammer einzuräumen sein möchte". 

Die oktroyierte Verfassung räumte der Exekutive das Recht ein, außerhalb der Sitzungsperiode der Kammern in dringenden Fällen Verordnungen mit Gesetzescharakter zu erlassen (das billigte ihr die Kommission nicht zu), die aber den Kammern bei ihren darauf folgenden Zusammentreten sofort vorzulegen sind (Art. 105). Die in Art. 5 bis 7, 24 bis 28 aufgeführten rechte "können für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs zeit- und distriktweise außer Kraft gesetzt werden" (Art. 110). Verfassungsänderungen bedürfen einer absoluten Mehrheit in beiden Kammern und sind damit gegenüber dem Kommissionsentwurf ("Zweidrittelmehrheit") erleichtert. 

Dass der Verfassung in dieser Form nur ein kurzes Leben bevorstehen sollte, wird aus Art. 112 über die Revision ersichtlich: "Die gegenwärtige Verfassung soll sofort nach dem ersten Zusammentritt der Kammern einer Revision auf dem Wege der Gesetzgebung (Art. 60 und 106) unterworfen werden". Mit der Revision ist aber nicht nur gemeint, dass der König mit einer neuen preußischen Volksvertretung Änderungen vereinbart, sondern auch, dass die preußische Verfassung mit einer Verfassung für den Deutschen Bund in Einklang gebracht werden kann.[41]

Gemäßigte Konservative und die meisten Liberalen - die sich längst von den Radikalen und Märzrevolutionären getrennt hatten - befürworteten die Verfassung vom Dezember 1848.[42] 

Die Wahlgesetz für die Erste und die Zweite Kammer wurden ebenfalls am 6. Dezember 1848 verkündet.[43] Die Erste Kammer ist nach einem Zensuswahlrecht indirekt zu bestimmen, die Zweite Kammer geht aus indirekten, allgemeinen und gleichen Wahlen hervor. 

Wahlen im Januar 1849 ließen eine Erste Kammer mit eher konservativer Mehrheit und eine Zweite Kammer mit etwa gleich starken Anteilen der Rechten und der Linken ab dem 26. Februar 1849 zusammentreten. Beide Kammern erkannten die oktroyierte Verfassung als Staatsgrundgesetz, das zu revidieren sei, an. Die Zweite Kammer erkannte am 21. April 1849 mit knapper Mehrheit auch die Frankfurter Reichsverfassung an: für König und Regierung eine knappe Kompetenzüberschreitung. Daher löste Friedrich Wilhelm am 27. April 1849 nach Art. 49 die Zweite Kammer auf und vertagte die Erste gemäß Art. 76.[44] Eine königliche Verordnung nach Art. 105 führte am 30. Mai 1849 ein neues Wahlrecht ein: das viel erörterte Dreiklassenwahlrecht.[45] Schon in der oktroyierten Verfassung war die Möglichkeit eines allgemeinen indirekten Wahlrechts nach Klassen in Art. 67 erwogen worden. Die ersten Wahlen nach diesem Modus im Juli 1849 führten, wie es die Exekutive beabsichtigte, zu einer eher konservativen Zweiten Kammer. Beide Kammern bildeten jeweils einen Verfassungsausschuss. Beide Ausschüsse hielten Verbindung und einigten sich in der Folgezeit auf Revisionsvorschläge zu den einzelnen Artikeln. Im Dezember 1849 nahm erst die Erste, dann die Zweite Kammer den Entwurf der revidierten Verfassung an, worüber dann nach abermaligem zähen Ringen eine Einigung mit dem König erzielt wurde.[46]  

 6., Die Änderungen in der revidierten Verfassung gegenüber der oktroyierten Verfassung

Das Jahr 1849 war im Deutschen Bund von der Beendigung der Revolution gekennzeichnet. Die Frankfurter Nationalversammlung ging auseinander, in Baden schlug Prinz Wilhelm revolutionäre Unruhen nieder. Auch der Blick über die Grenzen lehrte: Die Gegenrevolution war in vollem Gange. In Ungarn beendeten russische Truppen auf Bitte Kaiser Franz Josephs das Aufbegehren gegen die Dynastie, in Lombardo-Venetien besiegte Feldmarschall Radetzky die aufständischen Italiener. Was war unter diesen Umständen noch von einer Verfassung zu erwarten? War es selbstverständlich, dass darüber weiterhin verhandelt wurde? 

In einer Denkschrift vom 11. Dezember 1849 (eine Woche vor Verabschiedung des Verfassungsentwurfs durch beide Kammern) betont der weithin als kompromisslos konservativ geltende Prinz Wilhelm, dass die okroyierte Verfassung von Anfang an, "allen, die sie unterschrieben" als verbesserungswürdiges Provisorium galt, das im konservativen Sinne zu revidieren sei. Mit eher konservativen Kammern seien manche Verbesserungen bewirkt worden, während derzeit noch zu viele "hauptdemokratische Bestimmungen" enthalten seien. Er wollte die Regelung der Zivilehe gestrichen sehen, das Versammlungs- und Vereinsrecht müsse beschränkt werden (denn sonst gehe der Staat in wenigen Jahren unter). Die Arbeitervereine seien strenger zu überwachen. Nicht die Forderung, sondern die Erlaubnis zur Umwandlung der Lehen und Fideikommisse[47] sei zu verankern. Eine konservative Kammer nach dem Vorbild des englischen Oberhauses "ohne demokratische Beimischung" sei zu schaffen. Das Wahlgesetz zur zweiten Kammer möge derart modifiziert werden, dass eine konservative Mehrheit zu erwarten sei. Den Kammern möge kein Recht auf Steuerverweigerung eingeräumt werden, nur dem König gebühre ein Veto in der Haushaltsgesetzgebung.[48] 

