Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Stefan Winckler  

Von der deutschsprachigen Dante-Rezeption im 19. Jahrhundert zur Deutschen Dante-Gesellschaft e.V.

Im 19. Jahrhundert erlebte die Dante-Rezeption in den deutschen Landen eine Blüte. Bereits 1767 bis 1769 veröffentlichte Lebrecht Bachenschwanz eine Prosa-Übersetzung der Divina Commedia in drei Bänden (1) - die erste Übertragung in deutscher Sprache. 

Die frühen Übersetzungen der Göttlichen Komödie

Der preußische Literaturwissenschaftler Karl Ludwig Kannegießer erarbeitet von 1809 bis 1821 eine Übertragung der Göttlichen Komödie in Versen (Terzinen).(2)  Kannegießer sind auch die Übertragungen von dantes Traktat De vulgari eloquentia (Über die Volkssprache), verschiedene Briefe und der Monarchia zu verdanken, wobei ihn Karl Witte unterstütze. 

Der Berliner Jurist Karl Streckfuß übersetzte due Göttliche Komödie in den Jahren 1824 bis 1826.(3)

Prinz Johann von Sachsen, der spätere König, schuf im Jahre 1840 unter seinem Pseudonym Philalethes ("Freund der Wahrheit") eine Prosa-Übersetzung der Commedia (4), die als Standardwerk gilt. 

Insgesamt sind 18 vollständge Übertragungen der Göttlichen Komödie ins Deutsche aus den Jahren 1800 bis 1899 nachgewiesen. 


Franz Liszt - angeregt durch Dantes Hauptwerk


Die Divina Commedia inspirierte auch die Kunst: Im deutschen Kulturraum war es Franz Liszt, der eine sehr anspruchsvolle Klaviersonate ("Apres une lecture du Dante") unter dem Eindruck der Höllen-Wanderung bereits im Jahre 1839 schrieb.(5)

Er überarbeitete sie 1849 und veröffentlichte sie 1858. Außerdem komponierte er eine Dante-Symphonie, die 1857 ihre Uraufführung erlebte. Verschiedene Interpretationen beider Werke sind über die Suchbegriffe "Dante, Liszt" als Videos auf Youtube recherchierbar. 

Dante-Forschung

Das 19. Jahrhundert war zugleich sehr ertragsreich für die Erforschung von Dantes Leben und Denken. Es bildeten sich in Universitätsstädten wie Dresden (gefördert durch König Johann), Breslau, Bonn und Halle "Dante-Kreise", die Dantes Werk erörterten. 

Karl Witte (1800 bis 1883) aus Halle gilt als der Nestor der deutschsprachigen Dante-Forschung jener Zeit. Er verfasste die erste kritische Ausgabe der Göttlichen Kömodie in deutscher Sprache (1862): 31 Seiten Einleitung, eine Übersetzung und über 100 Seiten umfassende Anmerkungen. (6) Sein Vortrag "Dante und die italienischen Fragen" von 1861 ist online nachlesbar (7), ebenso seine Aufsatzsammlung "Dante-Forschungen, Altes und Neues". (8)

Der Historiker Franz Xaver von Wegele (1823 bis 1897), Professor in Jena und später in Würzburg, verfasste 1852 seine erste Monografie über den großen Florentiner: Dantes Leben und Werke. Überarbeitete und erweiterte Fassungenerschienen 1865 und 1879.(9) Sie behandelt die beiden Hauptwerke Monarchia und Commedia, ferner die philosophische Abhandlung Il Convivio ("Das Gastmal"), nicht die Vielzahl an Sonetten, Eklogen ("Hirtengesänge") und weitere Gedichte. 

Pastor Giovanni Andrea Scartazzini (1837 bis 1901), ein Schweizer, veröffentlichte 1860 als Reaktion auf Wegele eine eigene Dante-Biografie: Dante Alighieri, seine Zeit, sein Leben und seine Werke.(10) Im Vorwort schreibt er, ",Wir Deutschen', sagte vor sieben Jahren Dr. Theodor Paur, ,erfreuen uns erst einer vollständigen Lebensgeschichte Dante's, nämlich von Franz Wegele'. Ich wage esnun, mit einer zweiten hervorzutreten, die wohl auch eine vollständige genannt werden dürfte. Diesselbe kann und will nicht mit Wegele's gründlicher und ausgezeichneter Arbeit in Concurrenz treten und noch viel weniger sie entbehrlich machen. Wegele schrieb als Forscher und als Historiker ein Werk, das meines Erachtens zunächst für Solche bestimmt ist, die in das geschichtliche Verständnis von Dante's Person und Werk tiefer eindringen wollen. ich hatte dagegen einen ganz anderen Leserkreis vor Augen. Ich wollte Denen, die ohne sich eingehender mit diesen Studien zu befassen, den grössten Dichter der Neuzeit kennen zu lernen wünschen, einen zuverlässigen Führer in die Hand geben. Mit anderen Worten: Ich wollte ein populäreres Buch als das Wegelesche schreiben" (ebd. S. VII).