Die revidierte Verfassung vom 31. Januar 1850, die mit fast 69 Jahren Gültigkeit vergleichsweise lang in Kraft war, geht (wie zu erwarten war) vom Gottesgnadentum des Königs aus und ist laut Präambel als Staatsgrundgesetz in "Uebereinstimmung mit beiden Kammern" nun endgültig als die angekündigte Revision der Verfassung vom 5. Dezember 1848 in nahezu gleicher Reihenfolge der Artikel entstanden. Wie diese enthielt sie einen Grundrechtskatalog (Titel II). Die Grundrechte waren allerdings eingeschränkt konzipiert oder konnten durch Gesetze eingeschränkt werden. Es war offenbar beabsichtigt, Lücken zu schließen, und zwar im Sinne des Staates gegen die Freiheit der Bürger, ohne dass dazu Notstandsmaßnahmen ergriffen werden mussten. Verfassungsinterpretationen wie jene von Gerhard Anschütz (1912) hoben in den folgenden Jahrzehnten weniger den Verfassungsgrundsatz als den Gesetzesvorbehalt hervor.

Typisch für diese Gesetzesvorbehalte ist Art. 4: Grundsätzlich gilt die Gleichheit vor dem Gesetz und der gleiche Zugang aller dazu befähigten zu den öffentlichen Ämtern (Art. 4 oktr. Verf.) weiter, doch ist ein Nebensatz eingefügt: "unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen". Hieß es in Art. 5 der oktroyierten Verfassung, "die persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine Verhaftung zulässig ist, sind durch das Gesetz vom 24. September laufenden Jahres bestimmt", so lesen wir in Art. 5 der revidierten Verfassung: "Die persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine Verhaftung zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt". Mit anderen Worten: Ein künftiges stärker restriktives Gesetz kann an die Stelle des Gesetzes vom 24. September treten. Entsprechendes gilt für die Pressefreiheit. Konnte nach der oktroyierten Verfassung Art. 24 die Pressefreiheit "unter keinen Umständen und in keiner Weise, namentlich weder durch Censur, noch durch Koncessionen und Sicherheitsbestellungen, weder durch Staatsauflage noch durch Beschränkungen der Druckereien und des Buchhandels, noch endlich durch Postverbote und ungleichmäßigen Postsatz oder durch andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden", so eröffnete der entsprechende Artikel der 1850er Verfassung künftig sehr wohl Möglichkeiten der Einschränkung, vorausgesetzt, diese beruhten auf einem verfassungsmäßig verabschiedeten Gesetz: 

"Die Censur darf nicht eingeführt werden; jede andere Beschränkung der Preßfreiheit nur in Wege der Gesetzgebung".

Auch die Bestimmung über die Vereinigungsfreiheit ist, im Gegensatz zur oktroyierten Verfassung, eingeschränkt: "Das Gesetz regelt, insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Ausübung" dieses Grundrechts. "Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden". Weiterhin besteht die Auswanderungsfreiheit, aber die kann "von Staats wegen nur in Bezug auf die Wehrpflicht beschränkt werden" (Art. 11).     

Was die bewaffnete Macht, so ist neben den in der Dezemberverfassung 1848 genannten Einschränkungen der persönlichen Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, der Versammlung und Vereinigung noch die Einschränkung des Petitionsrechts beigefügt (Art. 39): Auf das Heer finden die in Art. 5, 6, 29, 30 und 32 genannten Bestimmungen nur insoweit Anwendung, als sie militairischen Gesetzen und Disziplinarvorschriften nicht entgegenstehen". Dies mag nicht verwunden, denn in einer Armee gelten von jeher Befehl und Gehorsam, und bis zum Begriff des Staatsbürgers in Uniform war noch ein mehr als hundertjähriger Weg zurückzulegen.

Die Bürgerwehr (Art. 33 und 35 oktr. Verf.) ist nicht mehr aufgeführt. Offenbar war sie als Institution des Revolutionsjahres einer vergangenen Epoche zugehörig. Vielmehr ist vom stehenden Herr und der Landwehr die Rede (Art. 35).  

Das Christentum ist im Sinne des Königs auf Initiative der konservativen Gruppen in den Revisionsausschüssen der beiden Kammern hervorgehoben, ohne aber als Staatsreligion bezeichnet zu werden: 

"Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staates, welche mit der Religionsausübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit zu Grunde gelegt" (Art. 14). 

Die Freiheit der "Wissenschaft und ihrer Lehre" wollte Friedrich Wilhelm IV. in einem Brief vom 5. Januar 1850 aus dem Entwurf getilgt sehen ("Jeder rothe Professor und Lehrer haben dadurch den Freibrief, die Ermordung Louis XVI. u.A. als gut zu lehren, denn die Lehre und Wissenschaft sind ja frei.  - Und es geschieht bereits - ).[49] 

Der Entwurf blieb aber ebenda unverändert. Die Bestimmung "Die Minister des Königs sind verantwortlich" wollte er präzisieren lassen in: "Die Minister sind dem Könige und dem Land verantwortlich". Auch dieser Einwand blieb vergeblich.[50] Zahlreiche weitere Änderungswünsche bezogen sich auf weniger wichtige Bestimmungen. Er konnte sie gegen den Widerstand der Minister (Rücktrittsdrohungen) nicht durchsetzen. 

Die Stellung des Königs gegenüber der oktroyierten Verfassung etwas gestärkt: Verändert war der "Eid der Treue und des Gehorsams", den "die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staatsbeamten" dem König leisten. Sie "beschwören die gewissenhafte Beobachtung der Verfassung" (Art. 108,1). Hier ist demnach die Person des Königs dem Treue und Gehorsam geschuldet sind, der einzuhaltenden Verfassung vorgeschaltet. Hingegen stand in der oktroyierten Verfassung: "Die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staatsbeamten haben dem König und der Verfassung Treue und Gehorsam zu schwören" (Art. 107).

"Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt" (Art. 108,2) - im Gegensatz zum königlichen Patent vom 5. Dezember 1848: "unmittelbar nach erfolgter Revision werden Wir die von uns verheißene Vereidigung des Heeres auf die Verfassung veranlassen". So blieb der traditionelle preußische Fahneneid auf den König unangetastet.

Seinen eigenen Eid auf die Konstitution leistete Friedrich Wilhelm IV. nach langen inneren Kämpfen gemäß Art. 54 der revidierten Verfassung. Der Wortlaut war von der oktroyierten Verfassung unverändert übernommen. Doch hielt der König zuvor eine Rede vor beiden Kammern, die er zu einer Relativierung der Eidesleistung nutzte. Er warnte vor einem Missbrauch der in der Verfassung gewährten Rechte, bezog sich ausdrücklich auf das Gottesgnadentum und seine Verpflichtung gegenüber Gott:

"Sie, meine Herren, müssen Mir helfen und die Landtage nach Ihnen, und die Treue meines Volkes muß Mir helfen wider die, so die königlich verliehene Freiheit zum Deckel der Bosheit machen und dieselbe gegen ihren Urheber kehren, gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit; wider die, welche diese Urkunde gleichsam als Ersatz der göttlichen Vorsehung, unserer Geschichte und der alten heiligen Treue betrachten möchten; alle guten Kräfte im Lande müssen sich vereinigen in Unterthanentreue, in Ehrfurcht gegen das Königthum und diesen Thron, der auf den Siegen unserer Heere ruht; in Beobachtung der Gesetze, in wahrhaftiger Erfüllung des Huldigungseides, sowie des neuen Schwurs ,der Treue und des Gehorsams gegen den König und des gewissenhaften Haltens der Verfassung', - mit einem Worte: seine Lebensbedingung ist die, daß Mir das Regieren mit diesem Gesetze möglich gemacht werde,  - denn in Preußen muß der König regieren, und Ich regiere nicht, weil es Mein Wohlgefallen ist - Gott weiß es! - sondern weil es Gottes Ordnung ist; darum aber will ich auch regieren! - Ein freies Volk unter einem freien Könige (...)".

Im Anschluss erneuerte Friedrich Wilhelm sein Gelöbnis anlässlich der Huldigungen von Königsberg, als er den Thron bestieg, sowie das "heilige Gelöbnis" vom 11. April 1847:

 "Mit Meinem Hause dem Herrn zu dienen (...). Dies Gelöbnis steht über allen anderen, es muß in einem Jeden enthalten sein und alle andere Gelöbnisse, sollen sie anders Werth haben, wie lauteres Lebenswasser durchströmen (...). Und nun befehle Ich das bestätigte Gesetz in die Hände des allmächtigen Gottes, dessen Walten in der Geschichte Preußens handgreiflich zu erkennen ist, auf daß er aus diesem Menschenwerke ein Werkzeug des Heils machen will für unser theures Vaterland: nämlich der Geltendmachung Seiner heiligen Rechte und Ordnungen! - Also sei es!"[51]

Weniger im Titel "Vom Könige" - wo fast alle Bestimmungen wörtlich der oktroyierten Verfassung entstammen - als in den Titeln IX ("Von den Gemeinden, Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Verbänden") und den "allgemeinen Bestimmungen" finden sich Änderungen gegenüber der verliehenen Verfassung. Eher in symbolischer Hinsicht als in der faktischen Auswirkung wird der König das Zentrum des Staates. So ernennt noch in der Dezember-Verfassung von 1848 die Staatsregierung die "Vorsteher der Provinzen, Bezirke, Kreise" (Art. 104), während dieselben laut der revidierten Verfassung der König beruft (Art. 105). 

Die oktroyierte Verfassung billigt den Gemeinden "die selbständige Verwaltung ihrer Gemeinde-Angelegenheiten" zu (Art. 104), während in der revidierten Verfassung diesbezüglich die "gesetzlich verordnete Oberaufsicht des Staates" eingeschoben ist (Art. 105). Auch hier: eine Ergänzung und keine Ersetzung. 

  7., Das Wahlrecht

In einem großen Gegensatz zur oktroyierten Verfassung standen dagegen die Zusammensetzung der Ersten und das Wahlrecht zur zweiten Kammer. nach der 1850er Verfassung war die Erste Kammer deutlich stärker, wenn auch nicht ausschließlich monarchisch geprägt:

"Die erste Kammer besteht a, aus den großjährigen königlichen Prinzen; b, aus den Häuptern derjenigen Familien, welchen durch königliche Verordnung das nach der Erstgeburt und der Linearfolge zu vererbende Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer beigelegt wird (...); c, Aus solchen Mitgliedern, die der König auf Lebenszeit ernennt. Ihre Zahl darf den zehnten Teil der zu a, und b, genannten Mitgliedern nicht übersteigen; d, aus 90 Mitgliedern, welche in Wahlbezirken, die das Gesetz feststellt, durch die dreißigfache Zahl derjenigen Urwähler (art. 70), welche die höchsten direkten Staatssteuern bezahlen, durch direkte Wahl nach Maaßgabe des Gesetzes gewählt werden; e, aus 30, nach Maaßgabe des Gesetzes von den Gemeinderäthen gewählten Mitgliedern aus den größeren Städten des Landes.