Scartazzinis Leistung besteht gerade auch darin, die Epoche Dantes einprägsam vor Augen zu führen: Vaterland und Vaterstadt; Sitte; Glaube, Papst und Kaiser, Wissenschaften und Künste, Nationalsprache und -literatur. 

Von großem Wert sind auch Scartazzinis Aufsatzeditionen: Abhandlungen über Dante Alighieri (11) von 1880 und sein "Dante-Handbuch" (1892).

Die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V. (DDG)

es verwundert angesichts dieswer beständigen, intensiven Auseinandersetujn g mit dante Alighieri nicht, dass eine wissenschaftliche Vereinigung der Dante-Forschung entstand. Die Deutsche Dante-Gesellschaft e.V., 1865 anlässlich von dantes 600. Geburtstag in Dresden gegründet, ist die älteste aller bestehenden Dante-Vereinigungen. Die italienische Dante-Gesellschaft existiert erst seit 1888. 

Eine kurze Auswertung der Dante-Jahrbücher 

Initiator und erster Präsident war Karl Witte, der die ersten drei Jahrbücher 1869,. 1871 und 1873 herausgab. neben dem wissenschaftlichen Niveau imponiert der Umfang (zwischen 420 und 550 Seiten). Witte übertrug diese Aufgane anschließend an Scartazzini, der nach dem vierten Band (1877) seine redaktionelle Arbeit einstellen musste: Es fehlte an Unterstützung durch den Verein, Mitarbeiter blieben aus. 

Spätestens der Tod Wittes, Wegeles und Scartazzinis ließ die Gesellschaft in Lethargie versinken. Das bedeutete aber nicht das Ende der dante-Übertragungen oder der Dante-Forschung hierzulande. Albert bassermann leistete mit seiner Übersetzung der Göttlichen Komödie ("Hölle" 1892, "Fegeberg" 1909, "Paradies" 1921) sowie der biografischen Studie "Dantes Spuren in Italien" (1897, Reprint 2013) wertvolle Beiträge. 

In der Deutschen Dante-Gesellschaft gelang dem Vorsitzenden Hugo Daffner, einem Komponisten und Arzt, die Wende: Zwischen 1920 und 1927 erschienen fünf Bände. Daffners Krankheit 1927 ließ die wissenschaftliche produktion erneut stocken und brachte die vereinigung kurzzeitig in eine Krise. Von 1928 bis 1961 redigierte der Historiker Friedrich Schneider, Professor in jena, das dante-jahrbuch: eine erstaunliche Kontinuität ungeachtet der politisch-gesellschaftlichen Systemwechsel. Lediglich 1944 und 1945 konnte keine Anthologie erstellt werden. Bereits 1946 erschien der erste Nachkriegs-Jahresband (Bd. 26 insg., Bd. 17 der neuen Reihe). Schneider (1887 bis 1962) ist als Biograf Kaiser Heinrichs VII. bekannt - jener Monarch, auf den Dante seine Hoffnungen für Reichsitalien setzte. Es gelang Schneider nicht nur, den Auftrag des Vorstands umzusetzen: jährlich einen Band zu veröffentlichen. Vielmehr oblag ihm als stellvertretenden vorsitzender der DDG auch die Mitgliederbetreuung im östlichen Teil Deutschlands. Es bleibt zu würdigen, dass schneider und  der seinerzeitige Vorstand jegliche ideologischen Phrasen und Deutungsansätze vermieden - eine nicht geringe Leistung.  Autoren aus West- und Ostdeutschland (selbst Viktor Klemperer) waren in den Dante-Jahrbüchern präsent. 