Die Gesamtzahl der unter a, bis c, genannten Mitglieder darf die Zahl der unter d, und e, bezeichneten nicht übersteigen".

Neu gegenüber der oktroyierten Verfassung war die Aufnahme der königlichen Prinzen und den Vertretern bedeutender Familien. Vertreter der Kunst und der Wissenschaft sind dagegen nicht mehr aufgeführt. Die Bestimmungen wurde am 7. Mai 1855 per Gesetz abgeändert, wonach "die Erste Kammer durch königliche Anordnung gebildet (...) Die Erste Kammer wird zusammengesetzt aus Mitgliedern, welche der König mit erblicher Berechtigung oder auf Lebenszeit beruft.[52]

Damit war der Wunsch Friedrich Wilhelms, den gewählten Kammermitgliedern ein möglichst starkes hochkonservativ-monarchisches Regulativ entgegenzusetzen, erfüllt. Die Erste Kammer hieß seitdem "Herrenhaus", die Zweite Kammer "Abgeordnetenhaus".

Die Kompetenzen der Zweiten Kammer sind gegenüber der oktroyierten Verfassung kaum geändert.    

Die weithin bekannteste Änderung aber ist die Festschreibung des Dreiklassenwahlrechts  in Art. 71. Es handelt sich um ein allgemeines, indirektes, ungleiches und öffentliches Männerwahlrecht: die Urwähler werden in ihrem jeweiligen Stadtbezirk bzw. in ihrer jeweiligen Gemeinde nach ihrer Steuerleistung in drei Klassen eingeteilt. Die höchstbesteuerten (etwa vier Prozent der Urwähler), die das oberste Drittel der Steuereinnahmen erbringen, wählen ebenso viele Wahlmänner wie der etwa größere Teil (ungefähr zwölf Prozent), der das mittlere und der sehr große restliche Anteil, der das untere Drittel der jeweiligen Steuereinnahmen erbringt oder gar nicht steuerpflichtig ist. tatsächlich war das Dreiklassenwahlrecht nach den damaligen Maßstäben eher modern und den Forderungen des Liberalismus entsprechend, weil es nicht auf Standesvorrechte, sondern auf das Einkommen und die damit verbundene Steuerleistung abhob und damit dem Besitzbürgertum eine Beteiligung am Staatsleben einräumte. Es handelte sich um ein allgemeines Wahlrecht. In Westeuropa war hingegen der Grundsatz eines auf wenige reiche Bürger beschränkten Wahlrechts hingegen eher die Regel als die Ausnahme. Selbst im angeblichen Mutterland der Demokratie, England, waren seit dem Reform Act von 1832 nur 640.000 Bürger wahlberechtigt, d.h. 18,4 Prozent der volljährigen männlichen Bevölkerung. Das aktive Wahlrecht war an Hausbesitz oder Mietzahlung in bestimmter Höhe gekoppelt.[53] Erst der Representation of People Act von 1918 verschaffte allen erwachsenen Männern das aktive Wahlrecht, nachdem zuvor "schätzungsweise 40 Prozent der erwachsenen Männer vom Wahlrecht" ausgeschlossen waren".[54] In Frankreich brachte die Julirevolution zwar einen "Bürgerkönig" auf den Thron, der jedoch für das soziale Elend blind war und (zusammen mit Minister Guizot) eine Ausweitung des aktiven Wahlrechts ausgerechnet während der Wirtschaftsdepression im Winter 1847/48 ablehnte. Ein Zensus beschränkte die aktiv Wahlberechtigten auf knapp 250.000 von 35 Millionen Franzosen insgesamt![55]  

Es kann also nicht die Rede davon sein, dass es einen undemokratischen, rückschrittlichen deutschen Sonderweg gegeben habe, von dem sich ein Normalweg des "Westens" wohltuend abgehoben habe. Jeder Staat ging seinen eigenen Weg, wobei er sich von anderen Staaten oft anregen ließ (Belgiens Ausstrahlung auf deutsche Staaten!). Doch die Nachteile des Dreiklassenwahlrechts waren schon im 19. Jahrhundert klar erkennbar: Erstens: Politisches Urteilsvermögen kann nicht anhand der Steuerleistung gemessen werden. Zweitens: Dieses Wahlrecht konnte grundsätzlich niemals eine Kammer konstituieren, die den Willen des Volkes auch nur annähernd widergespiegelt hätte; Drittens: Durch die öffentliche Stimmabgabe waren Beamte und abhängig Beschäftigte in ihrer Wahlentscheidung unfrei, da sie mit Versetzung oder Entlassung bedroht wurden; Viertens: Eine Wahlkreiseinteilung, die den ländlichen Raum gegenüber den städtischen Bezirken unverhältnismäßig bevorzugt, verzerrt die ohnehin ungenügende Repräsentativität noch zusätzlich. Außerdem erscheint es grotesk, wenn beispielsweise ein Professor, der in einem Villenviertel Berlins lebt, in diesem Urwahlbezirk in der dritten Klasse wählt (weil seine Steuerleistung sehr viel niedriger ist als die seiner Nachbarn), derselbe Professor aber mit einem Wohnsitz in einem weniger begüterten Wahlbezirk der Klasse eins zuzuordnen wäre. 

Die praktische Auswirkung war eine niedrige Wahlbeteiligung, insbesondere der Urwähler der dritten Klasse. Hans Joachim Schoeps nannte m.E. zu Recht dieses verordnete Wahlrecht "seltsam" und einen "Makel" an der neuen Verfassung, die er aber insgesamt für zeitgemäß hielt und auf deren Gesetzesvorbehalte im Grundrechtskatalog er in seinem Buch "Preußen. Geschichte eines Staates" nicht eingeht. Es war kein Geringerer als Bismarck, der in der Debatte des Norddeutschen Reichstags vom 28. März 1867 erklärte, "ein widersinnigeres, elenderes Wahlrecht ist nicht in irgendeinem Staate ausgedacht worden".[56] Der Grund für Bismarcks Unmut mag in der Privilegierung des Besitzes und nicht der Staatstradition gelegen haben - eine Tatsache, die ihm ein sehr selbstbewusstes Abgeordnetenhaus mit liberalen Mehrheiten während des Verfassungskonflikts bescherte!

Das Dreiklassenwahlrecht erschien mit der Einführung des gleichen allgemeinen Männerwahlrechts auf Reichsebene 1871 (und den davon oft differierenden Wahlergebnissen) und mit Blick auf das steigende Bildungsniveau der Bürger zunehmend überholt, doch blieb es bis zum Ende der preußischen Monarchie in Kraft.

8. Meinungen zur Verfassung

Friedrich Wilhelm IV. sah auch die revidierte Verfassung mit äußersten Unbehagen: "In einigen Jahrzehnten ist bei ihrem Bestehen das Land ruiniert",[57] resümierte er. Als gläubiger Christ fühlte er sich aber an seinen Eid gebunden. 

Das Ziel, der Verfassung einen konservativ-monarchischen Charakter zu geben, hielt Radowitz 1850 für "größtenteils gelungen".[58] Er favorisierte die 1850er Verfassungsrevision gegenüber einer "altständischen Monarchie", wie es sie vor 1848 gab: 

"Aber dieser Weg [in den Vormärz] ist der gefährlichste und verderblichste, den man jetzt einschlagen kann; statt einer wahren Revision, also eines Fortschritts zu gesunderen und dauernden Verfassungsformen, ist dies der Rückschritt zu krankhaften und unhaltbaren".[59] 

Der preußische Innenminister Ferdinand von Westphalen sah Preußen in seiner Denkschrift vom 24. Oktober 1852 zu seinem Bedauern als den "nach seiner Verfassung jetzt demokratischen Staat unter den Großmächten Europas", denn Preußen verfüge über "aus der Revolution entsprungene Verfassungsgrundsätze, welche seiner Geschichte, seinen Sitten und Interessen, der praktischen Entwicklung seiner Staatsverwaltung fremdartig und widerspruchsvoll entgegentreten. Dagegen akzeptierten die Konservativen zum weitaus größeren Teil die revidierte Verfassung. Sie sahen in Preußen nach 1850 bessere Möglichkeiten als in den Zeiten des Vormärz, ihre Interessen anzumelden und sich politisch zu betätigen. Wenn einzelne Punkte zu ändern seien, dann auf evolutionären, gesetzesmäßigen Wege, nicht durch eine Aufhebung der Verfassung.[60]

Der Historiker und nationalliberale Abgeordnete Heinrich von Treitschke bewertete 1869/71 den Vereinigten Landtag und das Streben nach einer Verfassung wohlwollend: weil dadurch die Heterogenität Preußens schwand, das Zusammengehörigkeitsgefühl, ja: der preußische Patriotismus anwuchs. In der Verfassung selbst sieht er eine Kombination liberaler und traditioneller Elemente: ein "widersprüchliches Werk", das er aber nicht so verdammt wie F. von Westphalen. Die Voraussetzungen des stolzen und oft beneideten Preußen seien ganz andere als jene im liberal ausgerichteten Belgien, das erst seit 1830 als Staat existierte. Es sei ein Fehler gewesen, nach Westen zu schauen und von dort grundlegendes Verfassungsrecht zu übernehmen, anstatt die Reformideen von Stein und Hardenberg weiterzuentwickeln.[61]

Friedrich Meinecke, der liberal-demokratische preußische Historiker, urteilte 1913 über die revidierte Verfassung, in Preußen habe damit endgültig das "moderne Verfassungsrecht" Einzug gehalten. Zwar seien die Ideen des modernen Verfassungsstaates "unharmonisch" mit den "Überlieferungen des altpreußischen, auf Heer und Beamtentum gestützten Königtums verbunden worden", doch sei die Verfassung "insgesamt ein getreues Abbild der in diesem Staate jetzt nebeneinander lebenden und schaffenden Kräften". Im Gegensatz zu Treitschke sieht er also eine gelungene Mischung. Genauer: Die Entstehung der revidierten Verfassung - die Auflösung der zweiten Kammer und die Oktroyierung des Dreiklassenwahlrechts - behagte ihm nicht, das Ergebnis veranlasst ihn zur Hoffnung auf die Stabilität des Staates: weil die Verfassung der gewachsenen Staatsstruktur einerseits und dem Verfassungsstreben der liberalen Bewegung andererseits entspricht. Der Versuch, das Staatsleben in konservativer oder in liberaler Hinsicht zu ändern, gefährde "Wesen, Stärke und Zukunft des Staates". Ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Kräften herzustellen, sei Aufgabe genug, "die nicht auf einmal, aber auf Grund des am 31. Januar 1850 Erreichten doch noch erstmals gelöst werden konnte.[62]  

 