Bemerkenswert: Die Dante-Jahrbücher wurden in Leipzig (bis 1964 in Jena) gebunden, in Hildburghausen gedruckt und in Weimar (Böhlau Nachf.) verlegt, also in der DDR hergestellt, während der Sitz des Vereins in der Bundesrepublik war. Schneiders nachfolger Alfred Noyer-Weidner wirkte ab 1962 als Prof. in Wien und ab 1964 als Prof. für Romanistik in München. Der 13-köpfige Vorstand bestand 1965 aus acht Bundesdeutschen und fünf DDR-Deutschen.(13) Ein bemerkenswerter Akt der Zusammenarbeit über den Eisernen Vorhang hinweg! Nach dem Druck des 44./45. Bandes (1967) kündigte die VEB Landesdruckerei Thüringen und der Verlag Böhlau Nachf. den Vertrag mit der DDG, so dass künftig, ab 1970, ds Jahrbuch in Köln produziert wurde.  Zwar kamen insbesondere im Pfarrhaus von Pastor Otto Riedel in Zwickau dante-Freunde zusammen (14). Eine satzungsgemäße gesamtdeutsche Vereinsarbeit war jedoch nicht mehr möglich. 

Die Deutsche Dante-Gesellschaft heute

Die DDG ist nicht zu verwechseln mit der Dante-Alighieri-Gesellschaft, die an der Förderung der italienischen Sprache, Lebensart und Kultur mitwirkt. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass die Dante-Alighieri-Gesellschaft in den medien als "Dante-Gesellschaft" bezeichnet wird. 

Vorrangiges Ziel der Deutschen Dante-Gesellschaft (die auch österreicher und Deutsch-Schweizer vertritt) ist laut Selbstbeschreibung auf ihrer Website "die Beschäftigung mit Persönlichkeit und Werken Dante Alighieris (1265 bis 1321) sowie seine Epoche im deutschen Sprachgebiet lebendig zu erhalten und zu fördern. sie will nicht nur das literarische und intellektuelle Erbe des Autors weitertragen, sondern sich ebenso it dessen Aktualität auseinandersetzen". Dies geschieht durch veranstaltungen, Vorträge und Veröffentliochungen, durch Unterhaltung und Ausbau einer wissenschaftlichen Bibliothek, duch die Förderung wissenschaftlicher Forschungen und Arbeiten wie v.a. Dissertationen, durch die Anregung und Unterstützung von Vorlesungen. 

Die Gesellschaft ist gemeinnützig, sie steht allen Dante-Forschern und -Interessierten offen. 

Die Jahrbücher der Deutschen Dante-Gesellschaft entsprechen dem Standard akademischer Zeitschriften, d.h. sie enthalten wissenschaftliche Aufsätze und Rezensionen. 

Daneben informiert das Mitteilungsblatt "Il novo Giorno" (Leitung: Dr. Andrea Renker) einmal jährlich über Interna des Vereins sowie über Veranstaltungen und Neuerscheinungen. Eine feste Rubrik trägt den Titel "Mein Weg zu Dante".  

Die Jahrestagungen an wechselnden Universitäten, zuletzt 2022 in Jena, enthalten v.a. Vorlesungen aus dem Fachbereich der Romanistik, sowie Rezitationen und Musikaufführungen mit Bezug zu Dante. Sitz der Gesellschaft ist Weimar. Präsident ist Privatdozent Dr. Karl Philipp Ellerbrock, als Geschäftsführer fungiert der Jurist Dr. Bodo Zöll. Die Website ist unter www.dante-gesellschaft.de abrufbar. Darüber hinaus ist die Dante-Gesellschaft auf Facebook mit häufig aktualisierten Veranstaltungshinweisen und Texten präsent.  


(1) https://www.dantealighieri.dk/uebersicht.htm

(2) https://archive.org/details/bub_gb_Jw4J5AxoPiQC/mode/2up

(3) www.projekt-gutenberg.org/dante/komoedie/komoedie.html

(4) www.projekt-gutenberg.org/dante/goettlic/goettlic.html

(5) http://de.scorser.com/Out/300564340.html

(6) Books.google, Suchbegriffe: Karl Witte, Göttliche Komödie

(7) Books.google, Suchbegriff: Dante und die italienischen Fragen

(8) Books-google, Suchbegriffe: Karl Witte, Altes und Neues

(9) Die verschiedenen Fassungen sind unter books.google recherchierbar, Suchbegriff: Wegele

(10) Unter books-google recherchierbar, Suchbegriffe: Scartazzini, Dante

(11) Books.google, Suchbegriffe: Abhandlungen, Dante

(12) Books.google, Suchbegriff: Dante-Handbuch

(13) Vgl. Dante-Handbuch 43 (1965), S. 6

(14) Die Jahrbücher der 1960er Jahre weisen Riedel als Vize-Vorsitzenden aus, in den 1970er Jahren wird er als stellvertretender Vorsitzender ehrenhalber aufgeführt. Mehr über diesen Geistlichen und vielseitigen Schriftsteller hier: Friedhöfe in Zwickau, Planitzer Friedhof (zwickau-ansichten.de)

 

© Stefan Winckler 







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