9. Fazit

Die folgenden Jahrzehnte brachten verschiedene Verfassungsinterpretationen mit sich. Der früheste Kommentar von Ludwig von Rönne aus dem Jahr 1856 vermied es bewusst, einseitig Partei zu beziehen. Während des Verfassungskonflikts waren die liberalen Deutungen der Verfassung in der Überzahl, während im Kaiserreich die Gesetzesvorbehalte gegenüber den Freiheitsrechten betont wurden.[63]

Wie sah die Verfassungswirklichkeit aus? Die Veränderungen der revidierten gegenüber der oktroyierten Verfassung mögen aus liberaler Sicht nachteilig und aus konservativer Sicht unzureichend erscheinen. Doch konnte gerade auch durch die revidierte Verfassung - der kein Blutvergießen 1849 vorausging! - in Krisenzeiten "Ruhe und Ordnung" auch ohne Ausnahmezustand, stattdessen auf dem Gesetzesweg wiederhergestellt werden.[64] M.E. ist Meinecke zuzustimmen, auch in seiner Kritik am Dreiklassenwahlrecht. zweifellos errang Preußen nach dem 31. Januar 1850 ein hohes Maß an Stabilität, Rechtssicherheit und Vertrauen der Bürger in den Staat (gemessen an vergleichbaren europäischen Staaten seinerzeit), auch wenn durch die Gesetzesvorbehalte in der revidierten Verfassung die Freiheitsrechte von Anfang an relativiert werden konnten: man denke z.B. an das Preßgesetz, das bereits 1851 in Kraft trat. Die 1850er Jahre in Preußen gelten trotz bestehender Verfassung als das "Reaktionsjahrzehnt", das der König und seine hochkonservative "Kamarilla" entscheidend prägten, oft zum Leidwesen gemäßigter Konservativer wie Radowitz und Manteuffel. Aber wie war es in anderen europäischen Staaten? Eine "reaktionäre", zumindest konservativ-autoritäre Gestaltungskraft brach sich vielerorts ihre Bahn, beispielsweise im Kirchenstaat mit der Wiederherstellung der päpstlichen Herrschaft. In Österreich hob Kaiser Franz Joseph durch das Silvesterpatent 1851 die Verfassung auf und stellte eine neoabsolutistische Ordnung mit zentralistischen Zügen wieder her. In Frankreich regierte Louis Napoleon nach seinem Staatsstreich vom Dezember 1851 als Präsident und nach einem weiteren Staatsstreich als Kaiser autoritär, die Opposition wurde unterdrückt. Demgegenüber kam es in Preußen gerade auch wegen des königlichen Eides auf die Verfassung zu keinem Staatsstreich. Vielmehr entwickelte sich in der Zweiten Kammer ein selbstbewusstes Parlamentsleben (wie es der Heeres- und Verfassungskonflikt mit seinen liberalen Mehrheiten 1861 bis 1866 zeigte), während die Debatten in des Herrenhauses jedenfalls nach Meinung von Hans Joachim Schoeps "stets ein bemerkenswert hohes geistiges und politisches Niveaus besessen" haben.[65] Andererseits: Während in den 1860er Jahren Frankreich und Österreich den Staat im liberalen Sinne (dann doch) weiterentwickelten, änderte sich Preußen im staatsrechtlichen Sinne weniger, trotz der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des Bürgertums. Zur Frage nach der Rechtssicherheit wollen wir abschließend den konservativen Abgeordneten Hermann Wagener (1870) zitieren: 

"Ich mag gewesen sein, wo ich wollte, stets habe ich schon von weitem den schwarz-weißen Schlagbaum in meinem Herzen mit Freuden begrüßt und habe stets das Gefühl der vollkommenen Rechtssicherheit gehabt, so wie ich meinen ersten Schritt durch diesen Schlagbaum hindurch gemacht habe. Nicht England und nicht Frankreich, kein anderes Land kann sich von Anbeginn mit unserem preußischen Vaterlande in Bezug auf die Handhabung des Rechts messen und vergleichen".[66] 

 

[1]          Verfassungen totalitärer Staaten im 20. Jahrhundert sind davon ausgenommen.

[2]         Z.B.: Susanne Böhr: Die Verfassungsarbeit der preußischen

Nationalversammlung 1848, Frankfurt 1992. Hans Boldt: Die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850. Probleme ihrer Interpretation. In: Hans-Jürgen Puhle/Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Preußen im Rückblick (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 6). Göttingen 1980, S. 224-246. Friedrich Frahm: Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der preußischen Verfassung (vom März 1848 bis Januar 1850), In: FBPG (Forschungen zur Brandenburgischen und preußischen Geschichte), 41 (1928), S. 248-301; Günther Grünthal: Zwischen König, Kabinett und Kamarilla. Der Verfassungsoktroi in Preußen vom 5. Dezember 1848: In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, 32. Jg. (1983), S. 119-178. Ders.: Parlamentarismus in Preußen 1848/49-1857/58 (Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus, hrsg. von Gerhard A. Ritter), Düsseldorf 1982; Matthias Pape: Staatsstreich von oben: Die preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 und ihre Revision vom 31. Januar 1850. In: Rudolf Lill (Hrsg.): Die Revolution von 1848/49 in Deutschland und Europa. Beiträge zu einem Karlsruher Symposium. Karlsruhe 1998, S. 94-112.

[3]        Günther Grünthal: Das preußische Dreiklassenwahlrecht. Ein Beitrag zur Genesis

 und Funktion des Wahlkreisoktrois vom Mai 1849. In: Historische Zeitschrift, Bd. 226 (1977), S. 17-66.

[4]        Vgl. Ausstellungskatalog Friedrich Wilhelm IV. Künstler und König zum 200.

Geburtstag. Frankfurt 1995; Dirk Blasius: Friedrich Wilhelm IV. 1795-1861. Psychopathologie und Geschichte.  Göttingen 1992; Walter Bußmann: Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Berlin 1990; Otto Büsch (Hrsg.): Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit. Beiträge eines Colloquiums. Berlin 1987; David E. Barclay: Anarchie und guter Wille. Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Monarchie. Berlin 1995; Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der deutschen Romantik (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 72, Forschungen zur preußischen Geschichte), Berlin 1990; Peter Krüger/Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der verkannte Monarch. Friedrich Wilhelm IV. in seiner Zeit (Brandenburger Historische Studien, Bd. 1), Potsdam 1997; Malve Gräfin Rothkirch: Der „Romantiker“ auf dem Preußenthron. Porträt Friedrich Wilhelms IV., Düsseldorf 1990. 

[5]          Ernst Rudolf Huber (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte. Bd.

          1: Deutsche  Verfassungsdokumente 1803-1850. Stuttgart 1961.

[6]              Sitzungs-Protokolle zur Vereinbarung der Preußischen Staats-Verfassung.

Bd.1: Die Sitzungen vom  22. Mai bis 30. September 1848. Berlin 1848. Bd.2: Die Sitzungen vom 2. Oktober bis 1. Dezember  1848. Berlin 1848.

[7]              Joseph von Radowitz: Nachgelassene Briefe und Aufzeichnungen zur Geschichte der Jahre 1848-1853. Hrsg. von Walter Möring. Osnabrück 1967 (Nachdruck von 1922).

[8]          Bärbel Holtz [u.a.] (Hrsg.): Die Protokolle des preußischen Staatsministeriums 1817-1934/38, Bd. 4/ 1:  30. März 1848 bis 27. Oktober 1858. Hildesheim 2003.

Nicht nur die oktroyierte (www.documentarchiv.de/nzjh/verfpr1848.html) und die revidierte (www.documentarchiv.de/nzjh/verpr1850.html) Verfassung, sondern auch die Entwürfe der Regierung (www.documentarchiv.de/nzjh/preussen/1848/verfassungsgesetz-preussen-entwurf.html) und der Nationalversammlung (www.documentarchiv.de/nzjh/preußen/1848/preussische-charte-waldeck.html), die Einberufung des Vereinigten Landtags (www.documentarchiv.de/fs/preussen.html), das „Kampfprogramm“ Friedrich Wilhelms (www.documentarchiv.de/nzjh/preussen/1848/friedrich-wilhelmIV-kampfpreogramm.html), und der Anti-Reaktionserlass des Ministeriums Pfuel (www.dokumentarchiv.de/nzjh/preussen/1848/anti-reaktion-pfuel_erl.html) sind dort nachlesbar.

[10]         Passend dazu eine Aussage im Brief Friedrich Wilhelms an seinen Minister

Manteuffel: „Dieser Entwurf widerstreitet meiner Überzeugung. Denn kraft derselben bin ich Gott, meinem Könige und Herrn Rechenschaft schuldig über das, was ich an Bösem zugebe, an Gutem hindre“, zitiert in: Heinrich von Poschinger (Hrsg.): Unter Friedrich Wilhelm IV. Denkwürdigkeiten des Ministers Otto Freiherrn von Manteuffel. Erster Bd. 1848-1851. Berlin 1901, S. 46.

[11]          Vgl. Frank-Lothar Kroll: Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsdenken der Romantik, Berlin 1990, S. 65-107 und S. 182f.

[12]         So sprach der König. Reden, Trinksprüche, Proklamationen, Botschaften, Kabinets-Ordres, Erlasse usw. Friedrich Wilhelms IV., König von Preußen. Stuttgart 1861, S.39-56

[13]         Heinrich von Treitschke: Das konstitutionelle Königtum in Deutschland. In: Ders.: Aufsätze, Reden und Briefe, hrsg. von Karl Martin Schiller, 4. Bd.: Schriften und Reden zur Zeitgeschichte, Meersburg 1929, S. 9-121, S. 25.

[14]             Hermann von Petersdorff: König Friedrich Wilhelm IV. Stuttgart 1900, S. 171.

[15]          Zur Vorgeschichte siehe: Friedrich Keinemann: Preußen auf dem Weg zur

           Revolution. Hamm 1975.

[16]             So sprach der König, Nr. 43, S. 70f.

[17]          Zur Berliner Märzrevolution als sehr detailliertes Quellenwerk: Karl Ludwig von

Prittwitz: Berlin1848, bearbeitet und eingeleitet von Gerd Heinrich. Berlin 1985.

[18]             So sprach der König, Nr. 47, S. 77ff.

[19]             Ebd., Nr. 51, S. 83f., hier S. 84.

[20]             E.R. Huber: Dokumente, Nr. 144, S. 367.

[21]         Susanne Böhr: Die Verfassungsarbeit der preußischen Nationalversammlung

1848. Frankfurt 1992, S. 149-156.

[22]         Vgl.: Die Verfassung Belgiens. In: Günther Franz: Staatsverfassungen. Eine

Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart in Urtext

und Übersetzung. München 1964, S. 55-95.

[23]         Brief Friedrich Wilhelms vom 21.5.1848, Nr. 40, an Radowitz. In: Radowitz, a.a.O.,  S. 46ff. 

[24]             So sprach der König, Nr. 54, S. 86f., hier S. 86.

[25]             Bürgerlicher Tod: die Verwirkung aller bürgerlichen Rechte, quasi Entmündigung.

Huber: Dokumente, Nr. 148, S. 372; Sitzungs-Protokolle, Bd. 1, 37. Sitzung, S. 327ff. und S. 372ff. 

Veit Valentin: Geschichte der deutschen Revolution 1848-1849, Bd. 2: Bis zum Ende der Volksbewegung von 1849. Berlin 1931, S. 231. Ein Beispiel für eine Loyalitätserklärung schon vom  24.5.1848 ist in Poschinger, a.a.O., S. 16 wiedergegeben.

[28]             Huber: Dokumente, Nr. 151, S. 374.

[29]             Ebd., Nr. 155, S. 378f. Sitzungs-Protokolle, Bd.2, 97. Sitzung, S. 1255f.

[30]         Huber: Dokumente, Nr. 156, S. 378f; Eine ausführliche Kritik der Ablehnung

und Vertagung durch  die National-Zeitung als demokratische Stimme zitiert Poschinger, a.a.O., S. 25f.

[31]             Huber: Dokumente, Nr. 157, S. 379f.

[32]             Ebd., Nr. 158, S. 380.

[33]             Ebd., Nr. 159 und 160, S. 381.

[34]             Vgl. Poschinger, a.a.O., S. 46.

[35]             Ebd., S. 47ff.

[36]             Huber Dokumente, Nr. 162, S. 382f.

[37]         Vgl. Denkschrift des Prinzen Wilhelm von Preußen vom 11. Dezember 1849. In: Poschinger, a.a.O., S. 427-435, hier S. 431.

[38]         Friedrich Wilhelm an den Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, Dezember 1848. In: Radowitz, a.a.O., Nr. 52, S. 69.

[39]         Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 5. Dezember 1848. In: Huber, Dokumente, Nr. 162, S. 385-394.     

[40]         In Österreich war Ferdinand zwar Kaiser, aber wegen Erbkrankheiten nur sehr

bedingt regierungsfähig. Ein mehrköpfiger Regentschaftsrat übte die Staatsgeschäfte aus.

[41]             Vgl. Huber: Dokumente, Nr. 164, S. 295

[42]         Vgl. Hans Wegge: Die Stellung der Öffentlichkeit zur oktroyierten Verfassung und die preußische Parteibildung 1848/49. Berlin 1932, S. 48.

[43]             Huber: Dokumente, Nr. 165a und b, S. 396f

[44]            Ebd., Nr. 166, S. 367.

[45]             Ebd., Nr. 167, S. 398-401.

[46]            Vgl. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 35-53.

[47]         Dabei handelte es sich um ein Vermögen, meist Grundbesitz, das ungeteilt in der Hand eines Familienmitglieds blieb, über das es allerdings nur sehr eingeschränkt verfügen konnte: teilweise oder ganzer Verkauf war nicht möglich, Vollstreckung ausgeschlossen, so dass die betreffende Familie eine langfristige Grundlage ihrer sozialen Stellung daraus ableiten konnte. Diese Festschreibungen wirtschaftlicherMacht des Adels stellte der Liberalismus in Frage.  

[48]            Vgl. Denkschrift Wilhelm, a.a.O., S. 427-435.

[49]         Es scheint nicht unbedingt selbstverständlich, dass auch in dieser monarchisch

-konstitutionellen Verfassung die Grundrechte den „Titel II“ bilden und nicht

etwa nachgeordnet als Abschnitt VI (wie in der Paulskirchenverfassung) oder als „Anhang“ aufgeführt werden.

[50]             Poschinger, a.a.O., S. 153.

Friedrich Wilhelm IV.: Allerhöchste Eidesleistung und Rede dabei. In: So sprach der König, a.a.O., Nr. 74, S. 116-119.

[52]         Verordnung wegen Bildung der Ersten Kammer. Vom 12. Oktober 1854. In: Karl Binding, a.a.O., Nr. 74, S. 116-119.

[53]             Vgl. Hans-Christof Schröder: Englische Geschichte, München 1995, S. 56.

[54]            Vgl. ebd., S. 67.

[55]            Vgl. Peter C. Hartmann: Geschichte Frankreichs. München 1999, S. 62.

[56]            Zitiert nach Hans-Joachim Schoeps: Preußen. Berlin 1982, S. 313.

[57]        Hermann von Petersdorff: König Friedrich Wilhelm IV. Stuttgart 1900, S. 171.

[58]           Radowitz, a.a.O., S. 159.

[59]           Joseph von Radowitz an seine Frau. In: Radowitz, a.a.O., Nr. 332, S. 404f, hier S.406.

[60]            Hans-Christof Kraus: Konstitutionalismus wider Willen. Versuche einer

Abschaffung oder Totalrevision der preußischen Verfassung während der Reaktionsära (1850-57).

In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, 5. Jg., Heft 2 (1995), S. 157-240, insbesondere S. 190f. (Zitat Westphalen) und S. 211 (Konservative über die Verfassung).

[61]           Heinrich von Treitschke: Das konstitutionelle Königtum in Deutschland. In: ders.:            Aufsätze, Reden  und Briefe, S. 9-121, hier S. 25ff.

[62]           Friedrich Meinecke: Radowitz und die deutsche Revolution. Berlin 1913, S. 369f.

[63] Vgl. Hans Boldt: Die preußische Verfassung vom 31. Januar 1850. Probleme ihrer Interpretation. In: Puhle/Wehler, a.a.O., S. 224-246.

[64]  Diese Absicht ist der Allerhöchsten Botschaft des Königs an die Kammern vom

7. Januar 1850 zu entnehmen. Vgl. Poschinger, a.a.O.

[65] Schoeps, Preußen, S. 204.

[66] Ebd., S. 381.




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